JudikaturJustiz8Ob84/11b

8Ob84/11b – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Agrargemeinschaft A*****, vertreten durch Mag. Dr. Dietmar Fritz, Rechtsanwalt in Bezau, gegen die beklagte Partei G***** R*****, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, wegen Beseitigung und Unterlassung (Streitwert 6.000 EUR) über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2011, GZ 3 R 1/11p-92, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 13. August 2010, GZ 8 Cg 204/07p-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Revision wird zusammen mit den Eingaben des Beklagten vom 9. 12. 2011 und der Klägerin vom 12. 12. 2011 zurückgewiesen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 93,19 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin, eine Körperschaft öffentlichen Rechts nach § 32 des Vorarlberger FlurverfassungsG, ist bücherliche Eigentümerin des streitgegenständlichen Alpgrundstücks. Der Beklagte ist seit dem Jahr 1999 Eigentümer eines an allen Seiten von den Liegenschaften der Klägerin umschlossenen Grundstücks im Ausmaß von rund 1.000 m², auf dem ein von ihm bewirtschafteter Alpgasthof errichtet ist.

Der Beklagte nutzte von Anfang an mehr als die Fläche seines Grundstücks. Im Jahr 2001 schlossen die Streitteile über eine nicht genau festgelegte Fläche rund um das Haus des Beklagten einen Pachtvertrag, der aber von der Klägerin zum 1. 4. 2007 wieder gekündigt wurde, weil der Beklagte keinen Pachtzins mehr bezahlte.

Der Beklagte erweiterte die von ihm genutzte Fläche ungeachtet der Beendigung des Pachtverhältnisses nach und nach in der Form, dass er Kiesaufschüttungen zur Errichtung einer befestigten Fläche vornahm, er stellte großvolumige Steine auf Grundstücksteilen der Klägerin ab, lagerte Abfälle und Baumaterial und errichtet einen Spielplatz um das Haus. Der Beklagte vertrat dazu die Meinung, Eigentümer einer Teilfläche im Ausmaß von 1.800 m² aus dem Grundstück der Klägerin zu sein. Er gründete diese Ansicht auf eine Vereinbarung eines früheren Eigentümers des Alpgasthofs mit der Klägerin, über deren Inhalt in einem 1976 zwischen weiteren Voreigentümern des Beklagtengrundstücks geschlossenen Kaufvertrag Folgendes vermerkt ist: „ Aufgrund einer Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Verkäufer, dem 1967 verstorbenen Gastwirt (…) und den Eigentümern der Alpe (…), kam eine Vereinbarung des Inhalts zustande, dass für den Fall eines geplanten Um-, Neu- oder Zubaues des Objektes von den umliegenden Weideflächen insgesamt 18 ar Grund in Anspruch genommen werden können, der ins Eigentum übertragen wird, sobald feststeht, wo dieser Grund tatsächlich benötigt wird. Die Bezahlung dieser 18 ar ist bereits erfolgt. Allerdings ist bis heute eine Vermessung bzw Verbücherung unterblieben, da der Anlassfall noch nicht eingetreten ist. “ Eine tatsächliche Zahlung des Kaufpreises steht nicht fest, es wurde auch nie eine konkret zu übertragende Fläche vermessen und festgelegt.

Der Beklagte selbst hat seine Liegenschaft 1999 durch Zuschlag in einem konkursgerichtlichen Versteigerungsverfahren erworben. In den Versteigerungsbedingungen wurde auf die im Kaufvertrag des Jahres 1976 enthaltenen Passagen über den außerbücherlichen Anspruch auf Abtretung von Grundstücksteilen der Klägerin hingewiesen und festgehalten, dass dieser Anspruch in jenem Umfang, in dem er tatsächlich bestehe, von der Konkursmasse an den Ersteher abgetreten werde. Im Protokoll über die öffentliche Versteigerung ist ferner festgehalten, dass sich die Beklagte an die behauptete Abtretungsvereinbarung nicht gebunden fühlte.

Nach § 3 Z 1 iVm § 9 Z 3 der Satzung der Klägerin bestehen ihre stimmberechtigten Mitglieder aus jenen Personen, denen Weiderechte zustehen, diese sind von der Agrarbezirksbehörde im Anteilbuch einzutragen. Die Eintragung ist nach rechtskräftiger Genehmigung des Anteilserwerbs von der Behörde vorzunehmen (§ 5 Z 4 der Satzung).

Zwischen 2001 und 2006 kauften der Beklagte und sein Bruder Weiderechte von Mitgliedern der klagenden Partei, deren Erwerb von der Agrarbehörde nicht genehmigt wurde. Bei Schluss der Verhandlung erster Instanz waren deswegen Beschwerden des Beklagten und seines Bruders beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. In der Generalversammlung der Klägerin vom 18. 12. 2007 genehmigten deren anwesende Mitglieder gemäß § 8 lit c der Satzung einstimmig die Einbringung der gegenständlichen Klage. Dem Vertreter des Beklagten war die Teilnahme an der Generalversammlung verwehrt worden. Weder der Beklagte selbst, noch sein Bruder waren am 18. 12. 2007 im Anteilbuch der Klägerin eingetragen.

Die Klage umfasst das (eingeschränkte) Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, abgelagertes Baumaterial, Abfälle, großvolumige Steine, einen errichteten Spielplatz sowie vorgenommene Kiesaufschüttungen, außer den für die Drainage erforderlichen, auf einem näher bezeichneten Teil des zum klägerischen Bestand gehörenden Grundstücks zu entfernen und den früheren Zustand wiederherzustellen, weiters künftige gleichartige Störungs- und Nutzungshandlungen zu unterlassen.

Beide Vorinstanzen gaben im zweiten Rechtsgang diesem Klagebegehren statt. Der Kläger habe kein Eigentum an den betroffenen Liegenschaftsanteilen erworben und auch keinen anderen Rechtsgrund für die strittige Nutzung nachweisen können. Das Klagebegehren sei auch nicht schikanös. Nichtigkeitsgründe, insbesondere auch hinsichtlich der Vertretung der Klägerin, lägen nicht vor.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung gemäß § 508 ZPO nachträglich mit der Begründung zu, es bestehe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der Beklagte als Erwerber von Anteilsrechten der Klägerin trotz Fehlens der agrarbehördlichen Genehmigung seines Erwerbs zur Teilnahme an der Vollversammlung der Klägerin vom 18. 12. 2007 und Abstimmung über die Klagsführung berechtigt gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig, weil sie keine über die Umstände des Einzelfalls hinaus erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO anspricht.

1. Die Durchführung einer Berufungsverhandlung liegt gemäß § 480 Abs 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts. Welche konkret für das Verfahrensergebnis relevanten, nicht bereits zwingend in die Berufungsschrift aufzunehmenden Erörterungen einer mündlichen Berufungsverhandlung bedurft hätten, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

Soweit der Beklagte erkennbar meint, ein Augenschein der örtlichen Verhältnisse hätte ergeben, dass die Klägerin ein schikanöses Begehren stellt, übersieht er, dass sich der Verfahrensgegenstand nicht nur auf die Duldung faktischer Gebrauchshandlungen beschränkte, sondern die Klägerin genötigt war, der damit verbundenen rechtsgrundlosen Eigentumsanmaßung des Beklagten entgegenzutreten.

Das Fehlen sachlich begründeter Argumente lässt sich auch nicht durch den im Rechtsmittel ersatzweise gepflogenen reichlichen Gebrauch von Begriffen wie „Menschenrechtsverletzung“ oder „Willkür“ substituieren.

2. Mit den vom Beklagten behaupteten Verfahrensmängeln erster Instanz hat sich das Berufungsgericht inhaltlich befasst und darüber endgültig entschieden (RIS-Justiz RS0042963). Diese Einwände können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.

3. Die Überlegungen des Revisionswerbers zur Wirkung eines Zulassungsausspruchs in einem berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss sowie zum Umfang des Verfahrens im zweiten Rechtsgang sind schlicht rechtsirrig.

Nach Aufhebung eines Urteils durch das Berufungsgericht hat sich das Verfahren im zweiten Rechtsgang auf den von der Aufhebung ausdrücklich betroffenen Teil zu beschränken (RIS-Justiz RS0042031). Diese Regelung dient der Strukturierung des Prozessstoffs und bedeutet keineswegs, wie die Revision verkennt, dass die dem Erstgericht überbundene Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar wäre. Diese Überprüfung steht - unter der allgemeinen Voraussetzung des § 501 Abs 2 ZPO - nicht nur offen, wenn ein Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss vom Berufungsgericht nicht zugelassen wurde, sondern auch, wenn der Revisionswerber von einem zugelassenen Rekurs keinen Gebrauch gemacht hat (RIS-Justiz RS0042991; Kodek in Rechberger , ZPO³ § 519 Rz 27 ua).

4. Der gegen die Mitglieder des Berufungssenats gerichtete Ablehnungsantrag des Beklagten wurde rechtskräftig als unbegründet abgewiesen (7 Ob 80/11g).

Die Revisionsausführungen über eine vermeintliche, im Ablehnungsverfahren jedoch nicht bestätigte Befangenheit der Erstrichterin gehen schon deswegen ins Leere, weil eine Entscheidung des Berufungsgerichts, mit der eine Nichtigkeitsberufung verworfen wurde, unanfechtbar ist (RIS-Justiz RS0043822; Zechner in Fasching/Konecny ², § 519 ZPO Rz 49).

Unzulässig ist die Revision aus dem selben Grund aber auch, soweit mit einer vermeintlich fehlerhaften Willensbildung der Vollversammlung der Klägerin bei Genehmigung der Klagsführung erkennbar der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO herangezogen werden soll. Auch das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes hat das Berufungsgericht geprüft und begründet verneint. Ein Vertretungsmangel könnte zudem im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nur von der in ihren Rechten betroffenen Partei selbst geltend gemacht werden, aber nicht von ihrem unterlegenen Prozessgegner ( Pimmer in Fasching/Konecny ², § 477 Rz 61; RIS-Justiz RS0041988; RS0041952; vgl jüngst 8 Ob 89/11p).

Welche anderen für das Verfahrensergebnis relevanten Rechtswirkungen die Revision aus dem Ausschluss des Beklagten und seines Bruders von der Teilnahme an der Generalversammlung der Klägerin vom 18. 12. 2007 für sich ableiten will, ist nicht erkennbar. Dass zum Zeitpunkt der Vollversammlung (und auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz) der Erwerb von Weiderechten durch den Beklagten von der Agrarbehörde nicht bewilligt, der Beklagte daher nicht als Mitglied im Anteilsbuch eingetragen und demgemäß die satzungsmäßigen Voraussetzungen für seine Teilnahme und seine Stimmberechtigung an der Vollversammlung nicht gegeben waren, ist unstrittig. Streitigkeiten über das Recht zur Teilnahme sind aber als Streitigkeiten aus dem (hier: behaupteten) Mitgliedschaftsverhältnis zu einer Agrargemeinschaft grundsätzlich nach § 26 Abs 1 der Satzung der Beklagten iVm § 35 Abs 2 Vbg FlurverfassungsG der Agrarbehörde zur Entscheidung zugewiesen und damit der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Die im nachträglichen Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts dargelegte Rechtsfrage stellt sich daher nicht.

5. Die Beurteilung, ob ein Klagebegehren hinreichend bestimmt ist, stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die als solche nur bei groben Auslegungsfehlern oder eklatanter Ermessensüberschreitung vom Obersten Gerichtshof überprüfbar wäre (RIS-Justiz RS0044088). Angesichts der dem erstgerichtlichen Urteil als Bestandteil angehefteten Luftbildaufnahme der strittigen Grundstücksflächen und des detaillierten Klagebegehrens kann im Anlassfall von einer die Revision eröffnenden unvertretbaren Rechtsansicht der Vorinstanzen keine Rede sein (vgl Rechberger/Klicka in Rechberger , ZPO³ § 226 Rz 4). Was die in der Revision angesprochene Materialseilbahn betrifft, war deren Entfernung in der Klage schlicht nicht begehrt worden, sodass sich die Vorinstanzen damit nicht zu befassen hatten (§ 405 ZPO).

6. Die Revision des Beklagten ist daher insgesamt als unzulässig zu beurteilen. Schon deshalb bedurfte es auch keiner Verhandlung beim Obersten Gerichtshof (vgl § 526 Abs 1 ZPO). Für eine mündliche Revisionsverhandlung besteht aber auch allgemein im Lichte der Judikatur des EGMR zu Art 6 MRK kein Anlass, zumal die Prüfungszuständigkeit des Obersten Gerichtshofs auf Rechtsfragen beschränkt ist (RIS-Justiz RS0043689; RS0043679).

7. Aus dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels folgt, dass der nachgereichte „Judikaturhinweis“ des Beklagten und die dazu erstattete Stellungnahme der Klägerin zurückzuweisen waren (RIS Justiz RS0041666). Der Kostenzuspruch gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Beklagten hingewiesen.

Rechtssätze
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