JudikaturJustiz6Ob239/17s

6Ob239/17s – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie durch die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. E***** S*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. G***** L*****, vertreten durch LANSKY, GANZGER + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2017, GZ 16 R 171/16h 26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. August 2016, GZ 20 Cg 75/15v 22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens und im Kostenausspruch aufgehoben und es wird die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Gegen R***** A***** (in weiterer Folge: der Verstorbene) wurde bei der Staatsanwaltschaft Wien ein Strafverfahren unter anderem wegen des Verdachts des Mordes, schwerer Nötigung, Freiheitsentziehung, schweren Erpressung und Vergewaltigung geführt. Der Verstorbene stand unter anderem im Verdacht, gemeinsam mit zwei Komplizen Anfang 2007 zwei Mitarbeiter einer kasachischen Bank entführt, misshandelt, vergewaltigt und ermordet zu haben. Mit Anklageschrift vom 29. 12. 2014 wurde gegen den Verstorbenen und seine Mittäter Anklage erhoben. Alle drei befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft.

Am 24. 2. 2015, noch vor Beginn der Hauptverhandlung in dem gegen ihn am Landesgericht für Strafsachen Wien geführten Strafverfahren, wurde der Verstorbene in seiner Zelle in der Justizanstalt Wien Josefstadt tot aufgefunden. In Folge des Todes des Verstorbenen trat die Staatsanwaltschaft von der Anklage gegen ihn zurück.

Wegen der gleichen wie in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien dem Verstorbenen zur Last gelegten Tathergänge und weiterer nicht in der Anklageschrift enthaltener Vorwürfe war der Verstorbene mit Urteil des Bezirksgerichts Almalinsky der Stadt Almaty in der Kasachischen Republik am 15. 1. 2008 in Abwesenheit verurteilt worden.

Am 16. 6. 2011 hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Auslieferung des Verstorbenen zur Strafvollstreckung des Urteils des Bezirksgerichts Almalinsky für nicht zulässig erklärt, wobei die Staatsanwaltschaft Wien eine ablehnende Stellungnahme zum Auslieferungsbegehren abgegeben hatte. Das Gericht war im Zweifel davon ausgegangen, dass es sich um eine Sache mit politischem Charakter handle und daher das Auslieferungshindernis nach § 19 Z 3 ARHG (Auslieferungsasyl) vorliege.

Die Klägerin ist die Witwe des Verstorbenen.

Der Beklagte ist Rechtsanwalt. Er trat in der Sendung „Thema“ des Österreichischen Rundfunks vom 2. 3. 2015 auf. Darin sagte er Folgendes:

„Ich fürchte, dass Herr [Verstorbener] auch seinen Tod in dieses Gesamtkunstwerk eingebaut hat. Das, auch der Tod und die Inszenierung seines Todes, kann Teil dieses Gesamtkunstwerkes Tricksen und Täuschen zur Verdunkelung der eigenen Verantwortung gewesen sein […]

Die Staatsanwaltschaft Wien sieht das ganz richtig. Das ist ein Wirtschaftsmord. Der [Verstorbene] wurde Mehrheitseigentümer dieser Bank, die zu einer der größten Banken des Landes wurde. N*****bank. Der [Verstorbene] war der Meinung, dass er, jetzt, nachdem er nach Wien gehen sollte, zum zweiten Mal als Botschafter, dass er diese Bank übernehmen sollte; nämlich auch real.

Ich glaube, dass er auch der Meinung war, dass die Nebenprofits, die man durch solch eine Tätigkeit erzielt, auch bei ihm landen sollten. Dann kam er drauf, Ende 2006, Anfang 2007, dass zwei zentrale Bankmanager, seiner Meinung nach, ihn bestohlen hätten. Und dann hat er das gemacht, wovon ich überzeugt bin, was er in seinem Leben schon mehrmals getan hatte, dann wurde aus einem Wirtschaftskriminellen, und das ist das Seltene an seiner Psychopathologie, ein brutaler Sadist, Folterer und Mörder.“

Die Klägerin begehrt, den Beklagten zur Unterlassung der Äußerung zu verpflichten, der Verstorbene sei ein psychopathologischer Fall, ein brutaler Sadist, ein Folterer und/oder ein Mörder gewesen. Weiters begehrt sie die Veröffentlichung des Urteils im ORF in der Sendung „Thema“. Sie brachte vor, die Auslieferung des Verstorbenen sei vor dem Hintergrund des Art 6 EMRK nicht zulässig gewesen, infolge Einstellung des Strafverfahrens in Österreich gelte er hier als unschuldig. Die Unschuldsvermutung ende erst mit rechtskräftiger Verurteilung. Der Beklagte habe den postmortalen Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen verletzt. Die Aussagen des Beklagten ließen sich mit der Unschuldsvermutung nicht in Einklang bringen. Die Verletzung der Unschuldsvermutung ziehe unter anderem Ansprüche nach § 16 ABGB nach sich. Der Schutz der Unschuldsvermutung bilde eine Kommunikationsbarriere, bei der es auf die Wahrheit oder Unwahrheit einer Äußerung nicht ankomme. Auch der Schutz des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) gebiete die Unterlassung solcher Äußerungen. Äußerungen eines Rechtsanwalts gegenüber den Medien seien nicht von § 9 Abs 1 RAO umfasst.

Der Beklagte wendete ein, seine Aussagen seien wahr und es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an ihrer Veröffentlichung. Nach dem Tod des Verstorbenen seien Verschwörungstheorien angeheizt und in alle Massenmedien hinausgetragen worden. Es habe eine öffentliche Verhöhnung der Hinterbliebenen der Opfer des Verstorbenen stattgefunden, der zuvor wegen Doppelmords angeklagte Verstorbene hätte seinerseits zu einem Mordopfer gemacht werden sollen. Die Unschuldsvermutung schütze nicht Tote, sondern nur Lebende. Sie solle vor einer medialen Vorverurteilung schützen. Da dem Verstorbenen nicht der Prozess gemacht werden könne, könne die Unschuldsvermutung nach seinem Tod nicht mehr verletzt werden. Erkennbar sei auch gewesen, dass der Beklagte als Privatbeteiligtenvertreter aufgetreten sei. Seine Aussagen seien daher durch § 9 RAO gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Veröffentlichungsbegehren (dies rechtskräftig) ab.

Das nur vom Beklagten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es führte aus, das Recht auf Ehre könne auch nach dem Tod als postmortales Persönlichkeitsrecht geschützt sein. Zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs seien die nahen Angehörigen legitimiert. Die Äußerung des Beklagten sei im Gesamtzusammenhang so zu lesen, dass er seine eigene Ansicht und Einschätzung kundgetan und nicht bloß die Sichtweise der Staatsanwaltschaft als zutreffend bezeichnet habe. Die Aussage, der Verstorbene sei ein Folterer und Mörder gewesen, sei einer objektiven Überprüfung grundsätzlich zugänglich und somit eine Tatsachenbehauptung. Dagegen seien die Aussagen, der Verstorbene sei ein psychopathologischer Fall und brutaler Sadist gewesen, als – einem Wahrheitsbeweis nicht zugängliche – Werturteile zu qualifizieren. Der Vorwurf, ein Folterer und Mörder zu sein, stelle jedenfalls einen Eingriff in die auch postmortal geschützte Ehre des Verstorbenen dar. Da der Schutz der Unschuldsvermutung eine Konkretisierung des im Rahmen des § 16 ABGB anerkannten Rechts auf Ehre darstelle, wäre es ein Wertungswiderspruch, einer mangels Schuldspruchs als unschuldig zu geltenden Person einen postmortalen Schutz vor über Medien erfolgter „Verurteilung“ zu verweigern. Nach der Rechtsprechung sei bei einer hier zu bejahenden Verletzung der Unschuldsvermutung dem Verletzer der Antritt des Wahrheitsbeweises verwehrt. Die verfassungsgesetzlich verankerte Vermutung, nach der der – strafgerichtlich bisher nicht verurteilte – Tatverdächtige als unschuldig zu gelten habe, könne nur durch ein rechtmäßiges Strafgerichtsurteil widerlegt werden. Der Verstorbene habe keine Möglichkeit mehr, sich – etwa durch seine eigene Aussage, die Namhaftmachung von Zeugen oder die Vorlage von Beweismaterial – zu entlasten. Eine vorzunehmende Interessensabwägung falle eindeutig zu Gunsten des Verstorbenen aus. Die Aussage des Beklagten, der Verstorbene sei ein psychopathologischer Fall und brutaler Sadist, sei ein massiver, von der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK nicht mehr geschützter Wertungsexzess. Ein Rechtsanwalt, der im Rahmen eines medialen Auftritts einen verbalen Angriff gegen einen (potenziellen) Prozessgegner seines Klienten starte, agiere nicht im Rahmen der ihm als Rechtsvertreter zukommenden Aufgaben der Rechtspflege und trage zur Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung nichts sachlich Zielführendes bei. Die Äußerungen des Beklagten seien daher nicht durch § 9 Abs 1 RAO gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein aus § 16 ABGB abgeleitetes postmortales Persönlichkeitsrecht auf Wahrung der Unschuldsvermutung anzunehmen und bejahendenfalls ein solches auch von Privaten zu beachten sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Folgendes wurde erwogen:

1. Die grundsätzlichen Ausführungen des Berufungsgerichts zum postmortalen Persönlichkeitsrecht und zur diesbezüglichen Anspruchsberechtigung der Klägerin als Witwe nach dem Verstorbenen sind zutreffend. Richtig ist auch die Qualifikation der Aussage, der Beklagte sei ein Folterer und Mörder gewesen, als Tatsachenbehauptung; weiters die Qualifikation der Aussagen, der Verstorbene sei ein psychopathologischer Fall und brutaler Sadist gewesen, als Werturteile (vgl etwa RIS Justiz RS0114374 [T8]: „Psychopath“; 15 Os 171/08y: „sadistische Motive“).

2. Der erkennende Senat hat in den jüngst zum selben Verstorbenen ergangenen Entscheidungen vom 25. 10. 2017, 6 Ob 226/16b, und vom 21. 12. 2017, 6 Ob 193/17a (dort mit denselben Parteien und Parteienvertretern wie im vorliegenden Verfahren), die hier zu lösenden Rechtsfragen mit jeweils ausführlicher Begründung im Wesentlichen beantwortet.

Die Aussagen der letztgenannten Entscheidung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Der Vorwurf des Beklagten, der Verstorbene sei an einem Mord beteiligt gewesen, beeinträchtigt dessen Ruf und Ehre. Dem Beklagten steht zu dieser Behauptung der Wahrheitsbeweis offen. Wenn dieser erbracht wird, ist das Klagebegehren abzuweisen. Der Umstand, dass der Beklagte als Rechtsanwalt der Prozessgegner des Verstorbenen auftrat, rechtfertigt seine Aussage weder nach § 9 Abs 1 RAO noch im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

3. Der Senat hält an diesen Entscheidungen fest und verweist die Parteien auf deren Begründung.

4.1. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass dem Beklagten der von ihm angebotene, von den Vorinstanzen aber nicht zugelassene Wahrheitsbeweis zu seinen Tatsachenbehauptungen offensteht, weshalb das Verfahren in diesem Sinn zu ergänzen ist.

4.2. Im Gegensatz zur Entscheidung 6 Ob 193/17a, in der es nur um eine Tatsachenbehauptung ging, liegt hier auch ein Werturteil vor (vgl Punkt 1.), zu dem der Wahrheitsbeweis nicht erbracht werden kann.

Für den Fall, dass dem Beklagten der Wahrheitsbeweis zu seinen Tatsachenbehauptungen nicht gelingt, ist die berufungsgerichtliche Beurteilung, dass die Aussagen „psychopathologischer Fall und brutaler Sadist“ einen Wertungsexzess darstellen, nicht zu beanstanden.

Sollte dem Beklagten der Wahrheitsbeweis gelingen, läge kein Wertungsexzess vor: Wenn jemand gefoltert oder gemordet oder beides getan hat, ist dies hinreichendes Tatsachensubstrat, um diese Person als Psychopathen und brutalen Sadisten zu bezeichnen (vgl RIS Justiz RS0054817 [T22]; RS0032201 [T25]).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.