JudikaturJustiz9Bs98/17a

9Bs98/17a – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
04. April 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden und Dr. Morbitzer sowie die Richterin Mag. Hemetsberger in der Strafsache gegen M***** E***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter und fünfter Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Linz gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 28. Februar 2017, 27 Hv 33/17f-13, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Strafantrag vom 22. Februar 2017 legt die Staatsanwaltschaft M***** E***** die Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter und fünfter Fall SMG teils als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB (I./), das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 Satz 1 erster und zweiter Fall SMG (II./) und die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, teilweise Abs 2 SMG (III./) zur Last.

Demnach habe M***** E***** in Linz vorschriftswidrig Suchtgift

I./ in einer die Grenzmenge (§ 28b) mehrfach übersteigenden Menge anderen angeboten und überwiegend durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar

1./ im Mai 2016 in zwei Übergaben jeweils 1 Gramm Heroin zum Grammpreis zwischen € 70,00 und € 80,00 an B***** B***** (Ns B***** AS 57/ON 6),

2./ zwischen Jänner und Ende März 2016 insgesamt 15 Gramm Heroin zum Grammpreis zwischen € 60,00 und € 70,00 an R***** W***** (Ns W***** AS 63/ON 6),

3./ im Mai 2016 2 Gramm Heroin unentgeltlich sowie 1 Gramm Heroin um € 60,00 an N***** F***** , dem er zudem die Überlassung von 50 Gramm Heroin zum kommissionsweisen Weiterverkauf anbot (Ns F***** AS 69/ON 6),

4./ im Mai und Juni 2016 insgesamt 25 Gramm Heroin zum Grammpreis zwischen € 60,00 und € 80,00 sowie im Juli 2016 3 Gramm Heroin unentgeltlich an D***** S***** , dem er zudem die Überlassung einer insgesamt unbekannten Menge Heroin zwecks Weiterverkaufs anbot (Ns S***** AS 37/ON 6 und AS 75/ON 6),

5./ im Juni 2016 10 Gramm Heroin zum Grammpreis von € 80,00 an B***** M***** , dem er zudem weitere 10 Gramm Heroin um insgesamt € 500,00 anbot (Ns M***** AS 83/ON 6),

6./ zwischen Mai 2016 und Anfang Juli 2016 in wiederholten Teilübergaben insgesamt 4 Gramm Heroin unentgeltlich an P***** A***** (Ns A***** AS 21/ON 6),

7./ im Zeitraum Anfang März 2016 bis Anfang Juli 2016 in einzelnen Teilverkäufen insgesamt 10 Gramm Heroin zum Grammpreis zwischen € 80,00 und € 100,00 an A***** A***** (Ns A***** AS 89/ON 6);

8./ Anfang Ende Juni/Anfang Juli 2016 (über einen Zeitraum von ca 14 Tagen) eine insgesamt unbekannte Menge Heroin vorwiegend zum Grammpreis von € 80,00 an namentlich nicht eruierte Käufer (Ns S***** AS 77/ON 6),

9./ im Juni/Juli 2016 als Beitragstäter (§ 12 3. Fall StGB) insgesamt 180 Gramm Heroin, indem er dem zu 15 St 138/16f (der Staatsanwaltschaft Linz, Anm.) abgesondert verfolgten A***** R***** sein Zimmer in der Eduard-Süß-Straße 6 zur Abwicklung von Suchtgiftverkäufen zur Verfügung stellte und daraus eine Entlohnung von 10 Gramm Heroin lukrierte (Geständnis AS 29 verso/ON 2 in ON 2);

II./ in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am 12. Juli 2016 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit dem zu 15 St 138/16f (der Staatsanwaltschaft Linz, Anm.) abgesondert verfolgten A***** R***** 71,7 Gramm Heroin (beinhaltend Reinsubstanzmengen von 5,44 Gramm Heroin, 0,3 Gramm Acetylcodein und 0,3 Gramm Monoacetylmorphin), verpackt in 4 Plastiksäckchen und 10 Briefchen, das ihm über Vermittlung des abgesondert verfolgten M***** A***** in seine Unterkunft geliefert worden war, bis zur polizeilichen Sicherstellung besaß (Ns A***** AS 55/ON 2 in ON 2 und AS 61f/ON 2 in ON 2; KTZ-Gutachten AS 99/ON 6);

III./ erworben und besessen, indem er

1./ am 7. Juli 2016 5,9 Gramm Heroin (verpackt in 8 Briefchen) bis zur polizeilichen Sicherstellung besaß (Abtretungsbericht ON 19 in ON 2);

2./ ausschließlich für den persönlichen Gebrauch ab zumindest Anfang 2016 bis 12. Juli 2016 eine unbekannte Menge Cannabiskraut und Heroin sowie kurz vor dem 12. Juli 2016 zudem unbekannte Mengen Amphetamin und Kokain erwarb und bis zum Eigenkonsum besaß (Geständnis AS 21/ON 2 in ON 2; Drogenbefund AS 87/ON 2 in ON 2).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz diesen Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 2 in Verbindung mit § 212 Z 3 StPO zurück, weil der Angeklagte zu den unter I./ angelasteten Verbrechen des Suchtgifthandels nie befragt wurde und ihm auch dazu niemals Gelegenheit geboten worden sei. Dies verstoße jedoch gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens nach Artikel 6 Abs 3 lit b MRK, weil damit dem Angeklagten jede Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung genommen worden sei und er auch niemals Gelegenheit hatte, die gegen ihn vorgebrachten Verdachtsgründe zu beseitigen oder sich dazu zu rechtfertigen. Deswegen gebiete eine verfassungs- bzw gesetzeskonforme Auslegung des § 485 Abs 1 Z 2 StPO zur Wahrung der (grundrechtlich abgesicherten) Rechte des Angeklagten die gänzliche Zurückweisung des Strafantrags (ON 13).

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Linz, zu der die Oberstaatsanwaltschaft Linz nicht Stellung genommen hat, mit der Begründung, dass der Angeklagte am 12. und 13. Juli 2016 durch die Polizei und am 15. Juli 2016 durch die Haft- und Rechtsschutzrichterin des Landesgerichtes Linz zu den überwiegenden Tatvorwürfen vernommen worden sei, wobei er zum Anklagefaktum I./9./ des Strafantrages – der mit einer angelasteten Menge von 180 Gramm Heroin ohnehin den Strafsatz bestimmenden Vorwurf des Suchtgifthandels begründe – geständig gewesen sei und jeglichen weiteren Suchtgifthandel in Abrede stellte. Der Umstand, dass im Abschlussbericht der Polizei eine weitere Einvernahme des Beschuldigten, der im Ermittlungsverfahren bereits wiederholt einen über seine geständige Verantwortung hinausgehenden Suchtgifthandel in Abrede gestellt hatte, zu einzelnen (quantitativ nur untergeordnete Bedeutung zukommenden) Detailverkäufen, hinsichtlich derer Mersad Erdic von mittlerweile ausgeforschten Abnehmern belastet wird, unterblieb, sei kein Anlass für die Zurückweisung des Strafantrages (ON 14).

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da das Einzelrichterverfahren keinen Einspruch gegen den Strafantrag kennt, ist zur Wahrung der Interessen des Angeklagten in Fortführung der im Ermittlungsverfahren in § 108 StPO geregelten Möglichkeit des Antrags auf Einstellung des Verfahrens mit Beginn des Hauptverfahrens (§ 210 Abs 2 StPO) die amtswegige Überprüfung des Strafantrags vorgesehen. Unter anderem hat gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung in den Fällen des § 212 Z 3 und 4 StPO mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 212 Z 3 StPO ist für einen Anklageeinspruch entscheidend, dass der Sachverhalt nicht so weit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten naheliegt (vgl Birklbauer/Mayrhofer in Fuchs/Ratz , WK-StPO, § 212 Rz 14). Die Ermittlungsergebnisse bilden somit dann eine ausreichende Grundlage zur Durchführung einer Hauptverhandlung, wenn ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahelegt. Dazu muss vom Gewicht der belastenden und entlastenden Indizien her bei deren Gegenüberstellung mit einfacher Wahrscheinlichkeit ein Schuldspruch zu erwarten sein. Bei der Beurteilung der Verurteilungswahrscheinlichkeit kommt es ausschließlich auf den Tatverdacht an und nicht auf Rechtsfragen. Der Tatverdacht muss sich jedoch nicht nur auf das Vorliegen des tatbestandsrelevanten Sachverhalts erstrecken, sondern auch auf das Fehlen von Tatsachen, die einen Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungsgrund oder ein Verfolgungshindernis bilden.

Damit der Einspruchsgrund des § 212 Z 3 StPO nicht vorliegt, müssen auch sonst die Ermittlungen so weit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können. Dies ergibt sich zum einen aus dem in § 91 Abs 1 StPO normierten Zweck des Ermittlungsverfahrens, den Tatverdacht durch Ermittlungen so weit zu klären, dass im Falle der Anklage eine „zügige Durchführung der Hauptverhandlung“ ermöglicht wird. Zum anderen folgt dies aus dem Gedanken, dass die Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht nur vom Grad des Tatverdachts abhängt, sondern in gewisser Weise auch vom Vorliegen der für eine Verurteilung erforderlichen Beweise. Je leichter sie für die Hauptverhandlung zur Verfügung stehen, desto rascher und im Ergebnis auch wahrscheinlicher kann es zu einer Verurteilung kommen. Dieser Gedanke folgt sowohl aus dem Grundsatz der Prozessökonomie, als auch aus dem für die Urteilsfindung bedeutsamen Instruktionsgrundsatz (§ 3 StPO, vgl Birklbauer/Mayrhofer in Fuchs/Ratz , WK-StPO § 212 Rz 15, 16).

Die Kenntniserlangung von den für die Stellung als Beschuldigter maßgeblichen Gründen und den daraus folgenden Rechten ist eine Grundvoraussetzung eines fairen Verfahrens im Sinne des Artikel 6 MRK ( Lechner, Die Stellung des Beschuldigten, 27). Nur so kann sich der Beschuldigte wirksam verteidigen und durch Gebrauch seiner gesetzlichen Rechte Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen ( Fabrizy , StPO 12 , § 6 Rz 1). Dieses durch Artikel 6 MRK garantierte Recht auf ein faires Verfahren wurde in § 6 Abs 2 StPO auf einfachgesetzlicher Ebene umgesetzt. In Konkretisierung dieser Bestimmung verpflichten § 49 Z 1 iVm § 50 StPO die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten sobald wie möglich über das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und den gegen ihn bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentlichen Rechte im Verfahren zu informieren. Das rechtliche Gehör ist bereits dann gewahrt, wenn dem Beschuldigten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt ist (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 ,§ 24 Rz 64 mwN; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK 4 234ff; Frowein/Peukert EMRK-Kommentar 3 189ff). Bezugspunkt ist hier jedoch nicht das jeweilige Verfahrensstadium, sondern das Verfahren in seiner Gesamtheit, weil die Teilgarantien nicht in jedem Zeitpunkt des Verfahrens gewährleistet sein müssen, sofern es sich insgesamt fair im Sinne des Artikel 6 MRK darstellt ( Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Artikel 6 MRK Rz 78 mwN; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10 , Rz 1544 mwN). Wenngleich daraus keine Verpflichtung zur Durchführung einer förmlichen Beschuldigtenvernehmung (§ 164 StPO) im Ermittlungsverfahren abgeleitet werden kann, ist unter dem – von den Anordnungen gemäß den §§ 49 Z 1, 50 StPO nicht erfassten – Gesichtspunkt der ausreichenden Sachverhaltsklärung als Voraussetzung für die Anklageerhebung bzw Einbringung eines Strafantrages (§§ 210 Abs 1 iVm § 91 Abs 1 StPO; §§ 212 Z 3, 485 Abs 1 Z 2 StPO) zu berücksichtigen, dass sich die den Gegenstand des Strafverfahrens bildende Aufklärung von Straftaten (§ 1 Abs 1 StPO) zufolge der Teilhaberechte des Beschuldigten an diesem (gesamten) Verfahren (§ 6 Abs 1 StPO) auch auf die Erforschung der Verantwortung des Beschuldigten bezieht. Diesem Erfordernis wird, weil der Beschuldigte zu seiner Verteidigung berechtigt, aber nicht verpflichtet ist (§ 7 StPO), erst dann entsprochen, wenn ihm zumindest die Gelegenheit eingeräumt wurde, seinen Standpunkt darzustellen (vgl Mayerhofer , StPO 5 , § 211 aF E7, GenProk GW 404/11m mwN). Da dem Angeklagten nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen nicht einmal Gelegenheit eingeräumt wurde, zu den im Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos Linz vom 19. Oktober 2016 angeführten belasteten Aussagen von B***** B***** (S 57ff in ON 6), R***** W***** (S 63 in ON 6), N***** F***** (AS 69 in ON 6), D***** S***** (AS 37, 75 in ON 6), B***** M***** (AS 83 in ON 6), P***** A***** (AS 21 in ON 6) und A***** A***** (AS 89 in ON 6) Stellung zu nehmen, diese Aussagen jedoch Grundlage für die Anklagefakten I./1./ bis I./8./ darstellen, ist in diesem Umfang, gemessen an den oben dargestellten Grundsätzen der Beteiligung des Angeklagten am Verfahren, der Sachverhalt nicht so weit geklärt, dass eine einfache Urteilswahrscheinlichkeit angenommen werden kann.

Gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und in den Fällen des § 212 Z 3 und 4 StPO den Strafantrag mit Beschluss zurückzuweisen. Eine dem § 215 Abs 5 StPO, der für den Fall eines Anklageeinspruchs die Möglichkeit vorsieht, einzelne Anklagepunkte teils auf die eine, teils auf die andere Art zu erledigen, entsprechende Bestimmung ist im Zusammenhang mit der amtswegigen Überprüfung des Strafantrags gemäß § 485 StPO nicht vorgesehen. Der Einzelrichter hat daher auch dann, wenn der Sachverhalt nur in Ansehung eines von mehreren Anklagefakten nicht soweit geklärt ist, dass eine Verurteilung naheliegt, unabhängig vom Gewicht und der Bedeutung der davon betroffenen Fakten, den (gesamten) Strafantrag zurückzuweisen, weil eine bloß teilweise Zurückweisung des Strafantrags aus dem Grunde des § 212 Z 3 StPO unzulässig ist (vgl OLG Graz, 10 Bs 336/13g, Philipp , WK-StPO, § 485 Rz 5/1), sodass mit dem angefochtenen Beschluss zutreffend der gesamte Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 212 Z 3 StPO zurückgewiesen wurde.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein Rechtsmittel nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

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