JudikaturJustiz9Bs269/16x

9Bs269/16x – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
16. November 2016

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden und Dr. Morbitzer sowie die Richterin Mag. Hemetsberger in der Auslieferungssache betreffend V***** P***** über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wels gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels vom 15. Juli 2016, 9 HR 342/15w-28, nach der in Anwesenheit des Ersten Oberstaatsanwalts Dr. Granzer, des Betroffenen und seines Verteidigers Mag. Gebhart durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung (§ 31 Abs 6 ARHG) am 16. November 2016 beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen, auch mündlich verkündeten (S 2 in ON 26a) Beschluss des Landesgerichtes Wels vom 15. Juli 2016 wurde die Auslieferung des ukrainischen Staatsbürgers V***** P*****, geboren am 28. Oktober 1973, wohnhaft in 3032 Furth, Klosterstraße 5, zur Strafverfolgung im Sinne des Auslieferungsersuchens der Russischen Föderation vom 11. November 2015 nicht zugelassen (ON 28).

Die dagegen von der Staatsanwaltschaft Wels erhobene Beschwerde (ON 29), der die Oberstaatsanwaltschaft Linz beitrat, ist nicht berechtigt.

Der ukrainische Staatsbürger V***** P*****, geboren am 28. Oktober 1973 in Sewastopol, Ukraine, wurde mit internationalem Haftbefehl des Distriktgerichts der Russischen Föderation der Stadt Sewastopol vom 12. März 2015 wegen des Verdachts von Straftaten nach Artikel 134, Teil 1 und 3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (Geschlechtsverkehr mit einer Person, die das 16-jährige Alter nicht erreicht hat, begangen von einer Person, die älter als 18 Jahre ist und Geschlechtsverkehr mit einer Person, die das Alter von 12 Jahren überschritten hat, aber unter 14 Jahre ist, die von einer Person begangen wurde, die älter als 18 Jahre ist) zur Festnahme international ausgeschrieben (ON 2).

Nach dem darin dargestellten Sachverhalt habe der Betroffene zwischen 2011 und Ende 2013 in Sewastopol mit seiner am 23. Dezember 1998 geborenen Stieftochter O***** T***** wiederholt vaginalen, analen und oralen Geschlechtsverkehr vollzogen (S 37ff in ON 20).

Der Betroffene stellte am 12. Oktober 2015 in der Erstaufnahmestelle Thalham einen Asylantrag. Dabei wurde die internationale Ausschreibung zur Festnahme festgestellt. Aufgrund einer gerichtlich bewilligten Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Wels wurde der Betroffene am 13. Oktober 2015 festgenommen (ON 3, 4). Nach seiner Vernehmung am 15. Oktober 2015 sah das Erstgericht von der Verhängung der Auslieferungshaft ab (ON 11) und entließ V***** P***** aus der Haft (ON 13).

Bei dieser gerichtlichen Vernehmung gab der Betroffene zum internationalen Haftbefehl befragt an, dass er bis 2013 mit seiner früheren Gattin und seiner Stieftochter O***** T***** in Sewastopol gelebt habe. 2013 habe er sich scheiden lassen. 2014 habe er eine Gruppe von Demonstranten in Kiew angeführt, weswegen er am 5. Februar 2014 gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin nach Polen geflüchtet sei und um Asyl angesucht habe. Dieser Asylantrag sei jedoch abgelehnt worden. Er sei entgegen den Angaben im internationalen Haftbefehl kein russischer Staatsbürger, sondern habe die Staatsbürgerschaft der Ukraine, werde jedoch wegen seiner Aktivitäten in Kiew bei den Demonstrationen am Maidan (Anfang 2014) sowohl vom russischen als auch vom ukrainischen Geheimdienst verfolgt (AS 3 in ON 11).

Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat am 11. November 2015 ein Auslieferungsersuchen an das Bundesministerium für Justiz der Republik Österreich gerichtet, in dem sie, gestützt auf die Artikel 1, 2, 12 und 16 des Europäischen Übereinkommens über die Auslieferung vom 13. Dezember 1957 (Eu-AusliefÜbk), um die Verhaftung und Auslieferung des Bürgers der Russischen Föderation P***** V***** N*****, geboren am 28. Oktober 1973 in der Stadt Sewastopol, zur strafrechtlichen Verfolgung ersucht, weil bei der Ermittlungsabteilung im Nachimovskij Bezirk der Untersuchungsverwaltung des Untersuchungsausschusses der Russischen Föderation der Stadt Sewastopol ein Strafverfahren gegen den Betroffenen nach Artikel 134, Teil 1 und 3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation anhängig sei. Zudem bezeichnet die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation mit Bezug auf Artikel 5 des Vertrages zwischen der Russischen Föderation und der Republik Krim über die Aufnahme der Republik Krim in die Russische Föderation und Bildung von neuen Bestandteilen im Bestand der Russischen Föderation vom 18. März 2014 den Betroffenen als Staatsangehörigen der Russischen Föderation (AS 5ff, 81 in ON 20).

Rechtliche Beurteilung

Nach Art 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (Eu-AusliefÜbk) verpflichten sich die Vertragsparteien, gemäß den nachstehenden Vorschriften und Bedingungen einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßnahme der Sicherung und Besserung gesucht werden.

Diese Auslieferungsverpflichtung setzt mit Blick auf allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts, die gemäß Art. 9 Abs 1 B-VG Bestandteil des Bundesrechts darstellen, voraus, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates völkerrechtskonform eine Person wegen einer strafbaren Handlung verfolgen. Nach den Auslieferungsunterlagen wird der Betroffene von Justizbehörden der Russischen Föderation wegen Straftaten nach dem Strafgesetzbuch der Russischen Föderation verfolgt, die er als ukrainischer Staatsangehöriger zwischen 2011 und Ende 2013 auf dem Staatsgebiet der Ukraine (Sewastopol) begangen habe. Die Berechtigung zur Strafverfolgung des Betroffenen durch Justizbehörden der Russischen Föderation gründet die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation auf Artikel 5 des Vertrages zwischen der Russischen Föderation und der Republik Krim über deren Aufnahme in die Russische Föderation und Bildung von neuen Bestandteilen im Bestand der Russischen Föderation vom 18. März 2014 (S 81 in ON 20).

Unter Berücksichtigung der auf Grund eines an das Bundesministerium für Justiz gerichteten Ersuchens des Erstgerichts (ON 12) am 30. September 2016 eingelangten Äußerung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten geht das Beschwerdegericht bei Beurteilung der Auslieferungsverpflichtung Österreichs nach Artikel 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens 1957 davon aus, dass die Eingliederung der autonomen Republik Krim einschließlich der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation am 18. März 2014 nach Androhung von Waffengewalt beziehungsweise nach dem Einsatz russisch kontrollierter Truppen zustande gekommen ist, also unter Verletzung des Gewaltverbots nach Art 2 Abs 4 der Satzung der Vereinten Nationen als zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts. Diese Eingliederung stellt daher eine völkerrechtswidrige (versuchte) Annexion dar. Aus dem in Art 40 Abs 2 der Artikel über das Recht der Staatenverantwortlichkeit (Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen) kodifizierten Völkergewohnheitsrecht leitet sich für alle Staaten die völkerrechtliche Verpflichtung ab, die in völkerrechtswidriger Weise entstandene Situation nicht anzuerkennen. In der Resolution 68/262 betreffend die „territoriale Unversehrtheit der Ukraine“ vom 27. März 2014 bekräftigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen ihr Bekenntnis zur Souveränität, politischen Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen und forderte alle Staaten auf, keine Änderung des Status der autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol anzuerkennen und alle Handlungen oder Geschäfte zu unterlassen, die als Anerkennung eines solchen geänderten Status ausgelegt werden könnten. In diesem Sinn hat auch die Republik Österreich die völkerrechtswidrige (somit versuchte) Annexion der Halbinsel Krim durch die Russische Föderation nicht anerkannt und betrachtet das Gebiet der Krim weiterhin als Bestandteil des Staatsgebietes der Ukraine.

Ausgehend davon ist - entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation und der offensichtlich auch von der Staatsanwaltschaft Wels und der Oberstaatsanwaltschaft Linz vertretenen Auffassung - die autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol völkerrechtlich weiterhin Bestandteil des Staatsgebietes der Ukraine und somit derzeit ein von der Russischen Föderation völkerrechtswidrig besetztes ukrainisches Gebiet. Die Einwohner der autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol sind somit weiterhin ukrainische Staatsbürger. Folglich sind auch alle Hoheitsakte von russischen Behörden für oder betreffend die autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol als ukrainisches Staatsgebiet grundsätzlich völkerrechtswidrig und daher ungültig; völkerrechtliche Abkommen der Russischen Föderation erstrecken sich somit grundsätzlich auch nicht auf das Gebiet der Republik Krim einschließlich der Stadt Sewastopol.

Der Betroffene ist daher – entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft Wels - ukrainischer Staatsangehöriger, dem Straftaten auf dem Staatsgebiet der Ukraine vor der das Völkerrecht verletzenden (versuchten) Annexion der Krim und der Stadt Sewastopol durch die Russische Föderation vorgeworfen werden. Die Justizbehörden der Russischen Föderation sind somit völkerrechtlich nicht befugt, den Betroffenen wegen der im Auslieferungsersuchen genannten strafbaren Handlungen nach dem Strafgesetzbuch der Russischen Föderation zu verfolgen, weil die von der Russischen Föderation genannte Rechtsgrundlage zu dieser Strafverfolgung, nämlich der Vertrag vom 18. März 2014 zwischen der Russischen Föderation und der Republik Krim über die Aufnahme der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation und Bildung von neuen Bestandteilen im Bestand der Russischen Föderation, keine völkerrechtskonforme Grundlage dafür darstellt.

Nach Art 1 des EuAusliefÜbk besteht für Österreich als ersuchtem Vertragsstaat somit auch keine Auslieferungsverpflichtung, weswegen die begehrte Auslieferung unzulässig ist.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu (§ 31 Abs 6 ARHG iVm § 89 Abs 6 StPO).

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