JudikaturJustiz37R116/07v

37R116/07v – LG Eisenstadt Entscheidung

Entscheidung
21. September 2007

Kopf

Das Landesgericht Eisenstadt als Rekursgericht hat durch die Richter Mag. Claudia Gradwohl-Klein (Vorsitzende), Dr. Jürgen Rassi und Mag. Susanna Hitzel in der Rechtssache der klagenden Partei T***** AG, 4046 Linz, *****, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in 1010 Wien, gegen die beklagte Partei M***** F*****, 8041 Graz, *****, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, wegen Euro 913,24 s.A., über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Güssing vom 29.8.2007, GZ 2 C 497/07a-6, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss in seinem Punkt 1 aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Der am 21.5.2007 (ON 4) antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl wurde dem Beklagten durch Hinterlegung an der Adresse 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** zugestellt. Als Beginn der Abholfrist ist der 29.5.2007 dokumentiert.

Die beklagte Partei beantragte mit ihrem Schriftsatz vom 16.8.2007 (ON 5), ihr den Zahlungsbefehl zuzustellen. Weiters wurde die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls begehrt, Einspruch gegen diesen erhoben und gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Zahlungsbefehl verbunden mit dem Antrag auf Aufschiebung des zu GZ 4 E 1626/07a des Erstgerichts geführten Exekutionsverfahrens gestellt. Der Beklagte brachte vor, dass er nie unter der Adresse 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** wohnhaft bzw gemeldet gewesen sei. Er wohne vielmehr in 8041 Graz, *****. An Beweismitteln beantragte er seine Einvernahme, die Vernehmung von W***** R*****, pA 8293 Wörth a.d. Lafnitz, *****; weiters wurde eine Urkunde vorgelegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss ON 6 wies das Erstgericht die Anträge auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und Neuzustellung des Zahlungsbefehl ab (Punkt 1) und behielt sich die Entscheidung über die Wiedereinsetzung vor (Punkt 2). Ohne Durchführung eines Beweisbzw Bescheinigungsverfahrens stellte es fest, „dass die Zustellung an die beklagte Partei unter der Adresse 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** ordnungsgemäß erfolgt ist".

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden (gemeint offenbar: den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Anträge auf Zustellung des Zahlungsbefehls und Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung bewilligt werden); in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Rekurs ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Festzuhalten ist zunächst, dass trotz der missverständlichen Anfechtungserklärung die beklagte Partei den Beschluss nur in Punkt 1. angefochten hat. Dies ergibt sich aus den Rekursausführungen. Der (den Beklagten ohnedies nicht beschwerende) Vorbehalt betreffend den noch offenen Wiedereinsetzungsantrag in Punkt 2. blieb hingegen unbekämpft.

Weiters ist klarzustellen, dass trotz des EUR 2.000,-- nicht übersteigenden Streitwerts der Rekurs zulässig ist (vgl § 517 Z 6 ZPO).

Gemäß § 87 Abs. 1 ZPO ist von Amts wegen nach dem ZustellG zuzustellen. Gemäß § 4 ZustellG darf einem Empfänger an jede Zustelladresse zugestellt werden. Unter Zustelladresse fällt nach § 2 Z 4 ZustellG (ua) eine Abgabestelle. Eine Abgabestelle ist wiederum die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort (§ 2 Z 5 ZustellG). Unter Wohnung iSd ZustellG wiederum wird eine nach außen hin abgeschlossene Räumlichkeit oder Raumeinheit verstanden, wo jemand seine ständige Unterkunft hat, wo er gewöhnlich nächtigt oder sich sonst dauernd aufzuhalten pflegt, wo also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse ist (EFSlg 8.888, EvBl 1957/209, 1969/205, ZfVB 1983/1176, 1989/636, 1992/145, 1994/703, hg 13 R 151/03). Entscheidend ist dabei das tatsächliche Bewohnen, nicht die polizeiliche Meldung (EvBl 1988/22 = SZ 60/226 uva). Eine Wohnung wird von der Rechtsprechung nicht angenommen bei bloß fallweiser Benützung (ZfVB 1994/703) derselben und wenn sich der Empfänger dort nur als häufiger Besucher aufhält (MietSlg 28.583, 38.812) oder wenn der Empfänger die Raumeinheit während eines längeren Zeitraumes nicht benützt oder länger abwesend ist (EvBl 1968/240, 1969/205). Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht dadurch verloren, dass der Empfänger die vom Gesetz geforderte Nahebeziehung zu diesem Ort (das Wohnen oder die Beschäftigung dort) auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum aufgibt, der nach den Gepflogenheiten des Lebens das Abwarten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar erscheinen lässt. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles, insbesonders einen bereits bekannten Grund der Abwesenheit und die Dringlichkeit des Verfahrens an (Fasching, Lehrbuch² Rz 532). Ohne Zweifel verliert eine Wohnung aber ihren Charakter als Abgabestelle dann, wenn der Empfänger diese aufgibt, um an anderer Stelle eine neue Wohnung zu nehmen.

Davon zu unterscheiden wiederum ist die Bestimmung des § 17 Abs 1 ZustellG, wonach dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle zugestellt werden darf und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger (oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 ZustellG) regelmäßig an der Abgabestelle aufhalten, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen ist. Voraussetzung dafür ist aber das Bestehen einer Abgabestelle.

Gerade dieses Bestehen der Abgabestelle ist im vorliegenden Fall aber nicht geklärt. Das Erstgericht kann sich lediglich auf den Rückschein betreffend die Zustellung stützen, der die Zustellung durch Hinterlegung ausweist. Besteht über die Zustellung durch Hinterlegung eine öffentliche Urkunde, macht diese wohl zunächst vollen Beweis darüber, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge auch eingehalten wurden. Der Rückschein ist damit eine öffentliche Urkunde, die an sich den Beweis erbringt, dass die Zustellung an diesem Tag vorschriftsmäßig erfolgte (vgl 1 Ob 137/05m). Es ist Sache dessen, dem gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den Gegenbeweis

der Vorschriftswidrigkeit der Hinterlegung zu führen (3 Ob 48/93 = SZ

66/68 = EvBl 1994/10). Das Führen des Gegenbeweises der Vorschriftswidrigkeit der Hinterlegung setzt das Aufstellen entsprechender Behauptungen über die beim Zustellvorgang unterlaufenen Fehler voraus (RS0040471).

Nun hat die beklagte Partei ein ausreichendes Vorbringen samt Beweisanbot zur Vorschriftswidrigkeit der Zustellung (bzw der Hinterlegung) erstattet. Der angefochtene Beschluss erweist sich als fehlerhaft, weil dieses Vorbringen beim Erstgericht nicht ansatzweise argumentativen Niederschlag gefunden hat. Es liegt somit eine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Das Erstgericht hat nicht sämtliche Feststellungen getroffen, die zur abschließenden Beurteilung der Rechtssache notwendig waren. Aufgrund einer falschen Rechtsansicht wurden die angeboteten Beweise nicht aufgenommen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht - unter Beiziehung der klagenden Partei - die Abgabestelle in 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** bzw den Zustellvorgang zu überprüfen und die angebotene Beweise aufzunehmen haben. Im Anschluss daran hat das Erstgericht in der zu treffenden Entscheidung ausreichende Feststellungen darüber zu treffen, ob im Zeitpunkt der Zustellung Ende Mai 2007 eine Wohnung des Beklagten an der Adresse 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** vorlag. Erst wenn das Vorliegen einer Abgabestelle bejaht werden kann, ist die Frage der Zulässigkeit der Hinterlegung zu prüfen. Eine wirksame Zustellung wird dann zu verneinen sein, wenn dem Beklagten der Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Zustellung gelingt (Stumvoll in Konecny/Fasching II/2² § 22 ZustellG Rz 7 mwN). Dieser Gegenbeweis ist dann erbracht, wenn der Beweiswert bzw die Überzeugungskraft des die Zustellung dokumentierenden Rückscheins zweifelhaft ist (vgl Rechbeger/Simotta6 Rz 591). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn festgestellt werden kann, dass die Adresse 8293 Wörth a.d. Lafnitz, ***** im Zustellzeitpunkt vom Beklagten nicht als Wohnung oder sonstige Abgabestelle benützt wurde. Aber auch wenn darüber letztlich Zweifel bleiben, geht dies zu Lasten der Behörde (WR 581; 10 Ob 221/92; SZ 68/54; 6 Ob 286/06m). Kann daher etwa die Behauptung eines Zustellempfängers, zur Zeit der Zustellung an der betreffenden Anschrift gar nicht wohnhaft gewesen zu sein, nicht widerlegt werden, ist die postamtliche Hinterlegung ohne Zustellwirkung (RZ 1974/7 = EvBl 1974/147, 13 Os 165/74;6 Ob 286/06m; Gitschthaler in Rechberger § 22 ZustellG Rz 5).

Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Erstgericht daher mit dem Vorbringen der beklagten Partei und den dazu angebotenen Beweisen auseinanderzusetzen haben.

Landesgericht Eisenstadt

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