JudikaturJustiz7Ob168/23s

7Ob168/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* GmbH, *, vertreten durch Stossier Oberndorfer Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wels, und die Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Z*AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 900.000 EUR sA und Feststellung, über die Revisionen der klagenden Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Juli 2023, GZ 2 R 99/23a 59, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 3. April 2023, GZ 3 Cg 13/21b 54, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden – soweit das Urteil des Erstgerichts noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist – aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin stellt Anlagen im Bereich der Schüttgut Technologie her und hatte bei der Beklagten eine Berufshaftpflichtversicherung mit der Laufzeit 1. 1. 2013 bis 1. 1. 2017, auf die die Allgemeinen und die Ergänzenden Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB und EHVB 2007) anwendbar sind. Die Versicherungspolizze lautet auszugsweise:

Punkt 3.2.: Sublimite für Deckungserweiterungen: Die Versicherungssumme beträgt im Rahmen der Pauschalversicherungssumme bei reinen Vermögensschäden (Punkt 8.6.) EUR 500.000.

Punkt 8.6.: - reine Vermögensschäden:

Punkt 8.6.1.: Reine Vermögensschäden sind abweichend von Artikel 1 AHVB mitversichert (…).

Punkt 8.6.3.: Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Schadenersatzverpflichtungen aus

Punkt 8.6.3.3.: Planender, beratender, bau oder montageleitender, prüfender oder gutachterlicher Tätigkeit;

Punkt 8.6.3.4.: Erklärungen über die Dauer der Bauzeit oder über Lieferfristen;

Punkt 8.6.3.5.: Nichteinhaltung von Fristen oder Terminen;

Punkt 8.6.3.6.: Nichterfüllung oder nicht rechtzeitige Erfüllung von Verträgen

Die AHVB 2007 lauten auszugsweise:

Artikel 4

Wann gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)

Z 1.: Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Wirksamkeit des Versicherungsschutzes (Laufzeit des Versicherungsvertrages unter Beachtung der §§ 38 ff VersVG im Anhang) eingetreten sind.

Versicherungsfälle, die zwar während der Wirksamkeit des Versicherungsschutzes eingetreten sind, deren Ursache jedoch in der Zeit vor Abschluss des Versicherungsvertrages fällt, sind nur gedeckt, wenn dem Versicherungsnehmer und dem Versicherten bis zum Abschluss des Versicherungsvertrages von der Ursache, die zu dem Versicherungsfall geführt hat, nichts bekannt war und sie diese einer solchen Kenntnis auch nicht arglistig entzogen haben. [...]

Artikel 7

Was ist nicht versichert? (Risikoausschlüsse)

Z 1.: Unter die Versicherung gemäß Artikel 1 fallen insbesondere nicht:

1.1. Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;

[...]

1.3. Die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung.

[…]

Artikel 8

Was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

[…]

1.4 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu informieren

[…]

Insbesondere sind anzuzeigen

1.4.1. der Versicherungsfall;

[…]“

Die EHVB 2007 lauten auszugsweise:

Abschnitt B:

Ergänzende Regelungen für spezielle Betriebs und Nichtbetriebsrisiken

1. Deckung reiner Vermögensschäden:

Falls in den nachstehenden Bestimmungen oder in einer besonderen Bedingung die Deckung reiner Vermögensschäden vorgesehen ist, so gilt Folgendes:

1. Reine Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden noch Sachschäden sind (Artikel 1.2. AHVB), noch sich aus solchen Schäden herleiten.

2. Abweichend von Artikel 1 AHVB ist Versicherungsfall ein Verstoß (Handlung oder Unterlassung), der den versicherten Tätigkeiten entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten.

2.1.: Serienschaden: Als ein Versicherungsfall gelten auch alle Folgen

2.1.1.: eines Verstoßes;

2.1.2.: mehrerer auf derselben Ursache beruhender Verstöße;

2.1.3.: mehrerer im zeitlichen Zusammenhang stehender und auf gleichartigen Ursachen beruhender Verstöße, wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, technischer oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht […].

[2] Im März 2016 erkundigte sich der Versicherungsmakler der Klägerin bei der Beklagten über Möglichkeiten für den Abschluss eines Zusatzbausteins zur bestehenden Betriebshaftpflichtversicherung im Hinblick auf eine erweiterte Deckung reiner Vermögensschäden; insbesondere interessierte sich die Klägerin für eine Deckung von Vermögensschäden aus Produkt Rückrufen ihrer Kunden. Daraufhin machte die Beklagte der Klägerin verschiedene Angebote für die Erweiterung der Deckung für reine Vermögensschäden, darunter auch für ein Sublimit von 1 Mio EUR, auf das die Klägerin nicht weiter reagierte.

[3] Am 31. 3. 2017 schrieb der Makler der Klägerin an die Beklagte, der Kunde habe sich heute entschlossen, das übermittelte Angebot zu den reinen Vermögenshaftpflichtschäden per sofort in der Variante 1 Mio EUR anzunehmen und ersuchte um Einschluss und Übermittlung einer Deckungsbestätigung. Am 11. 4. 2017 übermittelte die Beklagte per E Mail einen Textbaustein für einen weiteren Einschluss reiner Vermögensschäden in die Versicherungsdeckung. Darin war der Ausschluss von Produktrückrufen vorgesehen. Da die Klägerin einen allfälligen Produktrückruf bei einem ihrer Kunden mitversichern wollte, schrieb der Makler der Klägerin am selben Tag an die Beklagte und bat um diesbezügliche Klarstellung (entsprechend der ein Jahr davor mit einer anderen Mitarbeiterin der Beklagten erörterten Möglichkeit einer solchen Deckung) und um die Übermittlung einer neuen Gesamtpolizze. Am 13. 4. 2017 kündigte der nunmehr zuständige Mitarbeiter der Beklagten an, er werde die Änderungen veranlassen und übermittelte am 28. 9. 2017 dem Makler der Klägerin einen „Vorschlag Erweiterung Reine Vermögensschäden“. Diese Versicherungspolizze vom 28. 9. 2017 „Stand 31. 03. 2017“ sieht ein Sublimit von 1 Mio EUR für reine Vermögensschäden vor; der Selbstbehalt beträgt 10 % und die Ausschlüsse

8.6.3.3.: Planender, beratender, bau oder montageleitender, prüfender oder gutachterlicher Tätigkeit; sowie

8.6.3.4.: Erklärungen über die Dauer der Bauzeit oder über Lieferfristen“

sollten als gestrichen gelten.

[4] Daraufhin monierte der Makler der Klägerin am selben Tag bei der Beklagten, die Deckung der reinen Vermögensschäden sei nunmehr komplett umgestellt und die Produktrückrufklausel nicht so umgesetzt wie vereinbart worden. Der Mitarbeiter der Beklagten ersuchte daraufhin, die Abweichungen mitzuteilen, weil die Bedingungen ursprünglich mit einer anderen Kollegin verhandelt worden seien. Am 15. 12. 2017 ersuchte der Makler der Klägerin neuerlich um Umstellung auf das mit der Kollegin Besprochene und um dringende Polizzierung. Am 2. 1. 2018 übermittelte die Beklagte eine adaptierte Version; am 10. 7. 2018 bemängelte der Makler der Klägerin die Prämiensätze. Nach weiterer Korrespondenz über die Diskrepanzen schrieb der Mitarbeiter der Beklagten am 12. 7. 2018, er habe nunmehr die Vertragsanpassung vorgenommen und übermittelte am 16. 7. 2018 der Klägerin eine Versicherungspolizze „Stand 31. 03. 2017“, die unter anderem lautete:

3. Versicherungssummen:

[...]

3.2.: Sublimite für Deckungserweiterungen:

Die Versicherungssumme beträgt im Rahmen der Pauschalversicherungssumme bei

- Reine Vermögensschäden (Punkt 8.6) EUR 1.000.000

4. Selbstbehalte

4.1. Selbstbehalte bei Deckungserweiterungen:

[...]

- Reine Vermögensschäden (Pkt. 8.6) 10%

[...]

6. Bedingungen:

Soweit die folgenden Bestimmungen dieses Versicherungsvertrages keine abweichenden Regelungen enthalten, gelten die „Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung“ (AHVB und EHVB 2007).

[...]

8.6 Reine Vermögensschäden

8.6.1 Reine Vermögensschäden sind abweichend von Art. 1 AHVB mitversichert.

[...]

Für das Produkterisiko und den Rückruf aus dem Produkterisiko bedeutet das, etwaige Regressforderungen der Abnehmer sind damit mitversichert, im Speziellen, da es sich nicht um Produkte des VN direkt handelt. Ausgeschlossen bleiben Ansprüche aus der Produktgarantie.

[...]

8.6.3 Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Schadenersatzverpflichtungen aus

[...]

8.6.3.3 planender, beratender, bau- oder montageleitender, prüfender oder gutachtlicher Tätigkeit;

8.6.3.4 Erklärungen über die Dauer der Bauzeit oder Lieferfristen;

8.6.3.5 Nichteinhaltung von Fristen oder Terminen;

8.6.3.6 Nichterfüllung oder nicht rechtzeitiger Erfüllung von Verträgen;

[...]

8.6.5 Die Ausschlüsse gemäß 8.6.3.3 und 8.6.3.4 gelten als gestrichen.“

[5] Die Klägerin war im Jahr 2015 mit der Planung einer Anlage zur Produktion von Heimtiernahrung für die „R*“ * GmbH beauftragt und erledigte diese Planung im Jahr 2015.

[6] Am 7. 12. 2016 schlossen die „R* * GmbH als Auftraggeberin und die Klägerin als Auftragnehmerin einen Vertrag über die Durchführung von Leistungen für die Errichtung einer Siloanlage. Der vereinbarte Terminplan sah den Montagebeginn mit 1. 5. 2017 und die Gesamtfertigstellung mit 31. 7. 2018 (Abgabe der Gesamtdokumentation 31. 8. 2017) vor. Für die Nichteinhaltung von Terminen wurde eine Pönale vereinbart.

[7] Die Klägerin begann mit der Ausführung ihrer Arbeiten auf der Baustelle des Projekts etwa mit 2. 5. 2017. Im Zuge der Ausführung der Arbeiten durch die Klägerin kam es zuerst zu Verzögerungen, die unter anderem auf Lieferprobleme bei Sublieferanten der Klägerin zurückzuführen waren. Der durch die Klägerin bereitgestellte Teil der Siloanlage erbrachte darüber hinaus nicht die vereinbarte Leistung.

[8] Mit Anwaltsschreiben vom 9. 8. 2017 kündigte die „R*“ * GmbH an, Ersatzforderungen wegen der entstandenen Verzögerungsschäden geltend zu machen. Ab Ende September 2017 bzw Anfang Oktober 2017 war die „R*“ * GmbH zudem der Meinung, dass die von der Klägerin gelieferte Anlage nicht die vertraglich zugesagte Leistung erreicht, was sie der Klägerin gegenüber auch kundgetan hat, weshalb diese mit Schadenersatzforderungen neben der Verzögerung auch aufgrund der behaupteten Mängel rechnete.

[9] Am 18. 12. 2017 erstattete der Makler der Klägerin für diese eine Schadensmeldung an die Beklagte, in der er unter anderem ausführte, dass die Klägerin mit Schreiben vom 14. 12. 2017 vorab per E Mail mit massiven Schadenersatzforderungen wegen des Nicht Erreichens der bedungenen Eigenschaften der Silo Anlage konfrontiert worden sei.

[10] Mit E Mail vom 10. 11. 2018 lehnte die Beklagte die Deckung ab und stützte sich inhaltlich darauf, dass der „Verstoß“ schon vor dem 31. 3. 2017 in der Planungs-/Beratungsphase anzusiedeln sei.

[11] Mit Klage vom 16. 8. 2019 begehrte die „R*“ * GmbH von der (hier) Klägerin zu 9 Cg * des Landesgerichts * 2.866.699,42 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Klägerin für sämtliche Schäden, die der „R*“ * GmbH ab 1. 1. 2019 aufgrund der Mängel an der von der (hier) Klägerin geschuldeten Silo und Dosieranlage entstanden sind und künftig entstehen werden. Im Einzelnen begehrte sie eine maximale Pönale von 106.260 EUR für die Verspätungen, Ersatz der Mehrkosten in der Bauphase aufgrund der Verzögerungen von gesamt 109.057,01 EUR, Ersatz des Mehraufwands bei der Produktion im 3. Quartal 2017 (durch höhere Personalkosten von 278.118,72 EUR, die gesunkene Bruttomarge von 628.306,03 EUR, entgangenen Gewinn durch nicht erfüllbare Aufträge von 87.840 EUR, Personalkosten für die Beiziehung eines erfahrenen Managers von 52.968,76 EUR) von gesamt 1.156.290,52 EUR, im 4. Quartal 2017 (durch höhere Personalkosten von 227.503,52 EUR, Schadenersatzansprüche von Kunden/Pönalen von 175.626,60 EUR und die Beiziehung eines erfahrenen Managers von 53.772,57 EUR) gesamt 456.902,69 EUR, im Jahr 2018 (durch höhere Personalkosten von 876.708,72 EUR, Schadenersatzansprüchen von Kunden/Pönalen von 178.757,21 EUR, notwendiger Zukäufe von 19.388,16 EUR und die Beiziehung eines erfahrenen Managers um 139.400 EUR samt Reisekosten von 39.252,13 EUR) gesamt 1.253.506,22 EUR. In der Verhandlung am 29. 11. 2019 verband das Gericht das Verfahren mit dem Parallelverfahren zu 3 Cg *, in dem die „R*“ * GmbH gegen die (hier) Klägerin einen Preisminderungsanspruch aus dem Titel der Gewährleistung geltend machte.

[12] Mit E Mail vom 22. 1. 2020 lehnte die Beklagte die Deckung ein weiteres Mal mit ausführlicher Begründung ab, unter anderem neuerlich deshalb, weil sie den Keim des Konflikts in – wesentlich früher als bei Beginn der Ausführung der Arbeiten im Frühsommer 2017 angesiedelten – Planungsfehlern sah.

[13] Der im Haftpflichtprozess bestellte Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 12. 10. 2020 zum Ergebnis, die von der Klägerin gelieferte Anlage könne die geforderte Produktionsleistung nicht erfüllen. Die Erfüllung der geforderten Produktionsleistung sei nur durch Aufrüstung der Anlage zu erreichen. Für die Aufrüstung auf die zu erbringende Leistung sei mit Kosten von etwa 2,6 Mio EUR zu rechen.

[14] In der Tagsatzung vom 21. 12. 2020 schlossen die „R*“ * GmbH und die (hier) Klägerin im Haftpflichtprozess einen Vergleich über den Preisminderungsanspruch sowie den Ersatz der entstandenen Schäden. Dieser Vergleich lautete auszugsweise:

1. Die Beklagte verpflichtet sich, gegenüber der Klägerin zur Zahlung von insgesamt netto EUR 2.500.000,00 zuzüglich USt nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen:

1.1. Die Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin innerhalb von 30 Tagen nach Abschluss dieses Vergleichs einlangend bei der Klägerin den Betrag von netto EUR 835.000,00 zuzüglich 20% USt in Höhe von EUR 167.000,00, sohin insgesamt brutto EUR 1.002.000,00 zur Abgeltung der ursprünglich im Verfahren 3 Cg * des Landesgerichtes * geltend gemachten Preisminderungsansprüche zu bezahlen.

1.2. Die Beklagte verpflichtet sich weiters, der Klägerin innerhalb von 30 Tagen nach Abschluss dieses Vergleichs einlangend bei der Klägerin den Betrag von EUR 1.665.000,00 zur Abgeltung der im Verfahren 9 Cg * geltend gemachten Schadenersatzansprüche zu bezahlen. Klarstellend festgehalten wird, dass dieser Betrag nicht der Umsatzsteuer unterliegt. [...]“

[15] Nach der Deckungsablehnung ging die Klägerin dann insbesondere auch vor dem Vergleichsabschluss nicht mehr auf die Beklagte zu und stimmte den Vergleichstext nicht mit ihr ab.

[16] Die Klägerin überwies der „R*“ * GmbH am 15. 1. 2021 2.240.350,50 EUR.

[17] Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 900.000 EUR sA sowie die Feststellung der Deckungspflicht hinsichtlich noch zu erwartender weiterer Verfahrenskosten. Sie stützt sich insbesondere darauf, dass sie den Versicherungsvertrag über die Deckungserweiterung mit der Beklagten am 31. 3. 2017, spätestens aber 11. 4. 2017 in Unkenntnis der später auftretenden Probleme mit der „R*“ * GmbH abgeschlossen habe. Die Klägerin habe auch keine Obliegenheiten verletzt; die Inanspruchnahme der Klägerin vom 15. 12. 2017 sei am 18. 12. 2017 gemeldet worden. Davor seien ausschließlich von der Versicherungsdeckung ohnehin nicht umfasste Verspätungsschäden geltend gemacht worden. Selbst bei Annahme einer verspäteten Meldung wäre diese nicht grob fahrlässig erfolgt und hätte dies jedenfalls keine Auswirkungen gehabt, weil die Beklagte den Deckungsanspruch ohnehin aus anderen Gründen abgelehnt habe. Im Vergleich seien keine Erfüllungsansprüche, sondern ausschließlich von der Versicherungsdeckung umfasste Mangelfolgeschäden enthalten.

[18] Die Nebenintervenientin schloss sich diesem Vorbringen an.

[19] Die Beklagte wendete unter anderem ein, nach der bis 30. 3. 2017 bestehenden Vertragslage sei der letztlich entscheidende Vorwurf von Planungsfehlern nicht versichert gewesen. Als die Klägerin am 31. 3. 2017 plötzlich den Antrag auf Einschluss dieses Risikos gestellt habe, habe sie die auf sie zukommenden Probleme bereits gekannt, aber nicht mitgeteilt. Der Vertrag über die Deckungserweiterung sei erst mit vollständiger Einigung über alle Vertragspunkte zustandegekommen, daher frühestens mit ihrer Polizze vom 28. 9. 2017, eigentlich erst mit 16. 7. 2018. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits eine Schadensmeldung vorgelegen, was den Versicherungsvertrag unwirksam mache; zum Zeitpunkt des formellen Vertragsabschlusses der Rückwärtsversicherung seien beide Teile bereits in Kenntnis des Versicherungsfalls gewesen, weshalb dafür keine Deckung gegeben sei. Jedenfalls habe die Klägerin vor- und nachvertragliche Obliegenheiten verletzt. Insbesondere habe sie die Schadensmeldung nicht bereits im Sommer oder Herbst 2017 erstattet. Grundlage der Inanspruchnahme der Klägerin seien Planungsfehler der Anlage, die ihr bereits wesentlich vor der Vereinbarung der Deckungserweiterung unterlaufen seien und wofür im früheren Vertrag die Deckung ausgeschlossen gewesen sei. Der Versicherungsfall, den bei reinen Vermögensschäden der Verstoß und nicht der Schadenseintritt oder die Inanspruchnahme bilde, sei daher bereits vor der Geltungsdauer des Vertrags eingetreten. Die geltend gemachten Ansprüche seien von der Deckung ausgeschlossen, weil sie Erfüllungssurrogate darstellen, die nur der Herstellung des mit der Auftraggeberin vereinbarten vertragsgemäßen Zustands gedient hätten. Das sei bei den meisten der von der „R*“ * GmbH erhobenen Ansprüchen der Fall, weil sie lediglich dem Ausgleich der nicht erreichten – aber versprochenen – Kapazitätsleistung gedient hätten. Mit dem Vergleich seien in Wahrheit nur Leistungen verglichen worden, die die Erfüllung ersetzen hätten sollen. Diese Nachrüstkosten habe der Sachverständige in etwa in der als Vergleichsbetrag gewählten Höhe ermittelt. Da die Klägerin im Verfahren einen Vergleich abgeschlossen habe, müsse sie nachweisen, dass die ihr gegenüber geltend gemachten Haftungsansprüche zumindest in diesem Umfang berechtigt gewesen seien und dass sie unter den vereinbarten Versicherungsschutz gefallen wären. Sie habe, obwohl ihr dies zumutbar gewesen wäre, den Vergleich nicht mit der Beklagten abgestimmt, und auch damit eine Obliegenheit verletzt.

[20] Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren zur Gänze und dem Feststellungsbegehren betreffend weitere Verfahrenskosten teilweise statt. Ein Zinsenmehrbegehren sowie einen Teil des Feststellungsbegehrens wies es rechtskräftig ab.

[21] Der Vertrag über die Deckungserweiterung sei zwar noch nicht mit der von der Klägerin als Annahme angesehenen Erklärung vom 31. 3. 2017 zustandegekommen, weil die Beklagte zu dem Zeitpunkt an ihr ein Jahr davor abgegebenes Angebot nicht mehr gebunden gewesen sei. Daher sei das Schreiben als neues Angebot zu werten; dies sei durch die Deckungsbestätigung mit E Mail vom 11. 4. 2017 angenommen worden. Daher gelte ab diesem Zeitpunkt die vereinbarte Deckungserweiterung über 1 Mio EUR; ein Zweckabschluss habe nicht vorgelegen. Von einem Planungsfehler vor dem 11. 4. 2017 könne nicht ausgegangen werden. Damit liege kein als Verstoß zu wertendes Verhalten der Klägerin vor Abschluss der Deckungserweiterung vor. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten auch keine Aufklärungsobliegenheiten bestanden, die die Klägerin verletzt haben könnte. Allenfalls bereits absehbare Verzögerungen seien ohnehin nicht von der Deckung umfasst. Eine Rückwärtsversicherung liege nicht vor. Die Klägerin habe auch ihre Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls gemäß Art 8.1.4. der AHVB nicht verletzt. Im Anwaltsschreiben vom 9. 8. 2017 sei noch gar kein versicherter Haftpflichtschaden geltend gemacht worden. Im Übrigen hätte selbst eine grob fahrlässige Verletzung dieser Obliegenheit (durch Schadensmeldung erst am 19. 12. 2017) weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt; die Klage der „R*“ * GmbH sei schließlich erst am 16. 8. 2019 eingebracht worden. Ein Verstoß gegen Art 8.1.5.3. AHVB durch Abschluss des Vergleichs ohne Abstimmung mit der Beklagten liege nicht vor, weil die Beklagte zuvor bereits die Deckung zu Unrecht abgelehnt habe. Die zum Vergleichsinhalt von der Beklagten beantragten Zeugen seien nicht einzuvernehmen gewesen, weil es der rechtlichen Beurteilung unterliege, ob der Inhalt des Vergleichs vom Versicherungsschutz umfasst sei. Die verglichenen Forderungen würden – ausgehend vom Klagebegehren der „R*“ * GmbH jedenfalls in Höhe des eingeklagten Betrags – keine Erfüllungssurrogate darstellen. Damit habe die Beklagte im Umfang von 1 Mio EUR abzüglich des 10%igen Selbstbehalts 900.000 EUR zu leisten.

[22] Das nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es lägen zwar Stoffsammlungsmängel vor, weil sowohl die zum Inhalt des Vergleichs beantragten Zeugen, als auch die von der Beklagten zum Beweis des bereits 2015 aufgetretenen und für die weiteren Probleme der von der Klägerin gelieferten Anlage ursächlichen Planungsdefizits – das den Verstoß und damit den Versicherungsfall darstelle – vom Erstgericht zu Unrecht nicht einvernommen worden seien. Das Klagebegehren sei allerdings unabhängig davon abzuweisen, weil die Klägerin gegen die Obliegenheit nach Art 8.1.4 AHVB zur umfassenden und unverzüglichen, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu leistenden Information des Versicherers insbesondere über den Versicherungsfall oder die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung durch die erst am 18. 12. 2017 erstattete Schadensmeldung verstoßen habe. Die Anzeigeobliegenheit bestehe bereits dann, wenn dem Versicherungsnehmer klar werde, dass zumindest Schadenersatzverpflichtungen erwachsen können, weil bereits dann der Versicherungsfall vorliege, was sowohl aus dem Anwaltsschreiben bereits ersichtlich gewesen, jedenfalls aber nach den Feststellungen Ende September/Anfang Oktober 2017 der Klägerin klar gewesen sei. Den Kausalitätsgegenbeweis habe die Klägerin nicht ausreichend angetreten. Sie habe zur Begründung ihres Einwands nach dieser Bestimmung nur behauptet, die Beklagte hätte die Deckung ohnehin abgelehnt. Welche Entscheidung der Versicherer über die Deckung letztlich trifft, sei aber nicht Gegenstand des Kausalitätsgegenbeweises, sondern solle der Versicherer durch die Anzeige und Aufklärungsobliegenheiten in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung zu treffen. Die Klägerin habe keinen Beweis dahin angetreten, dass die frühere Meldung der Beklagten keinen Informationszuwachs erbracht hätte. Die Beklagte sei daher bereits deshalb leistungsfrei.

[23] Dagegen wenden sich die außerordentlichen Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin mit Abänderungsanträgen dahin, das Ersturteil wiederherzustellen. Die Klägerin stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

[24] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revisionen der Klägerin und der Nebenintervenientin zurückzuweisen, in eventu ihnen keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[25] Die Revisionen sind zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

[26] 1. Zum Vertragsabschluss über die Deckungserweiterung:

[27] 1.1. Sofern das Versicherungsvertragsrecht – wie hier – keine besonderen Regeln bereit hält, gelten für den Abschluss des Versicherungsvertrags die Prinzipien des bürgerlichen Rechts, also Abschluss , Form , Inhalts und Endigungsfreiheit. Auch der Mechanismus des Zustandekommens des Vertrags folgt grundsätzlich den Regeln des bürgerlichen Rechts: Es bedarf übereinstimmender Willenserklärungen des Versicherers und des Versicherungsnehmers; die Einwilligung in den Vertrag muss gemäß § 869 ABGB frei, ernstlich, bestimmt und verständlich sein ( Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler , VersVG [7. Lfg 2021] § 1a Rz 2).

[28] 1.2. Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, dass die Beklagte nach fast einem Jahr an ihr Angebot vom 6. 4. 2016 im März 2017 nicht mehr gebunden war und daher die „Annahme“ dieses Angebots durch die Klägerin am 31. 3. 2017 als neues Angebot an die Beklagte zu werten ist. Dieses Angebot ging der Maklerin der Klägerin am 11. 4. 2017 um 14:56 Uhr zu; um 15:04 Uhr am selben Tag forderte die Maklerin eine Klarstellung des „Rückruf Ausschlusses“, der nach den Feststellungen der ursprüngliche Anlass für die begehrte Deckungserweiterung – und damit ein entscheidender Vertragspunkt – war. Überdies forderte sie erst mit dieser Nachricht eine neue Polizze an. Damit kann aber von einer Einigung über die wesentlichen Vertragspunkte zu diesem Zeitpunkt keine Rede sein. Dafür spricht auch, dass in der Folge die Beklagte einräumte, dass im von ihr übermittelten Vertragstext – der lediglich ein Textbaustein und keine Polizze war – die von der Klägerin gewünschte Deckung nicht enthalten war und diesbezügliche Änderungen in Aussicht stellte. Eine Deckungserweiterung war daher im Frühjahr 2017 noch nicht vereinbart worden. Erst am 28. 9. 2017 übermittelte die Beklagte einen Vorschlag (Stand 31. 3. 2017) für die gewünschte erweiterte Deckung der Vermögensschäden, auf die die Maklerin wieder umgehend reagierte und aufgrund der Umstellung der Vertragspunkte ihre gewünschte Deckungserweiterung nicht umgesetzt sah. Nach weiterer Korrespondenz, wie die Erweiterung nun zu formulieren sei und Uneinigkeit über die sich daraus ergebende Prämienhöhe erhielt die Klägerin über ihre Maklerin am 16. 7. 2018 eine neue Versicherungspolizze, die sich von der am 28. 9. 2017 übermittelten entscheidend unterschied, weil sie erstmals den Vertragspunkt „ Für das Produkterisiko und den Rückruf aus dem Produkterisiko bedeutet das, etwaige Regressforderungen der Abnehmer sind damit mitversichert, im Speziellen, da es sich nicht um Produkte des VN direkt handelt. Ausgeschlossen bleiben Ansprüche aus der Produktgarantie.“ (vgl Pkt 8.6.1.) enthielt. Der Vertrag über die Deckungserweiterung wurde daher erst zu diesem Zeitpunkt – von dem im Übrigen die Beklagte selbst als spätesten Fall ausgeht – wirksam abgeschlossen.

2. Zum Eintritt des Versicherungsfalls:

[29] 2.1. Für die hier interessierenden reinen Vermögensschäden ist der Versicherungsfall in den EHVB 2007, Abschnitt B 1.2., definiert als ein Verstoß (Handlung oder Unterlassung), der den versicherten Tätigkeiten entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten. Sofern für die Ansprüche der „R*“ * GmbH Planungsfehler aus dem Jahr 2016 ursächlich gewesen sein sollten, die erst im Rahmen der Deckungserweiterung mit Versicherungsbeginn 31. 3. 2017 versichert wurden, läge im Hinblick darauf Vorvertraglichkeit vor. Das Erstgericht hat den Beweisantrag der Beklagten auf Einvernahme zweier Zeugen zu diesem Beweisthema übergangen. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht aufgrund der Mängelrüge der Beklagten zutreffend als Stoffsammlungsmangel angesehen, allerdings aus vom erkennenden Senat nicht geteilten rechtlichen Erwägungen (vgl Pkt 4.) als nicht entscheidungsrelevant erachtet, weshalb bereits deshalb die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.

[30] 2.2. Sollte sich dieser von der Beklagten vorgebrachte Umstand als richtig erweisen und sämtliche geltend gemachten Mangelfolgeschäden auf ein Planungsdefizit vor Geltung der Deckungserweiterung zurückzuführen sein, wäre die Deckungspflicht der Beklagten aus der Deckungserweiterung wegen Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalls nicht gegeben, weil in der bis 31. 3. 2017 in Geltung stehenden Deckungsvariante für bloße Vermögensschäden Schadenersatzverpflichtungen aus planenden Tätigkeiten gemäß Art 8.6.3.3. ausgeschlossen waren.

[31] Sollte sich dagegen ein Versicherungsfall innerhalb der Geltungszeit der Deckungserweiterung ergeben, wäre weiters die Frage der Auswirkung der Rückwärtsversicherung zu prüfen.

3. Zur Rückwärtsversicherung:

[32] 3.1. Die Polizze vom 16. 7. 2018 weist – wie die vorhergehende Version – die Bemerkung „Stand: 31. 3. 2017“ auf. Die Anführung eines vor dem Ausstellungsdatum liegenden Tages im Versicherungsschein als Beginn der Versicherung bedeutet im Zweifel den Abschluss einer Rückwärtsversicherung ( RS0080123 ). In einem solchen Fall sind Versicherungsfälle, die bis zum Vertragsabschluss (Zustellung der Polizze) eintreten, unter der Voraussetzung jeder nachträglichen Zahlung der Erstprämie gedeckt ( RS0080169 ).

[33] 3.2. § 2 Abs 2 VersVG regelt für die Rückwärtsversicherung zwei Fälle der mangelnden Putativgefahr (zu diesem Begriff vgl Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler VersVG [8. Lfg 2021] § 2 Rz 5 mwN ). Weiß der Versicherer beim Abschluss des Vertrags, dass die Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls schon ausgeschlossen ist, hat er keinen Anspruch auf die Prämie. Weiß der Versicherungsnehmer beim Abschluss des Vertrags, dass der Versicherungsfall schon eingetreten ist, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei; der Vertrag bleibt aber in beiden Fällen gültig ( Fenyves aaO Rz 11 f). In § 2 Abs 2 VersVG nicht geregelt ist unter anderem der Fall, dass beide Vertragsteile bereits bei Vertragsschluss vom Versicherungsfall wissen. Wenn Versicherer und Versicherungsnehmer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wissen, dass der Versicherungsfall eingetreten ist, wird von der herrschenden Lehre – bei grundsätzlicher Gültigkeit des Vertrags – eine Kombination der Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 VersVG vertreten: Der Versicherer hat aufgrund § 2 Abs 2 Satz 1 VersVG keinen Prämienanspruch, der Versicherungsnehmer hat aufgrund § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung ( Fenyves aaO Rz 16 mwN).

[34] 3.3. Darauf (bzw auf die eine Rechtsunwirksamkeit des Vertrags vertretende Rechtsmeinung) beruft sich die Beklagte für den Fall, dass von einem Vertragsschluss erst mit 16. 7. 2018 ausgegangen werde, weil damit beide Parteien des Vertrags über die Deckungserweiterung aufgrund der Schadenmeldung vom 18. 12. 2017 bereits vom Eintritt des Versicherungsfalls in Kenntnis gewesen wären. Daraus ist für sie aber aus folgenden Erwägungen hier nichts gewonnen:

[35] 3.4. Aufgrund älterer Lehre und Rechtsprechung zum zwingenden Charakter des § 2 Abs 2 VersVG vertrat der Oberste Gerichtshof noch in den Entscheidungen zu 7 Ob 175/64 und 7 Ob 20/86, dass der Versicherer auch dann gegen Prämienentfall leistungsfrei sei, wenn der Versicherungsfall erst nach Antragstellung durch den Versicherungsnehmer eintritt, dem Versicherer zur Kenntnis gebracht wird und dieser den Antrag dennoch annimmt (vgl dazu die Nachweise bei Fenyves aaO Rz 21). Die Auffassung, die Bestimmung wirke absolut zwingend, wurde mit der Entscheidung 7 Ob 5/89 aufgegeben. Seitdem wird in ständiger Rechtsprechung vertreten, § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG sei dann stillschweigend abbedungen, wenn der Versicherungsfall nach der Übergabe des Antrags an den Vertreter des Versicherers eingetreten sei, der Versicherer davon durch Entgegennahme der Schadenanzeige noch vor der Annahme des Antrags Kenntnis erlangt und den Antrag dennoch angenommen habe (vgl die zu RS0080155 indizierten Entscheidungen).

[36] 3.5. Sollte daher die Schadenmeldung vom 18. 12. 2017 einen Versicherungsfall betroffen haben, der nach Wirksamkeit der Deckungserweiterung am 31. 3. 2017 eingetreten ist, würde auch die Kenntnis beider Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht zur Leistungsfreiheit führen.

Für den Fall eines grundsätzlich zu deckenden Versicherungsfalls wäre weiters zu beachten :

4. Zur Obliegenheitsverletzung nach Art 8.1.4. AHVB:

[37] 4.1. Nach Art 8.1.4 AHVB ist die Versicherungsnehmerin zur umfassenden und unverzüglichen, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis zu leistenden Information des Versicherers insbesondere über den Versicherungsfall oder die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung verpflichtet. In Art 8.1 AHVB wurde Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG für den Fall der Verletzung einer solchen Obliegenheit vereinbart.

[38] 4.2. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen sowie ungerechtfertigten Ansprüchen ( RS0116978 ) und vor betrügerischen Machenschaften zu schützen ( RS0080833 ). Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen ( vgl RS0080833 ; RS0080203 [T1] ).

4.3. Zum Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung:

[39] 4.3.1. Die Klägerin ist hier gemäß Art 8.1.4.1 AHVB zur Anzeige des Versicherungsfalls verpflichtet (vgl auch § 33 Abs 1 VersVG). Die Anzeigeobliegenheit besteht bereits dann, wenn dem Versicherungsnehmer klar werden muss, dass Schadenersatzverpflichtungen aufgrund eines Verstoßes im Sinn von Art 1.2. Abschnitt B der EHVB erwachsen könnten. Für ein Schadensgeschehen, für das infolge eines Risikoausschlusses kein Versicherungsschutz besteht, besteht keine Anzeigepflicht (vgl zu § 30 VVG: Wandt in Langheid / Wandt , MüKo zum VVG 3 Rz 15 mwN).

[40] 4.3.2. Damit ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin davon ausgehen musste, dass sie mit anderen Schadenersatzansprüchen konfrontiert sein werde, als mit Verzögerungsschäden. Nach den bisherigen Feststellungen enthielt das Anwaltsschreiben vom 9. 8. 2017 Ersatzforderungen wegen der entstandenen Verzögerungsschäden, was nach dem bisher Ausgeführten – noch – keine Anzeigepflicht auslösen würde. Die Feststellung, wonach „ab Ende September 2017 bzw Anfang Oktober 2017 die Klägerin mit Schadenersatzforderungen neben der Verzögerung auch aufgrund der behaupteten Mängel rechnete“, lässt letztlich nicht erkennen, ob damit (nicht gedeckte) Mangel oder (gedeckte) Mangelfolgeschäden gemeint sind. Ob die Klägerin ihre Obliegenheit durch die Erstattung der Schadenmeldung erst im Dezember 2017 verletzt hat, hängt daher hier davon ab, zu welchem Zeitpunkt – aufgrund welcher Forderungen der Geschädigten – die Versicherungsnehmerin mit versicherten Schadenersatzverpflichtungen rechnen musste.

4.4. Zur groben Fahrlässigkeit:

[41] 4.4.1. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe ( RS0081313 ).

[42] 4.4.2. Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Kläger dies auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist ( RS0030272 [T17, T31] ). In diesem Sinn ist im Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen ( RS0080371 ).

[43] 4.4.3. Das Berufungsgericht ist ohne nähere Ausführungen dazu – offenbar – von grober Fahrlässigkeit der Klägerin ausgegangen. Das lässt sich allerdings erst beantworten, wenn feststeht, ob und wann die Klägerin mit entsprechenden Forderungen konfrontiert wurde, weil auch zu beurteilen ist, ob – für den Fall, dass die Klägerin vom Vorliegen eines Versicherungsfalls ausgehen hätte müssen – ihr ein solches Verkennen der Situation als grobe Fahrlässigkeit vorwerfbar wäre.

4.5. Zum Kausalitätsgegenbeweis:

[44] 4.5.1. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat ( RS0116979 ). Bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung ist ebenfalls vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313), dass die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat (Kausalitätsgegenbeweis; RS0116979 ). Der Versicherungsnehmer hat den Beweis der fehlenden Kausalität seiner Obliegenheitsverletzung „strikt“ zu führen. An diesen Beweis sind strenge Anforderungen zu stellen. Es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun. Ein wirksamer Gegenbeweis setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Obliegenheitsverletzung zerstört oder eingeschränkt hat (vgl 7 Ob 12/21x mwN) .

[45] 4.5.2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin ausreichendes Vorbringen zum Kausalitätsgegenbeweis erstattet. Sie hat – im Ergebnis – darauf hingewiesen, dass auch eine frühere Schadenmeldung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hätte. Es fehlen allerdings Feststellungen dazu, ob eine frühere Schadenmeldung für die Beurteilung des Versicherungsfalls durch die Beklagte einen Unterschied gemacht hätte: Die Beklagte hat die Ansprüche erstmals am 10. 11. 2018 abgelehnt, wobei sie sich dabei auf den Verstoß in der Planungsphase vor Vertragsbeginn der Deckungserweiterung berufen hat. Dass die frühere Schadenmeldung hier irgendeinen Unterschied für die Sachverhaltsfeststellung machen hätte können, ist – auch vor dem Hintergrund der Klagseinbringung im Haftpflichtprozess erst am 16. 8. 2019 – nicht offensichtlich, aber auch nicht auszuschließen. Das Ersturteil enthält dazu nur Rechtsausführungen, wonach selbst eine fahrlässige Verletzung der Obliegenheit weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hätte.

Sollte sich keine Obliegenheitsverletzung der Klägerin herausstellen, wäre zu beachten :

5. Zum Vergleichsabschluss:

[46] 5.1. Lehnt der Versicherer zu Unrecht den Versicherungsschutz ab, so begeht der Versicherungsnehmer keine Obliegenheitsverletzung, wenn er ohne Mitwirkung des Versicherers die Haftpflichtforderung durch Urteil (auch Versäumungsurteil) feststellen lässt oder durch Vergleich oder Anerkenntnis an der Feststellung mitwirkt ( RS0080453 ). Abgesehen von einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Schadensregulierung zu Lasten des Versicherers (RS0081076) , wofür hier keine Anhaltspunkte vorliegen, wird der Versicherer deshalb nicht leistungsfrei (vgl auch Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler , § 154 VersVG 3 Rz 9).

[47] 5.2. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wen die Beweislast für die erfolgte Befriedigung von versicherten Ansprüchen trifft. Der Versicherungsnehmer, der zu Recht die Regulierungshoheit übernommen hat, wird dadurch nicht von seiner grundsätzlichen Beweispflicht für das Vorliegen von in den Deckungsumfang fallenden Ansprüchen (RS0043438 ) befreit, die durch die vergleichsweise Regulierung befriedigt wurden.

6. Erfüllungssurrogate:

[48] 6.1. Das Leistungsversprechen der Beklagten umfasst nicht Ansprüche auf Gewährleistung für Mängel (Art 7.1.1 AHVB) sowie Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Art 7.1.3 AHVB). Der Ausschluss dieser Haftung entspricht ganz allgemein dem Grundsatz der Haftpflichtversicherung, das Unternehmerrisiko nicht auf den Versicherer zu übertragen ( RS0081518 [T4, T7, T8] , RS0081898 [T1] ). Aus Art 7.1.3 AHVB geht klar hervor, dass unter die Versicherung weder die Erfüllung noch Erfüllungssurrogate fallen ( 7 Ob 190/16s ). Als Erfüllungssurrogat werden dabei diejenigen Schadenersatzansprüche bezeichnet, durch die ein unmittelbares Interesse am eigentlichen Leistungsgegenstand eines abgeschlossenen Vertrags geltend gemacht wird. Ausgeschlossen sind diejenigen Schadenersatzansprüche, die den Gläubiger in den Genuss der ordnungsgemäßen Leistung bringen sollen. Gedeckt sind hingegen Schäden aus mangelhafter Vertragserfüllung (Mangelfolgeschäden, Begleitschäden), die jenseits des Erfüllungsinteresses des Gläubigers liegen.

[49] 6.2. Die Beklagte wendete von Beginn an ein, dass die Klägerin Erfüllungssurrogate verglichen habe. Zwar ist dem Erstgericht darin zuzustimmen, dass vom ursprünglichen Klagebegehren der „R*“ * GmbH – abgesehen von nicht versicherten Verzögerungsschäden – klassische Mangelfolgeschäden umfasst sind, die auch nach der eigenständigen versicherungsrechtlichen Rechtsfigur (vgl 7 Ob 143/14a , 7 Ob 31/16h je mwN) nicht als Erfüllungsurrogate anzusehen sind und damit im Bereich der reinen Vermögensschadendeckung grundsätzlich versichert sind. Die vom Erstgericht vorgenommene – rein fiktionale – anteilige Berücksichtigung der jeweiligen Forderungspositionen im Vergleichsbetrag greift aber zu kurz. Die „R*“ * GmbH hatte auch ein Feststellungsbegehren erhoben, dessen Umfang sich im Hinblick auf die oben beschriebene Abgrenzung nicht einordnen lässt und mit dem Vergleichsbetrag ebenso berücksichtigt hätte werden können, wie die Herstellungskosten einer richtig dimensionierten – und damit mangelfreien – Anlage, die im Sachverständigengutachten beziffert wurden. Ob sämtliche Forderungspositionen anteilig befriedigt hätten werden sollen, ist daher nicht ersichtlich.

[50] Die Beklagte hat Zeugen zum Vergleichsabschluss und dessen Inhalt beantragt, die vom Erstgericht nicht einvernommen wurden. Auch diesen Umstand hat das Berufungsgericht aufgrund der Mängelrüge der Beklagten zutreffend als Stoffsammlungsmangel angesehen, allerdings aus vom erkennenden Senat nicht geteilten rechtlichen Erwägungen (vgl Pkt 4.) als nicht entscheidungsrelevant erachtet, weshalb – sollte dies relevant werden – auch insofern eine sofortige Befassung des Erstgerichts möglich wurde.

7. Zusammenfassend ist festzuhalten:

[51] 7.1. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die beantragten Beweise zum Vorliegen eines vorvertraglichen Planungsfehlers aufzunehmen und dazu Feststellungen zu treffen haben und – sofern es eine grundsätzliche Deckungspflicht bejaht – im Sinne der weiteren Vorgaben dieser Entscheidung vorzugehen haben.

[52] 7.2. Mit den Parteien wird im fortgesetzten Verfahren auch zu erörtern sein, inwieweit die Klägerin weiterhin ein Feststellungsinteresse aufgrund der im Vergleich vom 21. 12. 2020 noch offen gebliebenen Verfahrenskosten hat.

[53] 8. Den Revisionen war daher im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben.

[54] 9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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