JudikaturJustiz29Ns2/24x

29Ns2/24x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2024

Kopf

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien Mag. Lehmayer fasst über die im Verfahren 23 Bs 286/23m (287/23h, 288/23f, 353/23i, 364/23g, 365/23d) des Oberlandesgerichts Wien erhobene Anzeige der Ausgeschlossenheit durch die Richterin Dr. A* den

Beschluss:

Spruch

Die Richterin des Oberlandesgerichts Wien Dr. A* ist nicht ausgeschlossen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Mit seit 28. März 2022 rechtswirksamer Anklageschrift vom 6. August 2021 (ON 4359, ON 4382) werden MMag. Dr. B* das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (I./) und die Vergehen nach § 255 Abs 1 Z 4 und 5 AktG idF BGBl I 120/2005, § 12 zweiter Fall StGB (III./ und IV./) sowie Mag. C* das Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (II./) und die Vergehen nach § 255 Abs 1 Z 4 und 5 AktG idF BGBl I 120/5 (III./) zur Last gelegt. Gegenstand der Punkte I./ und II./ der Anklageschrift sind die im Zeitraum 2. Mai 2007 bis 22. August 2007 erfolgten wirtschaftlich unvertretbaren Vergaben zahlreicher unbesicherter Darlehen in Höhe von insgesamt 835,547 Millionen Euro durch die D* AG (E*) und die F* AG (G*) für den Ankauf ausschließlich von E*- und G* Aktien ohne Risikostreuung trotz fallender Kurse, der Punkte III./ und IV./ Falschinformationen an den Aufsichtsrat und die Abschlussprüfer.

Das Verfahren behängt beim Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zu AZ 121 Hv 12/21b.

Bereits im auch zahlreiche andere Komplexe umfassenden Ermittlungsverfahren hatten sich beginnend mit dem Jahr 2008 hunderte (ehemalige) Aktionäre der E* und der G* als Privatbeteiligte angeschlossen. Der geltend gemachte Schaden resultiere im Wesentlichen aus den Kursverlusten.

Vor Beginn der Hauptverhandlung wurden von der Vorsitzenden hunderte Privatbeteiligtenanschlüsse mangels zivilrechtlichen Anspruchs gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO als unzulässig und offensichtlich unberechtigt zurückgewiesen. In jenen Fällen, in denen mehrere Geschädigte von einem Rechtsanwalt vertreten wurden, wurden die Beschlüsse quasi „pro Rechtsanwalt“ gefasst.

Von den von den Beschlüssen vom 16. August 2023 (ON 4419, 4424 und 4425), 25. August 2023 (ON 5490 und 6393) und 30. August 2023 (ON 6227) Betroffenen wurden Beschwerden erhoben, die dem Oberlandesgericht Wien (als Wiederläufer) zu den im Spruch angeführten Aktenzahlen zur Bearbeitung vorgelegt wurden, Vorsitzende und Berichterstatterin ist Mag. I*, weitere Senatsmitglieder sind Dr. A* und Mag. H*, LL.M.WU.

Unter den vom Beschluss ON 4419 umfassten (auf den Seiten 1 bis 107 aufgezählten hunderten) Geschädigten ist auch die Richterin des Oberlandesgerichts Wien Mag. J*, die sich mit Schriftsatz vom 16. Mai 2010 (ON 2570) dem Verfahrens als Privatbeteiligte angeschlossen hatte (siehe auch ON 3176). Gegenstand der sie betreffenden Beschwerde (AZ 23 Bs 286/23m) wie auch der weiteren fünf Beschwerden ist die Rechtsfrage, ob sie sich als Privatbeteiligte dem Verfahren anschließen kann.

Mit Schreiben vom 18. Jänner 2024 zeigte Dr. A* ihre allfällige (objektive) Befangenheit nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO in Hinblick darauf an, dass sie mit Mag. J* seit über 20 Jahren eine kollegiale Freundschaft verbinde, die sich in gelegentlichen gemeinsamen Mittagessen und Kaffeepausen manifestiere, weitere private Verbindungen (wie Urlaube oder wechselseitige Einladungen, etc) würden nicht (mehr) gepflogen.

Nachdem die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs mit Beschluss vom 18. Dezember 2023 zu 504 Präs 65/23b über eine entsprechende Befangenheitsanzeige der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Dezember 2023 entschieden hatte, dass diese von Entscheidungen über die Befangenheit von Richter*innen des Oberlandesgerichts Wien in dieser Causa nicht ausgeschlossen sei und auch keine strukturelle Befangenheit aller Richter*innen des Oberlandesgerichts Wien vorliege, ist nun aus folgenden Erwägungen auch Dr. A* nicht auszuschließen:

Ausgeschlossen ist ein Richter unter anderem dann, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO). Dazu genügt bereits der Anschein seiner Befangenheit. Es müssen Anhaltspunkte gegeben sein, die bei einem unbeteiligten objektiven und emotionslos urteilenden Beobachter den Eindruck der (möglichen) Befangenheit, also einer auf unsachlichen Motiven beruhenden Beeinflussbarkeit hervorrufen können (RIS Justiz RS0046052).

Nach ständiger Rechtsprechung liegt Befangenheit somit nicht nur vor, wenn ein Richter an eine ihm zukommende Tätigkeit nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantreten kann, sondern es genügt der äußere Anschein einer Hemmung vor unparteiischer Bearbeitung durch sachfremde psychologische Momente (20 Ns 3/14t mwN). Befangenheit ist somit entweder eine tatsächliche Hemmung der unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive oder aber eine besondere Fallgestaltung, die einen unbefangenen Außenstehenden begründeterweise an der unparteiischen Entscheidungsfindung zweifeln lassen kann (RS0114514 [T1]).

Zwar ist bei der Prüfung der Unbefangenheit im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen; es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte – oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der äußere Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung; Gerechtigkeit soll nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden. Die Vermutung spricht aber für die Unparteilichkeit eines Richters, solange nicht Sachverhalte dargetan werden, die das Gegenteil annehmen lassen. Insbesondere bei größeren Gerichten reicht demnach der Umstand, dass ein nicht demselben Senat angehörender Kollege durch ein anhängiges Verfahren involviert sein könnte, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder dieses Gerichts auch dann anzunehmen, wenn sie darlegen, mangels weiterer als beruflicher Kontakte mit diesem Kollegen nicht befangen zu sein (6 Ob 223/07y; RIS-Justiz RS0046129).

Im Oberlandesgericht Wien sind derzeit 104 Richter*innen aktiv tätig. Dr. A* ist weder mit Mag. J* im selben Senat tätig, noch hat sie mit ihr über freundschaftlich kollegiale Kontakte im Rahmen der Berufsausübung hinausgehende private Berührungspunkte. Auch ein unbefangener Beobachter kann daher nicht davon ausgehen, dass sich eine mit dem besonderen Schutz der Unver- und Unabsetzbarkeit ausgestattete Richterin des Oberlandesgerichts Wien in einem Massenverfahren nur deshalb von unsachlichen Motiven leiten lasse, weil eine Richterin ihres Gerichtshofs als eine von potentiell hunderten Geschädigten, die sich als Privatbeteiligte dem Verfahren anschließen möchten, ihre vermögensrechtlichen Ansprüche im Verfahren geltend macht.

Gegen diesen Beschluss steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu (§ 45 Abs 3 StPO).

Rechtssätze
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