JudikaturJustiz32Bs292/23k

32Bs292/23k – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberstleutnant Posch Fahrenleitner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 23. November 2023, GZ 193 Bl 25/23p 6, nach 121b Abs 2 und 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1) Der Antrag auf Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

2) Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss im Spruchpunkt 2 aufgehoben und die Angelegenheit in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht einen Antrag auf Verfahrenshilfe zurück (1.). Eine Beschwerde vom 23. November 2023 (gemeint: vom 2. Juni 2023) wurde als unzulässig zurückgewiesen (2.).

Dazu hielt das Erstgericht wortwörtlich fest wie folgt:

Mit Eingabe vom 09.11.2022 stellte der Untergebrachte ein Ansuchen, in welchem er den Ankauf von 20 Briefmarken aus den Mitteln der Rücklage begehrte. Am 25.05.2023 stellte der Untergebrachte kein derartiges Ansuchen.

Am 30.11.2022 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass kein Bedarf an einer Ausweitung des Bestellwesens bestehen würde. Am 09.08.2023 wurde er darüber hinaus informiert, dass kein Antrag vom 25.05.2023 vorliegen würde.

In der Beschwerde beantragte der Untergebrachte einerseits „umfassende Verfahrenshilfe“ und monierte andererseits die Nichterledigung seiner Ansuchen (ON 1). Die Anstaltsleitung nahm dazu mit Bericht vom 09.08.2023 Stellung (ON 4).

Beweiswürdigend stützt sich der Sachverhalt auf die unbedenkliche und inhaltlich unwidersprochene Stellungnahme der Anstaltsleiterin (ON 4), die mit den aktenmäßig erfassten Vorgängen im Einklang steht, sodass diese den getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt werden konnten.

Rechtlich erwog das Erstgericht mit Hinweis auf die Rechtsprechung, dass Verfahrenshilfe im gegenständlichen Verfahren nicht vorgesehen sei.

Die Beschwerde hinsichtlich der Mitteilung von 30. November 2022 sei verspätet, da die 14 tägige Beschwerdefrist am 14. Dezember 2022 geendet habe. Die erst am 2. Juni 2023 verfasste und am 5. Juni 2023 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangte Beschwerde sei daher jedenfalls verspätet.

Der Umstand, dass der Leiterin der Justizanstalt Wien Mittersteig kein Antrag vom 25. Mai 2023 vorliegen würde, sei dem Beschwerdeführer am 9. August 2023 mitgeteilt worden, weitere diesbezügliche Beschwerden seien nicht aktenkundig. Die sich auf den angeblichen Vorfall am 25. Mai 2023 beziehende Beschwerde sei daher mangels Entscheidung der Anstaltsleitung zurückzuweisen.

Überdies würden die Beschwerden auch inhaltlich fehlschlagen, weil der Beschwerdeführer nicht darlege, weshalb die Anschaffung von Briefmarken der Förderung seines Fortkommens nach der Entlassung diene.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A*, der neuerlich einen Antrag auf umfassende Verfahrenshilfe zur Erhebung einer fachlichen Beschwerde an das Oberlandesgericht stellt. Er führt aus, dass dies für alle Rechtsschritte/Mittel, einschließlich OGH, EuGH und EGMR gelte und verlangt die Beigabe eines fachlichen Verfahrenshelfers gemäß Art 47 GRC, § 61 Abs 2, 4 StPO iVm Art 3, 5 Abs 1, 6 EMRK. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs habe jeder in der Maßnahme Angehaltene das Recht auf Verfahrenshilfe (9 Nds 144/83=SSt 53/73; RIS-Justiz RS0049099[T2]; 1 N 506/99; RS0014643; 8 Ob 177/64). Der Verwaltungsgerichtshof vertrete daher die Auffassung, dass die Bestimmungen der StPO über die Bewilligung der Verfahrenshilfe analog anzuwenden seien (VwGH, 9. November 2008, 2008/06/0141). Insgesamt gelte die StPO laut Oberstem Gerichtshof in allen Fällen, wo das StVG keine lex speciales Regelung vorsehe (ON 8).

Weiters moniert A*, dass das Erstgericht die Stellungnahmen der Anstaltsleiterin als unbedenklich und inhaltlich unwidersprochen qualifiziere, ohne dass ihm eine Kopie zur Verfügung gestellt worden sei, was nahelege, dass das Erstgericht Rechtswidrigkeiten der Anstaltsleiterin decke.

Mit 9. November 2022 sei ein Antrag auf Ankauf von Postwertzeichen via der FTZ Leitung aus seinem GGV Konto gestellt worden, da der Trafikant immer zu wenig Postwertzeichen vorrätig habe. Am 7. August 2023 sei abermals schriftlich Antrag auf Ankauf von Postwertzeichen aus seinem GGV Konto gestellt worden, ebenso auf umgehende Aushändigung der entwendeten unzähligen Postwertzeichen seit 25. Jänner 2022 und der vorfrankierten Briefkuverts aus seiner Privatpost, wobei zu genannten Fällen seit 25. Jänner 2022 einige Strafanzeigen, Beschwerden dem Landesgericht für Strafsachen Wien bekannt seien.

Es werde missachtet, dass er menschenrechtswidrig nach § 21 StGB untergebracht sei. Die Maßnahme sei keine urteilsmäßige Strafe und sei es nicht legal, vorfrankierte Briefkuverts aus der Privatpost zu stehlen.

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Verfahrenshilfe ist im gegenständlichen Verfahren nicht vorgesehen, weil die Strafprozessordnung in den Beschwerdeverfahren nach §§ 16 Abs 3, 16a StVG keine subsidiäre Wirkung entfaltet, sodass allein die in § 17 Abs 2 StVG vorgesehenen Normen des AVG und des VStG zur Anwendung kommen, welche die Gewährung von Verfahrenshilfe nicht vorsehen (RIS-Justiz RW0000767; Pieber in WK² StVG § 17 Rz 19; Drexler/Weger , StVG5 § 17 Rz 7). Mangels subsidiärer Wirkung der StPO kommt die Bestimmung des § 61 StPO somit nicht zur Anwendung .

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang Art 47 GRC ins Treffen führt, ist vorauszuschicken, dass dieser Bestimmung zufolge Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

Die GRC gilt gemäß ihrem Art 51 Abs 1 erster Satz für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union . Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe fällt, wenn kein Zusammenhang mit der Umsetzung, Auslegung oder Vollziehung von Unionsrecht besteht, nicht in den Anwendungsbereich der GRC ( Holoubek/Oswald , GRC-Kommentar² Art 51 Rz 23).

Zunächst handelt es sich im vorliegenden Fall um keine unter Art 6 Abs 1 EMRK fallende Rechtssache, weil weder ein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage, noch über eine Streitigkeit wegen „civil rights“ iSd Art 6 EMRK vorliegt.

Da auch ein Zusammenhang mit Unionsrecht iSd Art 51 GRC nicht vorliegt, ist die Charta – die nicht unter das Recht der Union fällt, da sie anderenfalls ihre eigene Anwendbarkeit auslösen würde ( Meyer/Hölscheidt , GRC 5 Art 51 Rz 55; Holoubek/Oswald, GRC-Kommentar 2 Art 51 Rz 25) - nicht anzuwenden. Damit kann der Anspruch auf Verfahrenshilfe nicht auf Art 47 GRC gestützt werden.

Auch die vom Untergebrachten zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2008, GZ 2008/06/0141, stellt auf das – hier nicht in Rede stehende – Verfahren zur bedingten Entlassung ab. Aus den weiters in der Beschwerde zitierten Rechtssätzen RS0014643 und RS0049099 sowie den Entscheidungen, 1 N 506/99 und 8 Ob 177/64, die jeweils zu Bestimmungen des ABGB und der ZPO ergangen sind, lässt sich – entgegen der Rechtsansicht des A* – keineswegs ableiten, dass der Oberste Gerichtshof jedem in der Maßnahme Angehaltenen das Recht auf Verfahrenshilfe einräumt. Gleiches gilt für die Entscheidung 9 Nds 144/83 (gemeint: 9 Nds 144/82).

Sohin war einerseits die Beschwerde in puncto Verfahrenshilfe unberechtigt, andererseits der neuerlich gestellte Antrag auf Verfahrenshilfe zurückzuweisen.

Zum Monitum, das Erstgericht sehe die Stellungnahme der Anstaltsleiterin als unbedenklich und unwidersprochen an, obwohl ihm eine Kopie des Berichts nicht ausgefolgt worden sei, ist festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer der Bericht der Anstaltsleiterin im Rahmen des Parteiengehörs zu Kenntnis gebracht wurde (ON 4 S 5). Parteien können sich nach § 17 Abs 1 AVG von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Die Partei hat zwar einen Rechtsanspruch darauf, dass Kopien der Akten auf ihre Kosten angefertigt werden ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 17 Rz 7; Entscheidung des VwGH vom 17. September 2003, 2002/20/0392), nicht jedoch einen solchen – wie von A* angedacht (ON 5 S 2) - auf Erhalt von kostenlosen Kopien. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf kostenlose Ausfolgung der Kopie einer dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs (bereits) auf andere Weise (vgl diesbezüglich Hengstschläger/Leeb , AVG § 45 Rz 34, 35) zur Kenntnis gebrachten Stellungnahme der Anstaltsleiterin ist im Übrigen auch nicht aus dem StVG oder dem AVG ableitbar (vgl Oberlandesgericht Wien, AZ 32 Bs 386/22g).

Der weiteren Beschwerde ist vorauszuschicken, dass - wie vom Erstgericht in ON 3 auch angedacht - A* mit der Eingabe ON 1 eine Säumnisbeschwerde nach § 121c StVG erhoben hat. So moniert er mit dieser Eingabe erkennbar, dass seine Anträge vom 25. Mai 2023 (Ankauf von Postwertzeichen für 27 Euro aus der Rücklage) und 9. November 2022 (auf Postwertzeichenbesorgung via der Anstaltsleiterin) unerledigt geblieben seien.

Bei Säumnis des Anstaltsleiter - wie gegenständlich behauptet - greift die Regel des § 121c StVG, dernach in einem solchen Fall Beschwerde an das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG erhoben werden kann. Das Erstgericht hätte sohin zu entscheiden gehabt, ob eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Vollzugsbehörde vorliegt.

Eine vom Erstgericht angeführte „Beschwerde hinsichtlich der Mitteilung vom 30. November 2022“, ist hingegen nicht Verfahrensgegenstand, sondern die behauptete Säumnis in Bezug auf die Erledigung eines Antrags vom 9. November 2022.

Auch bezüglich eines angeblich am 25. Mai 2023 gestellten Antrags hätte das Erstgericht das Vorbringen des A* als Säumnisbeschwerde zu behandeln gehabt.

Im Zusammenhang mit dem Antrag vom 9. November 2022 fällt im Übrigen auf, dass der Stellungnahme der Anstaltsleiterin (ON 4) zwar zu entnehmen ist, dass A* mit Brief vom 9. November 2022 den Ankauf bzw die Besorgung von 20 Stück 50 Cent Postwertzeichen beantragt habe. Dieser verfahrenseinleitende Schriftsatz ist allerdings nicht aktenkundig. Gleiches gilt für die – in der Stellungnahme erwähnte - Mitteilung der Anstaltsleiterin an den Beschwerdeführer vom 25. November 2022 (kundgemacht am 30. November 2022), mit der dieser „Brief“ erledigt worden sei. Um eine abschließende Beurteilung des Vorwurfs der Verletzung der Entscheidungspflicht durchführen zu können, wird das Erstgericht daher den „Brief“ des A* vom 9. November 2022 sowie die offensichtlich darauf bezugnehmende Mitteilung der Anstaltsleiterin an den Beschwerdeführer vom 25. November 2022 beizuschaffen haben. Danach wird das Erstgericht - unter Berücksichtigung der Regelung des § 121c StVG – eine neue Entscheidung zu treffen haben. Sollte die Anstaltsleiterin bereits vor Einlangen der Beschwerde eine Entscheidung getroffen haben, wäre das Verfahren im Übrigen einzustellen (vgl Pieber in WK 2 StVG § 121c Rz 5 f)

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

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