JudikaturJustiz7Ob162/02b

7Ob162/02b – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. September 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard F***** GmbH, ***** vertreten durch Ploil, Krepp Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei D***** Rechtsschutz-Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Wolfram Themmer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 2.683,17 samt Anhang und Feststellung (Streitwert EUR 7.267; Gesamtstreitwert: EUR 9.950,45), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 22. März 2002, GZ 5 R 219/01i-15, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 6. September 2001, GZ 22 Cg 201/00b-12, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin enthalten EUR 110,94 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloss mit der Beklagten einen Rechsschutzversicherungsvertrag, von dem unter anderem Arbeitsrechtsschutz, Firmenrechtsschutz, Rechtsschutz im Privat-, Beruf- und Betriebsbereich umfasst war. Es lagen die ARB 1994 (in der Folge: ARB) zu Grunde.

Art 13 ARB lautet:

"Was gilt bei Vergrößerung oder Verminderung des versicherten

Risikos?

1. Die Versicherung erstreckt sich auch auf Erhöhungen und Erweiterungen des versicherten Risikos. Der Versicherungsnehmer ist jedoch verpflichtet, einen nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretenen, für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstand dem Versicherer längstens innerhalb eines Monats anzuzeigen.

2. Tritt nach Vertragsabschluss ein für die Übernahme der Gefahr erheblicher Umstand ein, der nach dem Tarif eine höhere als die vereinbarte Prämie rechtfertigt, kann der Versicherer die erhöhte Prämie vom Eintritt dieses Umstandes an verlangen.

Unrichtige oder unterbliebene Angaben zum Nachteil des Versicherers berechtigen diesen, die Leistungen nur insoweit zu erbringen, als es dem Verhältnis der vereinbarten Prämie zu der Prämie entspricht, die bei richtigen und vollständigen Angaben hätte gezahlt werden müssen. Diese Kürzung der Leistungen tritt nicht ein, wenn der Versicherungsnehmer beweist, dass die Unrichtigkeit oder das Unterbleiben der Angaben nicht auf seinem Verschulden beruht.

3. Wird die höhere Gefahr nach den für den Geschäftsbetrieb des Versicherers maßgebenden Grundsätzen auch gegen eine höhere Prämie nicht übernommen, kann der Versicherer innerhalb eines Monats von dem Zeitpunkt an, in welchem er von dem für die höhere Gefahr erheblichen Umstand Kenntnis erlangt hat, den Versicherungsvertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat kündigen. Bei unrichtigen oder unterbliebenen Angaben zum Nachteil des Versicherers ist dieser von der Verpflichtung zur Leistung frei, außer der Versicherungsnehmer beweist, dass die Unrichtigkeit oder das Unterbleiben der Angaben nicht auf seinem Verschulden beruht."

Sämtliche Versicherungsverträge wurden über einen Versicherungsmakler abgeschlossen, der als Vertreter der Klägerin auftrat. Es ist gängige Praxis bei der Beklagten, auf der Rückseite des verwendeten Versicherungsformulars auf die Meldepflicht bei einer Änderung der Beschäftigtenanzahl hinzuweisen. Auf eigene Initiative nahm sie während der gesamten Dauer des Versicherungsverhältnisses keine Nachfragen vor. Die Beklagte erfuhr im Jahr 1999 erstmals davon, dass sich der Mitarbeiterstand bei der Klägerin von 50 im Jahr 1993 erhöht hatte (nach dem Vorbringen der Klägerin zwischen 100 und 200 Personen). Der Mitarbeiterstand richtet sich jeweils nach der aktuellen Auftragslage. Die Beklagte erklärte nun, auf Grund der gegenüber dem Vertragsabschlusszeitpunkt wesentlich erhöhten Beschäftigtenanzahl nur 37 % der Versicherungsleistung erbringen zu wollen. Die Klägerin kündigte das Rechtsschutzverhältnis zum 1. 8. 2000 auf. Daraufhin forderte die Beklagte einen Betrag von S 25.878 an Prämienerhöhung, der von der Klägerin auch einbezahlt wurde. Die Klägerin begehrt nun die Bezahlung von EUR 2.683,17 s.A. und die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, ihr sämtliche von ihr auf Grund von Entscheidungen in den Verfahren 7 Cga 48/99t des Landesgerichtes Krems sowie 5 Cg 75/99d und 30 Cga 184/00x des Landesgerichtes St. Pölten zu bezahlenden Gerichtsgebühren und Vertretungskosten sowie die mit ihrer Vertretung verbundenen Kosten abzüglich des vereinbarten 20 %-igen Selbstbehaltes nach Maßgabe des zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestandenen Rechtsschutzversicherungsvertrages zu ersetzen. Die Anzahl der beschäftigten Reinigungskräfte hätte ständig zwischen 100 und 200 geschwankt. Dem Geschäftsführer der Klägerin sei die Relevanz dieses Umstandes nicht bewusst gewesen, weshalb er keine Meldung vorgenommen habe. Es liege ihm im Sinne des Art 13 Abs 2 ARB kein Verschulden zur Last. Die Beklagte habe nach Kündigung des Versicherungsvertrages für den Zeitraum 1. 1. 1999 bis 1. 8. 2000 eine der Beschäftigungsanzahl entsprechende zusätzliche Prämie verrechnet, die die Klägerin unter Vorbehalt bezahlt habe, um ein rückwirkendes Erlöschen des Versicherungsschutzes zu verhindern. Das Recht des Versicherers, Schadensfälle nur in dem der bezahlten Prämie entsprechenden Ausmaß zu decken, bestehe nur alternativ (und nicht kumulativ) zum Recht, ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Gefahrenerhöhung eine erhöhte Prämie zu begehren und den Vertrag unter Übernahme der (höheren) Gefahr mit der geänderten Prämie fortzuführen. Die Beklagte sei verpflichtet, die ab dem 1. 1. 1999 gemeldeten Schadensfälle zu 100 % zu decken. Da die Beklagte auf dem Standpunkt stehe, die Schadensfälle nur zu 37 % decken zu müssen, habe die Klägerin ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, dass sie im Falle des Unterliegens in den anhängigen Verfahren Prozesskosten von etwa S 300.000 zu bezahlen hätte.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens im Wesentlichen mit der Begründung, dass bei jeder Rechtsschutzversicherung die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Personen erörtert und darauf hingewiesen werde, dass dies für die Prämienkalkulation maßgeblich sei. Im Übrigen hätte auch dem Geschäftsführer der Klägerin bewusst sein müssen, dass gerade wegen der Vielzahl der in der Reinigungsbranche und der dort gegebenen hohe Fluktuation geführten Arbeitsgerichtsprozesse die Anzahl beschäftigter Personen ausschlaggebend für die Prämienberechnung sei. Dem Versicherer stehe nach Art 13 ARB der Anspruch, erhöhte Prämien nachträglich geltend zu machen und den Unterversicherungs-Einwand zu erheben, kumulativ zu. Es stehe nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, nachträglich die durch Unterlassung der Mitteilung der Gefahrenerhöhung gestörte Äquivalenz wiederherzustellen und die Versicherungsleistung in voller Höhe in Anspruch zu nehmen und sich solchermaßen in ein bereits verwirklichtes Risiko "hineinversichern" zu lassen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass von einer vorsätzlichen Täuschung über den Personalstand schon deshalb nicht auszugehen sei, weil bei der Meldung der einzelnen Schadensfälle keine falschen Angaben gemacht worden seien. Die Klägerin treffe bezüglich der Verletzung der Obliegenheit zur Meldung des Personalstands nur ein geringes Verschulden. Werde der entsprechende Erhöhungsbetrag der Prämie nachgefordert und geleistet, sei für den umfassten Zeitraum die Äquivalenz wieder hergestellt, weshalb der Versicherer vertragsgemäß zu leisten habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung ab. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass auf der Rückseite des verwendeten Versicherungsformulars auf die Meldepflicht des Versicherungsnehmers bei Änderung der Beschäftigtenanzahl hingewiesen worden sei. Unabhängig davon hätte der Geschäftsführer der Klägerin aber auch wissen müssen, dass die Steigerung der Zahl beschäftigter Personen von ursprünglich 50 auf zuletzt bis zu 200 einen ebenso für die Verwirklichung der Gefahr wie auch einen für die Prämienberechnung relevanten Umstand darstelle. Von einer unverschuldeten Verletzung der Anzeigeverpflichtung nach Art 13 Abs 1 ARB könne keine Rede sein. Der Versicherer sei nach Art 13 Abs 2 ARB ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis vom gefahrenerhöhenden Umstand erlangt habe, berechtigt, die höhere Prämie vom Eintritt dieses Umstandes an zu verlangen. Es widerspreche jedoch dem Versicherungsgedanken, wollte man diese Verpflichtung des Versicherers auch auf bereits vor erfolgter Prämiennachzahlung bekannte - und somit keineswegs ungewisse - rechtliche Auseinandersetzungen beziehen. Es bestehe der Grundsatz, dass rechtliche Auseinandersetzungen, mit denen bereits konkret gerechnet werden müsste, grundsätzlich nicht von der Versicherungspflicht des Versicherers umfasst sein solle. Unterbleibe also die vorgesehene Anzeige des Versicherungsnehmers, könne das nachträgliche Verlangen und die darauf folgende Zahlung der erhöhten Prämie jedenfalls keine entsprechende Deckungsverpflichtung des Versicherers für jene Risken auslösen, die in diesem Zeitpunkt bereits verwirklicht und bekannt gewesen seien bzw sich entsprechend abzuzeichnen begonnen hätten. Die gegenteilige Auffassung käme einem "Hineinversichern" in ein bereits verwirklichtes Risiko gleich. Die Klägerin habe auch gar nicht vorgebracht, dass die Schadensfälle im Sinne des Art 2 ARB (wonach es auf den Zeitpunkt des Verstoßes gegen Rechtspflichten oder Vorschriften ankomme) in einer Versicherungsperiode angefallen seien, für die die volle (erhöhte) Prämie (nach-)bezahlt worden sei. Die Deckungspflicht der Beklagten im Ausmaß von 37 % sei nie strittig gewesen. Das Leistungsbegehren und das Feststellungsbegehren bestehe daher nicht zu Recht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Streitgegenstand EUR 4.000, nicht aber EUR 20.000 übersteige, und dass die ordentliche Revision zulässig sei, da es hier um grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Auslegungsfragen des Art 13 ARB gehe. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt. Die Revisionswerberin übersieht, dass nach Art 13 ARB der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, einen nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretenen, für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstand dem Versicherer längstens innerhalb eines Monats anzuzeigen. Diese Obliegenheit (vgl Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, S 458) besteht unabhängig davon, ob dann letztendlich der angezeigte Umstand zu einer Tariferhöhung führt oder nicht. Ob eine Gefahrerhöhung vorliegt, muss vom Standpunkt sachgemäßer vernünftiger Versicherungstechnik beurteilt werden; es kommt darauf an, ob die Veränderung allgemein nach den den Betrieb des betreffenden Versicherungszweiges beherrschenden Anschauungen dem Versicherer vernünftigerweise hätten Anlass bieten können, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (Prölss/Martin, VVG26, § 23 Rn 14 mwN, vgl auch Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 9, Rz 2). Die Steigerung der Beschäftigtenanzahl gehört dazu (Harbauer, aaO, Rn 3). Es liegt auf der Hand, dass die Anzahl der Arbeitnehmer für die übernommene Gefahr und die Prämienberechnung ausschlaggebend ist, korreliert doch die Anzahl der potentiellen Rechtsstreitigkeiten zweifellos mit der Zahl der Mitarbeiter. Dies ist so offensichtlich, dass hier kein Zweifel über das Bestehen der Anzeigeobliegenheit bestehen kann. Der Geschäftsführer der Klägerin gab sonst keinen Grund an, warum er die Obliegenheit nicht erfüllte. Es kann keine Rede davon sein, dass ihn am Unterbleiben der Anzeige kein Verschulden trifft, zumal für Anzeigeobliegenheitsverletzungen vor dem Versicherungsfall leichte Fahrlässigkeit genügt (RIS-Justiz RS0080572).

Die Bestimmung des Art 13 ARB regelt in seinem Abs 1 die Anzeigeobliegenheit, in seinem Abs 2 den Fall, dass der Versicherer eine erhöhte Prämie vom Eintritt des anzuzeigenden Umstandes an verlangt und der Versicherungsvertrag aufrecht bleibt, in seinem Abs 3 den Fall, dass der Versicherer die höhere Gefahr auch gegen eine höhere Prämie nicht übernimmt und innerhalb eines Monats den Versicherungsvertrag kündigt. Bleibt der Versicherungsvertrag nach Art 13 Abs 2 ARB aufrecht, so kann der Versicherer die erhöhte Prämie vom Eintritt des Gefahrenerhöhungsumstandes an verlangen, ist jedoch nur verpflichtet, seine Leistung insoweit zu erbringen, als es dem Verhältnis der vereinbarten Prämie zu der Prämie entspricht, die bei richtigen und vollständigen Angaben schon hätte gezahlt werden müssen (zur Berechnung siehe 7 Ob 50/02g). Kündigt der Versicherer nach Art 13 Abs 3 ARB wegen der Gefahrenerhöhung den Versicherungsvertrag, so wird er bei Unterbleiben der Anzeige zum Nachteil des Versicherers von der Leistung frei, außer der Versicherungsnehmer beweist, dass die Unrichtigkeit oder das Unterbleiben der Angaben nicht auf seinem Verschulden beruht (vgl auch Schauer, aaO).

Bleibt der Versicherungsvertrag nach Art 13 Abs 2 ARB aufrecht, so trägt der Versicherer vom Erhöhungszeitpunkt an automatisch die erhöhte Gefahr und kann daher entsprechend die höhere Prämie verlangen (vgl Harbauer aaO Rn 10). Die Folge der Verletzung der Anzeigeobliegenheit gefahrenerhöhender Umstände bewirkt aber, dass der Versicherer nur mehr verhältnismäßig zur Leistung für nach Gefahrenerhöhung bis zur Anzeige eingetretene Versicherungsfälle verpflichtet ist. Dies liegt darin begründet, dass der Versicherungsnehmer es nicht in der Hand haben soll, die Bekanntgabe gefahrenerhöhender Umstände erst dann vorzunehmen und eine erhöhte Prämie (nach) zu zahlen, nur weil bereits ein Versicherungsfall eingetreten ist. Es kann dazu auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Der Grundsatz, dass die verspätete Prämienzahlung die einmal eingetretene Leistungsfreiheit des Versicherers nicht mehr rückwirkend behebt, findet sich auch vergleichbar für den Prämienverzug (§ 39 VersVG: RIS-Justiz RS0080654; Schauer, aaO, S 227; Prölss/Martin, aaO, § 39, Rn 24). Die Beklagte war daher berechtigt, nach Kenntnis der Umstände, die eine Gefahrenerhöhung bewirkten, die Prämienerhöhung zu verlangen, obwohl sie für diesen Zeitraum nur zur anteilsmäßigen Deckung verpflichtet war. Dies sind die in Art 13 Abs 2 ARB geregelten Folgen der Obliegenheitsverletzung.

Die Revision war daher nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Rechtssätze
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