JudikaturJustiz60R42/21p

60R42/21p – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2021

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Dr. in Wittmann-Tiwald (Vorsitzende), die Richterin Dr. in Gröger und den Richter Dr. Steinberger in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, ** B*, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei C* D*.C*, **, ** B*, vertreten durch Dr. Mehmet Saim Akagündüz, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) Kosten, über den Kostenrekurs der klagenden Partei gegen die in Urteilsform ergangene Kostenentscheidung des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 23.2.2021, 1 C 285/20y-11, in nicht öffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird n i c h t Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 169,75 (darin enthalten EUR 28,29 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der Kläger begehrte von der Beklagten EUR 115,- an Ticketkosten wegen der Annullierung eines Fluges gem Art 8 Fluggastrechte-VO (Verordnung[EG] Nr 261/2004).

Er richtete – durch den Klagevertreter – zur Geltendmachung seines Anspruchs ein Aufforderungsschreiben an die E-Mail-Adresse E*F*@G* und erhielt eine automatische Antwort, dass Antworten auf diese E-Mail nicht überwacht würden und dass man einen Link zur Kontaktaufnahme nützen könne.

Bei der Adresse E*F*@G* handelt es sich um eine No-Reply-Adresse. Sie ist nicht öffentlich zugänglich.

Für Kundenanliegen hat die Beklagte die Mail-Adresse E*.H*@G* eingerichtet, die dem Klagevertreter auch bekannt war.

Nicht festgestellt werden konnte, dass die Beklagte das Aufforderungsschreiben des Klagevertreters erhalten hat. Die Klage wurde der Beklagten am 31.8.2020 zugestellt, wodurch sie erstmals von der Forderung erfuhr. Der eingeklagte Betrag wurde am 4.9. freigegeben und am 11.9. (richtig) 2020 von der Zentrale der Beklagten genehmigt und bezahlt.

Im Einspruch vom 21.9.2020 führte die Beklagte aus, dass sie den Klagsanspruch anerkenne und den Betrag bereits überwiesen habe. Gleichzeitig beantragte sie Kostenseparation nach § 45 ZPO.

In weiterer Folge schränkte der Kläger das Klagebegehren auf Kosten ein.

Das Erstgericht verpflichtete den Kläger zum Ersatz der Prozesskosten der Beklagten gem § 45 ZPO. Rechtlich führte es dazu aus, dass die Beklagte durch ihr Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben und den Anspruch sofort bei erster Gelegenheit anerkannt habe.

Dagegen richtet sich der Kostenrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Kostenentscheidung dahingehend abzuändern, dass die Beklagte zur Zahlung der Prozesskosten des Klägers in Höhe von EUR 367,20 verpflichtet werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, dem Kostenrekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

Der Kostenrekurs ist nicht berechtigt .

Der Rekurswerber argumentiert damit, dass er die Beklagte vor Einbringung der Klage außergerichtlich durch Schreiben an die E-Mail-Adresse E*F*@G* aufgefordert habe. Nach der dem Anspruch des Klägers zu Grunde liegenden Fluggastrechte-VO habe die Erstattung binnen sieben Tagen zu erfolgen (§ 8 Abs 1 lit a Fluggastrechte-VO).

Der Kläger sei darüber hinaus Konsument iSd KSchG. Für den Verbraucher seien Vertragsbestimmungen nicht verbindlich, nach denen eine Erklärung einer strengeren Form als der Schriftform oder besonderen Zugangserfordernissen zu genügen habe (§ 6 Abs 1 Z 4 KSchG). Die Erklärung müsse an keine bestimmte Stelle erfolgen, es genüge das Einlangen in der Sphäre der Beklagten.

Dazu hat das erkennende Rekursgericht erwogen:

Nach § 45 ZPO fallen dem Prozessgegner die Kosten zur Last, wenn der Beklagte a) durch sein Verhalten keinen Anlass zur Erhebung der Klage gegeben hat und b) den in der Klage erhobenen Anspruch sofort bei erster Gelegenheit anerkennt. Nur wenn beide Voraussetzungen zutreffen, kann § 45 ZPO angewendet werden ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 45 ZPO Rz 1). Bei Leistungsklagen kommt c) hinzu, dass der Schuldner die Leistung Forderung auch (unverzüglich binnen angemessener Frist) zu erfüllen hat ( M. Bydlinski § 45 ZPO Rz 10).

a) Zunächst ist daher zu prüfen, ob die Beklagte die Klageführung veranlasst hat:

Gemäß Art 5 Abs 1 lit a Fluggastrechte-VO sind Fluggästen bei Annullierung ihres Fluges vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Art 8 der VO anzubieten. Nach dieser Bestimmung hat der Fluggast dabei ein Wahlrecht zwischen Erstattung der Flugscheinkosten oder anderweitiger Beförderung. Wählt der Fluggast die Annullierung, sind die Kosten binnen sieben Tagen rückzuerstatten (Art 8 Abs 1 lit a Fluggastrechte-VO). Fristauslösend ist der Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts durch den Fluggast durch Erklärung gegenüber dem Luftfahrtunternehmen ( Degott in ** , BeckOK Fluggastrechte-VO 15 Art 8 Rz 3). Die Forderung wird durch diese Erklärung gleichzeitig fällig gestellt.

Daraus folgt die Frage, ob das Anspruchschreiben des Klagevertreters per E-Mail der Beklagten wirksam zuging und der Kläger damit sein Wahlrecht nach Art 8 Fluggastrechte-VO „erklären“ konnte.

Hier ist die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nicht zu beanstanden:

Nach allgemeinem Zivilrecht gilt eine Erklärung als zugegangen, wenn sie derart in den Machtbereich eines Empfängers gelangt ist, dass nach regelmäßigen Umständen mit der Kenntnisnahme durch ihn gerechnet werden kann und Störungen nur mehr in seiner Sphäre, aber nicht beim Absender oder bei der Übermittlungsart möglich sind (vgl Rummel in Rummel/Lukas, ABGB 4 § 862 Rz 2). Dadurch, dass die Beklagte in ihrer automatisch generierten Antwort auf die Möglichkeit der Kontaktaufnahme explizit hingewiesen hat, konnte der Kläger aber nicht mit dem Zugang seiner Erklärung rechnen (vgl Ciresa in Schwimann/Kodek , ABGB Praxiskommentar 4 § 12 ECG Rz 11). Die Frage, ob eine E-Mail-Adresse eine beachtliche Zugangsadresse darstellt, ist dabei auch im Zusammenhang mit dem E-Commerce-Gesetz nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts zu lösen (vgl Zankl , E-Commerce-Gesetz 2 Rz 199 f).

Die Beklagte hat nach den Feststellungen kein Verhalten gesetzt, das den Kläger oder den Klagevertreter dazu veranlassen durfte, auf die Adresse E*F*@G* als gültige Adresse der Beklagten für Anspruchsschreiben zu vertrauen. Nach den Feststellungen war dem Klagevertreter die richtige Korrespondenz-E-Mail-Adresse der Beklagten (E*.H*@G*) sogar bekannt. Die Übermittlung des Aufforderungsschreibens an eine E-Mail-Adresse, die nicht für solche Schreiben eingerichtet wurde und die eine automatische Antwort zurücksendet, wie man in Kontakt treten könne, ist nicht ausreichend. Gerade einem Rechtsanwalt ist abzuverlangen, dass er bei einer solch automatisch generierten Antwort nicht sogleich Klage einbringt, sondern im Sinne der Antwort vorgeht und den darin angeführten Link heranzieht oder postalisch oder per Fax an die Beklagte herantritt.

Der Klagevertreter durfte redlicherweise auf Grund des Antwortschreibens (eindeutig automatisch generiert) nicht erwarten, dass die Beklagte sein Schreiben tatsächlich gelesen hat. Die generierte Antwort-E-Mail ist nach den getroffenen Feststellungen daher nicht als Veranlassung der Beklagten zur Klageführung im Sinn des § 45 ZPO zu werten.

b) Weitere Voraussetzung des an sich siegreichen Klägers, die Kosten ersetzen zu müssen, ist die rückhaltlose Anerkennung des Klagebegehrens bei erster Gelegenheit ( M. Bydlinski § 45 ZPO Rz 7). Im bezirksgerichtlichen Verfahren ist die erste Gelegenheit der Einspruch gegen den bedingten Zahlungsbefehl ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.291; HG Wien 60 R 115/18v). Die erste Gelegenheit wurde von der Beklagten wahrgenommen: Sie erkannte den Anspruch des Klägers im Einspruch an.

c) Das bloße Anerkenntnis reicht aber nur in jenen Fällen, in denen eine darüber hinausgehende „Erfüllungshandlung“ nicht in Betracht kommt (vgl RIS-Justiz RW0000701). Der Kläger macht ein Leistungsbegehren geltend. Die Forderung wurde erst mit der Klage fällig gestellt, weil das Wahlrecht des Klägers nach Art 8 Fluggastrechte-VO (s oben) mangels Zugang der E-Mail erst mit der Klage ausgeübt wurde.

Bei Leistungsklagen ist die Forderung (unverzüglich) zu erfüllen, wobei auch hier eine nach den Umständen des Falles angemessene Frist einzuräumen ist und nicht unter allen Umständen die Erfüllung „umgehend“ erfolgen muss ( M. Bydlinski § 45 ZPO Rz 10). I* stellt ebenfalls auf eine angemessene Frist ab und erachtet die Zahlung am Tag der Einspruchserhebung als ausreichend, weil dem Gläubiger bis dahin gar kein Mehraufwand entstanden sein kann und der Schuldner die Klage noch immer nicht objektiv veranlasst hat ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.297).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts erfuhr die Beklagte erstmals durch die Klage von der Forderung des Klägers, gab den Betrag binnen vier Tagen frei und bezahlte durch die Zentrale binnen elf Tagen. Dem Telos des § 45 ZPO (und der Ansicht J* und I* ) folgend, kann es nicht darauf ankommen, ob die Beklagte binnen sieben Tagen oder binnen elf Tagen geleistet hat, weil dem Kläger dadurch kein Mehraufwand entstanden sein kann. Dabei ist nicht alleine die 7-Tage-Frist des Art 8 Fluggastrechte-VO für die Frage der angemessenen Frist für die Erfüllung der Forderung (§ 45 ZPO) heranzuziehen: Es ist für die Prüfung einer Klage mehr Zeit zuzugestehen als für die Prüfung einer außergerichtlich geltend gemachten Forderung mit in der Regel standardisierten (Online-)Formularen. Hingegen ist allein mit der Erfüllung einer eingeklagten Forderung die Klage noch nicht abgewehrt und das Verfahren noch nicht beendet. Daher ist auch die Zeit für eine rechtliche Beratung zuzugestehen. Die Erfüllung der Klageforderung binnen elf Tagen ist, betrachtet man die Notwendigkeit der Klageprüfung, die Größe der Fluggesellschaft sowie die organisatorischen Erschwernisse bedingt durch die Covid-19-Pandemie, noch als angemessen zu werten. Die Einbringung der Klage war daher verfrüht.

Dem Kostenrekurs war nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 ZPO iVm § 11 Abs 1 RATG; der Beklagten gebührt der Ersatz der von ihr verzeichneten Kosten.

Nach § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs bei Entscheidungen des Rekursgerichtes über den Kostenrekurs jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
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