JudikaturJustiz8Bs144/23x

8Bs144/23x – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics als Vorsitzende und die Richter Mag. Obmann, LL.M. (WU) und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen DI A* und andere Personen wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11. Mai 2023, AZ 22 HR 44/20x (ON 2569 der Akten AZ 16 St 52/19t der Staatsanwaltschaft Graz), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Einspruch wegen Rechtsverletzung, soweit er sich auf das Konto IBAN D* bezieht, zurückgewiesen, soweit er sich auf das Konto IBAN E*und das Depot Nr. F* bezieht, abgewiesen, und im Übrigen festgestellt wird, dass die erst am 11. Oktober 2022 angeordnete Aufhebung der Sicherstellung des Guthabens auf dem Konto IBAN G** des DI B* durch Drittverbot das Gesetz in der Bestimmung des § 113 Abs 3 StPO verletzt.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

Begründung:

Soweit hier von Bedeutung, ordnete die Staatsanwaltschaft am 6. November 2020 (ON 361 und ON 372) neuerlich (siehe ON 1, S 65, 125, 130; ON 284 und ON 350) die Sicherstellung der Guthaben auf den nachstehend bezeichneten Konten bei der ** AG (1. bis 3.) und der ** (4.) durch Drittverbot gemäß § 109 Z 1 lit b StPO an:

1. IBAN G*, Kontoinhaber: B*

2. IBAN E*, Kontoinhaber: B*

3. Depot Nr. F*, Kontoinhaber: B*

4. IBAN D*, Kontoinhaber: C* GmbH (wirtschaftlicher Eigentümer: KB*)

Ein gesetzlich zwingend vorgeschriebener Antrag auf Beschlagnahme (§ 113 Abs 3 StPO) erfolgte nicht.

Bereits am 2. Februar 2021 ordnete die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Sicherstellung der Guthaben auf den zu 2. und 3. bezeichneten Geschäftsverbindungen an und beauftragte das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Steiermark (LVT Steiermark) mit deren Vollzug (ON 808). Die Anordnung wurde am 4. Februar 2021 nachweislich an Verantwortliche der ** ausgefolgt. Die Verfügungssperre für das zu 2. bezeichnete Konto ist tatsächlich am 15. Februar 2021 aufgehoben worden. Beim Wertpapierdepot wurde hingegen nie eine „Sperre“ gesetzt (Verfahrensergebnisse aus den Aufklärungen gemäß § 89 Abs 5 erster Satz StPO).

Mit Beschluss vom 21. Juli 2022 (ON 2062) stellte das Erstgericht über Einspruch von B* und der C* GmbH wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO (ON 652 und ON 653) fest, dass die angeordneten Sicherstellungen der eingangs bezeichneten „Bankkonten“ aufgrund mangelhafter Begründung das Gesetz verletzten und trug der Staatsanwaltschaft gemäß § 107 Abs 4 StPO auf, den entsprechenden Rechtszustand – soweit nicht bereits erfolgt – herzustellen. Der Beschluss ist am 4. August 2022 in Rechtskraft erwachsen.

Erst nachdem B* am 20. September 2022 neuerlich die Aufhebung der Sicherstellung beantragte (ON 2117), ordnete die Staatsanwaltschaft – dem gerichtlichen Auftrag entsprechend – am 11. Oktober 2022 die Aufhebung der Sicherstellung betreffend aller eingangs bezeichneten Konten an und beauftragte das LVT Steiermark mit deren Vollzug (ON 2149 und ON 2150). Die auch dem Einspruchswerber zugestellten Anordnungen wurden jeweils am 13. Oktober 2022 nachweislich an Verantwortliche der ** Filiale in ** sowie der ** ausgefolgt.

Die Aufhebung der Verfügungssperre für das Guthaben auf dem zu 1. bezeichneten Konto wurde tatsächlich aber schon am 19. August 2022 veranlasst. Dies deshalb, weil die Verantwortlichen bei der ** – auf welchen Weg auch immer (eine Zustellung wurde weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Gericht verfügt) – von der den Einspruch wegen Rechtsverletzung stattgebenden Entscheidung des Erstgerichts vom 21. Juli 2022 Kenntnis erlangt hatten. Das Drittverbot für das Guthaben auf dem zu 4. bezeichneten Konto wurde hingegen erst am 31. Oktober 2022 aufgrund der Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 11. Oktober 2022 aufgehoben (Verfahrensergebnisse aus den Aufklärungen gemäß § 89 Abs 5 erster Satz StPO).

Am 30. November 2022 erhob B* Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StPO und machte darin geltend, dass die „Kontosperren“ nach wie vor aufrecht seien, weswegen er sich in seinem subjektiven Recht gemäß § 110 Abs 1 Z 3 StPO, wonach eine Sicherstellung nur unter den dort normierten Voraussetzungen zulässig sei, verletzt sehe und daher die Feststellung dieser Rechtsverletzung und Aufhebung der Sicherstellungen begehre (ON 2284).

Am 7. Dezember 2022 ordnete die Staatsanwaltschaft unter Anschluss des Einspruchs wegen Rechtsverletzung gegenüber dem LVT Steiermark neuerlich den Vollzug der Anordnungen vom 11. Oktober 2022 an (ON 2285).

Nach einer vom Landesamt für Verfassungsschutz weitergeleiteten E-Mail der ** AG vom 13. Dezember 2022 (ON 2319), wonach „sämtliche Kontosperren im Zusammenhang mit GZ LV-ST2409/19 von den genannten Konten des Kunden Herr DI B* aufgehoben seien“ , legte die Staatsanwaltschaft den Einspruch unter Verweis auf die an den Verteidiger des Einspruchswerbers übermittelte Note (ON 2351) dem Landesgericht für Strafsachen Graz zur Entscheidung vor (ON 1, S 826). Der Einspruchswerber erstattete hierzu eine Äußerung und brachte zusammengefasst ergänzend vor, dass ihn die sachlich nicht begründbare Säumnis der Staatsanwaltschaft bei der Aufhebung der Sicherstellung nach der Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 21. Juli 2022 in seinen Rechten verletze (ON 2431).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 2569) gab das Erstgericht dem Einspruch Folge und stellte fest, dass die Staatsanwaltschaft durch die nach der Entscheidung des Erstgerichts vom 21. Juli 2022 (ON 2062) faktisch aufrechterhaltene Sicherstellung der im Spruch bezeichneten Konten das Gesetz in der Bestimmung des § 110 StPO verletzte und begründete dies zusammengefasst damit, dass die Aufhebung der Sicherstellung erst mehr als zwei Monate nach der durch das Erstgericht seinerzeit festgestellten Rechtsverletzung weder durch den Umfang noch durch die Komplexität des Ermittlungsverfahrens zu rechtfertigen sei.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde (ON 2571), die nur zum Teil berechtigt ist.

Dem Einspruchswerber und der Oberstaatsanwaltschaft wurde Gelegenheit gegeben, sich zu den Verfahrensergebnissen aus den Aufklärungen gemäß § 89 Abs 5 erster Satz StPO zu äußern, wovon sie davon auch Gebrauch machten.

Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht steht gemäß § 106 Abs 1 StPO jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch (die) Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach der Strafprozessordnung verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der Strafprozessordnung angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2).

Subjektive Rechte im Sinn dieser Bestimmung sind solche, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei der Ausübung von Zwang bzw. bei der Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen nach den jeweils maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozessordnung konkret einzuhalten sind. Darunter fallen nicht nur ausdrücklich als „Rechte“ titulierte Bestimmungen, sondern auch Vorschriften, deren Sinn und Zweck zeigen, dass der Betroffene an der Einhaltung eben dieser Vorschriften ein berechtigtes Interesse hat . Bezugspunkt der gerichtlichen Kontrolle ist stets die Rechtmäßigkeit, nicht die Zweckmäßigkeit einer bestimmten Ermittlungsmaßnahme ( Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 106 Rz 11). Dabei ist eine strikte ex ante Überprüfung vorzunehmen. Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die aus späterer Sicht zur Annahme führen, es fehle an einer Voraussetzung, machen die seinerzeitige Entscheidung nicht rechtswidrig ( Pilnacek/Stricker, aaO Rz 19).

Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang (zu diesen Begriffen vgl Ratz , Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO² Rz 322 und 324) er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht (wobei die Nennung allenfalls missachteter Gesetzesbestimmungen nicht verlangt wird) und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. In Bezug auf das zuletzt genannte Kriterium kann der Antrag auch (bloß) das Begehren auf Feststellung enthalten, dass durch die zu Grunde liegende Handlung von Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft (den Vorgang oder die Unterlassung) das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet und dadurch ein subjektives Recht des Einspruchswerbers verletzt worden sei (vgl Pilnacek/Stricker, aaO Rz 24; RIS-Justiz RS0130583).

Die von einer Sicherstellung betroffene Person hat ein subjektives Interesse an der Einhaltung jener Bestimmungen der StPO, welche die Voraussetzungen für die Anordnung und Aufhebung dieser Ermittlungsmaßnahme festlegen.

Zur Rechtzeitigkeit des Einspruchs ist zunächst voranzustellen, dass DI B* nach dem eingangs dargestellten Verfahrensablauf – mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – erst durch die ihm am 13. Jänner 2023 zugestellte Note der Staatsanwaltschaft vom 11. Jänner 2023 samt Beilagen (ON 2341) von der tatsächlichen Aufhebung der „Kontosperren“ Kenntnis erlangte, sodass der am 30. November 2022 eingebrachte Einspruch, in dem er noch von deren Fortdauer ausging, jedenfalls rechtzeitig war (§ 106 Abs 3 erster Satz StPO).

Der Einspruchswerber war aber nur zum Teil von den eingangs bezeichneten Sicherstellungen betroffen (zum Begriff der Betroffenheit vgl § 87 Abs 1 StPO; Tipold , WK-StPO § 87 Rz 12 ff).

Inhaberin der zu 4. angeführten Geschäftsverbindung und damit unmittelbar von deren Sicherstellung Betroffene ist nämlich die C* GmbH als juristische Person. Der Einspruchswerber mag zwar als deren geschäftsführender Alleingesellschafter (offenes Firmenbuch) der wirtschaftliche Eigentümer der Geschäftsverbindung iSd § 2 Z 1 Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) gewesen sein, war als solcher aber nur mittelbar (über seine Gesellschafterstellung) von der Sicherstellung des darauf befindlichen Guthabens betroffen, sodass er in diesem Umfang nicht zur Erhebung eines Einspruchs legitimiert ist.

Hinsichtlich der anderen drei Kontoverbindungen behauptet der Einspruchswerber unter Verweis auf die erst am 11. Oktober 2022 angeordnete Aufhebung der Sicherstellung schlüssig die Verletzung von Bestimmungen der StPO und stellt ein diesem Vorgang zuordenbares Feststellungsbegehren (zur Zulässigkeit eines solchen Verlangens bei Entsprechung des Einspruchsbegehren [hier: Aufhebung der Sicherstellungen] vgl. § 106 Abs 5 zweiter Fall StPO; Pilnacek/Pleischl , Vorverfahren Rz 439; E. Fuchs , ÖJZ 2007, 899). Die behauptete Rechtsverletzung liegt zum Teil auch vor.

Das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht (Art 5 StGG, Art 1 ZP-MRK; Art 17 GRC) sowie der einfach gesetzlich normierte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 5 Abs 1 StPO) gebieten es, dass eine Sicherstellung von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft jedenfalls unverzüglich aufzuheben ist (§ 110 Abs 1 Z 1 und 2 StPO), wenn deren Voraussetzungen nicht vorliegen oder nachträglich weggefallen sind ( Tipold/Zerbes , WK-StPO § 113 Rz 5; Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher , Band I 2 § 113 Rz 1 ff). Dem entsprechend sieht § 113 Abs 3 StPO in Betreff einer (wie hier) Sicherstellung nach § 109 Z 1 lit b StPO ausdrücklich die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft vor, sogleich bei Gericht die Beschlagnahme zu beantragen (§ 115 Abs 2 StPO) oder, wenn deren Voraussetzungen nicht vorliegen oder weggefallen sind, die Aufhebung der Sicherstellung anzuordnen. Das Gleiche gilt etwa, wenn der Betroffene (wie hier) erfolgreich einen Einspruch nach § 106 StPO gegen die Anordnung der Sicherstellung durch die Staatsanwaltschaft erhoben hat ( Tipold/Zerbes aaO Rz 5).

In Bezug auf die zu 2. und 3. bezeichneten Geschäftsverbindungen liegt die behauptete Rechtsverletzung nicht vor, weil die „Sperre“ zu ersterer aufgrund der Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 2. Februar 2021 bereits am 15. Februar 2021 aufgehoben und beim Wertpapierdepot nie umgesetzt worden ist.

Bei der zu 1. bezeichneten Kontoverbindung hatte die erst mehr als neun Wochen nach Rechtskraft der dem Einspruch stattgebenden Entscheidung angeordnete Aufhebung der Sicherstellung durch die Staatsanwaltschaft zur Konsequenz, dass das Drittverbot bis zur eigenmächtigen Aufhebung durch das kontoführende Kreditinstitut am 19. August 2022 ohne gesetzlichen Grund mehr als zwei Wochen fortdauerte. Eine derartige Verzögerung bei der Aufhebung der Sicherstellung widerspricht aber dem insoweit unmissverständlichen Gesetzeswortlaut (arg „sogleich […] die Aufhebung der Sicherstellung anzuordnen“ ) und kann angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffs (auf dem Konto befand sich zum Zeitpunkt der Sicherstellung ein Guthaben von EUR 56.895,80 [ON 805, S 15]) auch nicht durch den Umfang des Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt werden, erfordert die Erlassung einer solchen Anordnung doch keinen besonderen Arbeits- und Zeitaufwand.

Durch die aufgezeigte Säumnis bei der Aufhebung der Sicherstellung verletzte die Staatsanwaltschaft daher das Gesetz in der Bestimmung des § 113 Abs 3 StPO, weshalb dem Einspruch insoweit stattzugeben und die begehrte Rechtsverletzung festzustellen ist. Im Übrigen ist der Einspruch zurück- bzw. abzuweisen.

Der Ausschluss weiterer Rechtsmittel folgt aus § 89 Abs 6 StPO.

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