JudikaturJustizOBp1/13

OBp1/13 – OPMS Entscheidung

Entscheidung
28. August 2013

Kopf

Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Brigitte SCHENK, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Gottfried MUSGER und Mag. Gerald PILZ als rechtskundige Mitglieder und die Räte Dr. Susanna SLABY und Dr. Erich TENGLER als fachtechnische Mitglieder des Obersten Patent- und Markensenates in der Rechtssache des Antragstellers   A *****, Schweden, vertreten durch Sonn Partner Patentanwälte, Riemergasse 14, 1010 Wien, wegen Erteilung eines Schutzzertifikates, über die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Rechtsmittelabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 9. Oktober 2012, B 2/2011-4, womit die Beschwerde des Antragstellers gegen den abweisenden Beschluss der Technischen Abteilung 4B des Österreichischen Patentamtes vom 3. Februar 2011, Zl SZ 37/2009-9, auf Erteilung des mit 24. September 2009 beantragten Schutzzertifikats zurückgewiesen und der angefochtene Beschluss bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann nach Art 1 lit b und Art 3 lit a und b der Verordnung (EG) Nr 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Schutzzertifikat für einen durch ein Grundpatent geschützten Wirkstoff (hier: Protein D ) erteilt werden, wenn dieser Wirkstoff im Arzneimittel (hier: Synflorix ) in kovalenter (molekularer) Verbindung mit anderen Wirkstoffen enthalten ist, dabei jedoch seine eigene Wirkung behält?

2. Wenn Frage 1 bejaht wird:

2.1. Kann nach Art 3 lit a und b VO (EG) Nr 469/2009 ein Schutzzertifikat für den vom Grundpatent geschützten Stoff (hier: Protein D ) erteilt werden, wenn dieser eine eigene therapeutische Wirkung hat (hier als Impfstoff gegen Haemophilus-influenzae- Bakterien), sich die Genehmigung des Arzneimittels aber nicht auf diese Wirkung bezieht?

2.2. Kann nach Art 3 lit a und b VO (EG) Nr 469/2009 ein Schutzzertifikat für den vom Grundpatent geschützten Stoff (hier: Protein D ) erteilt werden, wenn die Zulassung diesen Stoff als „Träger“ für die eigentlichen Wirkstoffe (hier: Pneumokokkenpolysaccharide ) bezeichnet, er als „Adjuvans“ die Wirkung dieser Stoffe verstärkt, diese Wirkung in der Genehmigung des Arzneimittels aber nicht ausdrücklich genannt wird?

II. Das Verfahren über die Beschwerde des Antragstellers wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Text

Begründung:

I. Sachverhalt

Der Antragsteller war Inhaber des am 21. Februar 1991 angemeldeten und mit Priorität vom 31. Mai 1990 auch für Österreich erteilten Europäischen Patents „PROTEIN D - EIN IGD-BINDENDES PROTEIN VON HAEMOPHILUS INFLUENZAE“ (EP 0 594 610 B1, in Österreich E 170 531; in der Folge: „Grundpatent“). Die davon erfasste Substanz (in der Folge: Protein D ) ist im Arzneimittel „ Synflorix – Pneumokokkenpolysaccharid-Kojugatimpfstoff (adsorbiert)“ (in der Folge: Synflorix ) enthalten. Das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels wurde von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit Entscheidung vom 30. März 2009, K (2009) 2563, genehmigt, weil Synflorix die Anforderungen der Richtlinie 2001/83/Eg erfüllte.

Synflorix ist ein für Säuglinge und Kleinkinder entwickelter Impfstoff gegen durch Pneumokokken ( Streptococcus pneumoniae ) verursachte Erkrankungen, insbesondere Mittelohrentzündung ( Otits media ). Es enthält zehn Serotypen von Pneumokokkenpolysacchariden , die an Trägerproteine konjugiert, also damit molekular verbunden sind. Eine solche Verbindung wird auch als „kovalente“ Verbindung bezeichnet. In acht der zehn Fälle Protein D das Trägerprotein. Das vom Grundpatent geschützte Protein D ist daher im Arzneimittel nicht als solches enthalten, sondern in kovalenter (molekularer) Verbindung mit anderen Substanzen.

Synflorix gehört nach der Beschreibung , die einen Teil der Genehmigung bildet (Anhang I zu K [2009] 2563), zur pharmazeutischen Gruppe der Pneu-mokokken-Impfstoffe. Es wirkt nach dieser Beschreibung nur gegen die im Arzneimittel enthaltenen Serotypen des Streptococcus pneumoniae , also gegen (bestimmte) Pneumokokken. Hingegen ist ein Schutz vor Haemophilus-influenzae -Bakterien, die ebenfalls Mittelohrentzündungen hervorrufen können, nach der Beschreibung von Synflorix „nicht ausreichend nachgewiesen“. Protein D wird in der Beschreibung des Arzneimittels als „Trägerprotein“ für die damit konjugierten Serotypen des Streptococcus pneumoniae bezeichnet; eine eigene Wirkung dieses Stoffes wird nicht genannt.

Protein D dient in Synflorix als Adjuvans für Serotypen des Streptococcus pneumoniae . Darüber hinaus wirkt Protein D auch gegen Mittelohrentzündungen, die durch Haemophilus-influenzae- Bakterien hervorgerufen werden. Damit geht die tatsächliche Wirkung von Synflorix über die Zulassung hinaus : Während die Zulassung Synflorix nur als Pneumokokken-Impfstoff bezeichnet, dessen Wirkung gegen Haemophilus-influenzae- Bakterien „nicht ausreichend nachgewiesen“ sei, besteht – wovon das Patentamt aufgrund neuerer Studien ausgeht - eine solche Wirkung sehr wohl.

II. Anträge und Vorbringen der Parteien

Der Antragsteller meldete am 24. September 2009 – also noch während aufrechten Patentschutzes – beim Österreichischen Patentamt ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis Protein D an. Dieses Erzeugnis sei Gegenstand des Grundpatents. Im Arzneimittel Synflorix sei es neben anderen Wirkstoffen enthalten. Es habe eine eigene pharmazeutische Wirkung, nämlich als Schutz vor einer durch nicht typisierbare Haemophilus-influenzae- Bakterien hervorgerufene Mittelohrentzündung. Protein D sei im Arzneimittel zwar kovalent mit anderen Wirkstoffen verbunden. Es habe dabei aber dieselbe therapeutische Wirkung, als wäre es nicht derart gebunden. Dass ein Schutzzertifikat auch dann zu erteilen sei, wenn ein Arzneimittel aus mehreren Wirkstoffen bestehe, von denen nur einer durch ein Grundpatent geschützt sei, ergebe sich aus den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen C-322/10, Medeva BV , und C-422/10, Georgetown University .

III. Bisheriges Verfahren

Die Technische Abteilung des Patentamts wies die Anmeldung des Schutzzertifikats zurück. Das Arzneimittel Synflorix sei nach der Zulassung ein Impfstoff gegen Pneumokokken. Insofern sei Protein D nur ein Hilfsstoff. Schutzzertifikate könnten aber nach Art 1 VO (EG) Nr 469/2009 nur für Wirkstoffe erteilt werden.

Die Rechtsmittelabteilung des Patentamts bestätigte diese Entscheidung. Zwar sei Protein D ein Wirkstoff, weil es glaubhaft gemacht worden sei, dass Protein D gegen das Haemophilus-influenzae- Bakterium wirke. Protein D sei aber im Arzneimittel Synflorix als solches nicht enthalten. Denn dieser Stoff sei dort mit anderen Wirkstoffen kovalent (molekular) gebunden. Damit lägen im Arzneimittel neue Wirkstoffe vor, der von den jeweiligen Bestandteilen ( Pneumokokkenpolysaccharide und Trägerproteine) verschieden seien. Für das vom Grundpatent geschützte Erzeugnis Protein D liege daher jedenfalls keine Genehmigung als Arzneimittel vor. Die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen C-322/10 und C-422/10 beträfen demgegenüber Arzneimittel, die mehrere nicht miteinander verbundene Wirkstoffe enthalten hätten. Sie seien hier daher nicht anwendbar.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Patent- und Markensenat hat als Gericht im Sinn von Art 267 AEUV über eine Beschwerde des Antragstellers zu entscheiden, der weiterhin die Erteilung eines Schutzzertifikats für Protein D anstrebt. Es handle sich dabei um einen Wirkstoff gegen Haemophilus-influenzae- Bakterien, der in Synflorix enthalten sei. Dass Protein D in Synflorix kovalent an andere Wirkstoffe gebunden sei, sei unerheblich, weil Protein D auch in dieser Bindung seine eigene Wirkung behalte. In Italien, Frankreich und Luxemburg seien auf dieser Grundlage Schutzzertifikate erteilt worden.

IV. Rechtliche Grundlagen

Über den des Patentinhabers ist nach der Verordnung (EG) Nr 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel zu entscheiden. Die für den Anlassfall maßgebenden Bestimmungen lauten wie folgt:

Artikel 1: Definitionen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)   „Arzneimittel“ einen Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bezeichnet wird, sowie einen Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der (die) dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden;

b)   „Erzeugnis“ den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels;

c)   „Grundpatent“ ein Patent, das ein Erzeugnis als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist;

[…]

Artikel 2: Anwendungsbereich

Für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschützte Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel oder der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel ist, kann nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden.

Artikel 3: Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats

Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a)   das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b)   für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde;

c)   für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

d)   die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.

V. Vorlagefragen

1. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ergeben sich Art 3 VO (EG) Nr 469/2009. Im konkreten Fall ist unstrittig, dass

-   Protein D zum Zeitpunkt der Anmeldung durch ein Grundpatent geschützt war,

-   für diesen Stoff noch kein Schutzzertifikat erteilt wurde,

-   für das Arzneimittel Synflorix eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG erteilt wurde,

-   es sich dabei um die erste Genehmigung für dieses Arzneimittel handelte.

Weiters geht der Oberste Patent- und Markensenat aufgrund der Feststellungen des Patentamts davon aus, dass Protein D im Arzneimittel Synflorix eine eigene Wirkung hat, und zwar

-   als Impfstoff gegen eine durch nicht typisierbare Haemophilus-influenzae -Bakterien hervorgerufene Mittelohrentzündung, und

-   als Adjuvans der gegen Pneumokokken wirkenden Stoffe ( Pneumokokkenpolysaccharide ).

Die Erteilung des Schutzzertifikats hängt daher nur davon ab, ob Protein D als Wirkstoff des Arzneimittels Synflorix angesehen werden kann. Das ist aus zwei Gründen zweifelhaft: Zum einen ist Protein D in Synflorix nicht als solches, sondern in molekularer Bindung mit anderen Stoffen (den Pneumokokkenpolysacchariden ) enthalten. Zum anderen ist Synflorix nur als Impfstoff gegen Pneumokokken zugelassen, wobei in der Beschreibung des Arzneimittels die Wirkung gegen Haemophilus-influenzae -Bakterien als „nicht nachgewiesen“ bezeichnet und der Umstand, dass Protein D als Adjuvans die Wirkung der Pneumokokkenpolysaccharide verstärkt, nicht ausdrücklich erwähnt wird.

2. Zur Problematik der molekularen (kovalenten) Bindung (Frage 1):

2.1. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung C-422/10, Georgetown University , ausgeführt, dass ein Schutzzertifikat für einen von einem Grundpatent geschützten Wirkstoff bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch dann erteilt werden kann, wenn

„das Arzneimittel, dessen Genehmigung für das Inverkehrbringen zur Stützung der Anmeldung des ergänzenden Schutzzertifikats vorgelegt wird, nicht nur diesen Wirkstoff enthält, sondern auch weitere Wirkstoffe.“

Zur Begründung verwies er darauf, dass Arzneimittel – insbesondere Impfstoffe – oft aus multitherapeutischen Wirkstoffkombinationen bestünden. Wäre dem Inhaber eines Grundpatents für einen innovativen Wirkstoff oder eine innovative Wirkstoffzusammensetzung die Erteilung eines Zertifikats deshalb zu verweigern, weil die Marktversion des Arzneimittels, mit der dieser Wirkstoff oder diese Zusammensetzung erstmals auf den Markt gebracht werde, neben dem Wirkstoff oder der Zusammensetzung andere Wirkstoffe oder Zusammensetzungen enthalte, mit denen andere therapeutische Zwecke verfolgt würden und die möglicherweise durch ein anderes in Kraft befindliches Patent geschützt seien, könnte der wesentliche Zweck der Verordnung, der darin bestehe, einen ausreichenden Schutz zur Förderung der Forschung im pharmazeutischen Bereich zu gewährleisten und entscheidend zur ständigen Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung beizutragen, gefährdet werden.

Ebenso entschied der EuGH am selben Tag in der Rechtssache C-322/10, Medeva BV , die eine vom Grundpatent geschützte Zusammensetzung von zwei Wirkstoffen betrafen, die im Arzneimittel neben weiteren Wirkstoffen enthalten war. Auch hier könne das Zertifikat für diese Wirkstoffzusammensetzung erteilt werden.

2.2. Diesen Entscheidungen ist gemeinsam, dass der Wirkstoff (C-422/10) bzw die Wirkstoffkombination (C-322/10), für die das Zertifikat begehrt wurde, in der jeweils patentierten Form im zugelassenen Arzneimittel neben anderen Wirkstoffen enthalten war. Im vorliegenden Fall ist der strittige Wirkstoff ( Protein D ) hingegen mit anderen Wirkstoffen (den Pneumokokkenpolysacchariden ) kovalent (dh molekular) verbunden . Das Arzneimittel enthält daher aus chemischer Sicht eine vom Grundpatent verschiedene Substanz. Nur zur Klarstellung ist festzuhalten, dass sich der Antragsteller im Verfahren vor dem Obersten Patent- und Markensenat nicht darauf stützt, dass einzelne Ansprüche des Patents auch diese Wirkstoffkombination erfassen. Ob dies zutrifft und welche Folgen das hätte, ist daher nicht weiter zu prüfen.

2.3. Fraglich ist allerdings, ob die kovalente Bindung mit anderen Stoffen die Erteilung eines Schutzzertifikats jedenfalls ausschließt. Hier ist zu unterscheiden: Im Allgemeinen bewirken schon geringfügige Änderungen am Molekül eines Wirkstoffs eine starke Änderung der Wirkung. Das spricht im Regelfall dagegen, bei Vorliegen einer kovalenten Bindung ein Schutzzertifikat für einen Bestandteil davon zu erteilen. Anders könnte es jedoch im konkreten Fall sein. Denn hier behält Protein D tatsächlich trotz der kovalenten (molekularen) Bindung die ihm eigene immunogene Wirkung. Unter dieser Voraussetzung neigt der Oberste Patent- und Markensenat eher zur Auffassung, dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Schutzzertifikat für einen von einem Grundpatent geschützten Wirkstoff auch dann erteilt werden kann, wenn er im Arzneimittel nur in kovalenter (molekularer) Bindung mit anderen Stoffen enthalten ist. Denn die mit der Verordnung angestrebte Förderung der pharmazeutischen Forschung wäre nicht gewährleistet, wenn für einen innovativen Stoff (hier Protein D) nur deshalb kein Schutzzertifikat erteilt werden könnte, weil er in einem Arzneimittel nicht in der ursprünglichen Form, sondern bei unveränderter (oder allenfalls sogar gesteigerter) Wirkung in einer molekularen Verbindung mit anderen Stoffen enthalten ist. Ein rechtlich tragender Unterschied zur Kombination molekular unverändert bleibender Stoffe (C-422/10, Georgetown University) ist hier wohl nicht erkennbar.

2.4. Die Rechtslage ist in diesem Punkt allerdings nicht klar. Da bei einer kovalenten (molekularen) Bindung aus chemischer Sicht eine neue Substanz entsteht, die etwas anderes ist als die bloße Summe ihrer Bestandteile, könnte auch die Auffassung vertreten werden, dass ein Schutzzertifikat in solchen Fällen nicht zu erteilen sei. Damit wäre jedenfalls größere Rechtssicherheit – wenngleich zu Lasten des Patentinhabers – gewährleistet: Die für die Erteilung des Zertifikats zuständige Behörde könnte sich auf die Prüfung beschränken, ob der vom Grundpatent geschützte Wirkstoff in chemisch unveränderter Form im Arzneimittel enthalten ist; die (im Einzelfall schwierige) Prüfung der Frage, ob bei einer molekularen Bindung eine unveränderte (oder gar gesteigerte) Wirkung bestehe, könnte unterbleiben. Mit Frage 1 wird der Europäische Gerichtshof um eine entsprechende Klarstellung ersucht.

3. Zur Wirkstoffeigenschaft von Protein D (Fragen 2.1. und 2.2.):

3.1. Wird Frage 1 bejaht, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob für Protein D eine Genehmigung im Sinn von Art 3 lit b VO (EG) Nr 469/2009 vorliegt. Für das Arzneimittel Synflorix wurde eine solche Genehmigung zweifellos erteilt. Fraglich ist aber, ob sich diese Genehmigung auch auf den Wirkstoff Protein D bezieht. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung muss die Genehmigung „für das Erzeugnis als Arzneimittel“ erteilt worden sein („a valid authorisation to place the product on the market as a medicinal product“ bzw „le produit, en tant que médicament, a obtenu une autorisation“). Dies spricht dafür, dass sich die Genehmigung auf die Wirkung des vom Grundpatent geschützten Wirkstoffs beziehen muss.

3.2. Im vorliegenden Fall nimmt die Genehmigung ausschließlich auf die immunogene Wirkung der Pneumokokkenpolysaccharide Bezug. Synflorix wird als Pneumokokkenimpfstoff bezeichnet, Protein D wird nur als „Trägerprotein“ genannt, eine Wirkung auch als Impfstoff gegen Haemophilus-influenzae -Bakterien wird ausdrücklich als „nicht nachgewiesen“ bezeichnet. Das spricht dagegen, die Genehmigung von Synflorix auch als Genehmigung von Protein D „als Arzneimittel“ zu verstehen. Eine solche Genehmigung – also die Zulassung von Synflorix auch als Impfstoff gegen Erkrankungen, die durch Haemophilus-influenzae -Bakterien verursacht werden – hätte offenkundig eines weiteren Verfahrens mit zusätzlichen Studien bedurft. Gerade die Verringerung des „tatsächlichen“ Patentschutzes, die sich aus der Notwendigkeit eines solchen Verfahrens ergibt, ist aber der rechtpolitische Grund für die mit dem Schutzzertifikat verbundene Verlängerung der Schutzdauer (vergleiche C-422/10, Georgetown University , Rz 25 mwN). Soweit ein solches Verfahren gar nicht geführt wurde, besteht nach dem Zweck der VO (EG) Nr 469/2009 kein Grund, die faktische Patentlaufzeit durch ein Schutzzertifikat zu verlängern. Weiters führte eine andere Sicht – wie auch das vorliegende Verfahren zeigt – zu Rechtsunsicherheit: Denn es wäre im Verfahren vor dem Patentamt zu klären, ob ein im Arzneimittel enthaltener Stoff eine über die Zulassung des Arzneimittels hinausgehende Wirkung hat. Dem europäischen Gesetzgeber kann wohl nicht unterstellt werden, dass er eine derartige inhaltliche Prüfung anordnen wollte.

3.3. Diese Erwägungen sprechen dagegen, den bei Erteilung der Genehmigung von Synflorix noch nicht nachgewiesenen Umstand, dass Protein D (und damit auch Synflorix ) als Impfstoff gegen Haemophilus-influenzae -Bakterien wirkt, für die Erteilung eines Schutzzertifikats ausreichen zu lassen. Der Wortlaut von Art 3 lit b VO (EG) Nr 469/2009 ließe jedoch auch eine andere Beurteilung zu. Daher wird der EuGH mit Frage 2.1. um eine Klarstellung ersucht.

3.4. Reicht die in der Genehmigung von Synflorix nicht genannte Wirkung von Protein D gegen Haemophilus-influenzae -Bakterien für die Erteilung eines Schutzzertifikates nicht aus, stellt sich die weitere Frage, ob die in der Genehmigung genannte Funktion von Protein D als „Trägerprotein“ die Erteilung eines Schutzzertifikates rechtfertigt. Auch dazu hat der EuGH bisher, soweit ersichtlich, noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. Die Entscheidung C-431/04, Massachusetts Institute of Technology , gibt hier aber Hinweise. Sie betraf eine Zusammensetzung aus zwei Stoffen, von denen nur einer eine arzneiliche Wirkung hatte und der andere eine bestimmte Darreichung ermöglichte. Für diesen Fall lehnte der EuGH die Erteilung eines Schutzzertifikats für die Zusammensetzung ab. Umso weniger wird ein Zertifikat (nicht für die Zusammensetzung, sondern) für jenen Stoff erteilt werden können, der nur die Darreichung eines arzneilich wirksamen Stoffs ermöglicht. Die Tatsache, dass die Genehmigung Protein D als „Trägerprotein“ bezeichnet, wird daher für die Erteilung eines Schutzzertifikates keinesfalls ausreichen.

3.5. Protein D ermöglicht allerdings nicht nur die Darreichung der Pneumokokkenpolysaccharide , sondern verstärkt – als „Adjuvans“ – auch deren Wirkung. Es wäre daher denkbar, allein auf dieser Grundlage eine Wirkstoff-eigenschaft von Protein D anzunehmen. Diese Frage hängt beim EuGH aufgrund eines Ersuchens des High Court of Justice ( Glaxosmithkline Biologicals SA v. Comptroller-General of Patents, Desings and Trade Marks ) bereits zu C-210/13, Glaxosmithkline . Gegen diese Annahme sprechen allerdings wieder Rechtssicherheitserwägungen. Denn auch die Beantwortung der Frage, ob ein Stoff eine verstärkende Wirkung hat, erforderte eine inhaltliche Prüfung. Solange sich eine solche Wirkung nicht aus der Genehmigung ergibt, sollte sie nach Auffassung des Obersten Patent- und Markensenats auch nicht für die Erteilung eines Schutzzertifikates ausreichen. Da der Wortlaut von Art 3 lit b VO (EG) Nr 469/2009 jedoch auch hier eine andere Beurteilung zuließe, wird der EuGH auch in diesem Punkt um eine Klarstellung ersucht.

VI. Verfahrensrechtliches

1. Der Oberste Patent- und Markensenat ist eine  unabhängige Kollegialbehörde im Sinne von Art 133 Z 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) und daher ein Tribunal im Sinne von Art 6 EMRK und Art 47 Abs 2 Grundrechte-Charta. Seine Entscheidungen können nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden. Eine nach Art 144 B-VG zulässige Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof könnte nur den Eingriff in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht oder die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes oder einer gesetzwidrigen Verordnung geltend machen; eine volle inhaltliche Überprüfung der Entscheidung wäre damit nicht verbunden. Daher ist der Oberste Patent- und Markensenat nach Art 267 Abs 3 AEUV zur Vorlage verpflichtet, wenn Zweifel an der Auslegung einer Norm des Unionsrechts bestehen. Das ist aus den oben dargestellten Gründen der Fall.

2. Bis zum Einlangen der Vorabentscheidung ist das Verfahren über die Beschwerde des Antragstellers in analoger Anwendung von § 90a Abs  1 GOG auszusetzen.

3. Der Oberste Patent- und Markensenat wird mit Ablauf des 31. Dezember 2013 aufgelöst. Nach § 176b Abs 1 Z 2 PatentG in der Fassung der Patent- und Markenrechts-Novelle 2014, BGBl I 2013/126, geht die Zuständigkeit für die Weiterführung des vorliegenden Verfahrens auf den Obersten Gerichtshof über. Der Europäische Gerichtshof wird daher ersucht, Mitteilungen zum Verfahrensstand ab 1. Jänner 2014 nicht mehr an den Oberste Patent- und Markensenat, sondern an den Obersten Gerichtshof zu richten.

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