JudikaturJustiz60R19/18a

60R19/18a – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2018

Kopf

Das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht hat durch den Richter Hofrat Dr. Schmidt (Vorsitzender), Richterin Dr. Wittmann-Tiwald und KR Mag. Eltner in der Rechtssache der klagenden Partei E***** , vertreten durch (...), wider die beklagte Partei X*****AG, vertreten durch (...), wegen EUR 250,-- samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 2. Jänner 2018, 5 C 503/17g-8, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 176,28 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 29,38 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hatte ein Ticket für den von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen durchzuführenden Flug XX ***** am 8.1.2017 von W***** nach K*****; die geplante Abflugzeit vom Flughafen W***** war um 15.10 Uhr und die geplante Ankunftszeit am Flughafen K***** um 16.55 Uhr.

Am Morgen des 8.1.2017 herrschte in W***** Schneefall, der bis 12.20 Uhr andauerte. Die Pisten des Flughafens waren bis in die Abendstunden, mindestens bis 18.50 Uhr, teilweise mit Schnee bedeckt und mussten vom Flughafenbetreiber geräumt werden. Der Vorflug XX ***** war auf Grund der Schneeräumung in W***** verspätet abgeflogen; die Verspätung wirkte sich auf die Folgeflüge, auch auf den hier betreffenden Flug XX ***** aus. Das Flugzeug erreichte um 19.54 Uhr in K***** seine Parkposition und setzte die Parkbremsen. Nach etwa 2 Minuten, also jedenfalls nach 19.55 Uhr, wurden die Türen des Flugzeugs geöffnet und den Passagieren das Verlassen des Flugzeugs über die Passagierbrücke gestattet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte keine zumutbaren Maßnahmen ergreifen konnte, um die Verspätung des Fluges XX ***** zu vermeiden.

Die Klägerin begehrt eine Ausgleichszahlung von EUR 250,-- wegen zumindest dreistündiger Verspätung des Flugs. Es sei auf die „tatsächliche Ankunftszeit“, auf jenen Zeitpunkt abzustellen, ab dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet und den Fluggästen das Verlassen des Flugzeuges gestattet wurde. Die Schneeräumung sei kein außergewöhnlicher Umstand gewesen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, dass die Verspätung nur 2 Stunden 59 betragen habe. Diese sei auf die Schneeräumung, auf einen außergewöhnlichen Umstand, zurückzuführen gewesen. Auf die Schneeräumung hätte die Beklagte keinen Einfluss gehabt. Von der Gesamtverspätung sei die Verspätung auf Grund eines außergewöhnlichen Umstands, hier zumindest 30 Minuten, abzuziehen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es stellte den auf den Seiten 3 und 4 ersichtlichen Sachverhalt fest, der im Wesentlichen eingangs wiedergegeben wurde. Rechtlich führte es aus, dass bei einem Zeitverlust von mindestens 3 Stunden bei der Ankunft am Endziel die selben Ausgleichsansprüche zustünden wie bei einer Annullierung. „Ankunftszeit“ sei der Zeitpunkt, zu dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet werde, sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeuges gestattet sei (EuGH C-452/13). Da die Türen zwei Minuten nach Setzen der Parkposition geöffnet worden seien, somit jedenfalls nach 19.55 Uhr, betrage die Differenz zwischen der geplanten und der tatsächlichen Ankunftszeit mehr als drei Stunden.

Die Verspätung sei auf Grund eines außergewöhnlichen Umstandes erfolgt, weil sie auf eine Schneeräumung durch den Flughafenbetrieb zurückzuführen sei, die das Luftfahrtunternehmen nicht kontrollieren könne. Die Beklagte sei aber ihrer Behauptungs- und Beweispflicht nach Artikel 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO nicht nachgekommen. Sie habe nicht vorgebracht, dass sie keine zumutbaren Maßnahmen hätte ergreifen können, womit die Verspätung hätte vermieden werden können. Ihr Vorbringen, sie habe auf die Schneeräumung am Flughafen keinerlei Einfluss und keine Möglichkeit gehabt, schneller zu handeln, habe sie nicht beweisen können.

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten sei von der Gesamtverspätung jene Verspätung, die auf einen außergewöhnlichen Umstand beruhe, nicht abzuziehen. Dies wäre nach der Entscheidung des EuGH C-315/15 nur bei einem anderen Umstand möglich, der nicht in diese Kategorie falle.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Das Berufungsgericht verweist auf die überzeugenden rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts. Dem gegenüber sind die Argumente der Berufungswerberin nicht stichhältig, sodass eine kurze Stellungnahme hierzu genügt (§ 500a ZPO).

2. Entgegen dem Vorbringen der Berufungswerberin ist das vom Erstgericht zitierte Urteil des EuGH C-452/13 für die Auslegung des Begriffs „Ankunftszeit“ maßgeblich. Das ergibt sich nicht nur aus den Vorlagefragen, sondern auch aus der inhaltlichen Argumentation. Diese stellt darauf ab, dass die Einschränkungen, die für die Fluggäste mit dem Flug notwendig verbunden sind, erst enden, wenn den Fluggästen das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist und dafür das Öffnen der Flugzeugtüren angeordnet wird. Erst dann könnten sie sich grundsätzlich wieder in gewohnter Weise betätigen, ohne den im Einzelnen genannten Einschränkungen zu unterliegen.

Im konkreten Fall kommt es aber nicht einmal auf die Zeitspanne für das Öffnen der Flugzeugtüren an, um den Fluggästen das Verlassen des Flugzeugs zu ermöglichen.

Eine Verpflichtung zur Ausgleichszahlung entsteht schon bei einer Verspätung von drei Stunden („drei Stunden und mehr“). Bei der geplanten Ankunftszeit von 16.55 Uhr betrug bereits bei der Ankunft mit Setzen der Parkbremsen um 19.55 Uhr die Verspätung drei Stunden, welche zur Ausgleichszahlung verpflichtet.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage nach der Zeitspanne für das Öffnen der Flugzeugtüren beim Vergleich zwischen der geplanten und tatsächlichen Ankunftszeit und eine Stellungnahme zu der von der Berufungswerberin zitierten Entscheidung des LG Korneuburg 22 R 40/16m.

3. Die Berufungswerberin vertritt die Ansicht, dass die Negativfeststellung zu den ihr zumutbaren Maßnahmen nicht zu ihren Lasten gehe. Nach der Entscheidung EuGH C-315/15 könne ein Luftfahrtunternehmen nur solche Maßnahmen treffen, die ihm auch tatsächlich obliegen könnten und nicht in die Zuständigkeit anderer fallen würden. Die Nachweispflicht des Luftfahrtunternehmens treffe lediglich das Treffen konkret festgestellter Maßnahmen; im konkreten Fall habe das Erstgericht keine konkreten tauglichen Maßnahmen festgestellt.

Entgegen der Ansicht der Berufungswerberin steht das Urteil des Erstgerichts im Einklang mit der Entscheidung EuGH C-315/15. Danach ist das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zur Ausgleichszahlung nur befreit, „ wenn es nachweisen kann , dass die Annullierung des Fluges bzw. dessen um drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Da also nicht alle außergewöhnlichen Umstände zu einer Befreiung führen, obliegt es demjenigen, der sich darauf berufen möchte, den Nachweis zu führen, dass sie sich jedenfalls nicht durch der Situation angemessene Maßnahmen hätten vermeiden lassen (...)“. ( Hervorhebung Berufungsgericht )

Haben außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung oder Annullierung eines Fluges geführt, dann hat das Luftfahrtunternehmen konkret vorzubringen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihm zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihm gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen ( Schmid in Schmid, BeckOK Fluggastrechte-VO, Art 5 Rn 142 mwN).

Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf widrige Wetterbedingungen und daraus resultierende Steuerungsmaßnahmen eines Flughafenunternehmens oder des Flugsicherungsunternehmens, so muss es konkret vortragen, „ welche Maßnahmen zur schnellstmöglichen Weiterreise erwogen bzw ergriffen worden sind und warum gegebenenfalls derartige Maßnahmen von Vornherein aussichtslos und damit sinnlos gewesen wären.“ ( Schmid in Schmid, BeckOK Fluggastrechte-VO, Art 5 Rn 153 mit Hinweis auf BG Schwechat 16 C 813/14a und 1 C 936/16g).

Im konkreten Fall brachte die Beklagte lediglich vor, dass sie auf die Schneeräumung am Flughafen keinerlei Einfluss habe, sie hätte nicht schneller handeln können, weil es sich hierbei um außergewöhnliche Umstände handle.

Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte ihrer Behauptungs- und Beweispflicht im Sinne von Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO nicht nachgekommen ist.

4. Die – undifferenzierte – Schlussfolgerung der Berufungswerberin, wonach von der Gesamtverspätung die Zeit, welche auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, abzuziehen sei, ist mit der von ihr zitierten Entscheidung EuGH C-315/15 nicht vereinbar. Diese Ansicht steht auch im Widerspruch zu Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO. Danach befreien allein außergewöhnliche Umstände noch nicht von der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung; vielmehr muss das Luftfahrtunternehmen nachweisen, dass sich die außergewöhnlichen Umstände auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

5. Die Berufung erweist sich somit als nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
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