JudikaturJustiz60R74/18i

60R74/18i – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2018

Kopf

Das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht hat durch den Richter HR Dr. Schmidt (Vorsitzender), Richterin Dr. in Wittmann-Tiwald und KR Mag. Rab in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. V***** , 2. S***** , beide vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** AG , *****, wegen EUR 800,-- über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 17.5.2018, 3 C 510/17x-11 in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die je mit EUR 115,84 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten je EUR 19,31 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klägerinnen verfügten über bestätigte Buchungen für Flüge am 15.6.2017 mit einem geplanten Abflug um 7.05 Uhr von W***** über B***** (Zwischenstopp) nach F***** (P*****) mit der geplanten Ankunftszeit von 11.20 Uhr. Tatsächlich erreichten die Klägerinnen ihr Ziel mit einer mehr als 3-stündigen Verspätung um 23.50 Uhr. Die Flugstrecke beträgt nach der Großkreisberechnung mehr als 1.500, aber weniger als 3.500 km.

Der Flug OS 351 war planmäßig für den Abflug in W***** bereit. Aufgrund eines nicht näher feststellbaren technischen Problems der Flugsicherung in B***** durfte dieser Flug nicht planmäßig starten, sondern erhielt von B***** einen späteren Slot zugeteilt. Diese Zuteilung war kausal für die Verspätung. Auf die Zuteilung des Slots hat die Beklagte keinen Einfluss; sie ist verpflichtet, sich an diesen zu halten.

Die Klägerinnen begehren eine Ausgleichszahlung von je EUR 400,-- samt Zinsen und brachten, soweit wesentlich, vor, dass technische Probleme jedenfalls keine außergewöhnlichen Umstände seien; bisher sei nicht konkretisiert worden, um welche Probleme es sich gehandelt habe. Ebenso wenig seien zumutbare Maßnahmen getroffen worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, aufgrund technischer Probleme des Flughafens sei ihr ein späterer Slot zugeteilt worden. Auf diese Maßnahme der Flugsicherung hätte sie keinerlei Einfluss. Es hätte keine Möglichkeit gegeben, schneller zu agieren. Der verpasste Anschlussflug sei der letzte Flug des Tages von B***** nach F***** gewesen. Maßnahmen der Umbuchung seien rechtlich nicht relevant.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, den Klägerinnen EUR 800,-- samt 4 % Zinsen seit 28.7.2017 zu zahlen. Ausgehend von dem auf Seite 2 der Urteilsausfertigungen wiedergegebenen Sachverhalt erachtete es rechtlich, die Beklagte habe mit ihrem Vorbringen die Außergewöhnlichkeit der Flugsicherungsmaßnahmen nicht dargelegt; dies müsse anhand des Einzelfalls geprüft werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten , aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Die Klägerinnen beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Die Berufungswerberin bringt vor, die verspätete Slot-Vergabe in Folge eines technischen Problems der Flugsicherung sei ein außergewöhnlicher Umstand, welcher außerhalb der Verantwortungs- und Risikosphäre der Beklagten liege. Technische Probleme der Flugsicherung (hier: Ausfall des Radargeräts) seien äußert selten.

2. Erstmals in der Berufung konkretisierte die Berufungswerberin technische Probleme der Flugsicherung indem sie auf den „Ausfall des Radargeräts“ verwies; weiters brachte sie vor, dass technische Probleme der Flugsicherung äußerst selten seien.

Damit verstößt die Berufungswerberin gegen das im Berufungsverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 482 Abs 2 ZPO), so dass dieses neue Vorbringen unbeachtlich ist.

3. Haftungsausschluss wegen außergewöhnlicher Umstände

3.1. Nach Art 5 Abs 3 EU-Fluggast-VO ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (Die Verpflichtung zur Ausgleichszahlung auch im Fall großer Verspätungen ist seit der Entscheidung des EUGH 19.11.2009, C-402/07 und C-432/07 Sturgeon ua ständige Rechtsprechung).

3.2 Gemäß dem Erwägungsgrund 14 dieser Verordnung können „solche Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.“

Nach dem Erwägungsgrund 15 der Verordnung sollte vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hatte, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag, oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätung oder Annullierung zu verhindern.

3.3 Der EuGH stellte klar, dass außergewöhnliche Umstände nur dann vorliegen können, wenn sie aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH 22.12.2008, C-549/07 W allentin-Hermann; 19.11.2009, C-402/07 und 432/07 Sturgeon ua Rz 70 ff).

Im Urteil Wallentin-Hermann qualifizierte der EuGH die Kollision eines Treppenfahrzeuges eines Flughafens mit einem Flugzeug und den dadurch verursachten technischen Problemen nicht als einen außergewöhnlichen Umstand: Treppenfahrzeuge oder Gangways, die es den Fluggästen ermöglichten, aus dem Flugzeug ein- und auszusteigen, würden bei der Beförderung von Fluggästen im Flugverkehr notwendigerweise eingesetzt, so dass das Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sei, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben. Die Kollision eines Flugzeugs mit einem Treppenfahrzeug sei daher Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens. Es würde nichts darauf hindeuten, dass der Schaden an dem Flugzeug, mit dem der Flug durchgeführt werden sollte, durch einen außerhalb der normalen Flughafendienstleistungen liegenden Akt, wie einen Sabotageakt oder eine terroristische Handlung, verursacht worden wäre (EuGH 22.12.2008, C-549/07 W allentin-Hermann ).

3.4 Das BG Schwechat vertritt die Ansicht, dass eine starke Belastung von Flughafeneinrichtungen oder des Luftraums ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ angesehen werden kann (BG Schwechat 10.9.2012, 1 C 944/11a ua).

Demgegenüber anerkannte der BGH eine verzögerte Landeerlaubnis grundsätzlich als außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung an (BGH 13.11.2013, X ZR 115/12 mwN).

3.5 Unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der Verordnung und der Auslegung durch den (dazu allein befugten) EuGH ist das Berufungsgericht der Ansicht, dass Maßnahmen der Flugsicherung derartig mannigfaltig sein können, dass keine allgemein gültige Aussage darüber getroffen werden kann, ob diese außergewöhnliche Umstände darstellen oder nicht. Das Luftfahrtunternehmen muss daher behaupten und beweisen, dass die konkrete Maßnahme nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit ist, oder vereinfacht gesagt, mit der Maßnahme aufgrund ihrer Unüblichkeit so nicht gerechnet werden musste. Das ist der Fall, wenn die konkrete Entscheidung der Flugsicherung entweder nach ihrem Inhalt oder aufgrund ihrer Umsetzung unüblich oder unvorhersehbar war. Weiters darf sie vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sein. Erst wenn diese Voraussetzungen feststehen, wäre weiters zu prüfen, ob das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, die Verspätung zu vermeiden (HG Wien 6.10.2017, 60 R 62/17y).

3.6 Die Beklagte hat zwar nachgewiesen, dass sie keinen Einfluss auf die Zuteilung der Slots hat und verpflichtet ist, sich an diese zu halten. Allerdings hat sie nicht nachgewiesen, dass die Zuteilung eines späteren als ursprünglich vergebenen Slots als Maßnahme der Flugsicherung auf ein außergewöhnliches Ereignis zurückzuführen ist. „Technische Probleme“ können, müssen aber keine außergewöhnlichen Umstände darstellen. Das Vorbringen der Beklagten ist daher zu wenig konkret. Außerdem hat die Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht, dass die - von ihr zu konkretisierenden Probleme - äußerst selten auftreten und zu kurzfristigen Änderungen der Slot-Vergaben führen.

3.7 Zusammengefasst hat die Beklagte außergewöhnliche Umstände nicht dargetan. Sie kann daher den Haftungsausschluss des Art 5 Abs 3 der Verordnung nicht für sich in Anspruch nehmen und ist damit zur Ausgleichsleistung verpflichtet.

Regressansprüche der Beklagten bleiben von dieser Zahlungspflicht unberührt (Art 13 EU-Fluggast-VO).

4.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung erweist sich somit als nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
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