JudikaturJustiz36R207/19m

36R207/19m – LG für ZRS Wien Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2019

Kopf

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht erkennt durch seinen Richter VPräs. Mag. Peter Weiß als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Gabriele Smudits und Mag. Inge Strebl in der Rechtssache des Klägers ***** Mödling, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, wider die Beklagte ***** Versicherung AG ***** Wien, vertreten durch Mag. Christoff Beck, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) Euro 1.742,09 samt Anhang , infolge Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27.06.2019, 37 C 121/18x-25, in nicht-öffentlicher Sitzung gemäß § 480 Abs. 1 ZPO zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit Euro 314,71 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten Euro 52,45 USt.) zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs. 2 ZPO).

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Mit der am 05.02.2018 eingebrachten Klage begehrte der Kläger vorerst Euro 1.846,50 samt Anhang mit dem wesentlichen Vorbringen, es habe sich am 31.05.2017 gegen 7:50 Uhr in Maria Enzersdorf „In den Schnablern“ Nr. 11 ein Verkehrsunfall ereignet, bei dem der von ihm gehaltene Pkw VW-Touran, Kennzeichen MD ***** (Klagsfahrzeug), mit einem von ***** gehaltenen und gelenkten Pkw Renault Clio, Kennzeichen BN ***** (Zeugenfahrzeug), kollidiert sei. Ursache für diese Kollision sei das vorschriftswidrige Einfahren des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Fiat Panda, Kennzeichen MD ***** (Beklagtenfahrzeug), in den Fließverkehr gewesen, weswegen das vor dem Klagsfahrzeug fahrende Zeugenfahrzeug eine Vollbremsung habe vornehmen müssen. Trotz sofortiger Reaktion habe der Klagslenker ein Auffahren auf das Zeugenfahrzeug nicht mehr verhindern können. Das Alleinverschulden am Verkehrsunfall treffe die Beklagtenlenkerin, weil diese den Vorrang des Fließverkehrs nicht beachtet habe. Der Kläger habe seiner (Haftpflicht-)Versicherung einen Schadenersatzbeitrag (Selbstbehalt) von Euro 600,-- für diesen Versicherungsfall bezahlen müssen, welcher aufgrund des Quotenvorrechts des Versicherungsnehmers zur Gänze rückgefordert werde. Weiters sei dem Kläger ein „Rückstufungsschaden“ (durch die Maluseinstufung) entstanden und würden die Mehrkosten (die im Detail aufgeschlüsselt wurden) gesamt Euro 1.662,-- betragen. Davon werde hier unter Anrechnung eines 25-prozentigen Mitverschuldens ein Betrag von Euro 1.246,50 geltend gemacht. Später ergänzte der Kläger, aufgrund eines Berechnungsfehlers sei der Rückstufungsschaden zunächst unrichtig berechnet worden, tatsächlich betrage dieser Euro 1.522,79, 75 % davon, somit Euro 1.142,09, würden geltend gemacht sowie weiterhin der Selbstbehalt von Euro 600,--. Schließlich erhob der Kläger unter Berücksichtigung eines allenfalls noch nicht fälligen Schadens aus der Rückstufung ein Eventualbegehren.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte dessen Abweisung und hielt dem zunächst entgegen, die Beklagtenlenkerin habe durch ihr Fahrverhalten keinen Fließverkehr gefährdet oder behindert. Abgesehen davon seien die vom Kläger geltend gemachten Schäden nicht ersatzfähig, und zwar weder der Selbstbehalt aus der Haftpflichtversicherung, noch der sogenannte Rückstufungsschaden. Für den Fall des Zuspruchs dieser Beträge an den Kläger wäre dieser bereichert, auf die Vertragsgestaltung zwischen diesem und seiner Haftpflichtversicherung habe die Beklagte keinen Einfluss.

Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Erstgericht das Klagebegehren (samt Eventualbegehren) zur Gänze ab und verhielt den Kläger zum Kostenersatz. Es ging dabei von jenen Feststellungen aus, die auf den Seiten 7-10 der Urteilsausfertigung (AS 119-122) ersichtlich sind; darauf wird verwiesen. Rechtlich folgerte es, dass die Beklagtenlenkerin eine Vorrangverletzung begangen habe, die (auch) den Klagslenker (wegen der Bremsung des Zeugenfahrzeugs) zu einer Notbremsung veranlasst habe. Deswegen treffe die Beklagtenlenkerin ein maßgebliches Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls, das Mitverschulden des Klagslenker sei mit einem Viertel zu berücksichtigen. Dennoch bestehe die Klagsforderung zur Gänze nicht zu Recht, weil der Rückstufungsschaden in der Haftpflichtversicherung nicht ein Folgeschaden der Verletzung der Substanz des Eigentums des Versicherungsnehmers (so wie in der Kaskoversicherung), sondern eine Konsequenz der Verletzung der Rechtsgüter des Unfallgegners sei. Die Herbeiführung eines Malusschadens stehe daher in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Beschädigung der versicherten Sache. Dieser sei somit ein reiner (bloßer) Vermögensschaden, der im deliktischen Bereich nicht generell ersatzfähig sei, sondern nur dann, wenn dies durch ein besonderes Schutzgesetz angeordnet werde. Als solches könne die StVO nicht angesehen werden, die grundsätzlich den Zweck habe, Personen- und Sachschäden, nicht aber Bonusverluste und Malusschäden anderer Verkehrsteilnehmer zu verhindern. Diese Überlegung gelte auch für den Selbstbehalt des Klägers aus der Haftpflichtversicherung, weil auch dieser davon herrühre, dass vom Klagsfahrzeug einem Dritten einen Schaden verursacht worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, eventualiter es ihm Sinn der Stattgabe des Eventualbegehrens abzuändern; hilfsweise wird schließlich ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Der Berufungswerber argumentiert, er habe einen Teil des Schadens, nämlich Euro 600,-- selbst zu bezahlen gehabt, der Rest sei von seiner Haftpflichtversicherung getragen worden. Dass er nun nicht berechtigt wäre, die durch seine Zahlung auf ihn übergegangene Forderung gegenüber der Schadensverursacher den geltend zu machen, sei nicht gerechtfertigt. Auch wenn dies als Selbstbehalt bezeichnet worden sei, und zwar zwischen dem Kläger und seiner Haftpflichtversicherung, würde dies nichts daran ändern, dass damit der Schaden des vor dem Klagsfahrzeug befindlichen Fahrzeugs reguliert worden sei. Deswegen könne auch der Kläger diesen Teil des von ihm bezahlten Schadens zurückfordern. Diese Überlegung gelte auch für die beim Kläger eingetretenen Schädigung nach dem „Bonus-Malus-System“, weil der Rückstufungsschaden in der Haftpflichtversicherung des Klägers von der Beklagtenlenkerin verursacht worden sei. Eine vom Erstgericht zitierte „Uraltentscheidung“ (= ZVR 1989/88) sei aufgrund des zwischenzeitig eingetretenen Wandels in der Rechtsprechung überholt. Wenn eine Haftpflichtversicherung die von ihr bezahlte Schadenssumme zum Teil von ihrem Versicherungsnehmer in Form einer „Mehrprämie“ zurückfordere, so sei dies nichts anderes als eine bloße Schadensverlagerung, die den Schädiger nicht entlasten dürfe.

Dem ist folgendes zu entgegnen:

Das Erstgericht hat zutreffend dargestellt, dass die Beträge, die der Kläger fordert einen sogenannten „reinen Vermögensschaden“ darstellen. Dies deswegen, weil zwar eine Belastung des Vermögens des Klägers entstanden ist, allerdings unabhängig von der Schädigung real angreifbarer Rechtsgüter. Dies gesteht der Berufungswerber letztlich selbst zu, indem er darauf hinweist, dass sich der sogenannte „Malus“ (in der Haftpflichtversicherung) daraus ableitet, dass bei einem Dritten ein Schaden verursacht wurde.

Nach den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts sind derartige Schäden (nach wie vor) nicht generell ersatzfähig, sondern nur dann, wenn solches durch ein besonderes Schutzgesetz angeordnet wird. Anderes würde gelten, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Vertragsverhältnis bestünde, was aber hier unzweifelhaft nicht der Fall ist. Das Erstgericht hat weiters zutreffend darauf hingewiesen, dass die Normen des Straßenverkehrsrechts hier nicht als Schutzgesetz(e) herangezogen werden können, weil der (mit-)schuldige Dritte zwar unter Umständen schuldhaft gegen solche Vorschriften verstoßen haben mag, es jedoch diesbezüglich am Rechtswidrigkeitszusammenhang mangelt. Weiterhin haben nämlich die Vorschriften des Straßenverkehrsrechts den Zweck, Personen- und Sachschäden zu verhindern, nicht aber sonstige Schädigungen (im reinen Vermögen) abzuwehren. Nachdem - wie soeben dargestellt - der sogenannte Einstufungsschaden kein Personen- oder Sachschaden im Sinn des § 1 EKHG ist, scheidet (auch) eine Verantwortlichkeit des (mit-)schuldigen Geschädigten nach dem EKHG aus, sodass nach der derzeitigen Rechtslage auch unter Beachtung der diesbezüglichen aktuellen Rechtsprechung eine Ersatzpflicht der Beklagten ausscheidet (vgl. zu alldem R. Welser , Fragen der zivilrechtlichen Haftung aus Verkehrsunfällen, in ZVR 1978, Sonderheft, S 37 ff sowie die bereits vom Erstgericht zitierte Judikatur).

Diese Überlegungen gelten nicht nur für den sogenannten Rückstufungsschaden in der Haftpflichtversicherung, sondern auch für den vom Kläger geforderten Selbstbehalt, der in seinem Versicherungsvertrag (vgl. Beilage G) „Schadenersatzbeitrag“ genannt wird. Unzweifelhaft wird eine derartige Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung nur getroffen, damit der Versicherungsnehmer in den Genuss einer vergünstigten (Jahres-)Prämie kommt. Allerdings bleibt es aber auch hier dabei, dass dieses Vertragsverhältnis nichts mit einem potentiellen dritten Schädiger aus einem Verkehrsunfall zu tun hat und deckt bekanntermaßen die Haftpflichtversicherung keinen Eigenschaden des Versicherungsnehmers, sondern steht für berechtigte Ersatzforderungen Dritter gegenüber dem Versicherungsnehmer ein. Damit entsteht, wenn ein derartiger „Schadenersatzbeitrag“ zum Tragen kommt, ebenso eine (bloße) Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers, ohne zugrunde liegenden Personen- oder Sachschaden auf seiner Seite. Damit ist auch ein derartiger „Schadenersatzbeitrag“ nach denselben Grundsätzen ersatzfähig wie soeben beim Rückstufungsschaden im Bonus-Malus-System dargestellt. Daraus folgt letztlich auch, dass sich die Frage nach einem allfälligen Quotenvorrecht (im Gegensatz zum nur teilweise ersetzten Eigenschaden des Versicherungsnehmers in der Kaskoversicherung) hier gar nicht stellt.

Dementsprechend liegt hier auch keine – wie vom Kläger behauptete – Schadensverlagerung vor. Eine solche besteht beispielsweise im Fall der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber des verletzten Arbeitnehmers. Auch hierbei ist allerdings der eigentlich geschädigte Arbeitnehmer, der wegen seiner Verletzung nicht arbeiten kann und daher auch keinen Lohn bekommen würde, in einem absolut geschützten Rechtsgut verletzt. Die Schadensverlagerung ergibt sich diesfalls daraus, dass der Arbeitgeber den Schaden des Arbeitnehmers (kein Anspruch auf Entgelt ohne Arbeitsleistung) durch Entgeltfortzahlung auszugleichen hat und der Schadenersatzanspruch gegenüber dem Schädiger auf den Arbeitgeber übergeht (vgl. RIS-Justiz RS0043287). Diese Pflicht ist einerseits gesetzlich verankert, wodurch sich der gegenständliche Fall bereits erheblich von dem beschriebenen Fall der Schadensverlagerung unterscheidet und andererseits ist der Schaden am Vermögen auf die Schädigung der körperlichen Unversehrtheit des Arbeitnehmers und damit, wie dargestellt, auf die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts zurückzuführen. Eine vergleichbare Situation oder gar eine Schadensverlagerung iSd Rechtsprechung liegt hier aber nicht vor.

Das Erstgericht hat damit zutreffend eine Haftung der Beklagten für die vom Kläger geforderten Beträge verneint.

Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Dabei war allerdings der in der Berufungsbeantwortung verzeichnete Einheitssatz von 180 % auf 60 % zu korrigieren (§ 23 Abs. 10 RATG).

Die Unzulässigkeit der Revision folgt aus der eingangs genannten Gesetzesstelle.

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