JudikaturJustiz3R80/14h

3R80/14h – LG Feldkirch Entscheidung

Entscheidung
20. März 2014

Kopf

Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch die Richterin Hofrätin Dr. Kempf als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Kallina und Dr. Weißenbach als weitere Senatsmitglieder in der Familienrechtssache der Antragstellerin S***** E *****, vertreten durch Mag. Jürgen Nagel, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die Antragsgegner 1. H***** E *****, und 2. E***** E *****, wegen Aufhebung der Adoption, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 17. Jänner 2014, 19 Fam 4/13w-12, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert , dass er lautet:

„Die vom Ersten Gericht für Familienrecht Sayi in Gaziosmanpasa am 9.11.2004 bewilligte Adoption, Aktenzahl: 2004/616, Beschlusszahl: 2004/793, der S***** B***** (jetzt E*****) als Wahlkind durch H***** und E***** E***** als Wahleltern wird gemäß § 201 Abs 1 Z 4 ABGB aufgehoben.

Mit dem Eintritt der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses erlöschen die durch die Annahme zwischen den Wahleltern und deren Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen Nachkommen andererseits begründeten Rechtsbeziehungen; mit diesem Zeitpunkt leben die familienrechtlichen Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und deren Verwandten einerseits und dem Wahlkind und dessen Nachkommen andererseits, soweit sie durch die Adoption erloschen sind, wieder auf (§ 202 ABGB).“

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin S***** E***** ist das Adoptivkind der Antragsgegner H***** E***** und E***** E*****. S***** E***** war zum Zeitpunkt der Adoption im Jahre 2004 (noch) minderjährig und türkische Staatsbürgerin; sie besitzt (zumindest) seit 8. Juli 2013 die österreichische Staatsbürgerschaft. E***** E***** ist bereits seit dem 3. Mai 2004 österreichische Staatsbürgerin. H***** E***** ist nach wie für türkischer Staatsangehöriger.

Am 4. Juli 2013 stellte S***** E***** beim Erstgericht den Antrag, die am 9.11.2004 vor dem Familiengericht in Hozat-Tasitli Köyü (gemeint vor dem ersten Gericht für Familienrecht Sayi in Gaziosmanpasa) geschlossene (bewilligte) Adoption aus Gründen, die im gegenständlichen Verfahren nicht näher erörtert werden sollten im Einvernehmen zwischen Adoptivkind und Adoptiveltern aufzuheben.

Diesen Antrag hat das Erstgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 17. Jänner 2014 abgewiesen.

Das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption finde auf den hier gegenständlichen Sachverhalt keine Anwendung. Das Übereinkommen regle nur die Voraussetzungen für die Adoption, enthalte aber keine Bestimmungen über deren Auflösung. Maßgeblich sei somit § 26 Abs 1 IPRG, welcher für die Beendigung der Wahlkindschaft an das Personalstatut jedes Annehmenden und das Personalstatut des Wahlkindes anknüpfe. Das Personalstatut einer natürlichen Person sei nach § 9 IPRG das Recht des Staates, dem die Person angehöre. Für den Fall der Adoptionsbeendigung auf Grund nachträglicher Beendigungsgründe werde an das Personalstatut zum Zeitpunkt der Vollendung des Beendigungstatbestandes angeknüpft (Verschraegen in Rummel 3 § 26 IPRG Rz 16). Das Wahlkind habe zu diesem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Wahlmutter sei ebenfalls österreichische Staatsbürgerin und der Wahlvater türkischer Staatsbürger. Anzuwenden sei türkisches und österreichisches Rechts kumulativ. Während im österreichischen Recht eine einvernehmliche Aufhebung der Wahlkindschaft gemäß § 201 Abs 1 Z 4 ABGB unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei, sehe das türkische Familienrecht keine einvernehmliche Aufhebung der Wahlkindschaft vor. Da die Aufhebung der Adoption nur bewilligt werden dürfe, wenn diese nach beiden Rechtsordnungen zulässig sei, das türkische Familienrecht aber keine Möglichkeit zur einvernehmlichen Auflösung der Wahlkindschaft vorsehe, könne diese nach österreichischem Recht nicht bewilligt werden. Der Antrag sei daher abzuweisen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, dem Rekurs stattzugeben und den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Adoption (gemeint: die Aufhebung der Adoption) bewilligt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Wahleltern haben sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die Rekurswerberin macht als Rekursgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sowohl sie als auch ihre Wahleltern hätten sei vielen Jahren ihren (auch letzten gemeinsamen) Wohnsitz in Österreich. Die Adoption sei in Österreich anerkannt. Die stärkste Beziehung aller Beteiligten bestehe somit zur österreichischen Rechtsordnung. So habe auch bereits das Amtsgericht Darmstadt ausgesprochen, dass das österreichische Internationale Privatrecht dem Grundsatz der Beurteilung nach derjenigen Rechtsordnung, zu der die stärkste Beziehung besteht, den Vorrang vor dem für die Adoption berufenen Heimatrecht der Annehmenden gebe (RIS-Justiz RS0104762). Artikel 18 des türkischen IPRG sehe hinsichtlich der Frage, welches Recht bei Internationaler Anknüpfung zur Anwendung gelangt, keine ausdrückliche Regelung betreffend die Aufhebung einer Adoption vor. Gemäß Artikel 18 Abs 3 des türkischen IPRG komme hinsichtlich der Wirkung der Adoption aber jenes Recht zur Anwendung, welches auch die allgemeinen Wirkungen der Ehe regle. Demgemäß wäre österreichisches Recht auf Grund des gemeinsamen Wohnsitzes der Antragsgegner und der Antragstellerin in Österreich anwendbar. Aber selbst bei der Annahme, dass bezüglich der Aufhebung der Adoption kumulativ türkisches Recht zur Anwendung gelange, sehe § 258 türkisches ZGB die Aufhebung der Adoption aus wichtigen Gründen vor. Diesfalls erfolge die Aufhebung der Adoption im Einverständnis sämtlicher Beteiligter, um eine streitige Auseinandersetzung auf Grund des Vorliegens wichtiger Gründe, welche jedoch zur Vermeidung weiterer persönlicher Zerwürfnisse zwischen den Parteien nicht vorgebracht werden sollten, zu vermeiden. Schließlich sei im Sinne des § 6 IPRG anzumerken, dass es den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widersprechen würde, würde das anzuwendende Recht die einvernehmliche Aufhebung des Adoption – insbesondere unter Zugrundelegung des Vorliegens wichtiger persönlicher Gründe und die Nahebeziehung zur österreichischen Rechtsordnung auf Grund der Wohnsitze aller Beteiligten – verhindern. Insbesondere unter Beachtung des Rechts auf Privatleben gemäß Art 8 EMRK, wozu auch ein Identitäts- und Ehranspruch sowie die Achtung des Namens zähle, sei es nicht einsichtig, dass eine Aufhebung der Adoption auf Grund der Anwendung türkischen Rechts nicht stattfinden können sollte. Demgemäß sei in Österreich die Aufhebung der Adoption nach § 201 Abs 1 Z 4 ABGB auf gemeinsamen Antrag möglich.

Das Rekursgericht hat erwogen:

Im vorliegenden Fall ist die inländische Gerichtsbarkeit iSd § 113b Abs 1 iVm Abs 3 JN gegeben, weil sowohl die Wahlmutter als auch das Wahlkind österreichische Staatsbürger sind.

Das österreichische Recht sieht die Aufhebung der Wahlkindschaft durch das Gericht unter anderem dann vor, wenn der Wahlvater (die Wahlmutter) und das eigenberechtigte Wahlkind die Aufhebung beantragen (§ 201 Abs 1 Z 4 ABGB).

Abweichend davon kennt das türkische Recht – wie im Übrigen auch andere Rechtsordnungen – keine durch Einvernehmen der Beteiligten begründete Aufhebung der Adoption. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass sich in Artikel 317 ff des türkischen Zivilgesetzbuches Nr. 4721 vom 22.11.2001 (ZGB) sehr wohl Bestimmungen zur Aufhebung des Adoptionsverhältnisses finden.

Die Voraussetzungen der Annahme an Kindesstatt und der Beendigung der Wahlkindschaft nach § 26 Abs 1 Satz 1 IPRG sind kumulativ nach dem Personalstatut jedes Annehmenden und dem Personalstatut des erwachsenen Wahlkindes zu beurteilen (vgl Neumayr in KBB 3 § 26 IPRG Rz 4; Verschraegen in Rummel 3 IPRG § 26 Rz 3; RIS-Justiz RS0119783). Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört (§ 9 erster Satz IPRG).

Die jetzt gültige Regelung des § 26 Abs 1 IPRG wurde mit dem FamErbRÄG 2004, BGBl I Nr. 58/2004, eingeführt und gilt seit 1.7.2004. Im Unterschied zur früheren Fassung sind die Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt und der Beendigung der Wahlkindschaft seither kumulativ nach dem Personalstatut jedes Annehmenden und dem Personalstatut des Kindes zu beurteilen. Bis dahin ist es nur auf das Personalstatut jedes Annehmenden angekommen. Ziel der Änderung war es, Probleme im Zusammenhang mit der Erwachsenenadoption, die in vielen Ländern gar nicht möglich ist, in den Griff zu bekommen. Für nicht eigenberechtigte (minderjährige) Kinder änderte sich durch die Neuregelung im Hinblick auf den zweiten Satz des § 26 Abs 1 IPRG nichts. Durch die kumulative Rechtsanwendung sollte die Entscheidung des Heimatstaats des eigenberechtigten (volljährigen) Wahlkindes, die Adoption nicht oder nur unter besonderen Umständen zuzulassen, respektiert werden. Die Adoption einer eigenberechtigten (volljährigen) Person sollte daher nicht mehr zulässig sein, wenn deren Personalstatut die Adoption entweder generell (zB wenn das Rechtsinstitut der Adoption nicht bekannt ist) oder wegen ihres Alters nicht zulässt; solche Personen konnten in Österreich ab 1.7.2004 nicht mehr wirksam adoptiert werden (vgl die Materialien zum FamErbRÄG 2004, ErläutRV 471 BLGNr 22. GP 1, 34). Vorrangiges Anliegen des Gesetzgebers war die Eindämmung der Erwachsenenadoption. Hinsichtlich der Aufhebung einer solchen finden sich in den Materialien keine Erörterungen. Eine teleologische, nicht am Wort haftenden Interpretation der Übergangsbestimmung führt zu dem Ergebnis, dass die Beendigung (Widerruf, Anfechtung, Unwirksamkeit) der Adoption als Folge der Verletzung von Adoptionsvoraussetzungen dem verletzten Recht, also dem verletzten Formstatut des § 8 IPRG oder dem verletzten Adoptionsstatut des § 26 Abs 1 IPRG im Zeitpunkt der Adoption untersteht. Die übrigen Fälle der Adoptionsbeendigung als Folge nachträglicher Beendigungsgründe sind hingegen gemäß § 7 (Statutenwechsel) an das Personalstatut jedes Annehmenden zur Zeit der Vollendung des Beendigungstatbestands anzuknüpfen (9 Ob 89/09t, Verschraegen aaO IPRG § 26 Rz 18). Daraus folgt, dass im hier zu beurteilenden Fall als Anknüpfungspunkt für die Anwendung türkischen Sachrechts nur (noch) die Staatsangehörigkeit des Wahlvaters herangezogen werden kann.

Gemäß § 5 IPRG umfasst die Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung auch deren Verweisungsnormen (Abs 1). Verweist die fremde Rechtsordnung zurück, so sind die österreichischen Sachnormen (Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen) anzuwenden (Abs 2 1. Teilsatz). Erklärt das fremde IPR sein eigenes Sachrecht für maßgeblich, ist dieses anzuwenden. Verfügt das fremde IPR dagegen eine Verweisung, kommt es darauf an, ob es sich dabei – aus Sicht des fremden IPR – um eine Gesamt- oder Sachnormverweisung handelt. Beinhaltet das fremde IPR eine Sachnormverweisung, ist das jeweils berufene Sachrecht anzuwenden, unabhängig davon, ob es sich um eine Rück- oder Weiterverweisung handelt. Spricht dagegen das fremde IPR eine Gesamtrückverweisung aus, wird diese zur Vermeidung eines unendlichen „Verweisungspingpongs“ von § 5 Abs 2 IPRG in eine Sachnormverweisung auf das österreichische Recht umgedeutet (vgl Neumayr aaO Rz 2 mwN).

Das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht der Türkei ist im Gesetz Nr. 5718 vom 27.11.2007 geregelt. Die hier maßgebliche Bestimmung (zitiert nach Hänggi, Juni 2001, www.swisstuerk.ch) lautet:

Artikel 18 Adoption

(1) Die Fähigkeit zu und die Voraussetzungen der Adoption unterliegen dem Heimatrecht jedes der Beteiligten im Zeitpunkt der Adoption.

(2) Auf die Adoption und die Zustimmung des anderen Ehegatten zur Adoption werden die Heimatrechte der Ehegatten gemeinsam angewandt.

(3) Die Wirkungen der Adoption unterliegen dem Heimatrecht des Annehmenden; im Falle der gemeinschaftlichen Adoption der Ehegatten unterliegen sie dem Recht, dass die allgemeinen Wirkungen der Ehe regelt.

Die Regelung der allgemeinen Wirkungen der Ehe findet sich in Art 13 (Ehe und ihre allgemeinen Wirkungen), dessen hier relevanter Teil lautet:

(3) Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten. Falls die Parteien verschiedener Staatsangehörigkeit sind, wird das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, bei Fehlen eines solchen Türkisches Recht angewandt.

Wenn der Begriff „Wirkungen“ in Art 18 Abs 3 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht weit ausgelegt wird – was im vorliegenden Fall schon deswegen sachgerecht ist, weil alle Beteiligten seit vielen Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben und kein Zweifel daran bestehen kann, dass der hier vorliegende Lebenssachverhalt die stärkste Beziehung zum österreichischen Sachrecht hat, und auch nicht erkennbar ist, dass damit gegen den Kinderschutz, einem grundlegenden Anliegen des internationalen Adoptionsrechts, verstossen wird –, ist in Verbindung mit Art 13 Abs 3 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht von einer Rückverweisung gemäß § 5 Abs 2 IPRG auszugehen. Diese hat zur Folge, dass die hier beantragte Aufhebung der Wahlkindschaft ausschließlich nach österreichischem Recht zu beurteilen ist.

Unter diesen Voraussetzungen ist dem Antrag des Wahlkindes, dem sowohl der Wahlvater als auch die Wahlmutter ausdrücklich zugestimmt haben, gemäß § 201 Abs 1 Z 4 ABGB stattzugeben. Der Ausspruch über den Eintritt der Rechtskraft und die aus der Aufhebung der Wahlkindschaft resultierenden Rechtsfolgen beruht auf § 202 ABGB.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes ist, einen Beitrag zur Auslegung ausländischen Rechts zu leisten (RIS-Justiz RS0042948 [T1]; 8 Ob 120/10w).

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