JudikaturJustiz22R85/23i

22R85/23i – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2023

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Rak und Mag. Jarec, LL.M. in der Rechtssache der klagenden Partei D***** E***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 125,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 02.02.2023, 24 C 328/22y-10, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreterin die mit EUR 156,12 (darin EUR 26,02 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 547 von Wien nach Bologna am 11.09.2019 mit einer planmäßigen Abflugzeit um 08:55 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 10:05 Uhr . Der Flug wurde annulliert und die Klägerin hiervon weniger als sieben Tage zuvor verständigt. Es wurden ihr die Flüge AS 105 von Wien nach München mit einer planmäßigen Abflugzeit um 16:55 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 17:55 Uhr sowie AS 8246 von München nach Bologna mit einer planmäßigen Abflugzeit um 22:05 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 23:05 Uhr angeboten. Die Klägerin lehnte eine Umbuchung auf diese Flugverbindung ab und wurde sodann von der Beklagten auf die Flugverbindung OS 111 von Wien nach München mit einer planmäßigen Abflugzeit um 06:30 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 07:35 Uhr und EN 8238 von München nach Bologna mit einer planmäßigen Abflugzeit um 08:20 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 09:20 Uhr umgebucht, mit welchen sie ihr Endziel Bologna um 09:20 Uhr erreichte. Die Flugstrecke von Wien nach Bologna umfasst eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km. Die Beklagte leistete eine Zahlung von EUR 125,-- an die Klägerin.

Die Klägerin begehrte – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch von (weiteren) EUR 125,-- samt Zinsen und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass ihr die Beklagte keine anderweitige Beförderung innerhalb der Zeitgrenzen des Art 5 Abs 1 lit c der genannten Verordnung angeboten habe. Die Annullierung sei infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstands erfolgt. Außergewöhnliche Umstände seien nicht vorgelegen. Die Beklagte habe auch nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung des Fluges getroffen. Nachdem – aufgrund der früheren Abflugzeit – keine Ersatzbeförderung innerhalb der Zeitgrenze erfolgt sei, bestehe voller und ungekürzter Anspruch auf Ausgleichsleistung. Eine Kürzung nach Art 7 Abs 2 der Verordnung wäre bei einer knapp zweieinhalbstündigen Vorverlegung nicht sachgerecht.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass sie die Klägerin nach Erhalt der Information über die Buchungsänderung kontaktiert und um erneute Prüfung möglicher Alternativen gebeten habe. Sie sei dann auf eigenen Wunsch auf die Alternativverbindung OS 111 sowie EN 8238 umgebucht worden und habe ihr Ziel 45 Minuten vor der ursprünglich geplanten Ankunft erreichen können. Sie habe die Klägerin sohin unzweifelhaft auf eine Alternativverbindung Sinne des Art 7 Abs 2 lit a der Verordnung umgebucht, sodass dieser lediglich EUR 125,-- als Ausgleichszahlung zustünden. Eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs sei bei einer – wie gegenständlich – gegebenen Annullierung und einer im Anschluss auf Wunsch der Klägerin erfolgten Umbuchung „unstrittig“.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Ausgehend vom außer Streit gestellten – eingangs wiedergegebenen – Sachverhalt folgerte es rechtlich, dass eine Ausgleichszahlung nach Art 7 Abs 2 lit a EU-FluggastVO durch das ausführende Luftfahrtunternehmen gekürzt werden könne, wenn die Passagiere mit einem Alternativflug ihr Endziel nicht später als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich geplanten Fluges erreichen. Die Frage, ob eine Kürzung der Ausgleichszahlung auch dann zulässig sei, wenn das Unterschreiten der Zwei-Stunden-Marke des Art 7 Abs 2 lit a der Verordnung aus einer früheren Abflugzeit des Alternativfluges im Vergleich zur ursprünglich geplanten Abflugzeit resultiere, könne der Verordnung nicht direkt entnommen werden, sondern sei vom EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-146/20, C-188/20, C-196/20 und C-270/20 dahin beantwortet worden, dass Art 7 Abs 2 der Verordnung nicht für den Fall gelte, dass die Ankunftszeit eines vorverlegten Fluges innerhalb der in der Bestimmung genannten Grenzen liege. Demnach sei die Beklagte zur Kürzung des Ausgleichsanspruchs nicht berechtigt gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt die Berufungswerberin einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert im Wesentlichen, dass drei der vier vom EuGH behandelten Rechtssachen, nämlich C-146/20, C-188/20 sowie C-196/20, eine Vorverlegung behandelt hätten und sich sohin die jeweiligen Vorlagefragen auch ausdrücklich auf Vorverlegungen bezogen hätten. Gegenständlich sei jedoch keine Vorverlegung erfolgt, sondern vielmehr eine anderweitige Beförderung angeboten worden, die ihren Abflug lediglich 2:25 h vor der Abflugzeit des ursprünglich gebuchten und letztlich annullierten Fluges gehabt habe, weshalb die Ausführungen hinsichtlich einer Vorverlegung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Lediglich die vierte Rechtssache C-270/20 sowie die daraus resultierende Vorlagefrage hätten einen Fall behandelt, in dem es nicht um eine Vorverlegung, sondern um eine angebotene Alternativbeförderung gegangen sei. Die planmäßige Abflugzeit des dortigen Alternativfluges und dessen planmäßige Ankunftszeit seien jedoch 11:55 h vor den Flugzeiten des annullierten Fluges gelegen. Der EuGH habe beide Vorlagefragen gleichgesetzt, obwohl sie gänzlich unterschiedliche Sachverhalte thematisiert hätten. Mit einer Differenzierung zwischen Vorverlegung und anderweitigen Beförderung habe er sich nicht auseinandergesetzt. Würde man die EU-FluggastVO dahin interpretieren, dass in der gegenständlichen Konstellation kein Kürzungsrecht bestehe, würde der Anreiz für das Luftfahrtunternehmen entfallen, Fluggäste auf eine frühere Alternativbeförderung umzubuchen.

Darüber hinaus macht die Berufungswerberin einen sekundären Feststellungsmangel geltend und begehrt die ergänzende Feststellung, wonach die Klägerin die Beklagte kontaktiert und um eine frühere Alternativbeförderung ersucht habe; die Umbuchung sei sohin auf ausdrücklichem Wunsch der Klägerin erfolgt, die durch den Abflug um 2:25 h früher als ursprünglich geplant mit einem geringeren Ausmaß an Unannehmlichkeiten konfrontiert gewesen sei.

Bei einem sogenannten sekundären Feststellungsmangel hat es das Erstgericht trotz entsprechendem Tatsachenvorbringen unterlassen, für die rechtliche Beurteilung wesentliche Feststellungen zu treffen (vgl. Pimmer in Fasching / Konecny ZPG 3 § 496 ZPO Rz 54). Der begehrten Feststellung fehlt es jedoch – wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergeben wird – an rechtlicher Relevanz:

Wird Fluggästen gemäß Art 8 der EU-Fluggast-VO eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit bei allen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen nach Art 7 Abs. 2 lit a der Verordnung die Ausgleichszahlung nach Abs 1 der genannten Bestimmung um 50 % kürzen. Der Verordnungsgeber stellt hier somit auf den erlittenen Zeitverlust ab; wenn dieser nicht mehr als zwei Stunden beträgt, muss sich der Fluggast eine Kürzung der Ausgleichzahlung gefallen lassen.

Die Berufungswerberin nimmt in ihren Ausführungen wiederholt Bezug auf die Entscheidung des EuGH vom 21.12.2021 in den verbundenen Rechtssachen C 146/20, C-188/20, C-196/20 und C-270/20, auf die sich letztlich auch das Erst- gericht stützte. Dort verwies der EuGH unter anderem auf die Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 105 seiner Schlussanträge, wonach aus Art 7 Abs 2 der Verordnung ausdrücklich hervorgehe, dass das Recht, die Ausgleichszahlung zu kürzen, den Fall betreffe, in dem das ausführende Luftfahrtunternehmen eine anderweitige, die Verspätung am Endziel begrenzende Beförderung anbiete; sie erfasse hingegen nicht den Fall, in dem der Fluggast aufgrund einer Vorverlegung seines Fluges vor der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel ankomme (Rn 90). Während das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung auf den zweiten Fall – die Vorverlegung – Bezug nahm, ist gegenständlich jedoch – wie von der Berufungswerberin zutreffend aufgezeigt – der erstgenannte Fall (anderweitige Beförderung) maßgeblich. Nach dem oben wiedergegebenen Sachverhalt hat keine Vorverlegung des ursprünglich gebuchten Fluges stattgefunden; es ist vielmehr eine anderweitige Beförderung mit einem Alternativflug – jedoch ohne Verspätung am Endziel – erfolgt.

Auch der EuGH stellte in seiner Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C 146/20, C-188/20, C-196/20 und C-270/20 in erster Linie auf die Vorverlegung eines Fluges ab, wobei er diesfalls nicht die Ankunft am Zielflughafen als entscheidend ansah, sondern den verfrühten Abflug bzw die damit in Verbindung stehenden Unannehmlichkeiten. In Beantwortung der vierten Frage führte er aus, dass der Flug bei einer Vorverlegung um mehr als eine Stunde als annulliert anzusehen sei, woraus sich ergebe, dass diesfalls – nachdem dem zeitlichen Element einer Verspätung hier keine Relevanz zukomme – grundsätzlich eine Ausgleichszahlung zustehe. Zur fünften Frage nahm er ausdrücklich zu den mit einer Vorverlegung verbundenen Unannehmlichkeiten Stellung und legte in diesem Zusammenhang dar, dass der Unionsgesetzgeber im Bewusstsein der mit der Vorverlegung verbundenen Unannehmlichkeiten gleichwohl nicht davon ausgegangen sei, dass eine vom ausführenden Luftfahrtunternehmen angebotene anderweitige Beförderung, die es ermögliche, den Umfang der nachteiligen Folgen eines vorzeitigen Abflugs zu begrenzen, zu einer Kürzung der Ausgleichszahlung führen könne (Rn 91), was auch darauf schließen lässt, dass bei einem – gegenständlich vorliegenden – Abflug mehr als eine Stunde vor dem geplanten Abflug keine Kürzung der Ausgleichszahlung zu erfolgen hat.

Der Verordnungsgesetzgeber hat mit der Bestimmung des Art 7 Abs 2 der EU-Fluggast-VO somit für eine verspätete Ankunft eine Begrenzungsmöglichkeit vorgesehen, die aber nach Ansicht des EuGH nicht für einen – um mehr als eine Stunde – verfrühten Abflug gelten soll. Dies wird durch die weiteren Ausführungen des EuGH in der genannten Entscheidung weiter bekräftigt: „Müsste einem ausführenden Luftfahrtunternehmen, das eine anderweitige Beförderung mit früherer Ankunft anbietet, eine solche Möglichkeit eingeräumt werden, hätte dies zur Folge, dass in Fällen, in denen das Luftfahrtunternehmen den Flug erheblich vorverlegt, systematisch eine Kürzung der Ausgleichszahlung möglich wäre“ (Rn 92). In Rn 93 der genannten Entscheidung nimmt er erneut auf die mit einer erhebliche Vorverlegung (mehr als eine Stunde) verbundenen schwerwiegenden Unannehmlichkeiten Bezug, die einen Ausgleichsanspruch rechtfertigen würden und führt hierzu weiters aus: „Wäre in einer solche Situation allein deshalb, weil der Fluggast ohne Verspätung am Endziel ankommt und sich somit innerhalb der in Art 7 Abs 2 der Verordnung genannten Grenzen befindet, stets eine Kürzung der Ausgleichsleistung zulässig, liefe dies dem mit der Verordnung verfolgten Ziel zuwider, die Rechte von Fluggästen zu stärken, die schwerwiegende Unannehmlichkeiten erleiden.“

Nachdem die Unannehmlichkeiten, die die Klägerin im hier vorliegenden Fall erlitten hat, nicht (allenfalls nicht nur) in der verfrühten Ankunft lagen, sondern vor allem im deutlich – jedenfalls mehr als eine Stunde – früheren Abflug, steht ihr – nach obigen Erwägungen – ein ungekürzter Ausgleichsanspruch zu. Auf die weiteren in der Berufung relevierten Umstände kommt es dabei nicht an.

Auch der Umstand, dass die Umbuchung auf den früheren Flug allenfalls auf Wunsch der Klägerin erfolgte, ist hier somit nicht maßgeblich. Der geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel liegt damit nicht vor.

Abgesehen davon ist in diesem Zusammenhang abschließend darauf zu verweisen, dass auch die von der Beklagten primär angebotene Alternativbeförderung nicht innerhalb der Zeitgrenzen des Art 7 Abs 2 der Verordnung erfolgte.

Im Hinblick auf die oben angeführten relevanten Passagen aus der Entscheidung des EuGH vom 21.12.2021, aus der sich klar ergibt, dass eine Kürzung des Anspruchs der Klägerin nach Art 7 Abs 2 lit a der Verordnung hier nicht zu erfolgen hat, sieht der erkennende Senat keine Veranlassung, der Anregung der Berufungswerberin auf Vorlage der von ihr in der Berufung näher ausformulierten Fragen an den EuGH nachzukommen.

Der Berufung war insgesamt somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 502 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen