JudikaturJustiz60R118/18k

60R118/18k – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
03. Januar 2019

Kopf

Das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht hat durch Richter Dr. Hinek (Vorsitzender), Richterin ** und KR Ing. Pichler in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Heinke . Skribe + Parnter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei C* , D* E*-D*, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen EUR 250,-- samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 29.8.2018, 3 C 102/17x-35, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es wie folgt lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 250,00 samt 4% Zinsen seit 16.2.2017 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 552,96 bestimmten Kosten des Verfahrens (darin enthalten EUR 92,16 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 217,28 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 29,38 USt und EUR 41,00 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Kläger hat eine bestätigte Buchung für einen Flug LH2331 am 24.1.2017 von E* nach F* mit der geplanten Ankunft um 17:50 Uhr. Dieser wurde annulliert und der Kläger auf einen anderen Flug umgebucht, der mehr als zwei Stunden verspätet in F* eintraf.

Der Flug hätte mit einem Fluggerät der beklagten Partei durchgeführt werden sollen. Die kommerzielle Steuerung des Flugs sowie der gesamte Verkauf oblag der G* AG, Muttergesellschaft der beklagten Partei. Die G* AG beantragte auch die Slots. Dies ist weder aus der Buchungsreferenz noch aus der Auskunft DVS Deutsche Flug Sicherung GmbH erkennbar. In der Buchungsreferenz ist festgehalten: „Durchgeführt von: C*“.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Passivlegitimation der beklagten Partei, nämlich ob sie ein ausführendes Luftfahrunternehmen ist.

Der Kläger begehrte EUR 250,00 s.A. an Ausgleichsleistung gestützt auf die europäische Fluggastrechte-VO und darauf, dass die beklagte Partei ausführendes Luftfahrtunternehmen sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und brachte im Wesentlichen vor, dass die beklagte Partei nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen sei; sie habe bloß das Flugzeug und die Crew zur Verfügung gestellt.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es stellte den auf Seite zwei der Urteilsausfertigungen wiedergegebenen Sachverhalt fest, der eingangs zusammengefasst wurde. Rechtlich führte es aus, dass die beklagte Partei ausführendes Luftfahrtunternehmen sei. Der Flug hätte mit einem Fluggerät der beklagten Partei durchgeführt werden sollen, lediglich die kommerzielle Steuerung sei der G* AG oblegen. Für den Kläger sei die Durchführung durch die beklagte Partei aus seiner Buchungsreferenz sowie aus der Auskunft der ** Sicherung GmbH vom 31.8.2017 erkennbar gewesen. Anders lautende, interne Vereinbarungen zwischen der beklagten Partei und der G* AG seien für ihn nicht erkennbar gewesen, weshalb die beklagte Partei ausführendes Luftfahrtunternehmen sei. Aufgrund der mehr als zweistündigen Verspätung stehe dem Kläger gemäß Art 5 iVm Art 7 der Fluggastrechte-VO ein Ausgleichsanspruch von EUR 250,00 zu.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der beklagten Partei aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt .

1.1 Die Berufungswerberin rügt, dass die beklagte Partei nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen gewesen sei, sondern die G* AG. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei Art 2 Buchst b der Fluggastrechte-VO so auszulegen, dass nicht die beklagte Partei die operative Verantwortung trage, auch wenn diese in den Buchungsbestätigungen als durchführendes Unternehmen bezeichnet werde. Für die operative Verantwortung komme es darauf an, wer die Slots beantrage bzw innehabe.

1.2 Artikel 5 Abs 1 Buchst c iVm Artikel 7 Abs 1 Buchst a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechte-VO) sieht einen Anspruch auf Ausgleichsleistung für Fluggäste, die von der Annullierung eines Fluges betroffen sind, gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vor.

Nach Artikel 2 Buchst b der Fluggastrechte-VO ist „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen - juristischen oder natürlichen Person - die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt.

Nach dem Erwägungsgrund 7 der Fluggastrechte-VO sollen - damit diese Verordnung wirksam angewandt wird - die durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.

Diese Definition des Art 2 Buchst b der Fluggastrechte-VO stellt demnach zwei kumulative Voraussetzungen für die Einstufung eines Luftfahrtunternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auf, nämlich zum einen die Durchführung des betreffenden Fluges und zum anderen das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrags. Das Luftfahrunternehmen ist als ausführendes Luftfahrtunternehmen anzusehen, das im Rahmen seiner Tätigkeit der Beförderung von Fluggästen die Entscheidung trifft, einen bestimmten Flug durchzuführen – die Festlegung seiner Flugroute eingeschlossen – und dadurch ein an Interessierte gerichtetes Angebot für den Luftverkehr schafft. Eine solche Entscheidung zu treffen bedeutet nämlich, dass dieses Unternehmen die Verantwortung für die Durchführung dieses Fluges, einschließlich insbesondere seiner etwaigen Annullierung oder einer etwaigen großen Verspätung bei seiner Ankunft übernimmt (EuGH 4.7.2018, C-532/17, Wirth ua ).

1.3 Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens zum Begriff „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ in der Rechtssache C-532/17 sprach der EuGH am 4.7.2018 Folgendes aus:

„Der Begriff ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annulierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 und insbesondere ihres Art 2 Buchst b ist dahin auszulegen, dass er das Luftfahrtunternehmen, das – wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende – einem anderen Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines Vertrags über die Vermietung eines Flugzeugs mit Besatzung („wet lease“) das Flugzeug samt Besatzung vermietet, für die Flüge aber nicht die operationelle Verantwortung trägt, nicht erfasst, auch wenn es in der den Fluggästen ausgestellten Buchungsbestätigung über einen Platz auf einem Flug heißt, dass dieser Flug von dem erstgenannten Unternehmen ausgeführt wird.“

Gemäß Art 267 Buchst a AEUV entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge. Nach ständiger Rechtsprechung wird dadurch erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (EuGH 6.3.2007, C-292/04, Meilicke; EuGH 27.3.1980, 127 und 128/79, Salumi ). Die Auslegung durch den EuGH entfaltet daher rückwirkende Kraft.

1.4 Das Erstgericht stellte zwar nicht ausdrücklich fest, dass zwischen der beklagten Partei und der G* AG eine Wet-Lease Vereinbarung (= Vereinbarung über das Ver- oder Anmieten eines Flugzeugs mit Besatzung zwischen zwei Luftfahrtunternehmen) vorlag. Nach herrschender Rechtsprechung ist es jedoch prozessual unbedenklich, unstrittiges Parteivorbringen ohne weiteres der Entscheidung zugrunde zu legen (§§ 266 f ZPO). Dies gilt auch für das Berufungsverfahren (vgl 2 Ob 142/16w).

Die beklagte Partei brachte mehrmals vor, dass sie lediglich das Flugzeug und die Crew für den Flug zur Verfügung gestellt habe. Die G* AG habe sich dessen im Wege des Wet-Lease bedient (ON 6 S 2, 7 S 2). Dies wurde vom Kläger nicht substantiiert bestritten. Er führte in erster Instanz bloß aus, dass es nicht auf die Crew oder das Flugzeug, sondern auf die operative Leitung ankomme. Da das gerichtliche Geständnis das Gericht an die zugestandenen Tatsachen bindet und bezüglich dieser Tatsachen ein Beweisthemenverbot schafft (RIS-Justiz RS0039949), ist der Entscheidung ohne Verfahrensergänzung eine Wet-Lease Vereinbarung zu Grunde zu legen. Das oben genannte Urteil des EuGH ist daher auch für die vorliegende Entscheidung präjudiziell.

1.5 Das Erstgericht stellte fest, dass „die kommerzielle Steuerung des gegenständlichen Fluges wie auch der gesamte Verkauf der G* oblag, welche auch die Slots beantragte.“ Der Zeuge I* erläuterte die Bedeutung von kommerzieller Steuerung näher, nämlich dass der gesamte Verkauf durch die G* AG abgewickelt worden und die Abfertigung durch die G* AG oder einen Drittpartner erfolgt sei. Jegliche operative Entscheidung oder Streichung sei der G* AG oblegen (ON 32 S 3). Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts hatte daher nicht die beklagte Partei die operationelle Verantwortung für den annullierten Flug inne. Da im Sinne der Auslegung des EuGH die Nennung eines anderen Luftfahrtunternehmens in der Buchungsbestätigung an der Qualifikation als ausführendes Luftfahrtunternehmen nichts ändert, ist die beklagte Partei mangels Eigenschaft als ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht passivlegitimiert.

Die zweite kumulative Voraussetzung nach Art 2 Buchst b der Fluggastrechte-VO braucht daher nicht mehr geprüft zu werden.

1.6 Die Berufung erweist sich somit als berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO (vgl RIS-Justiz RS0107860).

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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