JudikaturJustizOp1/13

Op1/13 – OPMS Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2013

Kopf

Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Irmgard GRISS, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Elisabeth LOVREK und Mag. Wilfried KYSELKA als rechtskundige Mitglieder sowie die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Maria KRENN und Dr. Erich TENGLER als fachtechnische Mitglieder in der Patentsache der Antragstellerin S *****  G m b H ,   ***** vertreten durch Beer Partner Patentanwälte KG, Lindengasse 8, 1070 Wien, wider die Antragsgegnerin T *****  C o m p a n y , ***** USA, vertreten durch Patentanwälte Dr. Elisabeth SCHOBER, Dr. Tobias FOX, Dipl.-Ing. Wolfgang NOSKE, Brigittenauer Lände 50, 1200 Wien, wegen Nichtigerklärung des ergänzenden Schutzzertifikats Nr SZ 30/2000, über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 4. März 2013, Zl N 17/2008-9, entschieden:

Spruch

Der Berufung wird im Umfang der Ansprüche 1-19 nicht Folge gegeben und die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung mit der Maßgabe bestätigt, dass die wie folgt zu lauten hat:

„Es wird festgestellt, dass die Ansprüche 1-19 des Schutzzertifikats nichtig waren.“

Im Übrigen, also im Umfang der ursprünglich erteilten Ansprüche 21 und 22 (nunmehr: 20 und 21), wird der Berufung Folge gegeben und die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung dahin abgeändert, dass der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit dieser Ansprüche abgewiesen wird.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit 565 EUR bestimmten anteiligen Barauslagen des Verfahrens vor der Nichtigkeitsabteilung und des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im Übrigen werden die Kosten des Verfahrens gegenseitig aufgehoben.

Text

G r ü n d e :

Die Antragsgegnerin war Inhaberin des am 16. Dezember 1985 angemeldeten europäischen Patents EP 186 405 B1 (in Österreich E 61 370) und des auf dieser Grundlage angemeldeten Schutzzertifikats SZ 30/2000, dessen Laufzeit am 16. Dezember 2010 endete.

Die für dieses Verfahren maßgeblichen Ansprüche 1 sowie 21 und 22 lauten in der für Österreich geltenden Fassung wie folgt:

Die Ansprüche 2-18 basieren alle auf der pharmazeutischen Zusammensetzung nach dem Hauptanspruch 1.

Die Antragstellerin beantragte am 1. Dezember 2008 die gänzliche Nichtigerklärung des Schutzzertifikats wegen Nichtigkeit des Grundpatents. Die Ansprüche 1-19 beträfen eine pharmazeutische Zusammensetzung, somit ein Arzneimittel. Die Ansprüche 20 und 21 (erkennbar gemeint: 20-22) bezögen sich auf Diphosphonsäure-Verbindungen, also chemische Erzeugnisse. Sämtliche Ansprüche seien wegen Verstoßes gegen das in Österreich zum Anmeldezeitpunkt noch wirksame Stoffschutzverbot nichtig.

Die Antragsgegnerin verwies in ihrer Gegenschrift auf den von ihr am 8. April 2009 beim Österreichischen Patentamt eingereichten Teilverzicht (Beilage ./1). Sie verzichtete damit auf den bisherigen Patentanspruch 20 zur Gänze und erklärte die bisherigen Patentansprüche 21 und 22 dahin einzuschränken, dass sie als neue Patentansprüche 20 und 21 wie folgt lauten:

Die Antragsgegnerin wendet ein, die neuen Patentansprüche 20 und 21 seien Verfahrensansprüche, die mit dem Stoffschutzverbot vereinbar seien („Swiss Claims“). Eine Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung sei mit dem Teilverzicht nicht verbunden. Bei den Patentansprüchen 1-19 handle es sich ebenfalls um – nicht optimal formulierte – Swiss Type-Claims. Die Antragsgegnerin beantragt, das Patent im Umfang der mit dem Teilverzicht vorgelegten Patentansprüche 1-21 aufrecht zu erhalten. Hilfsweise stellt sie den Antrag, das Patent zurückwirkend auf den Anmeldetag im Umfang der Patentansprüche 1-19 in der ursprünglichen Fassung sowie der Ansprüche 21 und 22 in der Fassung des Teilverzichts aufrecht zu erhalten.

Die Antragstellerin, die ihr rechtliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens im Sinne des § 117 PatG mit einem anhängigen Verletzungsverfahren begründet, entgegnete, dass der Teilverzicht zu einer Verschiebung des Erfindungsgedankens führe: Eine zulässige Beschränkung setze voraus, dass die Merkmale von wenigstens einem Unteranspruch in ihrer Gesamtheit in einen übergeordneten Anspruch aufgenommen würden. Das sei hier nicht der Fall, weil die Änderung nur unter Rückgriff auf die Beschreibung des ursprünglichen Anspruchs und nicht unter Rückgriff auf den Anspruch selbst vorgenommen worden sei. Im Interesse der Rechtssicherheit müsse klar sein, welchen Schutzumfang ein Patent habe. Die Öffentlichkeit habe davon ausgehen können, dass sämtliche Patentansprüche wegen Verstoßes gegen das Stoffschutzverbot nichtig seien.

Die Nichtigkeitsabteilung erklärte das angefochtene ergänzende Schutzzertifikat für nichtig. Sie vertrat zusammengefasst die Auffassung, dass die Umformulierung der ursprünglichen Ansprüche 21 und 22 in die neuen Ansprüche 20 und 21 unter Hinzufügung nicht näher definierter Verfahrensschritte eine unzulässige Umwandlung bewirke. Die gegenteilige Auffassung würde das Stoffschutzverbot unterwandern. Überdies sei die Position der Öffentlichkeit zu beachten. Der Bestand eines Ausschließlichkeitsrechts müsse für alle verlässlich vorhersehbar sein. Hier habe ein Mitbewerber davon ausgehen können, dass das Grundpatent und das auf seiner Grundlage erteilte Schutzzertifikat im Streitfall keinen Bestand hätten.

In der dagegen erhobenen Berufung beantragt die Antragsgegnerin primär eine Abänderung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung dahin, dass der Nichtigkeitsantrag abgewiesen und das Schutzzertifikat auf Basis des mit Teilverzicht eingeschränkten Grundpatents aufrecht erhalten wird.

Die Antragstellerin stellt in ihrer Berufungsbeantwortung den Antrag, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist teilweise berechtigt.

1.           Rechtsgrundlage der Erteilung des zu beurteilenden Schutzzertifikats war die Verordnung (EWG) Nr 1768/92 des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel vom 18. Juni 1992 (SchzVO 1992). Diese VO wurde einerseits durch die Beitrittsakte 1994, 2003 und 2005 und andererseits durch die VO (EG) Nr 1901/2006 geändert und schließlich durch die als „kodifizierte Fassung“ bezeichnete VO (EG) Nr 469/2009 (SchzVO 2009) ersetzt.

2.           Das ergänzende Schutzzertifikat ist gemäß Art 15 Abs 1 lit c der hier noch anzuwendenden (vergleiche 17 Ob 5/11a), inhaltlich mit der SchzVO 2009 übereinstimmenden SchzVO 1992 nichtig, wenn das Grundpatent für nichtig erklärt oder derartig beschränkt wird, dass das Erzeugnis, für welches das Zertifikat erteilt worden ist, nicht mehr von den Ansprüchen des Grundpatents erfasst wird oder wenn nach Erlöschen des Grundpatents Nichtigkeitsgründe vorliegen, die die Nichtigerklärung oder Beschränkung gerechtfertigt hätten.

3.           Es bedarf daher zunächst einer Prüfung, ob das – wegen Zeitablaufs bereits erloschene – Grundpatent nichtig war. Das ist zu bejahen.

3.1             Unstrittig ist, dass der von Österreich erklärte und bis 7. Oktober 1987 wirksame Vorbehalt gemäß Art 167 Abs 2 lit a EPÜ das Streitpatent erfasst, das während der formellen Wirksamkeit des Vorbehalts angemeldet wurde.

3.2             Für das Streitpatent galt somit das Stoffschutzverbot. Nach Art 167 Abs 2 lit a EPÜ können europäische Patente für das Gebiet der Republik Österreich übereinstimmend mit den für nationale Patente geltenden Vorschriften für nichtig erklärt werden, soweit sie Schutz für chemische Erzeugnisse als solche oder (ua) für Arzneimittel als solche gewähren.

3.3             Die Ansprüche 1-19 des Grundpatents betreffen Arzneimittel. Die Angabe eines Verwendungszwecks („..für eine Verwendung bei der Behandlung von Krankheiten, die durch einen abnormalen Calcium- und Phosphatstoffwechsel gekennzeichnet sind,..“) ändert nichts an der Natur der Ansprüche 1-19 als Produktansprüche. Die insoweit zutreffende Auffassung der Nichtigkeitsabteilung bestritt die Antragsgegnerin nicht substantiiert: Sie verwies lediglich darauf, dass es sich auch bei den Ansprüchen 1-19 um „eine Art Swiss-Type Ansprüche“ handle. Das trifft nicht zu, weil Swiss Claims Patentansprüche sind, deren Gegenstand die „ Verwendung des Wirkstoffs X zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung der Krankheit Y“ ist (Op 3/04 PBl 2006, 74). Derartige Verwendungsansprüche beschreibt die Offenbarung der Ansprüche 1-19 nicht.

3.4             Daraus folgt, dass der Berufung der Antragsgegnerin im Umfang der Ansprüche 1-19 nicht Folge zu geben ist. Infolge Ablaufs der Schutzdauer ist die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die Nichtigkeit der Ansprüche 1-19 des ergänzenden Schutzzertifikats festzustellen ist (§ 117 PatG iVm § 7 SchZG).

4.           Die durch den Teilverzicht bewirkte Beschränkung der Ansprüche 20 und 21 neu (21 und 22 alt) auf einen Verwendungsanspruch ist jedoch entgegen der Auffassung der Nichtigkeitsabteilung zulässig:

4.1             Die ursprünglichen Ansprüche 21 und 22 fielen unstrittig unter das Stoffschutzverbot.

4.2             Seit der Entscheidung des Obersten Patent- und Markensenats Op 3/04 (PBl 2006, 74) entspricht es der ständigen Rechtsprechung auch des Obersten Gerichtshofs, dass die Beschränkung eines noch unter das Stoffschutzverbot fallenden Patentanspruchs auf einen Verwendungsanspruch („Swiss Claim“) unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist: Entscheidend ist, dass a) der Schutzbereich durch die Einschränkung tatsächlich verkleinert wird und b) die ursprüngliche Offenbarung nicht überschritten wird (17 Ob 26/08k – Pantoprazol; 17 Ob 24/09t – Nebivolol).

4.3             Der ursprüngliche Anspruch 21 und der abgeleitete Anspruch 22 schützten generell eine bestimmte Diphosophonsäure–Verbindung. Der Schutzbereich wird durch die Umformulierung „Verwendung von…zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung von Krankheiten, die durch einen abnormalen Calcium- und Phosphatstoffwechsel gekennzeichnet sind“ jedenfalls enger. Aus der Nennung einer bestimmten Indikation folgt eine Beschränkung, denn geschützt soll das Arzneimittel nur sein, wenn es für einen bestimmten Zweck verwendet wird (17 Ob 26/08k - Pantoprazol mH auf die E der Großen Beschwerdekammer G 2/88 GRURInt 1990, 522 – reibungsverringernder Zusatz).

4.4             Auch die Offenbarung wird nicht überschritten: Inhaltlicher Kern und somit erfindungswesentliches Merkmal des ursprünglichen Anspruchs 21 (und des auf diesem aufbauenden Anspruchs 22) war eine Diphosophonsäure-Verbindung mit einer bestimmten Struktur. Genau auf diese Verbindung mit derselben Struktur beziehen sich auch die (neuen) Ansprüche 20 und 21. Es wurde daher gerade kein „beliebiges Merkmal“ der ursprünglichen Offenbarung in den neuen Anspruch 21 aufgenommen, sondern das die ursprüngliche Offenbarung bestimmende Merkmal, wobei die nun angeführte Indikation bereits in der Beschreibung (zur Zulässigkeit des Rückgriffs auf die Beschreibung siehe 17 Ob 26/08k – Pantoprazol) des ursprünglichen Patents enthalten war.

4.5              Die Antragstellerin argumentiert, dass eine Änderung der Anspruchskategorie nach österreichischer Rechtslage nur bis zur Fassung des Erteilungsbeschlusses zulässig sei. Dabei übersieht sie allerdings, dass ein (Teil)Verzicht auf das schon erteilte Patent auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 91 Abs 3 PatG zulässig ist (§ 46 Abs 1 Z 3 PatG; vergleiche 17 Ob 26/08k – Pantoprazol). Aus den dargelegten Gründen bewirkt der von der Antragsgegnerin erklärte Teilverzicht eine Einschränkung des Schutzbereichs ohne Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung und ist somit nicht als Änderung im Sinne des § 91 Abs 3 PatG, sondern lediglich als Einschränkung eines Anspruchs zu beurteilen.

4.6              Dass der Teilverzicht zu einem Zeitpunkt erklärt wurde, zu dem die Antragstellerin bereits die Nichtigerklärung des Schutzzertifikats beantragt hatte, schadet nicht: Solange die zuständige Behörde nicht über die geltend gemachte Nichtigkeit entschieden hat, ist ein entgegen dem Stoffschutzverbot erteiltes Patent (bzw ein darauf aufbauendes Schutzzertifikat) rechtswirksam. Ein Teilverzicht ist daher auch noch in einem Nichtigkeitsverfahren zulässig (17 Ob 26/08k – Pantoprazol).

4.7             Aus diesem Grund stehen auch die von der Antragstellerin ins Treffen geführten Gutglaubensschutzerwägungen der Zulässigkeit des Teilverzichts nicht entgegen: Ob überhaupt der „gute Glaube“ eines Dritten auf die Nichtigkeit eines Patents bzw Schutzzertifikats schützenswert ist, ist schon fraglich. Jedenfalls aber bei einem bloß vernichtbaren Patent – und um ein solches handelt es sich bei einem gegen das Stoffschutzverbot erteilten Patent – ist die Rechtslage so lange zweifelhaft, bis die zuständige Behörde über die Nichtigkeit entschieden hat. Konsequenterweise müsste im Übrigen bei Bejahung eines Gutglaubensschutzes einem (fachmännischen) Dritten auch die Kenntnis von der Zulässigkeit einer Einschränkung eines ursprünglich vernichtbaren Anspruchs auf einen Verwendungsanspruch (Swiss Claim) unterstellt werden.

5.           Daraus folgt zusammengefasst, dass die Berufung im Umfang der Nichtigerklärung der Ansprüche 20 und 21 berechtigt ist. Im Umfang der Ansprüche 1-19 ist hingegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung mit der erwähnten Maßgabe zu bestätigen.

6.           Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 122 Abs 1, 140 Abs 1 PatG iVm § 7 SchZG und §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Unter Bedachtnahme auf die sachliche Bedeutung der Ansprüche, die als ursprünglich nichtig festgestellt wurden und der Ansprüche, mit denen die Antragstellerin unterlag, ist die Antragstellerin als zur Hälfte obsiegend anzusehen. Sie erhält daher die halben Barauslagen des Verfahrens vor der Nichtigkeitsabteilung und vor dem Obersten Patent- und Markensenat. Im Übrigen sind die Kosten des Verfahrens gegenseitig aufzuheben.

Rechtssätze
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