JudikaturJustizBsw5434/17

Bsw5434/17 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
06. April 2021

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer IV, Beschwerdesache Liebscher gg. Österreich, Urteil vom 6.4.2021, Bsw. 5434/17.

Spruch

Art. 8 EMRK - Veröffentlichung persönlicher Daten im Grundbuch.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 1.874,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Im Rahmen ihrer einvernehmlichen Scheidung schlossen der Bf. und seine Frau am 21.5.2013 vor dem zuständigen BG in seiner Funktion als Familiengericht einen Scheidungsvergleich nach § 55a Abs. 2 EheG. Dieser Vergleich regelte die Aufteilung des ehelichen Vermögens, die Obsorge über die beiden minderjährigen Kinder und deren Aufenthalt sowie den Unterhalt. Er enthielt zudem einen Überblick über das Vermögen und Einkommen des Bf. Im Zuge dieses Vergleichs war vorgesehen, dass Anteile des Bf. am gemeinsamen Liegenschaftseigentum auf seine Frau übertragen werden sollten.

Am 13.12.2015 ersuchte der Bf. dasselbe Gericht in seiner Funktion als Grundbuchsgericht, die Eigentumsübertragung ins Grundbuch einzuverleiben. Da das Grundbuch gemäß § 7 GBG öffentlich und für jedermann einsehbar und gemäß § 6 GBG jede Urkunde, aufgrund derer eine bücherliche Eintragung vorgenommen wird, in die öffentliche Urkundensammlung aufzunehmen ist, und der Bf. nicht alle im Scheidungsvergleich enthaltenen persönlichen Daten preisgeben wollte, legte er dem Gericht dabei lediglich einen Auszug des Scheidungsvergleichs vor, der sich auf den Teil beschränkte, der die Immobilien betraf. Das Grundbuchsgericht wies den Antrag des Bf. daraufhin am 25.2.2016 zurück. Es hielt fest, dass die Vorlage einer bloß teilweisen Ausfertigung nicht im Einklang mit den §§ 87 und 94 Abs. 1 GBG stand. § 87 GBG sieht nämlich vor, dass Urkunden, auf Basis derer eine Eintragung erfolgen soll, im Original beizulegen sind. § 94 Abs. 1 GBG bestimmt, dass das Grundbuchsgericht die Beilagen eines Antrags auf Einverleibung von Eigentum einer genauen Prüfung zu unterziehen hat.

Der Bf. erhob Rekurs gegen diese Entscheidung, wobei er vorbrachte, das Erfordernis der Vorlage des vollständigen Originals des Scheidungsvergleichs würde Art. 8 EMRK, § 1 Abs. 2 DSG und Art. 52 GRC verletzen. Insbesondere würde im Hinblick auf die Veröffentlichung seiner privaten Daten weder ein legitimes Ziel noch ein gegenüber dem Schutz seiner Privatsphäre überwiegendes öffentliches Interesse existieren.

Das LG für Zivilrechtssachen Wien bestätigte die Entscheidung des BG am 25.4.2016 im Wesentlichen. Es hielt dabei insbesondere fest, dass keine Verletzung von Art. 8 EMRK oder § 1 Abs. 2 DSG erfolgt sein konnte, da es eine rechtliche Grundlage für den Eingriff gab.

Gegen diesen Beschluss erhob der Bf. einen außerordentlichen Revisionsrekurs an den OGH, der allerdings zurückgewiesen wurde. Zu Art. 8 EMRK hielt Letzterer fest, dass die datenschutzrechtlichen Bedenken des Bf. nicht geteilt werden könnten. Die Prüfung der gesamten Urkunde, auf deren Grundlage die Eigentumseinverleibung erfolgen soll, sei durch § 87 Abs. 1 und § 94 Abs. 1 GBG gesetzlich zwingend vorgeschrieben und diene unter anderem dem Schutz des verfassungsrechtlich gewährleisteten (verbücherten) Eigentums. (Anm: Siehe OGH 11.7.2016, 5 Ob 125/16t, Rn. 3.)

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügte eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens) durch die Verpflichtung, den Scheidungsvergleich vollständig an das Grundbuchsgericht zu übermitteln, um die Einverleibung des Eigentums zu erreichen. Darüber hinaus rügte er eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) durch die mit der Abweisung seines Antrags verbundene Beschränkung seiner Verfügungsbefugnis über sein Eigentum. Ebenso beschwerte er sich über eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) iVm. Art. 8 EMRK.

Zur Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 8 EMRK

Opfereigenschaft

(29) [...] Der GH befindet, dass sich die Opfereigenschaft des Bf. daraus ergibt, dass die innerstaatlichen Gerichte seinen Antrag auf Einverleibung des Eigentums abwiesen, weil er sich geweigert hatte, dem Grundbuchsgericht den vollständigen Scheidungsvergleich vorzulegen, und so auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Hinblick auf seine privaten Daten zu verzichten.

Vereinbarkeit ratione materiae

(31) Der GH hat bereits bei vielen Gelegenheiten festgehalten, dass der Schutz persönlicher Daten von grundlegender Bedeutung für den Genuss des Rechts einer Person auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK ist. Dieser Artikel sieht ein Recht auf eine Form von informationeller Selbstbestimmung vor [...]. [...] In den Fällen M. N. u.a./RSM und G. S. B./CH befand der GH, dass Informationen in Zusammenhang mit Bankkonten unzweifelhaft persönliche Daten darstellten, egal ob es sich dabei um sensible Informationen handelte oder nicht. Er ist der Ansicht, dass dasselbe gilt, wenn wie im vorliegenden Fall ein Dokument, das Daten über Finanzen, Einkommen und Vermögen einer Person sowie über die Obsorge über ihre Kinder und deren Aufenthalt umfasst, in einem amtlichen Register gespeichert wird, wo es für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

(32) Der GH befindet daher, dass die Beschwerde in den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt und diese Bestimmung im vorliegenden Fall anwendbar ist.

Zur Einrede der Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs

(33) Die Regierung wandte ein, der Bf. hätte es verabsäumt, die verfügbaren innerstaatlichen Rechtsmittel zu erschöpfen. Ihre Einrede umfasst zwei Aspekte: sie bezieht sich auf das Versäumnis des Bf., [im Zusammenhang mit seiner Berufung gegen die Entscheidung des Grundbuchsgerichts vom 25.2.2016 unter Art. 140 Abs. 1 Z. 1 lit. d B-VG] den VfGH anzurufen, sowie auf die [Möglichkeit der] Regelung von Immobilienfragen in einem separaten Dokument.

Anrufung des VfGH

(40) Der GH wiederholt, dass ein Individuum – wenn ihm mehrere innerstaatliche Rechtsbehelfe in verschiedenen Rechtsbereichen zur Verfügung stehen – berechtigt ist, einen Rechtsbehelf auszuwählen, der seine hauptsächliche Rüge betrifft. Mit anderen Worten wird nicht die Verfolgung eines weiteren Rechtsmittels mit im Wesentlichen demselben Ziel verlangt, wenn bereits ein Rechtsmittel verwendet wurde. Daher muss der GH im vorliegenden Fall entscheiden, ob die Regierung Argumente vorbrachte, die darauf hinweisen, dass das im B-VG vorgesehene Rechtsmittel und der [vom Bf. erhobene] zivilrechtliche Rechtsbehelf im Hinblick auf dessen Rüge nicht »im Wesentlichen dasselbe Ziel« verfolgten, ob also der verfassungsrechtliche Rechtsbehelf wesentliche Elemente betroffen hätte, die durch den zivilrechtlichen Rechtsbehelf [...] nicht abgedeckt waren.

(42) Zu den Umständen des vorliegenden Falles hält der GH fest, dass der österreichische VfGH gemäß Art. 140 Abs. 1 Z. 1 lit. d B-VG unter anderem Individualbeschwerden untersucht, die erhoben wurden, um die Verfassungskonformität einer Gesetzesbestimmung oder eines ganzen Gesetzes anzufechten, die bzw. das von einem erstinstanzlichen Gericht angewendet wurde(n). Ein Individualantrag kann nur gegen eine rechtliche Bestimmung erhoben werden, wenn ein Individuum befindet, dass die angewendete Bestimmung selbst seine verfassungsmäßigen Rechte verletzt. Wenn der VfGH zum Schluss kommt, dass die betreffende rechtliche Bestimmung verfassungswidrig ist, hebt er sie auf. Das erstinstanzliche Gericht muss sein Verfahren nach § 528b Abs. 3 ZPO fortsetzen und die Streitigkeit im Einklang mit dem Urteil des VfGH entscheiden. Der GH bemerkt, dass die Regierung im vorliegenden Fall nicht behauptete, dass der VfGH bei seiner verfassungsrechtlichen Prüfung die angefochtene rechtliche Bestimmung aufrechterhalten hätte können, indem er feststellte, dass sie einer bestimmten unterschiedlichen Auslegung im Einklang mit der Konvention unterworfen werden hätte müssen, und dass einer solchen Auslegung auch vom Grundbuchsgericht gefolgt worden wäre. In diesem Zusammenhang verabsäumte es die Regierung zu erklären, inwiefern eine Beschwerde an den VfGH [...] im Sinne der [...] Rechtsprechung des GH ein wesentliches Element betroffen hätte, das durch die Verwendung des zivilrechtlichen Rechtsbehelfs [...] nicht abgedeckt war.

(43) Der GH bemerkt, dass der Bf. im vorliegenden Fall nicht primär behauptete, dass die einschlägigen Bestimmungen des GBG als verfassungswidrig anzusehen wären, sondern sich auf seine Behauptung konzentrierte, die Verletzung seines Rechts auf Achtung des Privatlebens hätte ihren Ursprung in deren falscher Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte. Er argumentierte, dass eine verfassungskonforme Auslegung möglich gewesen wäre, ohne dass das GBG als verfassungswidrig aufgehoben werden musste. Im Hinblick auf diesen Aspekt seiner Beschwerde waren die ordentlichen Gerichte, an welche der Bf. seine Rechtsmittel richtete, jedenfalls zuständig und unterlagen – soweit das angesichts des expliziten Wortlauts des Gesetzes möglich war – auch einer Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung einfacher Gesetze.

(44) In Anbetracht des Vorgesagten ist der GH der Ansicht, dass [...] die Regierung nicht überzeugend behauptet hat, dass eine Individualbeschwerde an den VfGH unter Art. 140 Abs. 1 Z. 1 lit. d B-VG unter den Umständen des Falles [...] ein wirksames Rechtsmittel iSd. Rechtsprechung des GH dargestellt hätte.

(45) Daraus folgt, dass der erste Aspekt der Einrede der Regierung wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs zurückgewiesen werden muss.

Regelung von Immobilienfragen in einem separaten Dokument

(46) Die Regierung brachte vor, dass der Bf. die gegenseitigen Unterhaltsrechte und vermögensrechtlichen Ansprüche seines Scheidungsvergleichs durch zwei separate Vereinbarungen so regeln hätte können, dass nur jene Daten gegenüber Dritten offengelegt wurden, die für die Übertragung von Immobilieneigentum absolut notwendig waren. Der Wortlaut von § 55a EheG impliziere nicht, dass nur ein einziges Dokument aufgesetzt werden dürfe. Zudem wäre eine schriftliche Vereinbarung vor einem Gericht im Hinblick auf Gegenstände nicht erforderlich, die bereits einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einem Notariatsakt unterworfen waren (siehe § 55a Abs. 3 und § 81 EheG). Daher hätte der Bf. [...] die Punkte seines Scheidungsvergleichs, welche das unbewegliche Vermögen betrafen, im Vorhinein in eine separate Vereinbarung vor dem Familiengericht oder in einen vollstreckbaren Notariatsakt aufnehmen können. Dadurch wäre er lediglich verpflichtet gewesen, dem Grundbuchsgericht die Vereinbarung oder den [...] Notariatsakt vorzulegen, da diese die Aufteilung des gemeinsamen Liegenschaftseigentums der früheren Ehegatten erschöpfend geregelt hätten.

(48) Der GH befindet, dass der Bf. das Grundbuchsgericht im Wesentlichen ersuchte, die auf die Immobilien bezogenen Fragen in Verbindung mit der Scheidung auf der Grundlage eines separaten Dokuments zu regeln [...]. Unter diesen Umständen wäre es übermäßig formalistisch, vom Bf. zu erwarten, [...] einen entsprechenden Antrag an das Familiengericht zu stellen. Analoge Überlegungen gelten im Hinblick auf eine separate Vereinbarung vor einem Notar. Der GH hält ferner fest, dass die §§ 55a und 81 EheG Personen, die eine Scheidung anstreben, drei Optionen eröffnen, um die Übertragung von Immobilien zu regeln: (1) im Scheidungsvergleich; (2) in einem separaten Dokument; oder (3) in einem Notariatsakt.

(49) Das EheG scheint keine der Alternativen zu bevorzugen. Auch sieht es nicht vor, dass die zweite oder dritte Alternative im Hinblick auf die Nichtoffenlegung von privaten Daten im folgenden Verfahren nach dem GBG vorrangig heranzuziehen sind. Daher kann nicht befunden werden, dass es der Bf. dadurch, dass er sich für die erste Alternative entschied, verabsäumte, seine persönlichen Daten ordnungsgemäß zu schützen.

(50) Daraus folgt, dass auch der zweite Aspekt der Einrede der Regierung wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs zurückgewiesen werden muss.

Weitere Unzulässigkeitsgründe

(51) Der GH hält fest, dass diese Beschwerde weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen [...] Grund unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

(60) Der GH versteht die Rüge des Bf. dahingehend, dass sie Behauptungen betrifft, wonach die österreichischen Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts das Recht auf Schutz seiner persönlichen Daten weder gebührend berücksichtigt noch dessen vollen Genuss sichergestellt hätten. [...] Der Bf. beschwerte sich nicht primär über den Umstand, dass das Grundbuchsgericht den Inhalt des Scheidungsvergleichs einsehen konnte, sondern über dessen Veröffentlichung in der öffentlichen Urkundensammlung, wo Dritte unbegrenzten Zugang zu dessen Inhalt hätten. Daher erachtet es der GH für angemessen, den Fall als einen solchen zu behandeln, der die positiven Verpflichtungen des Staates betrifft, eine wirksame Achtung des Privatlebens durch seine Gesetzgebung, Vollziehung und Gerichtsbarkeit zu garantieren.

(61) [...] Die Staaten müssen ein System zum wirksamen Schutz und zur wirksamen Umsetzung dieses Rechts im Hinblick auf unrechtmäßige Eingriffe einrichten [...]. Dies kann die Annahme von Maßnahmen verlangen, die dazu konzipiert sind, die Achtung des Privatlebens sicherzustellen, einschließlich der Bereitstellung eines Regulierungsrahmens für einen Rechtsprechungs- und Durchsetzungsmechanismus zum Schutz der Rechte von Individuen und gegebenenfalls der Umsetzung von konkreten Maßnahmen. Ein solches System muss die Möglichkeit einer wirksamen Verhältnismäßigkeitsprüfung für den Fall der Beschränkung der Rechte eines Individuums gestatten.

(63) [...] Es ist nicht die Aufgabe des GH, die einschlägige Gesetzgebung oder Praxis abstrakt zu prüfen. Er muss sich soweit als möglich darauf beschränken [...], die Fragen zu untersuchen, die durch den ihm vorliegenden Fall aufgeworfen werden.

(64) Der GH hält fest, dass das Grundbuchsgericht in seiner Entscheidung vom 25.2.2016 keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die auf dem Spiel stehenden widerstreitenden Rechte vornahm und auch keine Datenschutzfragen berücksichtigte. Es verwies auf den ausdrücklichen Wortlaut der §§ 87 und 94 Abs. 1 GBG und wies den Antrag des Bf. zurück, die Eigentumsübertragung [...] ins Grundbuch einzuverleiben. Es diskutierte etwa nicht die Frage, ob es für die Transparenz des Grundbuchs ausreichend sein hätte können, dass der Bf. sowohl den vollständigen Scheidungsvergleich als auch den Auszug vorlegte, um eine Prüfung der Vollständigkeit des Letzteren vornehmen zu können. Wäre dieser für vollständig befunden worden, hätte er als Grundlage für die beantragte Eintragung im Grundbuch und die Veröffentlichung im Urkundenarchiv dienen können.

(65) Bei seiner Entscheidung über die Revision des Bf. gegen diese Entscheidung anerkannte das LG für Zivilrechtssachen im Wesentlichen, dass ein Eingriff in die Rechte [...] nach Art. 8 EMRK erfolgen würde, wenn der vollständige Scheidungsvergleich in der Urkundensammlung des Grundbuchs veröffentlicht würde. Es befand jedoch, dass das Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens nicht verletzt werden konnte, da der Eingriff eine klare gesetzliche Grundlage im österreichischen Recht hätte. Der GH bemerkt, dass das LG für Zivilrechtssachen auch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführte.

(66) Letztlich bestätigte der OGH die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des GBG durch die unterinstanzlichen Gerichte in seiner letztinstanzlichen Entscheidung vom 11.7.2016. Die Argumente des Bf. im Hinblick auf seine Persönlichkeitsrechte und sein Recht auf Datenschutz wurden dabei nicht untersucht. Auch prüfte der OGH nicht die Verhältnismäßigkeit der strittigen Maßnahme oder Alternativen, welche die Privatsphäre des Bf. besser schützen hätten können.

(67) Der GH kann daher nur zum Schluss kommen, dass die innerstaatlichen Gerichte nie wirklich den Kern der Behauptung des Bf. untersuchten, weil es an einer umfassenden Prüfung der Frage fehlte, ob die rechtliche Verpflichtung, den vollständigen Scheidungsvergleich im Original vorzulegen [...], mit dem wirksamen Genuss des Rechts des Bf. auf Schutz seiner persönlichen Daten vereinbar war. Die innerstaatlichen Gerichte haben es daher verabsäumt, ihrer verfahrensrechtlichen Verpflichtung unter Art. 8 EMRK nachzukommen, die umfassende Beurteilung einer Angelegenheit vorzunehmen, die die Persönlichkeitsrechte des Bf. betraf.

(68) Der GH wiederholt zudem, dass es sich bei den fraglichen Daten um persönliche Daten handelte. Sie bestanden aus Details zur Aufteilung des ehelichen Vermögens, zur Obsorge über die beiden minderjährigen Kinder und zu deren Aufenthalt sowie zur Unterhaltsvereinbarung und aus einem Überblick über das Vermögen und das Einkommen des Bf. Unter diesen Umständen hätten die innerstaatlichen Gerichte im Fall des Bf. die Frage behandeln müssen, wie der wirksame Genuss seiner Persönlichkeitsrechte unter Art. 8 EMRK sichergestellt werden konnte. Da die positiven Verpflichtungen des Staates vom Gesetzgeber verlangen, einen rechtlichen Rahmen einzurichten, der den wirksamen Genuss dieser Rechte garantiert, kann der GH nur dem Argument des Bf. zustimmen, wonach es die innerstaatlichen Gerichte – die es nicht für notwendig erachteten, sich selbst an den VfGH zu wenden – verabsäumten, ausreichend Möglichkeiten zu prüfen, um die anwendbaren Verpflichtungen des GBG im Einklang mit der Konvention auszulegen. Als Folge davon lehnten es die innerstaatlichen Gerichte ab, die konventionsrechtliche Frage zu behandeln, sei es als Problem der innerstaatlichen Gesetzgebung oder als eines im Hinblick auf deren Auslegung.

(69) Es erfolgte daher eine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK

(71) Der GH bemerkt, dass diese Beschwerde mit der oben geprüften verbunden ist und daher ebenfalls für zulässig erklärt werden muss (einstimmig).

(74) Angesichts der Feststellung einer Verletzung von Art. 8 EMRK aufgrund des Versäumnisses der innerstaatlichen Gerichte, die Behauptungen des Bf. umfassend zu untersuchen, ist es nicht notwendig zu prüfen, ob in diesem Fall auch eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK erfolgt ist (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK

(79) Der GH befindet, dass der Bf. über Rechtsmittel verfügte, um sich über die angebliche Verletzung von Art. 8 EMRK zu beschweren, und davon auch Gebrauch machte. Diesbezüglich muss daran erinnert werden, dass die Wirksamkeit eines Rechtsmittels für die Zwecke von Art. 13 EMRK nicht von der Gewissheit eines positiven Ausgangs abhängt. Der alleinige Umstand, dass die innerstaatlichen Gerichte im Fall des Bf. eine nachteilige Auslegung der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen vornahmen, machte diese Rechtsmittel nicht per se unwirksam.

(80) Der GH ist daher der Ansicht, dass diese Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und [...] [als unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 1.874,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Taliadorou und Stylianou/CY v. 16.10.2008

M. N. u.a./RSM v. 7.7.2015 = NLMR 2015, 332

G. S. B./CH v. 22.12.2015 = NLMR 2015, 521

Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy/FIN v. 27.6.2017 (GK) = NLMR 2017, 264

Nicolae Virgiliu Tanase/RO v. 25.6.2019 (GK) = NLMR 2019, 189

Lewit/A v. 10.10.2019 = NLMR 2019, 398

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 6.4.2021, Bsw. 5434/17, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2021, 152) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

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