JudikaturJustiz60R9/17d

60R9/17d – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. August 2017

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter HR Dr. Schmidt (Vorsitzender), Mag. a Hotter-Kaiser und KR Mag. Hussian in der Rechtssache der Klägerin L*****, vertreten durch Heinke Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wider die Beklagte N***** GmbH, *****, vertreten durch Schuppich Sporn Winischhofer Rechtsanwälte in 1010 Wien, wegen EUR 250,- s.A. über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 28.11.2016, GZ 7 C 187/16z-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit EUR 176,28 (darin enthalten EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klägerin begehrte von der Beklagten eine Ausgleichsleistung nach der Verordnung (EG) 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) wegen der mehr als 3-stündigen verspäteten Landung eines Fluges von N***** nach W*****. Der technische Defekt am Fluggerät falle eindeutig in die betriebliche Sphäre der Beklagten. Die Beklagte habe auch nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine Verspätung zu vermeiden, da nach der Judikatur des EuGH Vogelschlag nicht als außergewöhnliches Ereignis gelte, müsse dies auch auf Blitzschlag zutreffen.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsbweisung und brachte vor, dass eine Verspätung dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch führe, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, wozu insbesondere witterungsbedingte Defekte wie Blitzschlag zählen. Die Beklagte habe den durch Blitzschlag bedingten Ausfall des gebuchten Flugzeuges durch den Einsatz des Flugzeuges OE-LEX kompensiert, welches unverzüglich nach der letzten Landung in W***** um 19.39 Uhr UTC nach N***** geschickt worden sei. Die Beklagte habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen, die an den erreichbaren Ressourcen zu messen seien, getroffen und die Verspätung so kurz wie möglich gehalten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und folgerte aus den Feststellungen auf den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung, auf die verwiesen wird, rechtlich, dass auch bei einer großen Verspätung Ausgleichsansprüche nach der Rechtsprechung des EuGH bestünden, wenn die Fluggäste ihr Endziel nicht früher als 3 Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Auf diese Fälle würden die Bestimmungen der EU-Verordnung 261/2004 über die Annullierung analog angewandt. Artikel 5 Abs 3 der Verordnung sehe vor, dass keine Ausgleichszahlungen zu leisten seien, wenn das Flugunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung/große Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückgehe, der trotz Ergreifens der zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden könne. Solche außergewöhnlichen Umstände würden in EG 14 zur Verordnung aufgelistet und seien dabei insbesondere Wetterbedingungen, die mit der Durchführung eines Fluges nicht vereinbar seien, genannt. Dazu zähle etwa starker Nebel (LG Korneuburg 21 R 332/11p), ein Sandsturm (AG Hamburg 36a C 251/13) oder starker Schneefall (AG Erding 5 C 941/11). Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass das Flugzeug der Beklagten durch einen Blitzschlag den von der Klägerin gebuchten Flug nicht durchführen habe können. Ein Blitzschlag stelle eine solche Wetterbedingung und damit einen außergewöhnlichen Umstand dar, den die beklagte Partei trotz Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung dessen Eintrittes nicht verhindern habe können. Darüber hinaus habe die Beklagte auch alles in ihrer Macht stehende getan, um die Verspätung zu verhindern bzw. so kurz wie möglich zu halten. Da das Ereignis in die Hauptsaison gefallen sei, seien alle Flugzeuge der Beklagten und auch der Drittflugunternehmen im Einsatz gewesen und habe deshalb abgewartet werden müssen, dass eines der Flugzeuge seine planmäßige Rotation beendet habe. Das den Flug dann tatsächlich ausführende Flugzeug sei als erstes verfügbar gewesen. Entgegen den Behauptungen der Klägerin sei ein Blitzschlag auch kaum mit einem Vogelschlag zu vergleichen. Beim Blitzschlag handle es sich um Wetterphänomene, die als solche weder alltäglich noch beherrschbar seien und in Zusammenhang mit Gewittern auftreten, während Vögel ein Teil der Natur seien, wie Pflanzen oder Menschen, denen man im Freien zwangsläufig begegne und deren Erscheinen nicht von einem bestimmten Umstand oder Ereignis abhänge. Vögel seien dem Flugbetrieb immanent, da sie sich den Luftraum teilen, wohingegen es nicht bei jedem Flug zwingend zu Blitzen und Blitzschlägen kommen müsse. Der Klägerin sei daher keine Ausgleichszahlung zu leisten.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag das Ersturteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern. In eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert, dass die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes unrichtig sei, da Blitzschläge regelmäßig im Luftverkehr vorkommen und sie daher nicht unter den Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) 261/2004 zu subsumieren seien. Es handle sich dabei um ein gewöhnliches Risiko eines Luftfahrtunternehmens wie etwa auch Vogelschläge. Hierzu verwies die Berufungswerberin auf die Schlussanträge des Generalanwaltes Bot vom 28.7.2016 in der Rechtssache C 315/15 des Gerichtshofes. Ein Blitzschlag sei ein Phänomen, das im Luftverkehr regelmäßig auftrete und handle es sich dabei ebenso wie beim Vogelschlag um ein typisches Risiko, welches sich beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens realisieren könne. Flugzeuge nützten den Luftraum, welcher bekanntermaßen von Wettervorkommnissen beeinflusst werden könne und beeinflusst werde. Zwar seien Blitzschläge nicht alltäglich,dennoch würden Piloten und Crew aber sehr wohl auf widriges Wetter und sich plötzlich ändernde Verhältnisse wie Wind, Regen, Gewitter etc. geschult. Ein Flugunternehmen könne somit mit dem Eintreten verschiedener Wetterereignisse rechnen und wisse darauf zu reagieren. Flugzeuge seien auch dementsprechend mit verschiedensten Blitzableitungssystemen ausgestattet. Das Erstgericht hätte erkennen müssen, dass ein Blitzschlag keinen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Ein Blitzschlag selbst dauere nur wenige Sekunden und sei nach Einschlagen des Blitzes abgeschlossen. Einen tatsächlich eingetretenen und durch den Blitzschlag verursachten Schaden, welcher derart außergewöhnlich gewesen sei, dass er über die Grenzen der üblicherweise im Luftverkehr eintretenden Situation hinausgehe, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Eine vorschriftsmäßige Inspektion nach einem Blitzschlag gehöre zum üblichen Procedere im Luftverkehr. Weiterer erheblicher Schaden sei nicht festgestellt worden. Im Gegenteil habe das Erstgericht festgestellt, dass die Stehzeit für eine außerplanmäßige Wartung durchaus üblich sei, wenn nicht sogar als schnell anzusehen sei. Hätte das Erstgericht rechtlich richtig erkannt, dass der Blitzschlag nicht selbst der außergewöhnliche Umstand sein könne, sondern diesen lediglich eintreten lassen könne, dann hätte das Erstgericht erkannt, dass ein tatsächlicher außergewöhnlicher Umstand von der Beklagten weder dargelegt noch bewiesen worden sei. Im Übrigen werde angeregt, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Soweit die Berufungswerberin damit argumentiert, dass 1.Blitzschläge regelmäßig auftreten, 2.Flugzeuge den Luftraum nutzen würden, der bekanntermaßen von Wettervorkommnissen beeinflusst werde und 3.Piloten und Crew auf widriges Wetter und sich plötzlich ändernde Verhältnisse wie Wind, Regen, Gewitter etc. geschult würden und Flugzeuge mit verschiedenen Blitzableitungssystemen ausgestattet seien, ist auszuführen:

Zu 1.: Allein die Regelmäßigkeit bzw. Häufigkeit schließt nicht die Qualifikation als „außergewöhnlicher Umstand“ aus (EuGH vom 22.12.2008 C-549/07). Überdies steht im konkreten Fall der angeblichen Regelmäßigkeit die Feststellung des Erstgerichts entgegen, wonach dem Piloten lediglich 3 Blitzschläge in seiner Tätigkeit als Linienpilot seit 2004 in Erinnerung sind.

Zu 2.: Naturgemäß spielen sich sämtliche Wetterphänomene im Luftraum ab, allein dieser Umstand erscheint zu kurz gegriffen, um Blitzschläge als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit von Luftfahrtunternehmen und gewöhnliches Risiko eines Luftfahrtunternehmens zu werten.

Im Beck´schen Online-Kommentar (BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid VO (EG) 261/2004 Art. 5 Rn. 68) wird ausgeführt: Ob ein Blitzschlag ein außergewöhnlicher Umstand sein kann oder nicht, ist noch umstritten. Auch wenn sich der EuGH (3. Kammer) den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rs. EUGH Aktenzeichen C-315/15 – Pešková ./. Travel Services zur Frage des Vogelschlags (→ BECKOKFLUGGRVO EWG_VO_261_2004 Artikel 5 Randnummer Rn. 85 ) nicht angeschlossen hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Kammer des EuGH die überzeugenden Überlegungen des Generalanwalts zum Vogelschlag auf das Vorkommnis Blitzschlag überträgt und ihn deshalb als ein typisches betriebliches Risiko bei der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens einstuft. Selbst wenn man aber einen Blitzschlag als außergewöhnlichen Umstand ansehen wollte (so zB AG Rüsselsheim RRa 2017, 153 ), ist dieser jedoch am Vortag eingetreten und entdeckt worden, so kann dieser regelmäßig nicht Flugverspätungen oder Flugausfälle am nachfolgenden Tag entschuldigen (so auch AG Erding BeckRS 2013, 03515 = RRa 2013, 31; AG Königs Wusterhausen BeckRS 2016, 11220 = RRa 2016, 138; LG Korneuburg 22.8.2015, RRa 2016, 263; LG Hannover 30.11.2015, RRa 2016, 238). Zudem weist das LG Korneuburg (RRa 2016, 263) zutreffend darauf hin, dass ein Blitzschlag für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands „lediglich indikativ ist und das Luftfahrtunternehmen weiter vortragen muss, dass trotz dieses Vorfalles mit zumutbaren (konkretisierten) Maßnahmen eine Annullierung nicht zu vermeiden war.“ (so bereits OGH BeckRS 2013, 82007 = RRa 2013, 256 = ZVR 2014, 71 mAnm Huber ZVR 2014, 126; ebenso LG Hannover 30.11.2015, RRa 2016, 238).

Daraus folgt, dass der EuGH hiezu noch keine abschließende Entscheidung gefällt hat, der Verfasser des BeckOK der Subsumierung unter einen außergewöhnlichen Umstand kritisch gegenüber steht und die Erstgerichte der Mitgliedstaaten zur Frage des Blitzschlages unterschiedliche Entscheidungen gefällt haben. Im übrigen wird auf die folgende Auseinandersetzung mit der Entscheidung C-315/15 verwiesen.

Zu 3: Das Argument der Berufungswerberin, dass es sich um keinen außergewöhnlichen Umstand handeln könne, weil die Piloten und das Personal diesbezüglich geschult seien und Blitzableitungssysteme existieren, vermag nicht zu überzeugen, zumal Vorkehrungen und Maßnahmen, die bei der Ausbildung und Konstruktion von Flugzeugen getroffen werden, um die Sicherheit von Fluggästen zu gewährleisten, nicht automatisch dazu führen, derartige Ereignisse zu einem Teil des gewöhnlichen Flugbetriebes werden zu lassen. Stark überzeichnet würde dies dazu führen, dass sämtliche Maßnahmen gegen gewaltsame Übergriffe und Terrorakte dazu führen, dass derartige Gewaltakte Teil des gewöhnlichen Flugbetriebes darstellen.

Da diese Argumente der Berufungswerberin prima vista das Berufungsgericht nicht überzeugt haben, muss die Auswirkung der jüngsten Entscheidung des EuGH zum Vogelschlag auf den gegenständlichen Sachverhalt überprüft werden.

Ausgehend von der jüngsten Entscheidung des EuGH vom 4.5.2017 zu C-315/15, in der der EuGH entschieden hat, dass die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne der Verordnung EG Nr. 261/2004 fällt und im Lichte des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 261/2004 muss auch ein Blitzschlag, der einer derartigen Kollision mit dem Flugzeug gleichkommt, als außergewöhnlicher Umstand gewertet werden.

Richtig ist, dass darüber hinaus noch alle zumutbaren Maßnahmen seitens des Luftfahrtunternehmens ergriffen werden müssen, um eine Verspätung zu verhindern. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass derartige Maßnahmen im vorliegenden Fall ergriffen wurden. In Anbetracht der vorliegenden Entscheidung zum Thema „Vogelschlag“ erscheint eine neuerliche Anrufung des EuGH zur Klärung der von der Berufungswerberin gestellten Frage nicht mehr erforderlich, zumal sich auch aus der Entscheidung C-315/15 ergibt, dass die Verordnung Nr. 261/2004 nicht die Freiheit der Luftfahrtunternehmen, auf Fachleute ihrer Wahl zurückzugreifen, um die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, beschränkte (Rz 35) und dass auch im Sinne der Flugsicherheit das Flugzeug in Folge einer Kollision mit einem Vogel nach seiner Landung einer Sicherheitskontrolle durch eine autorisierte Gesellschaft unterzogen werden kann, ohne dass Schäden am Flugzeug festgestellt worden sind (Rz 33). Vielmehr wurde klargestellt, dass es unerheblich ist, ob diese Kollision tatsächlich Schäden am betroffenen Flugzeug hervorgerufen hat, denn das mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgte, in ihrem ersten Erwägungsgrund genannte Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, impliziert, dass Luftfahrtunternehmen nicht dazu motiviert werden sollten, die aufgrund eines solchen Zwischenfalls erforderlichen Maßnahmen zu unterlassen, in dem sie der Aufrechterhaltung und der Pünktlichkeit ihrer Flüge einen höheren Stellenwert einräumen als deren Sicherheit (Rz 25). Die hinsichtlich des Vogelschlages ausgeführten Grundsätze sind diesbezüglich jedenfalls auch auf einen Sachverhalt mit Blitzschlag anzuwenden.

Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass eine durch Blitzschlag verursachte außerplanmäßige Inspektion ein außergewöhnlicher Umstand ist, der eine Ausgleichszahlung des ausführenden Luftfahrtunternehmens entfallen lässt, wenn dieses alle zumutbaren Vorkehrungen und notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um eine Verspätung bzw. Annullierung hintanzuhalten, was im gegenständlichen Fall festgestellt wurde.

Das Berufungsgericht erachtet daher, den Fall als im Lichte der Entscheidung des EuGH klärbar und sieht keine Notwendigkeit zur Vorlage an den EuGH.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO, wobei von einer gesonderten Honorierung der Äußerung zum Vorlageantrag der Klägerin Abstand zu nehmen war, zumal eine solche nicht vorgesehen ist, und inhaltlich - insbesondere auch in Anbetracht des Verfahrens C-315/15 des Europäischen Gerichtshofs zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geeignet erscheint. Aufgrund der aus der direkten Anwendung der EU Verordnung Nr. 261/2004 resultierenden Anspruchsgrundlage kann eine Einbeziehung der Rechtsprechung des EuGH keinesfalls Grundlage eines „Zuschlages“ sein, sondern muss die Kenntnis dieser Rechtsprechung in diesem Zusammenhang als selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 500 Abs 2 iVm § 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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