JudikaturJustiz22R75/20i

22R75/20i – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2020

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Partei C***** S***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 31.01.2020 (richtig: 23.01.2020), 24 C 224/19z 7, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für die folgende von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung:

- OS 134 von Frankfurt/Main (FRA) nach Wien (VIE) am 05.08.2018, 10:50 Uhr bis 12:10 Uhr;

- OS 785 von VIE nach Sibiu (SBZ) am 05.08.2018, 12:55 Uhr bis 15:20 Uhr.

Der Flug OS 134 landete tatsächlich erst um 13:03 Uhr in VIE, sodass der Kläger den Anschlussflug OS 785 verpasste. Er wurde in der Folge auf eine andere Flugverbindung nach SBZ umgebucht und erreichte sein Endziel um 00:55 Uhr des Folgetages, sohin mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden. Die Flugstrecke FRA-SBZ beträgt nach der Großkreisberechnung nicht mehr als 1.500 km.

Der Kläger begehrte den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 Abs 2 [richtig: Abs 1 lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von EUR 250,-- samt Zinsen. Dazu brachte er im Wesentlichen vor, dass hinsichtlich des Fluges OS 134 keine außergewöhnlichen Umstände (iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO) vorgelegen seien.

Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass die Verspätung des Fluges OS 134 auf außergewöhnlichen Umständen beruht habe, die trotz zumutbarer Maßnahmen nicht vermeidbar gewesen seien:

[a] Aufgrund erhöhten Verkehrsaufkommens auf der Strecke FRA-VIE und aus diesem Grund von der Flugsicherung erteilten Restriktionen (gemäß IATA-Delay-Code 81) sei es zu einer Verspätung von 36 min gekommen. Der genannte Delay-Code beschreibe kapazitätsengpassbedingte Restriktionen durch die Flugsicherung („AIR TRAFFIC FLOW MANAGEMENT due to ATC EN-ROUTE DEMAND/CAPACITY, standard demand/capacity problems"). Diese Vorgaben durch die Flugsicherung seien für die Beklagte nicht beherrschbar oder kontrollierbar, weil es sich um hoheitliche Maßnahmen handle, auf die sie keinen Einfluss gehabt habe. Konkret sei um 08:50 Uhr für 11:03 Uhr ein Slot vergeben, dann aber wieder gestrichen worden; erst um 10:59 Uhr sei ein neuer Slot für 11:40 Uhr vergeben worden. Der tatsächliche Abflug habe dann bei optimaler Ausnutzung dieses Slots um 11:31 Uhr durchgeführt werden können. Solche Kapazitätsengpässe sowie die damit verbundenen Slot-Reduktionen durch die Flugsicherung seien ungewöhnlich und in diesem Ausmaß weder planbar noch beeinflussbar.

[b] Hinzugetreten sei eine Verspätung von 5 min aufgrund des IATA-Delay-Codes 85, der zwingende Sicherheitsmaßnahmen in Zusammenhang mit Gepäckidentifikation bzw -entladung beschreibe.

[c] Da aber auch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen im Luftraum geherrscht habe, sei trotz Fliegens mit Maximalgeschwindigkeit eine weitere Verspätung von 12 min auf der Strecke FRA-VIE hinzugetreten, was in Summe zur Gesamtverspätung von 53 Minuten geführt habe.

Die Beklagte habe bei der ( wohl gemeint: Planung der) gegenständlichen Flugverbindung nicht nur die Minimum Connecting Time (MCT) von 25 min eingehalten, sondern noch einen weiteren Zeitpuffer von 20 min vorgesehen.

Sie habe den Kläger auf die nächstmögliche gleichwertige Verbindung nach SBZ umgebucht; die Verspätung habe sich daher auch mit zumutbaren Maßnahmen nicht verhindern lassen. Jedenfalls sei das Anbieten irgendeiner Umbuchung als ausreichende zumutbare Maßnahme anzusehen.

Mit dem angefochtenen – in der Tagsatzung vom 23.01.2020 verkündeten und fälschlich mit dem Datum 31.01.2020 ausgefertigten – Urteil verhielt das Erst- gericht die Beklagte – ohne über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehende Feststellungen zu treffen – zur Zahlung von EUR 250,-- samt Zinsen an die Klägerin sowie zum Ersatz der Prozesskosten. In rechtlicher Hinsicht führte es zusammengefasst aus, dass die Beklagte der sie treffenden Behauptungslast zum angeblichen außergewöhnlichen Umstand nicht nachgekommen sei. Grundsätzlich seien Maßnahmen der Flugsicherung derart mannigfaltig, dass eine allgemein gültige Aussage darüber, ob diese außergewöhnliche Umstände (iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO) darstellen, unmöglich sei. Das Luftfahrtunternehmen müsse behaupten und beweisen, dass die konkrete Maßnahme nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit sei. Überlastungen des Luftraums seien auf ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zurückzuführen und kämen gerade in den Sommermonaten regelmäßig vor. Es handle sich somit um keinen Umstand, der aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausrage. Dass eine Slot-Restriktion für das Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sei, ändere daran nichts, weil es sich dabei nur um ein weiteres kumulativ erforderliches Tatbestandsmerkmal handle. Soweit sich die Beklagte auf den Delay-Code 85 berufe, sei das Vorbringen zu unsubstantiiert, weil aus der Nennung des Codes allein nicht abgeleitet werden könne, was passiert sei. Im Übrigen sei dieses Ereignis aufgrund des geringen zeitlichen Ausmaßes ohnehin nicht kausal für das Verpassen des Anschlussfluges gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Zusammengefasst vermeint die Berufungswerberin – insbesondere gestützt auf Erwägungsgrund 15 zur EU-FluggastVO – dass eine kurzfristige verhängte „Slot-Beschränkung“ im behaupteten Ausmaß einen außergewöhnlichen Umstand darstelle, der auch nicht von ihm beherrschbar sei.

Diese Ausführungen überzeugen nicht:

Als außergewöhnliche Umstände können Vorkommnisse angesehen werden, die [a] ihrer Natur und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und [b] von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ vorliegen müssen (ständige Rechtsprechung des EuGH; zuletzt Urteile vom 26.06.2019 in der Rechtssache C 159/18 Moens und vom 11.06.2020 in der Rechtssache C 74/19 Transportes Aéreos Portugueses SA ).

Es mag zutreffen, dass das Luftfahrtunternehmen die behördliche Anordnung einer Slot-Reduktion hinzunehmen hat; insoweit ist das Vorkommnis nicht beherrschbar. Dies lässt aber die Frage unberührt, ob das Vorkommnis seiner Natur und Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist.

Erwägungsgrund 15 zur EU-FluggastVO lautet:

Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.

Zutreffend hat aber das Erstgericht erkannt, dass nicht jedwede Entscheidung des Flugverkehrsmanagements bereits per se einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darstellt, können doch den Anordnungen des Flugverkehrsmanagements derartig unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen, sodass Erwägungsgrund 15 entgegen seinem scheinbar umfassenden Verständnis einschränkend zu lesen ist. So kann etwa kein Zweifel daran bestehen, dass sich das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen kann, wenn es selbst die Ursache für die Erteilung eines späteren als des ursprünglich vorgesehenen Abflug-Slots gesetzt hat. In gleicher Weise muss es sich aber „Slot-Verschiebungen“ zurechnen lassen, die ihre Ursache in den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs haben. Dazu zählen nach der ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts auch Kapazitätsengpässe aufgrund der Überlastung des Luftraums (22 R 56/20w, 22 R 67/20p, 22 R 72/20y). Die starke Be- und mitunter Überlastung des europäischen Luftraums und die eng getakteten Verbindungen im weitgehend praktizierten Flugumlaufverfahren bilden einerseits die Grundlage dafür, dass häufig auftretende und bagatellhafte Vorkommnisse immer wieder zu erheblichen Verwerfungen gegenüber den geplanten Flugabläufen führen; andererseits sind diese Vorkommnisse aber gerade deshalb als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und damit als luftfahrttypisches Risiko anzusehen.

Auch die in der Berufung zitierte Entscheidung des Handelsgerichts Wien vom 13.12.2019 zu 1 R 164/19t bietet für das Berufungsgericht keinen Grund von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Zu jener Entscheidung ist vorauszuschicken, dass auch das Handelsgericht Wien zunächst betont, dass keine allgemeine Aussage darüber getroffen werden kann, ob eine Maßnahme der Flugsicherung einen außergewöhnlichen Umstands darstellt oder nicht. Die Ansicht, dass die Unmöglichkeit und Unvorhersehbarkeit der durch Kapazitätsengpässe im Anflugsektor des Flughafens VIE hervorgerufenen Flugsicherungsmaßnahme der Herabsetzung der Landerate allein aus einer quantitativen Betrachtung der konkreten Verspätung (14 min) einerseits gegenüber der bei diesem Restriktionsgrund im September 2017 „durchschnittlich“ auftretenden Verspätung (6 min), andererseits gegenüber der tatsächlichen Flugdauer (45 min) ergebe, wird vom Berufungsgericht nicht geteilt. Abgesehen davon, dass allein die Dauer einer „durchschnittlichen“ Verspätung (offensichtlich im Sinn eines arithmetischen Mittels) ohne nähere Angaben, etwa ob es sich dabei um die mittlere Verspätung aller Flüge oder nur der verspäteten Flüge handelt, wie hoch die mediane Verspätung aller Flüge war, und wie viele Flüge überhaupt verspätet waren, kaum aussagekräftig ist, erscheint es fraglich, die quantitative (zeitliche) Überschreitung des keinen außergewöhnlichen Umstands darstellenden „Durchschnittsgeschehens“ als außergewöhnlichen Umstand ausreichen zu lassen, ohne die qualitativen Merkmale eines Umstands auf seine Außergewöhnlichkeit zu prüfen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass der von der EU-FluggastVO verwendeten Formulierung „außergewöhnlich“ („ extraordinary “, „ extraordinaire “) ein anderer Bedeutungsinhalt zukommt als bloß „ungewöhnlich“ („ unusual “, „ inhabituel “; vgl auch EuGH C-12/11 McDonagh uvm; Schmid in BeckOK Fluggastrechte-VO 14 Art 5 Rz 26).

Zum Vorbringen zur Verspätung wegen des Delay-Codes 85 kann auf die überzeugenden Ausführungen des Erstgerichts verwiesen werden, denen die Berufungswerberin nichts Stichhältiges entgegenzusetzen hat (§ 500a ZPO).

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass die Beklagte keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO behauptet hat, der ihr eine Befreiung von der Zahlung einer Ausgleichsleistung gemäß Art 7 der Verordnung ermöglicht hätte.

Damit muss auf die Frage, ob die Beklagte auch alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung bzw deren Folgen ergriffen hat, nicht mehr eingegangen werden.

Anzumerken bleibt jedoch, dass die vormals vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, dass das Luftfahrtunternehmen – sofern es alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung oder Verspätung selbst ergriffen hat – bereits mit dem Anbieten irgendeiner Umbuchung alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Folgen der Annullierung oder Verspätung ergriffen hat, nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C 74/19 Transportes Aéreos Portugueses SA nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

Zusammengefasst hat das Erstgericht allein unter Zugrundelegung des unstrittigen Sachverhalts dem Klage-begehen zu Recht stattgegeben, womit auch der Berufung ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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