JudikaturJustizOm12/12

Om12/12 – OPMS Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2012

Kopf

Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Irmgard GRISS, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Ljiljana PANTOVIC, Dr. Elisabeth LOVREK, Dr. Gottfried MUSGER als rechtskundige Mitglieder und Rat des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Johannes MESA-PASCASIO als fachtechnisches Mitglied in der Markenrechtssache der Antragstellerin   R ***** G m b H ,   ***** vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, Tuchlauben 17, 1014 Wien, wider die Antragsgegnerin   A *****  L t d . ,  ***** Zypern vertreten durch Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH, Wallnerstraße 4, 1010 Wien, wegen Unwirksamerklärung der internationalen Marke Nr 653 993 für das Gebiet der Republik Österreich, über die Berufung der Antragstellerin gegen den Unterbrechungsbeschluss der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 12. März 2012, Zl Nm 67/2011-2,3, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird im Ausspruch über die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des bei der Nichtigkeitsabteilung zu Nm 3/2011 geführten Verfahrens bestätigt und im Übrigen dahin abgeändert , dass der Antrag auf Unterbrechung auch bis zur rechtskräftigen Erledigung des dort zu Nm 2/2011 geführten Verfahrens abgewiesen wird.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen einen mit 340 EUR bestimmten Anteil der Berufungsgebühr zu ersetzen. Im Übrigen werden die Kosten des Berufungsverfahrens gegeneinander aufgehoben.

Text

G r ü n d e :

Die Antragsgegnerin ist Inhaberin der am 18. März 1996 für „alcoholic beverages (except beers)“ registrierten Marke IR 653 993:

Die Antragstellerin beantragt, die Marke für das Gebiet der Republik Österreich für unwirksam zu erklären. Sie stützt sich auf folgende Gründe:

(a)      Die Antragsgegnerin behaupte, dass das mit der Marke bezeichnete Getränk seit 2006 keinen Energy Drink mehr enthalte. Damit sei wegen des Wortbestandteils „WODKA ENERGY“ der Tatbestand der nachträglich eingetretenen Irreführungseignung im Sinne von § 33c MSchG erfüllt.

(b)     Wenn die Antragsgegnerin die Marke nicht mehr mit diesem Wortbestandteil benutze, liege der Löschungsgrund des § 33a MSchG vor.

(c)      Die Marke kollidiere mit älteren registrierten und nicht registrierten Kennzeichen der Antragstellerin, und zwar mit dem seit 1987 umfassend verwendeten Slogan „… verleiht Flügel“, der durch die ältere Wortmarke AT 161 298 „RED BULL VERLEIHT FLÜÜÜGEL“ für „alkoholfreie Getränke (Klasse 32), also identische Produkte“ (sic!) geschützt sei, aber bereits zuvor Verkehrsgeltung gehabt habe. Die Übernahme des selbständig kennzeichnungskräftigen Markenbestandteils „FLÜGEL“ führe zu Verwechslungsgefahr und bewirke eine Ruf- und Aufmerksamkeitsausbeutung sowie eine Verwässerung des älteren Kennzeichens (§§ 30, 31 MSchG).

(d)     Die Antragsgegnerin habe die Marke bösgläubig angemeldet, da sie von der Bekanntheit des Slogans „…verleiht Flügel“ und des von der Antragstellerin verwendeten Zeichens „FLÜGERL“ habe profitieren wollen (§ 34 MSchG).

Die Antragsgegnerin bestreitet die von der Antragstellerin genannten Gründe und beantragt unter Hinweis auf das von ihr eingeleitete Markenlöschungsverfahren die Unterbrechung des Verfahrens. Ihre Marke werde seit einer gemeinschaftsrechtlich erforderlich gewordenen Produktionsumstellung ohne die Sachbezeichnung „Wodka Energy“ verwendet; Irreführungseignung bestehe daher nicht (§ 33c MSchG). Das Weglassen dieses nicht unterscheidungskräftigen Bestandteils habe die Unterscheidungskraft der Marke nicht beeinträchtigt, sodass sich an der ernsthaften Benutzung nichts geändert habe (§ 33a MSchG). Verwechslungsgefahr (§ 30 Abs 1 MSchG) mit den Marken der Antragstellerin AT 161 298 („RED BULL VERLEIHT FLÜÜÜGEL“) und AT 175 793 („…. VERLEIHT FLÜGEL“) bestehe mangels Zeichen- und Warenähnlichkeit nicht, zumal diese nur für nichtalkoholische Getränke registriert seien. Zudem seien in Bezug darauf Löschungsverfahren nach § 33a MSchG anhängig (AT 161 298: Nm 3/2011; AT 175 793: Nm 2/2011). Im Hinblick darauf sei das vorliegende Verfahren zu unterbrechen. Weiters liege keine Beeinträchtigung eines bekannten Zeichens (§ 30 Abs 2 MSchG), keine Verletzung eines anderen Kennzeichenrechts (§ 31 KSchG) und auch keine Bösgläubigkeit (§ 34 MSchG) vor.

Die Nichtigkeitsabteilung unterbrach das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zu Nm 2/2011 und Nm 3/2011 anhängigen Verfahren. Die Antragstellerin stütze sich zur Begründung ihres Löschungsantrags unter anderem auf die in diesen Verfahren angegriffenen Marken. Da dort über deren Rechtsbestand entschieden werde, sei die dort ergehende Entscheidung eine „Voraussetzung für das gegenständliche Verfahren“.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Antragstellerin ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Unterbrechungsbeschlüsse der Nichtigkeitsabteilung sind nach §38 Abs2 MSchG sowie §42 Abs 1 MSchG iVm § 119 Abs 1 PatG 1970 und

§ 192 Abs 2 ZPO abgesondert anfechtbar (vergleiche EB zur RV der Patentrechts- und Gebührennovelle 2004, 621 BlgNR 22. GP 11). Über die danach zulässige Berufung ist nach §42 Abs1 MSchG iVm §142 Abs1 Z7 PatG 1970 ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss zu entscheiden.

2. Im Verfahren der Nichtigkeitsabteilung ist nach §42 Abs1 MSchG iVm §119 Abs1 PatG 1970 unter anderem § 190 ZPO sinngemäß anzuwenden. Danach kann das Gericht die Unterbrechung eines Rechtsstreits anordnen, wenn dessen Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist. Die Unterbrechung setzt daher zunächst voraus, dass das andere Verfahren für den Rechtsstreit ganz oder teilweise präjudiziell ist; die Entscheidung im anderen Verfahren muss eine Vorfrage des Rechtsstreits mit bindender Wirkung erledigen. Trifft das zu, ist weiters zu unterscheiden: Im Allgemeinen kann das Gericht die Vorfrage auch bei Anhängigkeit eines präjudiziellen Verfahrens selbständig beurteilen ( Fucik in Rechberger , ZPO3 § 190 Rz 2; Schragel in Fasching / Konecny 2 § 190 Rz 26; beide mwN); ob es stattdessen den Rechtstreit unterbricht, steht in seinem – pflichtgemäß zu übenden – Ermessen (RIS-Justiz RS0036765). Anderes gilt, wenn eine Unterbrechung ausdrücklich angeordnet ist (vergleiche die Beispiele bei Fucik aaO Rz 3) oder die inzidente Beurteilung einer präjudiziellen Rechtsfrage aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, etwa dann, wenn das Gericht bis zu einer rechtsgestaltenden Entscheidung – zB in Bezug auf den Personenstand (RIS-Justiz RS0105123) – vom Bestehen eines Rechtsverhältnisses auszugehen hat.

3. Letzteres gilt insbesondere bei Löschungsanträgen nach §30 MSchG: Hier sind Einwendungen gegen die Rechtsbeständigkeit der Marke des Antragstellers so lange unbeachtlich, als der Antragsgegner nicht seinerseits einen entsprechenden Löschungsantrag gestellt hat. Unterlässt er das, dann ist vom Rechtsbestand der Marke des Antragstellers auszugehen und nur zu prüfen, ob der Löschungstatbestand des § 30 MSchG erfüllt ist (Om 2/90 = ÖBl 1991, 157 – Innviertler Landbier; Om 8/10 = PBl 2011, 41 – Cristal Cuvée; Om 4/11 = PBl 2011, 157 – Leo; zuletzt Om 9/12 - Sparda). Stellt der Antragsgegner hingegen einen Antrag auf Löschung der Marke des Antragstellers, so wird die Nichtigkeitsabteilung bei Präjudizialität im Allgemeinen die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden (§42 Abs 1 MSchG iVm §119 Abs 1 PatG 1970 und § 187 ZPO; § 404 Abs 2 ZPO analog) oder das zunächst eingeleitete Verfahren unterbrechen müssen. Theoretisch könnte sie zwar die Rechtsbeständigkeit der Marke des Antragstellers vorfrageweise selbst bejahen, ohne die Entscheidung im präjudiziellen Verfahren abzuwarten, und auf dieser Grundlage dem Löschungsantrag sofort stattgeben. Damit wäre aber die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen verbunden, wobei die Regelungen über die Wiederaufnahme  (§ 42 Abs 1 MSchG iVm § 127 PatG 1970) diesen Fall zumindest nicht unmittelbar erfassen. Eine solche Vorgangsweise wird daher bei Anhängigkeit eines Löschungsverfahrens nur ausnahmsweise angebracht sein.

4. Die Unterbrechung setzt allerdings voraus, dass der Rechtsbestand der vom Antragsgegner mit eigenem Löschungsantrag angegriffenen Marke tatsächlich präjudiziell für die Entscheidung über den Löschungsantrag des Antragstellers ist.

4.1. Das trifft jedenfalls dann zu, wenn der Löschungsantrag nur auf die ältere Marke des Antragstellers gestützt ist und bei Rechtsbeständigkeit dieser Marke einer der Tatbestände des § 30 MSchG – Doppelidentität, Verwechslungsgefahr, Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung oder Unterscheidungskraft einer bekannten Marke – erfüllt ist. Denn in diesem Fall hängt der Erfolg des Antrags ausschließlich von der Rechtsbeständigkeit dieser Marke ab.

4.2. Präjudizialität ist aber auch dann anzunehmen, wenn sich der Antragsteller zwar auch auf andere Gründe für die Löschung der Marke des Antragsgegners stützt, sein Antrag aber bei Rechtsbeständigkeit seiner eigenen Marke jedenfalls auch aufgrund von §30 MSchG Erfolg hätte. Hier könnte die Nichtigkeitsabteilung zwar die Löschung unabhängig von der Rechtsbeständigkeit dieser Marke verfügen und den Antrag damit endgültig erledigen, wenn ein anderer Löschungstatbestand mit gleicher Rückwirkung erfüllt ist (§30a Abs 2, §31 Abs 3, §32 Abs 3, §33 Abs2 und §34 Abs 2 MSchG [Rückwirkung auf den Beginn der Schutzdauer]; vergleiche aber §33a Abs 6, § 33b Abs 2 und § 33c Abs 2 MSchG [Wirkung nur ab bestimmtem Zeitpunkt]). Eine abweisende Entscheidung käme hingegen nur dann in Betracht, wenn auch der Löschungstatbestand des §30 MSchG verneint werden könnte. Damit ist die Präjudizialität begründet. In einem solchen Fall steht die Unterbrechung im Ermessen der Nichtigkeitsabteilung. Bei der Entscheidung hat sie insbesondere die Erfolgsaussichten der einzelnen Löschungsgründe, den insofern erforderlichen Verfahrensaufwand und den Stand im präjudiziellen Verfahren zu berücksichtigen; Verfahrensverzögerungen durch eine Unterbrechung sind mit dem dadurch möglicherweise ersparten Verfahrensaufwand abzuwägen. Auf dieser Grundlage wird eine Unterbrechung etwa dann angezeigt sein, wenn die anderen vom Antragssteller genannten Löschungsgründe ein aufwändigeres Beweisverfahren erforderten, der Antragsgegner keine zwingenden Gründe für die Löschung der Marke des Antragstellers aufzeigt und dem Antrag des Antragstellers bei Rechtsbeständigkeit seiner Marke ohne weiteres stattzugeben wäre. Denn unter diesen Voraussetzungen ist mit der Löschung der Marke des Antragsgegners nach § 30 MSchG zu rechnen, sodass ein Verfahren über andere Löschungsgründe mit hoher Wahrscheinlichkeit ein verlorener Aufwand wäre. Umgekehrt wäre von einer Unterbrechung abzusehen, wenn die Löschung der Marke des Antragstellers wahrscheinlich ist, selbst bei Rechtsbeständigkeit dieser Marke begründete Zweifel am Vorliegen des Löschungsgrundes nach §30 MSchG bestünden oder andere Löschungstatbestände mit gleicher Rückwirkung ohne besonderen Verfahrensaufwand sofort stattgebend erledigt werden könnten. Denn in diesen Fällen führte die Unterbrechung zu einer verzögerten Erledigung, ohne dass dadurch ein ins Gewicht fallender Verfahrensaufwand erspart werden könnte.

4.3. Jedenfalls unzulässig wäre eine Unterbrechung demgegenüber dann, wenn einem Löschungsantrag nach §30 MSchG auch bei Rechtsbeständigkeit der Marke des Antragstellers nicht stattgegeben werden könnte. Denn in diesem Fall käme es auf die Rechtsbeständigkeit dieser Marke nicht an; es fehlte daher die für eine Unterbrechung erforderliche Präjudizialität. Umso mehr gilt das dann, wenn – wie hier (unten 5.1.) - in Bezug auf eine bestimmte Marke des Antragstellers gar kein Antrag nach §30 MSchG vorliegt.

5. Auf dieser Grundlage ist die Berufung der Klägerin teilweise berechtigt.

5.1. Soweit sich die Antragstellerin zur Begründung ihres Antrags nach § 30 MSchG auf das Vorliegen einer eigenen registrierten Marke stützt, nennt sie ausschließlich ihre Marke AT161 298 („RED BULL VERLEIHT FLÜÜÜGEL“). Ihre weitere Marke AT175 793 („…. VERLEIHT FLÜGEL“) ist daher nicht Gegenstand des Verfahrens. Dass die Antragsgegnerin – offenbar vorsichtshalber – auch auf diese Marke Bezug nimmt, kann daran nichts ändern. Abgesehen davon wäre ein darauf gestützter Löschungsantrag unschlüssig, weil diese Marke jünger ist als jene der Antragsgegnerin. Daher kommt eine Unterbrechung hier keinesfalls in Betracht.

5.2. Anders verhält es sich bei der Marke AT161 298. Ist sie rechtsbeständig, wäre die Marke der Antragsgegnerin bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs 1 oder 2 MSchG zu löschen. Die Antragstellerin behauptet in ihrer Berufung nicht, dass diese Voraussetzungen nicht vorlägen. Diese Frage ist daher nicht weiter zu prüfen. Abgesehen davon ist die Ermessensentscheidung der Nichtigkeitsabteilung nach den oben (Punkt 4.2.) dargelegten Grundsätzen nicht zu beanstanden. Während es für den Löschungstatbestand nach § 30 Abs 1 MSchG im Wesentlichen nur auf den Registerstand ankommt, wäre bei den anderen von der Antragstellerin genannten Gründen ein wohl aufwändigeres Beweisverfahren zu führen. Zudem ist das Löschungsverfahren zur Marke AT161 298 bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Damit hält sich die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung im Rahmen des ihr bei der Anwendung von § 190 ZPO zustehenden Ermessens.

6. Aus diesem Grund ist der Berufung teilweise Folge zu geben. Die angefochtene Entscheidung ist zu bestätigen, soweit sie die Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Löschungsverfahrens zur Marke AT161 298 (Nm 3/2011) verfügt. Im Übrigen ist sie dahin abzuändern, dass der Antrag auf Unterbrechung auch bis zur Erledigung des Löschungsverfahrens zur Marke AT175 793 (Nm 2/2011) abgewiesen wird.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 42 Abs 1 MSchG iVm §§ 122 Abs 1, 140 Abs 1 PatG 1970 und § 43 Abs 1 ZPO. Durch die Berufung der Antragstellerin ist ein Zwischenstreit über den Unterbrechungsantrag der Antragsgegnerin entstanden, in dem beide Parteien je zur Hälfte obsiegt haben. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin daher die Hälfte der allein von dieser getragenen Berufungsgebühr zu ersetzen; im Übrigen sind die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.

Rechtssätze
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