JudikaturJustiz2R264/06y

2R264/06y – LG Feldkirch Entscheidung

Entscheidung
21. November 2006

Kopf

Beschluss

Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch die Richter Dr. Höfle als Vorsitzenden sowie Dr. Müller und Dr. Flatz als weitere Senatsmitglieder in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin ***** R***** vertreten durch den Bewohnervertreter ***** S***** über den Rekurs des Bewohnervertreters gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 24. Oktober 2006, 27 Ha 23/06 t-15, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Text

Begründung:

Am 28.9.2006 beantragte der Bewohnervertreter die Prüfung der Zulässigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Ihm kommt jedoch keine Berechtigung zu. Gelangt das Gericht zum Ergebnis, dass die von ihm überprüften Maßnahmen keine Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 HeimAufG sind und weist es daher den Antrag auf Überprüfung ab, richten sich die Rechtsmittelbefugnisse nach den allgemeinen Grundsätzen des Außerstreitgesetzes. Beschwert ist neben dem Bewohner und seiner Vertrauensperson auch der Bewohnervertreter, der somit zum Rekurs legitimiert ist.

Der Rekurswerber vertritt die Ansicht, dass die rechtliche Beurteilung der neuesten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum HeimAufG widerspreche. Unter Hinweis auf 7 Ob 144/06 m führt er dazu aus, dass nur beim Extremfall der tiefen Bewusstlosigkeit (Koma) die Vornahme einer Freiheitsbeschränkung begrifflich ausscheide, auf einen „sinnvollen“ Fortbewegungswillen oder auf einen schlechten gesundheitlichen Zustand, der dazu führe, dass ein Bewohner seinen Fortbewegungswillen nicht in Anspruch nehmen könne, komme es hingegen nicht an.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die vom Rekurswerber zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Gegensatz zu der im Rekurs vertretenen Ansicht keine vollkommen immobile Bewohnerin betraf. Aus den der Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen ergibt sich, dass die Bewohnerin noch zu Abwehrhandlungen („Schreien, Protest, Zwicken, Schimpfen“) fähig, weder gelähmt noch auf spastische Bewegungen oder unwillkürliche Bewegungen im Schlaf beschränkt war und sich auch nicht im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit befunden hat. Im Gegensatz dazu steht hier im Rahmen des vom Rekurswerber unbekämpft gebliebenen Sachverhalts fest, dass die Bewohnerin zu auf Fortbewegung gerichteten willkürlichen Bewegungen nicht mehr fähig ist und dass es nur noch zu unwillkürlichen, also nicht durch den Willen gesteuerten Bewegungen kommt, bei denen die Gefahr besteht, dass sie aus dem Bett fallen oder aus dem Rollstuhl rutschen könnte. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (im Folgenden: Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. § 4 HeimAufG normiert, dass eine Freiheitsbeschränkung nur vorgenommen werden darf, wenn

1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet,

2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie

3. diese Gefahren nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann.

Nach den ErläutRV (353 BGBl Nr 22. GP 8 f) umschreibt § 3 HeimAufG den für die Anwendung des Gesetzes zentralen Begriff der Freiheitsbeschränkung:

„Nicht jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit stellt einen Freiheitsentzug im verfassungsrechtlichen Sinn dar. Nur eine qualifizierte Beschränkung, nämlich der „Entzug“ der persönlichen Freiheit, ist vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund regelt das vorliegende Gesetz nur - im verfassungsrechtlichen Verständnis - freiheitsentziehende Maßnahmen. Das Gesetz verwendet trotz der verfassungsrechtlichen Terminologie in § 3 und in den weiteren Bestimmungen den Ausdruck „Freiheitsbeschränkung“. Damit soll vermieden werden, dass die hier gemeinten Maßnahmen im Rahmen der Pflege oder Betreuung mit „Freiheitsentziehungen“ im strafrechtlichen oder strafprozessualen Sinn assoziiert werden. Außerdem entspricht der Begriff „Freiheitsbeschränkung“ besser der Terminologie des UbG, das in seinem § 2 als Unterbringung neben der Anhaltung von Personen in einem geschlossenen Bereich auch sonstige individuelle „Beschränkungen“ der Bewegungsfreiheit versteht. Für die Frage, was unter dem Begriff „Freiheitsbeschränkung“ im Sinn dieses Gesetzes zu verstehen ist, sind daher auch die Judikatur und das Schrifttum zum PersFrG und zum Unterbringungsrecht heranzuziehen (siehe zum Folgenden vor allem Kopetzki in Korinek/Holoubek [Hrsg] Österreichisches Bundesverfassungsrecht III Rz 18 bis 46 zu Art 1 PersFrG; Kopetzki, Unterbringungsrecht II, 459 ff). Eine Freiheitsbeschränkung im Verständnis dieses Gesetzes liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich. ...

Neben der Allseitigkeit der Beschränkung ist die Unterbindung persönlicher Ortsveränderungen mit physischen Mitteln ein zentrales Kriterium. § 3 Abs 1 definiert daher die Freiheitsbeschränkung als Unterbindung der Ortsveränderung durch den Einsatz oder die Androhung physischer Mittel gegen oder ohne den Willen des Bewohners. Dabei werden die wichtigsten dieser physischen Mittel, nämlich mechanische, elektronische und medikamentöse Maßnahmen, beispielhaft aufgezählt. Solche physischen Mittel sind etwa unmittelbare körperliche Zugriffe mit dem Ziel, den Bewohner zurückzuhalten. Beispiele hiefür sind etwa die Anbringung eines Steckgitters am Bett, das Vorstellen eines Sessels oder Tisches, die Entfernung einer Gehhilfe, die Verhinderung des Aufstehens aus dem Rollstuhl oder einer anderen Sitzgelegenheit mittels eines Fixiergurts, einer „Fixierhose“ oder eines Leintuchs oder auch das körperliche Festhalten. ...

Keine Freiheitsbeschränkung liegt dagegen vor, wenn sich die betreute oder gepflegte Person auch ohne die Maßnahme nicht fortbewegen kann. So ist die Anbringung eines Sitzgurts, die den drohenden Sturz eines gelähmten Menschen aus dem Rollstuhl verhindern soll, nicht als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren, wenn die Anbringung des Gurtes in einer notwendigen Gesamtbetrachtung in Wahrheit seinen Bewegungs- und Handlungsspielraum (zum Beispiel zur Einnahme der Mahlzeiten im Speisesaal) erhöht. Wenn weiter einem Bewohner - namentlich bei Bewusstlosigkeit - überhaupt die Möglichkeit zu einer willkürlichen körperlichen Bewegung fehlt, kann ebenfalls nicht von einer Freiheitsbeschränkung gesprochen werden. Schutzgitter die an einem Bett angebracht werden, um ein Herausfallen durch unwillkürliche Bewegungen des Betroffenen (zum Beispiel spastische Bewegungen oder unwillkürliche Bewegungen im Schlaf) zu verhindern, sind also keine freiheitsentziehenden Maßnahmen. Und schließlich ist auch bei einem infolge einer Operation und der damit verbundenen Anästhesie geistig noch beeinträchtigten Patienten, der zu seinem Schutz „fixiert“ wird, keine Freiheitsbeschränkung anzunehmen.“

Dem Willen des Gesetzgebers entsprechend kann also eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des Heimaufenthaltsgesetzes nur an jemandem vorgenommen werden, der grundsätzlich noch über die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen Fortbewegung mit Ortsveränderung verfügt.

Auch wenn der Oberste Gerichtshof in der vom Rekurswerber zitierten Entscheidung darauf hinweist, dass die Bewegungsfreiheit nicht nur selbständig, sondern auch mit fremder Hilfe (zum Beispiel durch Schieben eines Rollstuhls) in Anspruch genommen werden kann, ist hier zu beachten, dass die Bewohnerin zu willkürlichen, auf Fortbewegung gerichteten Bewegungen unfähig ist.

Auch wenn klar ist, dass es auf die Bildung eines vernünftigen Fortbewegungswillens und darauf, ob sich der Bewohner der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewusst ist, nicht ankommt, liegt nicht der Fall vor, dass ein psychisch kranker oder geistig behinderter Bewohner trotz seiner nicht mehr vorhandenen Einsichtsfähigkeit noch in der Lage ist, auf das Verlassen des Bettes oder des Rollstuhls gerichtete (willkürliche) Bewegungen auszuführen. Vielmehr ist die Bewohnerin - ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts - zu derartigen willkürlichen Bewegungen unfähig. Auch wenn das Rekursgericht in Übereinstimmung mit Barth (Am „Schauplatz“ Pflegeheim oder von der Freiheit, zu stürzen bzw eine Behandlung abzulehnen, RZ 2006, 214) die Ansicht vertritt, dass eine Freiheitsbeschränkung offenbar nur bei Unfähigkeit des Betroffenen zu jeglicher willkürlicher Bewegungssteuerung von vornherein auszuschließen ist und eine teleologische Interpretation des § 3 HeimAufG eine sehr behutsame Beurteilung der Möglichkeiten eines Bewohners zu willkürlicher Bewegung gebietet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die der Anbringung von Seitengittern am Bett oder der Verwendung eines Bauchgurts im Rollstuhl immanente Freiheitsbeschränkung in jedem Fall, also auch bei zu willkürlichen Bewegungen unfähigen Personen einer gerichtlichen Kontrolle bedarf. Die Abgrenzung ist vielmehr so zu treffen, dass eine Prüfung der Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen im Sinne der Bestimmungen des HeimAufG immer dann zu erfolgen hat, wenn der Bewohner noch zu willkürlichen, auf Ortsveränderung gerichteten Bewegungen grundsätzlich fähig ist. Auch wenn diese willkürlichen Bewegungen nur dazu geeignet sind, dass der Bewohner aus dem Bett oder aus dem Rollstuhl fällt und eine Fortbewegung im eigentlichen Sinn ohne fremde Hilfe gar nicht möglich ist, sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen auf deren Zulässigkeit zu prüfen. Nur dann, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabes willkürliche, auf Fortbewegung gerichtete Bewegungen des Bewohners auszuschließen sind und eine Ortsveränderung nur durch unwillkürliche Bewegungen erfolgen könnte, scheidet eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG aus. Bei bewusstlosen, im Koma liegenden oder vollständig gelähmten Bewohnern wird dies in der Regel evident sein. Ob bei anderen Bewohnern die Möglichkeit zu willkürlicher Bewegungssteuerung tatsächlich ausgeschlossen werden kann, ist eine Frage des Sachverhalts und nicht der rechtlichen Qualifizierung. Zusammenfassend betrachtet hat das Erstgericht auf der Basis seiner Feststellungen zutreffend den Antrag auf Prüfung der Zulässigkeit von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen abgewiesen. Dem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Frage, unter welchen Umständen eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG vorliegt, keine auf den hier zu beurteilenden Fall anwendbare höchstgerichtliche Judikatur vorliegt.

Landesgericht Feldkirch

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