JudikaturJustiz60R20/21b

60R20/21b – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. März 2021

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Präsidentin Dr. in Wittmann-Tiwald (Vorsitzende), sowie Dr. Steinberger und KR Flenreiss als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****, wider die beklagte Partei *****, vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in 1050 Wien, wegen EUR 1.032,-- samt Nebengebühren (Berufungsinteresse EUR 930,--), über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 9.12.2020, GZ 12 C 238/20t-9, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 280,54 (darin enthalten EUR 46,76 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Der Kläger begehrte eine Ausgleichsleistung von EUR 750,-- für sich und seine Mitreisenden wegen Annullierung des Fluges OS504 am 18.8.2020 von Rom nach Wien. Zudem machte er einen Aufwandersatz für Mahlzeiten und Erfrischungen von EUR 282,-- geltend.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wendete ein, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände, nämlich eine Flugplanänderung, bedingt durch die Corona-Pandemie zurückzuführen gewesen wäre.

Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei EUR 930,-- samt Nebengebühren zu bezahlen. Das Mehrbegehren von EUR 102,-- samt Nebengebühren wies es – unbekämpft - ab. Die dazu auf den Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung getroffenen Feststellungen beurteilte das Erstgericht rechtlich – zusammengefasst – dahingehend, dass die beklagte Partei im konkreten Fall nicht durch behördliche Auflagen oder Beschränkungen des Personenverkehrs zur Annullierung des Fluges gezwungen gewesen wäre. Die Nichtdurchführung eines allenfalls schlecht ausgelasteten Fluges und Umbuchung der Passagiere auf den selben Flug am nächsten Tag könne auch nicht als Maßnahme des Gesundheitsschutzes verstanden werden. Tatsächlich komme es damit nämlich – was die beklagte Partei auch zugestehe – zu einer besseren Auslastung des nächsten Fluges und damit einem größeren Infektionsrisiko auf diesem Flug. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass die Annullierung des Fluges OS504 am 18.8.2020 nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen gewesen wäre. Dazu komme, dass die beklagte Partei selbst bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände noch nicht entlastet wäre. Das Luftfahrtunternehmen müsse vielmehr nach Artikel 5 Abs 3 VO (EG) Nr. 261/2004 auch darlegen und beweisen, dass sich die Annullierung oder Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Das Luftfahrtunternehmen müsse darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihm zur Verfügung stünden, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihm gegebenenfalls nicht zumutbar wäre auf diese Ressourcen zurückzugreifen. Im vorliegenden Fall habe nicht festgestellt werden können, dass es sich bei dem dem Kläger und seinen Mitreisenden zur Verfügung gestellten Ersatzflug um die nächstmögliche Verbindung von Rom nach Wien gehandelt habe. Der beklagten Partei sei auch unter diesem Aspekt der Entlastungsbeweis nicht gelungen, sodass sie zur Zahlung der Ausgleichsleistung verpflichtet wäre. Komme das ausführende Luftfahrtunternehmen seiner Betreuungspflicht nicht nach, habe der Fluggast Anspruch auf entsprechende Entschädigung. Er könne jedoch nur solche Beträge erstattet bekommen, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erwiesen. Dem Kläger stünden daher weitere Aufwendungen für die auf Grund des verlängerten Aufenthaltes konsumierten Mahlzeiten zu. Bei den vom Kläger und seinen Mitreisenden konsumierten alkoholischen Getränken handle es sich jedoch nicht um notwendige Versorgungsleistungen, die von der beklagten Partei zu ersetzen wären.

Gegen den der Klage stattgebenden Teil dieses Urteil richtet sich die Berufung der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern, in eventu aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die klagende Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Nach Artikel 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr 261/2004 (im Folgenden „Fluggastrechte-VO“) ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Die Verordnung lässt offen, was genau unter einem „außergewöhnlichen Umstand“ zu verstehen ist. In der Entscheidung Mc Donagh/Ryan Air (31.1.2013, C-12/11) hat der EuGH hervorgehoben, dass der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wörtlich auf Umstände „auch abseits des Gewöhnlichen“ abstellt. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ ein Vorkommnis, das seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen; die Beherrschbarkeit der Gefahr ist dabei aber nicht das letzte ausschlaggebende Kriterium. Ist ein Vorkommnis aber schon nicht „außergewöhnlich“, weil es Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist (betriebstypisches Risiko), kommt es auf die Frage der Beherrschbarkeit nicht mehr an ( Schmid, BeckOK Fluggastrechte-VO 13 Art 5 Rn 24f).

Nach der Entscheidung des EuGH zu C-315/15 (Pešková und Peška/Travel Service a.s.) ist das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zur Ausgleichszahlung nur dann befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges bzw dessen von drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte vorgebracht, dass die Annullierung des verfahrensgegenständlichen Fluges auf eine erforderliche Umplanung des Flugprogrammes auf Grund der Covid-19-Pandemie zurückzuführen sei. Die beklagte Partei habe anhand der Buchungslage, des Streckennetzwerks und der Auslastung sowie der entsprechenden Implikationen durch die Covid-19-Maßnahmen Annullierungsentscheidungen treffen müssen.

Mit dieser Argumentation gesteht die beklagte Partei implizit zu, dass die Annullierung des verfahrensgegenständlichen Fluges auf Grund einer allenfalls schlechten Auslastung des Fluges erfolgt ist.

Diese Vorgangsweise ist aus ökonomischen Gründen durchaus nachvollziehbar. Es ist daraus für die beklagte Partei jedoch nichts gewonnen. Die beklagte Partei war nicht durch behördliche Auflagen oder Beschränkungen des Personenverkehrs zur Annullierung des Fluges gezwungen. Die bessere Auslastung des nächsten Fluges führte darüber hinaus – worauf das Erstgericht zu Recht verweist -, zu einem größeren Infektionsrisiko auf diesem Flug und kann daher nicht als Maßnahme des Gesundheitsschutzes verstanden werden.

Diese Überlegungen müssen daher zwingend zum Ergebnis führen, dass die Annullierung des verfahrensgegenständlichen Fluges nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen war, sodass sich schon aus diesem Grund die Berechtigung des Klagebegehrens ergibt.

Das weitere Vorbringen in der Berufung war daher mangels rechtlicher Relevanz nicht mehr zu untersuchen.

Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung basiert auf den §§ 50, 41 ZPO. Gemäß § 23 Abs 10 RATG war der Einheitssatz für die Berufungsbeantwortung nur einfach zuzusprechen.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision ergibt sich aus § 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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