JudikaturJustiz6R30/20h

6R30/20h – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
04. November 2020

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz) sowie die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Mag a .Fabsits als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch die Schmid Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Hohenberg Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16.September 2020, 22 Cg 53/20y-3, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen .

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.175,00 (darin EUR 362,50 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 5.000,00, nicht aber EUR 30.000,00.

Ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist nicht nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig .

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Klägerin begehrt mit ihrer beim Erstgericht am 8.September 2020 eingelangten Klage von der Beklagten als Pächterin ihrer Nachbarliegenschaft die Unterlassung von Lärmstörungen, Geruchsbelästigungen sowie Beeinträchtigungen durch Insekten und Nagetiere mit der Begründung, diese würden das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß und die ortsübliche Nutzung überschreiten. Die Beklagte verfüge an der Grundstücksgrenze der Klägerin über einen 550 m² großen Müllplatz ohne Baubewilligung bzw ohne gewerberechtliche Bewilligung. Aufgrund dieses Müllplatzes würden Lärm-, Geruchsbelästigungen sowie Belästigungen durch ekelerregende Insekten wie Fleischfliegen, Ratten und Mäuse für die Klägerin auftreten. Die Klägerin bewertet das vom gleichen Müllplatz aufgrund der Folgeerscheinungen der dort gelagerten Abfälle ausgehende Unterlassungsbegehren getrennt für die Lärmstörung, Geruchsbelästigung sowie Insekten- und Nagetieraufkommen mit jeweils EUR 8.000,00, somit insgesamt mit EUR 24.000,00.

Die Klage wurde an die Beklagte am 15.September 2020 zugestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluss spricht das Erstgericht aus, dass der Streitwert des Verfahrens EUR 15.000,00 nicht übersteige (1.), das angerufene Landesgericht deshalb sachlich unzuständig sei (2.) und die Rechtssache an das örtlich nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Graz-Ost abgetreten werde (3.).

Gemäß § 60 JN könne das Gericht im Falle einer bei einem Gerichtshof erster Instanz eingebrachten Klage, wenn die vom Kläger vorgenommene Bewertung übermäßig hoch gegriffen erscheine und wenn bei richtiger Bewertung des Streitgegenstands dieser die Zuständigkeit des Gerichtshofs aufgrund der maßgebenden Wertgrenze nicht erreichen dürfte, aussprechen, dass der Streitwert EUR 15.000,00 nicht überschreite und daraus folgend das Verfahren an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht abtreten.

Da die Bewertung eines auf nur ein Ereignis, nämlich das Müllablagern auf einem Müllplatz mit allfällig aus dieser Ablagerung resultierenden unterschiedlichen Folgen abzielende Klagebegehren mit dreimal EUR 8.000,00 als übermäßig hoch gegriffen erscheine und es bei richtigerer Bewertung des Streitgegenstandes die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofes aufgrund der Wertgrenze nicht erreicht hätte, sei nach Streitanhängigkeit des Verfahrens spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Verwiesen werde auf die Unanfechtbarkeit dieses Ausspruchs im Hinblick auf die Abtretung der Rechtssache an ein Bezirksgericht am Sitz des Gerichtshofs.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, hilfsweise dessen Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht.

Die Beklagte , die eine Rekursbeantwortung erstattet, beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Der Rekurs erweist sich als unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Als mangelhaft rügt die Klägerin den Umstand, dass das Erstgericht keine amtlichen Erhebungen, etwa durch Beiziehung eines Sachverständigen, zur Überprüfung des Streitwerts vorgenommen habe, wozu es verpflichtet gewesen wäre. Der von ihm gefasste Abtretungsbeschluss grenze an Willkür, zumal der Klägerin der gesetzliche Richter genommen werde. § 60 JN sei ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen angewendet worden, in welchem Fall der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN nicht zur Anwendung komme. Bei tatsächlicher Durchführung von Erhebungen hätte sich sogar eine zu niedrige Bewertung durch die Klägerin und die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts herausgestellt.

Im Rahmen der Rechtsrüge führt die Klägerin noch aus, sie habe in ihrer Klage ausführlich die Beeinträchtigungen durch den benachbarten Müllplatz dargestellt und den Streitwert bewusst niedrig festgesetzt. Es sei mehr als wahrscheinlich, dass die Wertminderung ihrer Liegenschaft durch die Belästigungen den Betrag von EUR 24.000,00 um ein Vielfaches übersteige. Die „seichte“ Begründung des Erstgerichts für den von ihm festgesetzten Wert sei nicht nachvollziehbar. Der Beschluss erweise sich damit sowohl als anfechtbar als auch als rechtlich verfehlt.

Das Rekursgericht vermag sich diesen Ausführungen nicht anzuschließen.

Wegen des engen Zusammenhangs können die Anfechtungsgründe gemeinsam behandelt werden.

§ 60 Abs 1 JN lautet:

„Erscheint bei einer Klage, welche bei einem Gerichtshofe erster Instanz eingebracht wurde, die vom Kläger angegebene Summe, zu deren Annahme an Stelle der angesprochenen Sache er sich erboten hat (§ 56 Abs 1), oder die im Sinne des § 56 Abs 2 erfolgte Bewertung des Streitgegenstandes übermäßig hoch gegriffen, so kann das Gericht, wenn es zugleich wahrscheinlich ist, dass bei richtigerer Bewertung des Streitgegenstandes dieser die für die Zuständigkeit des Gerichtshofes oder für die Besetzung des Gerichtes (§ 7a) maßgebende Wertgrenze nicht erreichen dürfte, von Amts wegen die ihm zur Prüfung der Richtigkeit der Wertangabe nötig erscheinenden Erhebungen und insbesondere die Einvernehmung der Parteien, die Vornahme eines Augenscheines und, wenn es ohne erheblichen Kostenaufwand und ohne besondere Verzögerung geschehen kann, auch die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Dies kann erforderlichenfalls auch schon vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung geschehen.“

Die amtswegige Überprüfung des Wertes des Streitgegenstands kann durch amtliche Erhebungen erfolgen, wobei die genannte Bestimmung eine nicht taxative Aufzählung der in Betracht kommenden Bescheinigungsmittel enthält. Das Gericht kann vielmehr jedes ihm als geeignet erscheinende Mittel zur Wertermittlung benützen; auch eigenes Wissen des Senats oder des Einzelrichters (Gerichtsnotorietät) ist verwertbar. Wesentlich ist aber, dass das Gericht immer im Auge behält, dass das Überprüfungsverfahren möglichst kostensparend und schnell durchzuführen ist und dass schon aus prozessökonomischen Gründen ein umfangreiches Streitwertprüfungsverfahren gegen die dienende Zwecksetzung der Zuständigkeitsordnung verstoßen müsste. Es erscheint daher auch zulässig, bei Überprüfung der vom Kläger vorgenommenen Bewertung im Rahmen des § 60 Abs 1 JN Fallgruppen zu bilden und eine allenfalls vorhandene ständige Praxis zu berücksichtigen, weil dadurch Verfahrensaufwand vermieden wird ( Gitschthaler in Fasching/Konecny³ § 60 JN [Stand 30.11.2013, rdb.at], Rz 13f zu § 60 JN mwN).

Die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung, dass die genannte Vorschrift die Durchführung von Erhebungen zwingend anordnen würde, ist vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Wie dargestellt, handelt es sich dabei um eine Kann-Vorschrift, die eine ausdrückliche Verpflichtung des Erstgerichts zur Durchführung von Erhebungen (in welcher Weise auch immer) nicht anordnet. Auch Mayr (in Rechberger, ZPO 4 , Rz 3 zu § 60 JN) verweist unter Bezugnahme auf RZ 1965,46 auf allenfalls erforderliche, möglichst zeit- und kostensparende Erhebungen. Für den Standpunkt der Klägerin könnte der Wortlaut des Abs 3 dieser Bestimmung sprechen, wonach die Abtretungspflicht der Streitsache vom Gerichtshof an das Bezirksgericht vom Ergebnis solcher Erhebungen und Beweisführungen abhängt. Dieser Absatz regelt jedoch einerseits nur die Kostentragungspflicht des Klägers für Erhebungsschritte des Erstgerichts, andererseits führt die Unterlassung von Erhebungen - wie gleich zu zeigen sein wird - entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht zur Anfechtbarkeit der erstgerichtlichen Entscheidung.

Zweck des § 60 JN ist es, eine Erschleichung der Zuständigkeit des Gerichtshofs erster Instanz bzw einer Senatsbesetzung zu verhindern (RIS-Justiz RS0046518; EFSlg 97.918; Gitschthaler aaO Rz 10 mwN aus der Rechtsprechung). Gemäß § 45 JN sind nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar, solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat. Erklärtes Ziel der Neufassung dieser Bestimmung mit der ZVN BGBl 1983/135 war es, Zuständigkeitsstreitigkeiten weiter zurückzudrängen. Der Gesetzgeber ist hiebei vor allem von der Überlegung ausgegangen, Zuständigkeitsstreitigkeiten über die sachliche Zuständigkeit so weit wie möglich zu verhindern und Anfechtungsmöglichkeiten einzuschränken. § 60 JN ermöglicht dem Gerichtshof erster Instanz durch eine amtswegige Richtigstellung des Streitwerts, seine sachliche Unzuständigkeit wahrzunehmen bzw durch Ablehnung der begehrten Streitwertherabsetzung auf seiner sachlichen Zuständigkeit zu beharren. Die Entscheidung über die Herabsetzung des Streitwerts und die Abtretung der Rechtssache an das Bezirksgericht stellt daher einen Bestandteil der Entscheidung über die sachliche Unzuständigkeit dar und ist demnach grundsätzlich den Anfechtungsbeschränkungen des § 45 JN unterworfen (5 Ob 292/02f; 2 Ob 169/02w ua). Gemäß § 45 JN sind die nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffenen Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, dann unanfechtbar, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz in derselben Gemeinde hat. Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts sollen demnach nur angefochten werden können, wenn sie die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts verneinen, und überdies nur dann, wenn durch die Änderung der sachlichen Zuständigkeit das Verfahren an einem anderen Ort ablaufen müsste. Tritt also der Gerichtshof erster Instanz - wie hier - die bei ihm anhängig gemachte Rechtssache nach Herabsetzung des Wertes des Streitgegenstandes an das/ein Bezirksgericht, das seinen Sitz in derselben Gemeinde hat, ab, so ist dieser Beschluss zur Gänze unanfechtbar (RIS-Justiz RS0046336, RS0046295; 1 Ob 27/09s). Dieser Rechtsmittelausschluss begegnet auch keinen rechtsstaatlichen Bedenken, zumal der Kläger seinen Rechtsschutzanspruch durch eine Streitwertherabsetzung nicht (wie bei einer Zurückweisung der Klage) verliert, sondern diesen lediglich vor einem anderen Gericht oder sogar vor demselben Gericht, nur in anderer Besetzung, zu vertreten hat. Der Gesetzgeber hat eben das Interesse der Partei daran, welches von mehreren staatlichen Gerichten - an einem Ort - zu entscheiden hat, gering bewertet (3 Ob 266/02t; 1 Ob 136/97z mwN; Gitschthaler aaO Rz 14). Die Garantien des Art 6 EMRK gelten auch nicht für rein verfahrenstechnische Angelegenheiten, die keinen Einfluss auf die Rechtsdurchsetzung und die Sache selbst haben (LG für ZRS Wien zu 36 R 56/10t).

Für die Anwendung des § 45 JN macht es nach ständiger höchstgerichtlicher Judikatur auch keinen Unterschied, mit welcher Begründung sie erfolgt. Der Gesetzgeber ging - wie bereits ausgeführt - davon aus, dass die Frage, welche Art von Gericht zu entscheiden hat, für eine Partei meist von geringerer Bedeutung ist. Ein Rechtsmittel ist daher selbst dann ausgeschlossen, wenn eine Nichtigkeit oder die Verletzung zwingenden Rechts ins Treffen geführt werden sollte (vgl jüngst 5 Ob 90/20a mzwN; RIS-Justiz RS0103687; 3 Ob 266/02t uva).

Diesen Grundsätzen folgend würde selbst dann, wenn § 60 JN eine Verpflichtung zur Durchführung von Erhebungen enthalten sollte, dies an der fehlenden Anfechtungsmöglichkeit nichts ändern. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof die Anfechtungsbeschränkung verneint hat, wenn sowohl der Wortlaut als auch der Zweck des § 60 Abs 1 JN einer Streitwertüberprüfung durch das Gericht entgegenstehen, wenn also etwa eine Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt ist und einer gesetzlichen Bestimmung derart widerspricht, dass der Zweck des dort verfügten Rechtsmittelausschlusses nicht erfüllt wird. Unter Zugrundlegung dieses Gedankens ist auch § 45 JN auf namentlich nach § 60 JN ergangene Entscheidungen dann nicht anzuwenden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Gesetzesstelle nicht gegeben waren. § 45 JN bezweckt nicht, ohne gesetzliche Grundlage ergangene Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit unanfechtbar zu machen. Diese vom Rechtsmittel für den Standpunkt der Klägerin ins Treffen geführte Rechtsansicht betraf jedoch einen Fall, wo ein Gerichtshof erster Instanz trotz Eigenzuständigkeit (§ 51 Abs 2 Z 10 JN) unter Bezugnahme auf § 60 JN eine Abtretung an ein Bezirksgericht aussprach (vgl 2 Ob 169/02w).

Dies ist jedoch mit dem Fall der Klägerin in keiner Weise vergleichbar.

Auch wenn es darauf nicht ankommt, sei der Vollständigkeit halber darauf verwiesen, dass auch der von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte, zu 5 Ob 241/09s entschiedene Sachverhalt mit dem nun vorliegenden nicht vergleichbar ist. Dieser betraf eine Klage mit dem Begehren auf Herstellung und Betrieb eines griechischen Spezialitätenlokals (oder sonstigen Gastgewerbebetriebs) wie auch die Entfernung umfangreicher widmungswidrig vorgenommener Einbauten. Die von den Klägern mit EUR 25.000,00 vorgenommene Bewertung blieb im Übrigen unbestritten und führte auch nicht zu einer amtswegigen Streitwertherabsetzung.

Im Lichte dieser Ausführungen erweist sich das Rechtsmittel der Klägerin als unzulässig und ist aus diesem Grunde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Das Rekursverfahren ist trotz amtswegiger Überprüfung des Streitwerts und Abtretung an ein anderes Gericht zweiseitig, da seit der ZVN 2009 jeder nach Streitanhängigkeit erhobene Rekurs als zweiseitig anzusehen ist (RIS-Justiz RS0125481). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Klägerin hingewiesen.

Ein Beschluss des Rekursgerichts, mit dem ein an dieses gerichteter Rekurs zurückgewiesen wird, ist nur wegen einer erheblichen Rechtsfrage und nur dann anfechtbar, wenn der Entscheidungsgegenstand zwar EUR 5.000,00, nicht aber insgesamt EUR 30.000,00 übersteigt. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO liegt nicht vor.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6

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