JudikaturJustizDs24/13

Ds24/13 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Februar 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Februar 2014 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Hon. Prof. Dr. Sailer als weitere Richter im Disziplinarverfahren betreffend die Disziplinaranzeige ***** gegen die Richter des Obersten Gerichtshofs ***** nach Anhörung der Generalprokuratur als Disziplinaranwalt den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Einleitung der Disziplinaruntersuchung wird gemäß § 123 Abs 4 RStDG abgelehnt.

Text

Begründung:

Im Verfahren ***** lehnte es der Senat ***** des Obersten Gerichtshofs am 2. 7. 2013 ab, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO zu stellen.

Ein Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung beantragt, „ das Gutachten des Sachverständigen Mag. H***** nicht zu verlesen, sowie dem Sachverständigen nicht die Möglichkeit einer Gutachtenserörterung einzuräumen, wie in der Anklage beantragt, sowie weiters, ihn nicht als gerichtlich beeideten Sachverständigen dem gegenständlichen Hauptverfahren hinzuzuziehen, da

1. der Sachverständige durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren hinzugezogen wurde und dementsprechend Beweismittel der Anklagebehörde und Zeuge der Anklagebehörde ist. In diesem Zusammenhang wird auf Art 6 MRK verwiesen.

2. der Sachverständige Mag. H***** nicht für Fragen des Bankwesengesetzes zertifizierter Sachverständiger ist,

3. zumal er auch befangen ist, da er im Ermittlungsverfahren seine Kompetenzen überschritten hat, indem er Beweiswürdigungs- und Rechtsfragen beantwortet hat.

In den Gründen seines Urteils vom selben Tag, mit dem die Nichtigkeitsbeschwerden von vier Angeklagten verworfen und den Berufungen mehrerer Parteien nicht Folge gegeben wurde, führte der Senat zu den Nichtigkeitsbeschwerden zweier Angeklagter aus:

Beim Antrag, das Gutachten des Sachverständigen Mag. H***** nicht zu verlesen sowie dem Sachverständigen nicht die Möglichkeit einer Gutachtenserörterung einzuräumen und ihn nicht als gerichtlich beeideten Sachverständigen dem gegenständlichen Hauptverfahren hinzuzuziehen, hatten die Antragsteller dem ungerügten Protokoll zufolge keineswegs Befangenheit des vom Gericht bestellten Sachverständigen mit der Begründung geltend gemacht, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist (ON 343 S 9 f: Punkt 1 des Antragsvorbringens). Die Behauptung von Befangenheit des Sachverständigen wurde vielmehr ausdrücklich aus anderen Umständen, nämlich daraus abgeleitet, dass er im Ermittlungsverfahren seine Kompetenzen überschritten habe, indem er Beweiswürdigungs und Rechtsfragen beantwortet habe (ON 343 S 10: Punkt 3 des Antragsvorbringens; dazu weiter unten).

Die Bestimmung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO, wonach im Hauptverfahren die Befangenheit eines Sachverständigen nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden kann, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist, spielte demnach im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Auf in der Literatur ua jüngst aus der Entscheidung des EGMR vom 4. 4. 2013, 30465/06, C. B. gegen Österreich abgeleitete Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung ist daher im gegebenen Fall mangels Präjudizialität dieser Norm nicht einzugehen.

Wurde selbst von den Antragstellern in der Hauptverhandlung keine Befangenheit des Sachverständigen aus dem Umstand abgeleitet, dass er im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft bestellt worden war, ist aber insoweit auch schon im Ansatz keine Rede von einer Schmälerung von Verteidigungsrechten.

Der Anzeiger sah in Teilen der zitierten Gründe einen Vorgang, der geeignet sei, das Vertrauen in das Funktionieren des Rechtsstaats so nachhaltig zu gefährden, dass er eine disziplinarrechtliche Prüfung des Sachverhalts für unumgänglich halte. Neben Erwägungen über das dem Anzeiger nicht bekannte Abstimmungsverhalten der Senatsmitglieder und die denkbaren Überlegungen, die diese im Zusammenhang mit der unterlassenen Anfechtung des § 126 StPO angestellt haben könnten, wird dargelegt, dass bei Vorliegen einer Mehrheit im Senat zum Bestehen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO sowohl vom „wissentlichen Fehlgebrauch der Normanfechtungsbefugnis“ auszugehen sei, als auch der „ Verdacht des

- in bewusster Missachtung des (Präjudizialität der als bedenklich [bindend] eingestuften Norm des § 126 Abs 4 dritter Satz StPO bedingenden) Antragsvorbringens in ON 343 (S 8 Punkt 1)

- mit dem überschießenden Vorsatz auf Schädigung des Staats an seinem konkreten Recht auf Normanfechtung bei gegebenen (hier: bindend bejahten) verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich einer präjudiziellen Norm

- gelegenen Nichtanfechtung (mit anderen Worten: Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde ohne vorherige Befassung des VfGH)“

bestehe. Weiters wies der Anzeiger auf Beschlüsse der Vollversammlung zu den Tätigkeitsberichten 2011 und 2012 [des Obersten Gerichtshofs] hin, deren ersterem zumindest die Mehrheit der Angezeigten (dem für 2012 aber alle) zugestimmt habe, weshalb davon auszugehen sei, dass sie die Verfassungswidrigkeit von § 126 StPO damals grundsätzlich bejaht hätten.

Die Angezeigten erstatteten Stellungnahmen zur Anzeige.

Die Generalprokuratur als Disziplinaranwalt regte mit ausführlicher Begründung an, die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung abzulehnen.

Dem ist zu folgen.

Rechtliche Beurteilung

Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Disziplinargerichts, gerichtliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Eine Überprüfung der Rechtsansicht eines Senats des Obersten Gerichtshofs erfolgt nur in dem Sinn, dass sie in Folgeentscheidungen oder der Entscheidung eines verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs bestätigt oder abgelehnt wird.

Der Anzeiger erhebt im Wesentlichen zwei Vorwürfe: Der Senat ***** habe die Anfechtung des § 126 Abs 4 dritter Satz StPO pflichtwidrig unterlassen und das Antragsvorbringen in der Hauptverhandlung bewusst fehlinterpretiert, um die Normanfechtung zu vermeiden.

Wie sich aus dem Os-Akt ergibt (siehe oben), verneinte der Senat ***** eine Verfassungswidrigkeit des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO, indem er die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof ablehnte. Dies folgt unzweifelhaft aus den Stellungnahmen sämtlicher Senatsmitglieder, *****, im Zusammenhalt mit dem ursprünglichen (dies begründenden) Entscheidungsentwurf. Daraus folgt bereits, dass der ausgesprochene Verdacht eines „wissentlichen Fehlgebrauchs der Normanfechtungsbefugnis“ nicht zutrifft. Auch der Hinweis auf den Tätigkeitsbericht der Vollversammlung für 2011 vermag den Verdacht eines Disziplinarvergehens nicht zu begründen.

Während der Tätigkeitsbericht für 2012 nur einen Verweis auf den vorangehenden enthält, heißt es zum Jahr 2011:

2. Anregungen an den Gesetzgeber

2.1. Es wird angeregt, die Bestellung von Sachverständigen und die Auftragserteilung an diese im Ermittlungsverfahren dem Gericht zu übertragen. Das durch Wechsel der Staatsanwaltschaft nach Anklageerhebung in die Rolle einer Verfahrensbeteiligten offensichtliche Spannungsverhältnis zu Art 6 Abs 3 lit d EMRK würde dadurch vermieden. Einwände (§ 126 Abs 3 [gemeint: 4] dritter Satz StPO) nur aufgrund ständiger Zusammenarbeit bestimmter Sachverständiger mit der Staatsanwaltschaft sind nämlich nicht erfolgversprechend, weil darin auch Routine und Bewährung zum Ausdruck kommen.

Demnach wird darin eine Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Norm keineswegs behauptet oder gar begründet. Das angesprochene „Spannungsverhältnis“ lässt auch die Interpretation zu, dass damit die in der Öffentlichkeit dazu geführte Diskussion über die Verfassungskonformität angesprochen werden sollte und der Vorschlag an den Gesetzgeber gerade deren Fortsetzung ersparen sollte.

Auch wenn der Anzeiger mit dem Beschluss der Vollversammlung nur im Hinblick auf die subjektive Komponente des Verhaltens der angezeigten Richter argumentiert, ist festzuhalten: Dass Senate des Obersten Gerichtshofs (wie alle Richter) nach Art 87 Abs 1 B VG in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig sind, bedeutet, dass sie weisungsfrei sind und damit durch „interne“ Akte wie immer sich diese bezeichnen nicht gebunden werden können (zutr Mayer , KK B-VG 4 Art 87 Anm I.). Es bedarf daher schon deshalb keiner weiteren Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Vollversammlung des Obersten Gerichtshofs zum Tätigkeitsbericht 2011 bzw 2012. Selbst unter der Annahme, diese Versammlung hätte tatsächlich verfassungsrechtliche Bedenken iSd Art 89 Abs 2 B-VG zum Ausdruck gebracht, hätten die Angezeigten im Rahmen der ihnen verfassungsgesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit gehandelt (bzw entschieden). Schon deshalb könnte unter dem Aspekt jener Beschlüsse kein Disziplinarvergehen vorliegen; ganz abgesehen davon, dass dieser Versammlung (auch in der letzten Fassung des Gesetzes BGBl I 2001/95) außer der Beschlussfassung über den Tätigkeitsbericht nach § 9 Abs 2 OGHG keine wie immer geartete Kompetenz zugewiesen wird. Anderes behauptet ja auch der Anzeiger, der an anderer Stelle das Fehlen einer den Argumenten der Vollversammlung angemessenen Begründung kritisiert, gar nicht.

Auch wenn „Vorgangsweisen im Rahmen der Rechtsprechung“ nicht schon wegen dieses Charakters der Überprüfung im Disziplinarverfahren gegen Richter entzogen sind, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht jede (allfällige) Verletzung des materiellen Rechts oder von Verfahrensbestimmungen Gegenstand des Dienststrafrechts sein. Voraussetzung wäre eine bewusste (oder was nach der vorliegenden Anzeige von vornherein nicht in Betracht zu ziehen ist wiederholt grob fahrlässige) Rechtsverletzung (RIS-Justiz RS0072522). Für eine solche durch die angezeigten Senatsmitglieder bieten letztlich weder die Anzeige noch der sich aus der Aktenlage und den Äußerungen der Angezeigten ergebende Sachverhalt irgendeinen Anhaltspunkt. Einmal wurde vom Obersten Gerichtshof das Vertreten einer Rechtsansicht als disziplinär beurteilt, die als „schlechterdings unvertretbar“ bezeichnet werden könne (Ds 12/06). Selbst nach den etwas weiter gefassten Kriterien dieser Entscheidung besteht ein solcher Verdacht hier nicht. Diesen Kriterien könnte die Beurteilung des konkreten Antrags eines Verteidigers in der Hauptverhandlung nur in einem Extremfall unterstellt werden. Ein solcher liegt hier aber eindeutig nicht vor, weil das Urteil des Senats ***** nachvollziehbare Gründe für seine Beurteilung angibt, die keineswegs von vornherein „sofort und leicht erkennbar“ (so wiederum Ds 12/06) als unvertretbar zu bezeichnen sind. Nichts anderes gilt aber für das Unterbleiben der Anfechtung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO. Die Ansicht, keine Bedenken iSd Art 89 Abs 2 Satz 2 B VG gegen die Verfassungsgemäßheit dieser Norm zu haben, ist jedenfalls vertretbar. Wie immer man die Interpretation des Antragsvorbringens durch den Senat ***** beurteilen mag, besteht keinerlei Hinweis auf eine vorsätzliche Fehlinterpretation.

Die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung ist daher abzulehnen.