JudikaturJustiz4Ob37/21a

4Ob37/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Hon. Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dax Wutzlhofer Partner Rechtsanwälte GmbH in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei P***** P*****, vertreten durch Ing. Mag. Reinhard Wagner, Rechtsanwalt in Hartmannsdorf, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 13. November 2020, GZ 13 R 86/20z 22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 27. Jänner 2020, GZ 2 C 410/19z 16, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das Urteil des Erstgerichts wird dahin berichtigt, dass es insgesamt lautet:

„1. Die gerichtliche Aufkündigung vom 18. 4. 2019 ist rechtswirksam.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Bestandgegenstand Wohnung top 1 im 2. Obergeschoss mit der Adresse *****, im Ausmaß von rund 113 m² samt dem rechten überdachten Kfz Abstellplatz im Hof mit dem Schild „*****“ sowie das Abteil am Dachboden des Hauses im Ausmaß von rund 20 m² geräumt von eigenen Fahrnissen binnen 14 Tagen an die klagende Partei zu übergeben.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 2.860,45 EUR (darin enthalten 107 EUR an Barauslagen und 459,91 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die klagende Stadtgemeinde ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** samt darauf errichtetem Gebäude *****. Auf der Liegenschaft befindet sich das Gemeindeamt, das zwei Gebäudetrakte (links und rechts der Hofeinfahrt) aufweist. Die aufgekündigte Wohnung top 1 des Beklagten befindet sich im linken Trakt im 2. Obergeschoss (über dem Sitzungssaal) und hat eine Nutzfläche von rund 113 m². Die Klägerin verfügt über acht Gemeindebedienstete, die im Gemeindeamt arbeiten.

[2] Das Gemeindeamtsgebäude wurde im Jahr 1958 errichtet; das Gemeindeamt ist nicht barrierefrei zugänglich. Der Eingang zum Gemeindeamt liegt in einer Hofeinfahrt. Auf der linken Seite der Hofeinfahrt befindet sich der Hauptbereich des Gemeindeamts. Dieser Bereich besteht aus einem schmalen Vorraum (Wartebereich ohne Sitzmöglichkeiten), drei Büroräumlichkeiten (zwei Büros mit zwei Arbeitsplätzen und ein Büro mit einem Arbeitsplatz), ein weiteres Büro mit drei Arbeitsplätzen sowie einem Besprechungsraum/Sozialraum. Im 1. Stock auf der linken Seite befindet sich der Sitzungssaal mit 25 Sitzplätzen für die Gemeinderäte. Da zu den Sitzungen im Durchschnitt 10 bis 15 Zuhörer kommen, werden die Gemeinderatssitzungen in Wirtshäusern abgehalten. Im 1. Stock auf der linken Seite befindet sich noch ein Archiv und ein Büro mit einem Arbeitsplatz, das im Ausmaß von 25 Stunden pro Woche von der Volkshochschule benützt wird. Im 2. Stock auf der linken Seite befindet sich die Wohnung des Beklagten. Auf der rechten Seite der Hofeinfahrt befinden sich der Raum für das Standesamt, das Büro des Bürgermeisters und ein Archiv. Im 1. und 2. Stock auf der rechten Seite befindet sich jeweils eine nunmehr leerstehende Wohnung. Der Dachboden ist nicht ausgebaut und ungedämmt; er weist starke Dachschrägen auf beiden Seiten auf. Hier befindet sich das Dachbodenabteil des Beklagten. Im hinteren Teil des Hofes befindet sich ein Nebengebäude, in dem derzeit der Bauhof untergebracht ist. Hier befinden sich noch das Büro des Bauhofleiters und zwei leerstehende Wohnungen.

[3] Zur Erledigung der Verwaltungsangelegenheiten der Klägerin ist es in den letzten Jahren zu einem beträchtlichen Mehraufwand an Arbeit gekommen. Aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse ist ein zeitgemäßer Parteienverkehr im Gemeindeamt nicht mehr möglich. Pläne zur Neuorganisation des Gemeindeamts bestehen schon seit einigen Jahren. Aufgrund von Wirtschaftlichkeitserwägungen entschloss sich die Klägerin zu einem Umbau des Gemeindeamts anstatt zur Errichtung eines Neubaus. Mitte 2018 beauftragte sie einen Architekten mit der Erstellung eines Raumkonzepts. Danach soll die Zufahrt und der Zugang zum Gemeindeamt – wegen der problematischen Parkplatzsituation im Bereich der Hauptstraße – von der anderen Seite des Grundstücks erfolgen. Aus diesem Grund soll das Nebengebäude im hinteren Teil des Hofes abgerissen werden. Zur Herstellung der Barrierefreiheit muss ein Aufzug im Gebäude errichtet werden. Weiters soll jedem Mitarbeiter ein eigenes Büro zur Verfügung stehen; zudem sollen ausreichende Aufenthalts-, Sozial- und Besprechungsräume vorhanden sein. Vorgesehen sind auch zeitgemäße Sanitärräume für Mitarbeiter, Parteien und Parteien mit Behinderung. Benötigt werden auch genügend Räume für die Aktenlagerung sowie für die Haustechnik. Im 2. Stock soll ein ausreichend großer Sitzungssaal eingerichtet werden, in dem auch eine größere Anzahl von Zuhörern Platz findet. Schließlich sind brandschutztechnische Vorgaben zu berücksichtigen.

[4] Dem Beklagten stehen mehrere Ersatzwohnungen zur Verfügung, und zwar an den Adressen ***** oder *****.

[5] Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis gegenüber dem Beklagten aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 11 MRG auf und begehrte die Räumung der Wohnung top 1 samt Nebenräumen. Zur zeitgemäßen Wahrnehmung ihrer Verwaltungsaufgaben müsse das Gemeindeamtsgebäude komplett saniert werden. Aufgrund des Platzbedarfs werde dazu auch die Wohnung des Beklagten benötigt.

[6] Der Beklagte entgegnete, dass es der Klägerin an der Prozessführungslegitimation mangle, weil keine den Vorschriften der burgenländischen Gemeindeordnung entsprechende (schriftliche) Prozessvollmacht vorliege. Außerdem bestehe kein Eigenbedarf der Gemeinde, weil diese die Möglichkeit habe, das Gemeindeamt zu adaptieren, ohne dafür die Wohnung des Beklagten in Anspruch zu nehmen. Es bestehe auch die Möglichkeit, den Dachboden sowie den Kellerbereich entsprechend zu nutzen.

[7] Das Erstgericht gab der Klage statt und trug dem Beklagten auf, den Bestandgegenstand an die Klägerin zu übergeben. Die von der Klägerin geplanten Umbauarbeiten müssten durchgeführt werden, weil das Gemeindeamt in seiner derzeitigen Form nicht mehr zeitgemäß verwendet werden könne und die Klägerin nicht in der Lage sei, den vermehrten Verwaltungsaufwand gesetzeskonform zu bewältigen. Dazu benötige die Klägerin auch das Bestandobjekt des Beklagten. Werde das Mietobjekt benötigt, damit die Gemeinde ihren Verwaltungsaufgaben nachkommen könne, so sei der in Rede stehende Kündigungsgrund verwirklicht.

[8] Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Beklagten wegen Nichtigkeit, die sich auf das behauptete Fehlen der Prozessvollmacht bezog. Der angezogene Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO liege nicht vor. Berufe sich ein Rechtsanwalt auf die erteilte Vollmacht, so werde nach § 30 Abs 2 ZPO auch der Nachweis ersetzt, dass der einschreitende Rechtsanwalt von dem die Gemeinde nach außen hin vertretenden Bürgermeister bevollmächtigt worden sei. Außerdem könne ein Mangel der gesetzlichen Vertretung durch nachträgliche Genehmigung der Prozessführung saniert werden. Schließlich könne der angezogene Nichtigkeitsgrund nur von derjenigen Partei geltend gemacht werden, deren gesetzlicher Schutz beeinträchtigt worden sei, nicht aber auch vom Gegner. Gesetzlich nicht gehörig vertreten wäre eine Gemeinde dann, wenn nach den einschlägigen Organisationsvorschriften ein Gemeinderatsbeschluss vorgesehen sei, der tatsächlich aber nicht vorliege. Auch darauf könne sich der Beklagte nicht berufen, weil ein entsprechender Gemeinderatsbeschluss (am 7. 2. 2019) gefasst worden sei.

[9] Im Übrigen bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts. Das Erstgericht sei zutreffend vom Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 11 MRG ausgegangen. Der Bestandgegenstand werde zur Gänze, wenn auch in umgebauter Form, weiterverwendet. Zudem seien dem Beklagten Ersatzwohnungen angeboten worden. Das bisherige Mietobjekt des Beklagten werde von der Klägerin für Zwecke der Hoheitsverwaltung benötigt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich die bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in denen der in Rede stehende Kündigungsgrund verneint worden sei, auf den Abbruch des gesamten oder eines Teils des Gebäudes und des Bestandgegenstands bezogen hätten. Zu der hier vorliegenden Fallkonstellation eines geplanten Umbaus ohne Abbruch oder Teilabbruch des Gebäudes liege hingegen keine Rechtsprechung des Höchstgerichts vor.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten, die darauf abzielt, die Aufkündigung für rechtsunwirksam zu erklären und das Räumungsbegehren abzuweisen.

[11] Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Ad I.:

[13] Das Erstgericht hat entgegen der Bestimmung des § 572 ZPO nur den Räumungsbefehl erlassen und nicht auch die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt. Bei diesem Ausspruch handelt es sich allerdings um einen notwendigen Urteilsbestandteil. Fehlt dieser, so kann der Mangel unter den Voraussetzungen des § 419 ZPO mit Urteilsberichtigung beseitigt werden.

[14] Da es sich im gegebenen Zusammenhang offenkundig um eine Auslassung des Erstgerichts im Spruch handelt, sind die Voraussetzungen für eine Urteilsberichtigung nach § 419 ZPO gegeben. Nach Abs 3 leg cit kann die Berichtigung – aus Anlass eines Rechtsmittels – auch in höherer Instanz angeordnet werden (vgl dazu Brenn in Höllwerth/Ziehensack § 419 ZPO Rz 7 ff, 14 und 19).

Ad II.:

[15] 1. In der Revision hält der Beklagte zunächst seinen Einwand aufrecht, dass es auf Seiten der Klägerin an einer (schriftlichen) Prozessvollmacht fehle. Das Berufungsgericht führe nicht aus, ob eine Sanierung der Nichtigkeit bei Verletzung der zwingenden Bestimmungen der burgenländischen Gemeindeordnung überhaupt möglich sei.

[16] Ist das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat es eine solche verneint, so ist die Wahrnehmung dieser (behaupteten) Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich (RS0042981; RS0043405).

[17] Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

[18] 2. In rechtlicher Hinsicht führt der Beklagte in der Revision (lediglich) aus, dass ein Bedarf der Klägerin an der Wohnung des Beklagten im Rahmen der Hoheitsverwaltung für die acht Mitarbeiter, für den Bürgermeister und für den Gemeindesaal etc wegen der bereits leer stehenden Wohnungen sowie des vorhandenen Dachbodens nicht gegeben sei.

Diese Ausführungen führen nicht zum Erfolg.

3.1 Für den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 11 MRG müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Die klagende Eigentümerin (mindestens zur Hälfte: § 30 Abs 3 Satz 3 MRG) ist eine Gebietskörperschaft (Bund, Land oder Gemeinde);

die Gebietskörperschaft hat einen dringenden Bedarf an den aufgekündigten Räumlichkeiten zu Zwecken der Hoheitsverwaltung;

das aufgekündigte Objekt diente bisher nicht oder in einem geringeren Ausmaß (als nunmehr geplant) den Interessen der Verwaltung;

dem Mieter wird eine Ersatzwohnung bereitgestellt ( Würth/Zingher/Kovanyi , Miet- und Wohnrecht 23 § 30 MRG mwN).

Der dringende Raumbedarf muss an den aufgekündigten Räumlichkeiten bestehen. Bei dieser Beurteilung ist aber ein milderer Maßstab als bei den Eigenbedarfstatbeständen des § 30 Abs 2 Z 8 und 9 MRG anzulegen. Der Frage, ob der Gebietskörperschaft alternative Möglichkeiten der Raumbeschaffung zur Verfügung stehen, kommt im Allgemeinen keine entscheidende Bedeutung zu. Auch eine Interessenabwägung hat nicht stattzufinden ( Hausmann/Vonkilch , Wohnrecht - MRG 3 § 30 Rz 91 f; Würth/Zingher/Kovanyi , Miet- und Wohnrecht 23 § 30 MRG Rz 55). Es kommt in erster Linie daher darauf an, ob der Bestandgegenstand nach dem an den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung ausgerichteten Konzept der Gebäudesanierung auf eine andere Art als bisher für Zwecke der Hoheitsverwaltung verwendet werden soll.

[19] 3.2 Im Anlassfall steht der Platzmangel der Klägerin bei Besorgung ihrer Verwaltungsaufgaben und das daraus resultierende Erfordernis zur Adaptierung des Gemeindeamts fest. Die Klägerin hat ihre Entscheidung, das Bestandobjekt aufzukündigen, auf der Grundlage eines fachkundig erstellten Raumkonzepts getroffen. Nach diesem Konzept soll im 2. Stock des Gebäudes, wo sich derzeit die Wohnung des Beklagten befindet, ein neuer, größerer Sitzungssaal errichtet werden.

[20] Daraus folgt prima vista, dass die Klägerin die bisherige Wohnung des Beklagten zur zeitgemäßen Besorgung ihrer hoheitlichen Agenden benötigt. Nur mit dem vom Beklagten dagegen ins Treffen geführten Umstand, dass zwei Wohnungen leerstehen, vermag er der Berechtigung der Aufkündigung nicht entgegen zu treten. Vielmehr müsste er in der konkreten Situation näher begründen, warum die Realisierung des zugrunde liegenden Raumkonzepts nicht möglich ist oder nicht den Verwaltungsgrundsätzen entspricht oder warum die räumlichen, baulichen und finanziellen Zielvorgaben mit dem Konzept nicht erreichbar erscheinen oder auf andere Weise ohne Einbeziehung des Bestandgegenstands genauso gut umgesetzt werden können. Dazu finden sich in der Revision keine Ausführungen.

[21] 4. Der Revision des Beklagten kommt keine Berechtigung zu, weshalb ihr der Erfolg zu versagen war.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.