JudikaturJustiz6R254/08g

6R254/08g – LG Ried/Innkreis Entscheidung

Entscheidung
23. September 2008

Kopf

REPUBLIK ÖSTERREICH

Landesgericht Ried i.I.

6 R 254/08g

Spruch

Das Landesgericht Ried im Innkreis hat als Rekursgericht durch Dr. Johannes Payrhuber als Vorsitzenden sowie Dr. Ernst Knoglinger und Dr. Walter Koller in der Exekutionssache der führenden betreibenden Partei O*****, vertreten durch Dr. Heinrich Oppitz, Rechtsanwalt KEG, Karl-Loy-Straße 17, 4600 Wels, und einer weiteren betreibenden Partei wider die verpflichtete Partei P***** M*****, wegen € 1.737,04 s. A. und einer weiteren betriebenen Forderung von €

84.643,54 s. A., infolge Rekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 12. Juni 2008, 2 E 2502/06i-65, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss:

gefasst:

Text

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben und der angefochtene Beschluss im Umfang seiner Zurückweisungsentscheidung ersatzlos aufgehoben.

Der Rekurswerber hat seine Rekurskosten selbst zu tragen. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit

§ 78 EO nicht zulässig.

BEGRÜNDUNG:

Nach Zwangsversteigerung einer dem Verpflichteten allein gehörigen Liegenschaft und deren Zuschlag an den Ersteher H***** um das Meistbot von € 90.000,-- am 10.10.2007 erließ das Erstgericht am 08.04.2008 aufgrund von Forderungsanmeldungen einen Meistbotsverteilungsbeschluss, der (unter anderem) dem Verpflichteten am 19.04.2008 (durch Einwurf in einen Briefkasten) zugestellt wurde.

Mit handschriftlich verfasstem Schreiben vom 25.04.2008 erhob der Verpflichtete gegen diesen Meistbotsverteilungsbeschluss „Einspruch“, „weil der Ersteher H***** schon vorher festgestanden sei usw.“ Da er kein Jurist sei, erbat er gleichzeitig aus wirtschaftlichen Gründen Verfahrenshilfe und ersuchte um Zusendung der notwendigen Formulare. Diese Eingabe richtete der Verpflichte sowohl an das „Amtsgericht Passau, Schustergasse 4, 94032 Passau“ (zu 8 AR 28/04) als auch an das Erstgericht („Bezirksgericht Schärding, Gerichtsplatz 1, A-4780 Schärding“ zu „2 E 2502/06i-58“). Dieses Schreiben weist die Stampiglie „Amtsgericht Passau Nachtbriefkasten Eing. 28. APR 2008“ auf und langte beim Bezirksgericht Schärding am 07.05.2008 ein, wobei die Postaufgabe mit „5.5.08“ vermerkt ist (vgl. ON 62). Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den als „Einspruch“ bezeichneten Rekurs der verpflichteten Partei gegen den Verteilungsbeschluss vom 08.04.2008, 2 E 2502/06i-58, als verspätet zurück (Punkt 1. des Spruches). Gleichzeitig wies es den Verfahrenshilfeantrag der verpflichteten Partei ab (Punkt 2.). Zur Begründung dieser Zurückweisungsentscheidung führte das Erstgericht aus, dass der Verteilungsbeschluss der verpflichteten Partei am 19.04.2008 im Rechtshilfeweg durch das Amtsgericht Passau zugestellt worden sei, weshalb die 14-tägige Rekursfrist am 28.04.2008 geendet habe. Der Verpflichtete habe am letzten Tag der Rekursfrist seine Rechtsmittelschrift in den Nachtbriefkasten des Amtsgerichtes Passau eingeworfen. Diese sei beim Bezirksgericht Schärding am 07.05.2008 und sohin nach Ende der Rekursfrist eingelangt. Werde ein Rechtsmittel nicht beim zuständigen (inländischen) Gericht eingebracht, so reise es in der Folge auf Gefahr des Rechtsmittelwerbers und die Zeit des Postlaufes werde in die Rechtsmittelfrist nicht eingerechnet. Gleiches müsse für die Einbringung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen ausländischen Gericht gelten, weshalb der als „Einspruch“ bezeichnete Rekurs verspätet sei und zugleich ohne Einleitung eines Verbesserungsverfahrens zurückzuweisen gewesen sei. Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss – nicht auch gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrages – richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Verpflichteten, der seinen „Einspruch“ gegen den Meistbotsverteilungsbeschluss als rechtzeitig erhoben behandelt haben möchte, ohne allerdings einen darauf gerichteten Rekursantrag ausdrücklich zu stellen.

Der Rekurs ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 521 Abs. 1 ZPO beträgt die Rekursfrist – abgesehen von hier nicht zur Debatte stehenden Fällen – 14 Tage und beginnt gemäß § 521 Abs. 2 ZPO mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des anzufechtenden Beschlusses. Gemäß § 78 EO gelten diese Bestimmungen auch im Exekutionsverfahren. Da gemäß § 126 Abs. 2 ZPO der nächste Werktag als letzter Tag der Frist anzusehen ist, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag oder Feiertag fällt und ein Samstag diesen Tagen bei der Fristberechnung gleichzuhalten ist (vgl. § 1 Abs. 1 BG 1.2.1961 BGBl 37 über die Hemmung des Fristenablaufes durch Samstage und den Karfreitag), endete im vorliegenden Fall die Rekursfrist am Montag den 05. Mai 2008.

Der Rekurs gegen einen erstgerichtlichen Beschluss ist gemäß § 520 Abs. 1 ZPO (iVm § 78 EO) bei diesem Gericht zu erheben. Die Tage des Postlaufs werden gemäß § 89 Abs. 1 GOG in die Rechtsmittelfrist nicht eingerechnet; dies gilt jedoch nur dann, wenn das Rechtsmittel an das richtige Gericht adressiert ist. Die unrichtige Adressierung einer fristgebundenen Eingabe schließt hingegen die Anwendung des § 89 GOG generell aus (RIS-Justiz RS0041753). Wurde das Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht eingebracht und erst von diesem dem zuständigen Gericht übersendet, ist die Zeit dieser Übersendung in die Rechtsmittelfrist einzurechnen (RIS-Justiz RS0041584). In diesem Fall ist für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels nur der Tag seines Einlangens beim zuständigen Gericht maßgeblich (RIS-Justiz RS0041608). Nach diesen Grundsätzen wäre der gegenständliche „Einspruch“ tatsächlich verspätet erhoben worden, weil die Rechtsmittelfrist bereits am 05. Mai 2008 geendet hat, das Rechtsmittel aber erst am 07. Mai 2008 beim Erstgericht einlangte, nachdem es zuvor beim unzuständigen Amtsgericht Passau (durch Einwurf in den dortigen Nachtbriefkasten) eingebracht und von diesem an das Erstgericht danach erst übersendet werden musste.

Zu bedenken ist allerdings, dass der „Einspruch“ des Verpflichteten auch einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beinhaltet hat und deshalb § 464 Abs. 3 ZPO (iVm § 521 Abs. 3 ZPO und § 78 EO) zur Anwendung gelangt. Demnach beginnt die Rechtsmittelfrist für eine die Verfahrenshilfe beantragende Partei, die innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, entweder mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts (und einer schriftlichen Entscheidungsausfertigung an ihn) oder mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses über den Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts.

Diese Fristunterbrechung kommt im vorliegenden Fall auch dem Verpflichteten zugute, hat er doch mit seinem Vorbringen, er sei kein Jurist und erbitte aus wirtschaftlichen Gründen Verfahrenshilfe, die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe – wenn auch nicht ausdrücklich, so doch implizit – beantragt und dies innerhalb der Rechtsmittelfrist. Dass er diesen Antrag sowohl an das Amtsgericht Passau als auch an das Bezirksgericht Schärding gerichtet und dann beim Amtsgericht Passau eingebracht hat, schließt die Anwendung der Bestimmung des § 464 Abs. 3 ZPO nicht aus. Schon Art. 1 des von Österreich ratifizierten Europäischen Übereinkommens vom 27.01.1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe (BGBl 1982/190) sah vor, dass jede Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei hat und im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei Verfahrenshilfe in Zivil-, Handels- oder Verwaltungssachen beantragen will, ihren Antrag in dem Staat einreichen kann, indem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser Staat übermittelt den Antrag dem anderen Staat. Deshalb sprach der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.04.1988, 2 Ob 621/87, auch aus, dass der auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bei der im Ausland zuständigen Behörde innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellte Antrag rechtzeitig sei, auch wenn er erst ein halbes Jahr nach Zustellung der Entscheidung an den Rechtsmittelwerber beim zuständigen österreichischen Gericht einlange (RIS-Justiz RS0041739).

Zur Umsetzung der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.01.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen wurde in Österreich unter anderem das Bundesgesetz zur Durchführung des Europäischen Übereinkommens vom 27.01.1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe (BGBl 1982/191) novelliert sowie neu übertitelt und in Deutschland wurden unter anderem der Zivilprozessordnung die §§ 1076 bis 1078 angefügt. Ziel dieser Richtlinie war es, einerseits Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten einzurichten sowie andererseits durch die Festlegung einzelner Mindestnormen die Kompatibilität bestimmter einzelstaatlicher Vorschriften über die Prozesskostenhilfe zu gewährleisten. Dem Unionsbürger soll es im Ergebnis ermöglicht werden, in dem Mitgliedstaat, in welchem er seinen Wohnsitz hat, in seiner Muttersprache Prozesskostenhilfe für einen in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Rechtsstreit in Zivil- oder Handelssachen zu beantragen. § 1077 dZPO regelt im Einzelnen, wie die Übermittlung eines Antrags auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe aus Deutschland an die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates zu erfolgen hat („ausgehende Ersuchen“). Nach Absatz 1 dieser Bestimmung ist für die Entgegennahme und Übermittlung von Anträgen natürlicher Personen auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (Übermittlungsstelle).

Der in Passau wohnhafte Verpflichtete war daher ohne weiteres berechtigt, seinen Verfahrenshilfeantrag beim Amtsgericht Passau einzubringen und er hat damit auch die Unterbrechung der Rechtsmittelfrist gemäß § 464 Abs. 3 ZPO (in Verbindung mit § 521 Abs. 3 ZPO und § 78 EO) erreicht, weshalb sein als „Einspruch“ bezeichneter Rekurs auch nicht als verspätet angesehen werden kann. Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss war daher ersatzlos zu beheben, sodass der Rekurs des Verpflichteten der weiteren gesetzlichen Behandlung zu unterziehen sein wird. Dabei wird auch zu beachten sein, dass gemäß § 520 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 78 EO schriftliche Rekurse mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen sein müssen (vgl. MGA, EO 14, E 168 zu § 65). Die Kostenentscheidung beruht darauf, dass gemäß § 74 EO dem Verpflichteten – mit Ausnahme eines hier nicht gegebenen Zwischenstreits – kein Kostenersatz zusteht (OGH 16.09.1998, 3 Ob 218/98z; RIS-Justiz RS0002189).

Da sich das Rekursgericht zur Frage der Unterbrechung einer Rekursfrist durch einen Verfahrenshilfeantrag auf eindeutige gesetzliche Bestimmungen beziehen konnte, war mangels Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs. 1 ZPO (iVm § 78 EO) der Revisionsrekurs nicht zuzulassen.

Landesgericht Ried i. I.,

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