JudikaturJustiz9Bs323/13p

9Bs323/13p – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
12. September 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes DI Dr.Luger als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Mag.Ohrnhofer und Mag.Redtenbacher in der Strafsache gegen Ing.M***** S***** wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und Abs 5 Z 3 iVm § 161 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Ing.M***** S***** gegen den Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 19.Juli 2013, 13 Hv 86/13k-18, in nichtöffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen .

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

BEGRÜNDUNG:

Mit dem am 16.Juli 2013 beim Einzelrichter des Landesgerichtes Leoben zu 13 Hv 86/13k eingebrachten Strafantrag vom 4.Juli 2013 (ON 16) legte die Staatsanwaltschaft Leoben dem ***** österreichischen Staatsbürger Ing.M***** S***** und dem ***** österreichischen Staatsbürger DI K***** G***** zur Last, sie hätten seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem 30.Juni 2004 bis zum 30.Juni 2006 in K***** als leitende Angestellte einer juristischen Person, und zwar als handelsrechtliche Geschäftsführer der W-***** GmbH, grob fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit dieser Gesellschaft dadurch herbeigeführt, dass sie kridaträchtig handelten, indem sie entgegen den Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand dadurch trieben, dass sie beträchtliche Privatentnahmen tätigten und sich überhöhte Geschäftsführergehälter auszahlten, und hiedurch jeweils das Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und Abs 5 Z 3 iVm § 161 Abs 1 StGB begangen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies der Einzelrichter - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant – den wider Ing.M***** S***** erhobenen Strafantrag gemäß § 485 Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 StPO im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die in Ansehung des Strafaufhebungsgrundes der tätigen Reue nach § 167 Abs 1 und 4 zweiter Fall StGB entscheidende Tatsache, ob durch die von DI K***** G***** zu einem Zeitpunkt vor Kenntniserlangung seines Verschuldens und jenes des Ing.M***** S***** durch die Behörden geleistete Schadensgutmachung auch die gesamten durch die Tathandlungen des Ing.M***** S***** verursachten Schäden abgedeckt wurden, nicht hinreichend geklärt sei.

Die gegen diesen Beschluss (rechtzeitig) erhobene Beschwerde des ********** Ing.M***** S***** (ON 22) ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 87 Abs 1 StPO steht gegen gerichtliche Beschlüsse der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten, soweit dessen Interessen unmittelbar betroffen sind, und jeder anderen Person, der durch den Beschluss unmittelbar Rechte verweigert werden oder Pflichten entstehen oder die von einem Zwangsmittel betroffen ist, sowie gegen einen Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt wird, auch den Privatbeteiligten Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu, soweit das Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt. Nach der Intention des Gesetzgebers ist unter der unmittelbaren Betroffenheit der Interessen des Beschuldigten seine aus einem Beschluss resultierende Beschwer zu verstehen (RIS-Justiz RS01125078; EBRV 25 BlgNR XXII. GP 115 zu § 87; Tipold, WK-StPO § 87 Rz 6 mwN). Der für einen Angeklagten aus einer Verfahrenseinstellung resultierende prozessuale Mehrwert der sanktionslosen Verfahrensbeendigung indiziert prima facie eine mit der bloßen Zurückweisung des Strafantrages einhergehende Beeinträchtigung der Interessen des Beschwerdeführers. Diesem Resultat widerstreitet jedoch das Ergebnis der systematisch-logischen Auslegung des § 485 StPO ( Bydlinski in Rummel 3 , § 6 Rz 18 und 27 mwN).

In Anwendung dieser Auslegungsmethode ist zu beachten, dass die Strafprozessordnung in Ansehung des Ganges der „Besonderen Verfahren“ (5. Teil der StPO) und der in diesen Verfahrensarten den Verfahrensbeteiligten eingeräumten Rechte grundsätzlich auf die das schöffengerichtliche Hauptverfahren betreffenden Vorschriften (4. Teil der StPO) verweist (§§ 302 Abs 1, 447, 485 Abs 1 Z 4, 488 Abs 1 StPO) und für die besonderen Verfahren lediglich einzelne (im Einzelrichterverfahren überwiegend das Rechtsmittelverfahren betreffende) Sonderbestimmungen vorsieht. Mit dieser Systematik bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Vorschriften für das schöffengerichtliche Verfahren die Grundregeln für das Hauptverfahren bestimmen, die grundsätzlich auch in den besonderen Verfahrensarten zur Anwendung gelangen, soweit die besonderen Vorschriften keine Ausnahmen von diesen Grundsätzen normieren. Demgemäß ist der Regelungsinhalt dieser Sondervorschriften (auch) an Hand einer Analyse ihrer Abweichungen (von den Grundregeln des schöffengerichtlichen Verfahrens) und der diesen immanenten Wertungsunterschiede auszulegen.

Vom schöffengerichtlichen Verfahren abweichend sieht das 23. Hauptstück des 5. Teils der Strafprozessordnung einen Einspruch des Angeklagten gegen die wider ihn (gemäß §§ 210 Abs 1, 484 StPO in der Form des Strafantrages) erhobene Anklage nicht vor. Unzweifelhaft stellt dies eine vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Angeklagten dar, die offenlegt, dass dem Interesse des Angeklagten an der Vermeidung der Publizitätswirkung einer (ungerechtfertigten) Hauptverhandlung ( Birklbauer/Mayrhofer , WK-StPO Vor §§ 210-215 Rz 41) im Einzelrichterverfahren eine – offenkundig in Ansehung des geringeren Gewichts der Tatvorwürfe (vgl. § 31 Abs 4 Z 1 bis 3 StPO) – im Vergleich zum schöffengerichtlichen Verfahren untergeordnete Bedeutung beigemessen wird. Der - von den Grundregeln des Schöffenverfahrens abweichende - gesetzliche Auftrag an den Einzelrichter, den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung (von Amts wegen) insbesondere unter den Gesichtspunkten der (Einspruchs)Gründe der Z 1 bis 4 und 7 des § 212 StPO zu prüfen (§ 485 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), stellt mit Blick auf den Ausschluss eines diesbezüglichen Antragsrechtes des Angeklagten systematisch eine Übertragung der Wahrnehmung seiner Rechtsschutzinteressen an den Einzelrichter dar, die nach dem Willen des (historischen) Gesetzgebers die aus der Einbringung des Strafantrages folgende Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Angeklagten (vgl § 210 Abs 3 letzter Satz StPO) ausgleichen soll. Jedoch weisen die Amtswegigkeit und der Ausschluss des Antragsrechtes auch darauf hin, dass der Gesetzgeber mit § 485 Abs 1 StPO – unbeschadet seines mit § 212 StPO vergleichbaren Prüfungsumfangs – keinen dem Einspruchsrecht im Schöffenverfahren äquivalenten Ausgleich intendiert hat, eröffnet doch das Gesetz dem Angeklagten gegen das Vorgehen des Einzelrichters nach § 485 Abs 1 Z 4 StPO, das systematisch als eine das Vorliegen der in § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Umstände verneinende Entscheidung zu werten ist, keinen Rechtszug (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO). Wenn aber das Gesetz die solcherart die Interessen des Angeklagten im - innerhalb der Fallvarianten des § 485 Abs 1 StPO - höchsten Maße benachteiligende Entscheidung des Einzelrichters der Anfechtung durch den Angeklagten gänzlich entzieht, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er die Interessen des Angeklagten schon durch die – der bloßen Zurückweisung des Strafantrages immanente – Verweigerung einer Verfahrensbeendigung nach Z 3 leg. cit. als unmittelbar betroffen ansieht. Vielmehr lässt diese Systematik (der die Eingangsphase des einzelrichterlichen Hauptverfahrens regelnden Bestimmungen) erkennen, dass die amtswegige Prüfung nach § 485 Abs 1 Z 2 und 3 StPO auf den Schutz des Angeklagten vor einem ungerechtfertigten Übertritt in das Stadium des Hauptverfahrens und vor dem aus der Einbringung des Strafantrages resultierenden Verlust des Antragsrechtes nach § 108 StPO abzielt. Demnach stellen nicht die unterschiedlichen Wirkungen rechtskräftiger Entscheidungen nach Z 2 und 3 des § 485 Abs 1 StPO, sondern die prozessualen Folgen der Anklageerhebung den Bezugspunkt für die Beurteilung der Unmittelbarkeit der Betroffenheit der Interessen des Angeklagten dar ( Tipold aaO § 89 Rz 8). Vor diesem Hintergrund ist die rechtswirksame Zurückweisung des Strafantrages nach § 485 Abs 1 Z 2 StPO als den Angeklagten ausschließlich begünstigend zu bewerten, zumal mit ihr gemäß Abs 2 leg. cit. die Rückversetzung in das Stadium des Ermittlungsverfahrens verbunden mit dem Wiederaufleben der – nach §§ 107 Abs 1, 210 Abs 3 dritter Satz StPO infolge der Anklageerhebung erloschenen – Einspruchs- bzw. Antragsrechte des Angeklagten (Beschuldigten) nach §§ 106, 108 StPO und überdies gegebenenfalls die Präklusion des Verfolgungsrechtes einhergeht.

Darüber hinaus wäre mit der Zuerkennung einer Beschwerdelegitimation eine zweistufig gerichtliche (und im Beschwerdeverfahren abermals umfassende; Tipold , WK-StPO § 88 Rz 3ff und § 89 Rz 11 mwN) Prüfung des Strafantrages verbunden, die eine Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Angeklagten im Vergleich zu den kollegialgerichtlichen Verfahrensarten (die in diesem Kontext lediglich die Beschwerde gegen erstgerichtliche Beschlüsse, mit denen unter Berufung auf § 213 Abs 4 StPO die Rechtswirksamkeit der Anklage festgestellt wird, vorsehen [ Birklbauer/Mayrhofer , WK-StPO § 213 Rz 33; Bertel in Bertel/Venier, Komm zur StPO § 213 Rz 4]) darstellt. Eine derartige Erweiterung des Rechtsschutzes ist jedoch mit der vom Gesetzgeber mit dem Ausschluss des Einspruchsrechtes im Einzelrichterverfahren eindeutig beabsichtigten Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten des Angeklagten systematisch nicht in Einklang zu bringen. Letztlich erweist sich eine derartige Beschwerdelegitimation des Angeklagten aber auch insoweit als systemwidrig, als er solcherart die (zweistufige) gerichtliche Prüfung des Tatverdachtes - nach mit § 485 Abs 1 Z 2 und 3 StPO vergleichbaren Kriterien - durch einen Antrag nach § 108 StPO auch unmittelbar nach einer die bloße Zurückweisung des Strafantrages bestätigenden Beschwerdeentscheidung erwirken könnte.

Dass der Angeklagte demgegenüber zur Anfechtung von Beschlüssen, mit denen der Einzelrichter seine örtliche und/oder sachliche Unzuständigkeit ausspricht (§ 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO), berechtigt ist (OGH 27.August 2009 , 13 Ns 44/09p ; RIS-Justiz RS0072997; Bauer , WK-StPO § 450 Rz 6; Venier in Bertel/Venier, Komm zur StPO § 450 Rz 2), steht mit der dargelegten Systematik nicht im Widerspruch. Durch die in sämtlichen Verfahrensarten dem Gericht (im Gegensatz zu den übrigen Einspruchsgründen des § 212 StPO im Wesentlichen undifferenziert) übertragene Pflicht zur amtswegigen Prüfung der (örtlichen und sachlichen) Zuständigkeit (im kollegialgerichtlichen Verfahren: § 213 Abs 4 und 6 StPO; im Einzelrichterverfahren: §§ 38 erster Satz, 485 Abs 1 Z 1 zweiter Fall iVm 450, 468 Abs 1 Z 1 iVm 489 Abs 1 StPO; im bezirksgerichtlichen Verfahren: §§ 38 erster Satz, 450, 468 Abs 1 Z 1 StPO) gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass er der frühzeitigen Zuständigkeitsklärung eine über die bloß verfahrensökonomische Komponente hinausgehende, das Interesse des Angeklagten an einer beschleunigten Enderledigung (§ 9 StPO) unmittelbar tangierende (und über die Einspruchsgründe der Z 1 bis 4 und 7 des § 212 StPO [auf die § 485 Abs 1 Z 2 und 3 StPO verweist] hinausgehende) Bedeutung beimisst. Vor diesem Hintergrund entfaltet die aus der Rechtskraft eines Beschlusses nach § 485 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO folgende - gemäß § 38 erster Satz StPO ohne „neue“ Anklageerhebung oder Antragstellung durch die Anklagebehörde vorzunehmende (RIS-Justiz RS0127580) - Abtretung an ein anderes Gericht ebenso wie die mit einem Beschluss nach § 485 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StPO drohende Anklage vor einem Gericht höherer Ordnung ( Ratz , WK-StPO § 468 Rz 14) die Interessen des Angeklagten unmittelbar benachteiligende Wirkungen, welche die Beschwerdelegitimation des Angeklagten denklogisch erscheinen lässt.

Aus diesen Erwägungen besteht für die Annahme einer Legitimation des Beschwerdeführers zur Anfechtung der Zurückweisung des wider ihn erhobenen Strafantrages nach § 485 Abs 1 Z 2 StPO kein Anlass, sodass sich seine Beschwerde als unzulässig erweist und sie demgemäß nach § 89 Abs 2 StPO der Zurückweisung zu verfallen hat.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 9

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