JudikaturJustiz22R40/20t

22R40/20t – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
07. April 2020

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Partei E***** eU , vertreten durch Mag Volkan Kaya, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei L***** GmbH , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 1.250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 04.12.2019, 21 C 516/19v 12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 314,71 (darin EUR 52,45 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen des Klagevertreters ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Fluggäste M***** J*****, A***** H*****, I***** M*****, B***** P***** und V***** H***** ( im Folgenden nur: die Fluggäste) verfügten über bestätigte Buchungen für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OE 123 von Palma de Mallorca (PMI) nach Wien (VIE) mit der planmäßigen Flugzeit 23.09.2018, 22:25 Uhr bis 24.09.2018, 00:55 Uhr (jeweils Ortszeit). Die Flugstrecke PMI-VIE beträgt nach der Großkreisberechnung weniger als 1.500 km. Der Flug wurde am Abflugtag annulliert.

Mit schriftlichen Abtretungserklärungen vom 11.06.2019 bzw 19.02.2019 traten die Fluggäste ihre allfälligen aus dem gegenständlichen Flug resultierenden Ausgleichs-ansprüche nach der EU-FluggastVO gegen die Beklagte an die klagende Partei zur Geltendmachung und Besicherung der entstehenden Kosten ab; die klagende Partei nahm diese Abtretung an.

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von Ausgleichsleistungen gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 [Abs 1 lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von EUR 1.250,-- samt Zinsen. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, dass der Flug infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstands annulliert worden sei. Es seien keine außergewöhnlichen Umstände vorgelegen, und die Beklagte habe auch nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung getroffen. Insbesondere bestritt sie (das Vorbringen der Beklagten offenbar missverstehend), dass Grund für die Annullierung ein Blitzschlag auf der Vorrotation gewesen sei. Der Flug OE 104 sei auch nicht der [unmittelbare] Vorflug des gegenständlichen Fluges gewesen. Doch selbst wenn, so sei dieser bereits mit einer Verspätung von 2:26 h gestartet. Wäre er rechtzeitig gestartet, wäre die Maschine auch nicht vom Blitz getroffen worden. Der Beklagten wäre es zumutbar gewesen, ein anderes Flugzeug zu chartern oder eine Umbuchung vorzunehmen.

Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass die Annullierung auf außergewöhnlichen Umständen beruht habe, die trotz zumutbarer Maßnahmen nicht vermeidbar gewesen seien: Das Fluggerät, das für die Durchführung des gegenständlichen Fluges vorgesehen gewesen sei, sei am Vorvorflug OE 103 von PMI nach Hamburg (HAM) durch Blitzschlag beschädigt worden, was eine entsprechende Inspektion erforderlich gemacht habe. Das Fluggerät sei nach der Ankunft in HAM um 16:07 Uhr (UTC) umgehend von einem Techniker inspiziert worden. Da eine Durchführung der nachfolgenden Flüge ohne vorherige Überprüfung aus Sicherheitsgründen nicht möglich gewesen wäre, und eine solche Inspizierung einige Zeit in Anspruch nehme, hätten die nachfolgenden Flüge nur verspätet durchgeführt werden können. Nach Abschluss sämtlicher Inspektionsarbeiten sei das Fluggerät wieder einsatzbereit gewesen, sodass der Folgeflug OE 104 (HAM-PMI) um 19:14 Uhr (UTC) – anstatt wie geplant um 16:50 Uhr (UTC) – starten habe können. Ein Ersatzfluggerät sei ihr in HAM nicht zur Verfügung gestanden. Auch wäre die Verbringung eines solchen samt Crew nach HAM für sie nicht zumutbar gewesen, weil kein geeignetes Fluggerät zur Verfügung gestanden sei und hierfür die Annullierung anderer Flüge erforderlich gewesen wäre, was wiederum den Passagieren der zu annullierenden Verbindungen ebenfalls nicht zumutbar gewesen wäre. Der Abflug des gegenständlichen Fluges von OE 123 wäre für 20:25 Uhr (UTC [= 22:25 Uhr Ortszeit]) geplant gewesen. Allerdings sei der Vorflug OE 104 (HAM-PMI) erst um 21:53 Uhr (UTC [= 23:53 Uhr Ortszeit]) in PMI angekommen. Der frühestmögliche Abflug in PMI wäre erst um 22:35 Uhr (UTC [= 00:35 Uhr Ortszeit]) möglich gewesen und wäre die Landung in VIE um 01:05 Uhr (UTC [= 03:05 Uhr Ortszeit]) des nächsten Tages erfolgt. Da der Dienst der Crew um 12:25 Uhr (UTC) begonnen habe, hätte der verspäte Abflug von OE 123 in PMI eine wesentliche – und daher unzulässige – Überschreitung der höchstzulässigen Dienstzeit der Crew von zwölf Stunden zur Folge gehabt. Aus diesem Grund sowie aufgrund der in VIE herrschenden Wetterverhältnisse, die eine sichere Landung nicht zugelassen hätten, sei dem diensthabenden Kapitän keine andere Möglichkeit geblieben, als den Flug OE 123 zu annullieren. Sie habe bereits dadurch zumutbare Maßnahmen ergriffen, dass sie den Fluggästen eine gleichwertige Umbuchung angeboten habe. Im Übrigen bestritt die Beklagte nicht nur die Tatsache der Abtretung der Ansprüche an die klagende Partei sondern in eventu auch deren Gültigkeit, weil es sich lediglich um eine Inkassozession handle, was zur Folge habe, dass die klagende Partei verpflichtet bleibe, die Leistung an den Zedenten [die Fluggäste] abzuführen.

Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 1.250,-- samt Zinsen an die klagende Partei sowie zu Ersatz der Prozesskosten. Dazu traf es die aus Seite 3 der Urteilsausfertigung ON 12 ersichtlichen unbekämpfbaren (§ 501 ZPO) Feststellungen (lediglich zur Abtretung), deren Inhalt gemeinsam mit dem unstrittigen Sachverhalt oben wiedergegeben ist. In rechtlicher Hinsicht führte es zunächst aus, dass eine gültige Zession vorliege. Ob es sich lediglich um eine Inkassozession handle, sei nicht entscheidungswesentlich, weil auch bei einer solchen die prozessuale Verfügungsgewalt beim Zessionar liege. Ein allfälliger Verstoß gegen eine Vorschrift der GewO als verwaltungsrechtlicher Vorschrift würde nicht zu einer absoluten Nichtigkeit der Abtretung führen oder der Prozessführung durch den Zessionar entgegenstehen. Bei Annullierung eines Fluges mit einer Entfernung von bis zu 1.500 km hätten die Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einen Anspruch auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 Abs 1 lit a der EU-FluggastVO von jeweils EUR 250,--. Die Ausgleichsleistung sei gemäß Art 5 Abs 3 der VO jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Behauptungs- und Beweislast dafür treffe das Luftfahrtunternehmen. Es sei notwendig, konkrete auf den jeweiligen Flug bezogene überprüfbare Tatsachen vorzubringen, die eine Beurteilung zulassen, ob es sich um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt habe und ob im konkreten Fall zumutbare Maßnahmen ergriffen worden seien. Sei der konkrete Flug nicht direkt von dem außergewöhnlichen Umstand betroffen, sei ein enger zeitlicher Zusammenhang gefordert. Berufe sich das Flugunternehmen auf ein Ereignis in größerem zeitlichem Abstand bei einem der Vorflüge des Flugzeugs, welches für den annullierten Flug vorgesehen gewesen sei, so könne dies regelmäßig nicht entlasten. Wenn der behauptete außergewöhnliche Umstand schon bei einem Vorvorflug eingetreten sei, so sei dieser grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Nach dem Vorbringen der Beklagten habe sich der Blitzschlag beim Landeanflug des Vorvorfluges und damit schon mehr als 4:30 h vor dem gegenständlichen Flug ereignet. Damit sei er im Verhältnis zum gegenständlichen Flug nicht zu berücksichtigen. Schon deshalb sei dem Klagebegehren stattzugeben gewesen. Ein Blitzschlag sei für das Vorliegen eines „außergewöhnlichen Umstandes“ zudem lediglich indikativ. Das Luftfahrtunternehmen müsse konkret und substanziell vortragen, dass trotz dieses Vorfalls mit zumutbaren Maßnahmen eine Annullierung nicht zu vermeiden gewesen wäre. Es sei grundsätzlich gehalten auf solche Ereignisse innerhalb einer angemessenen Frist zu reagieren und die unerwünschten Folgen zu vermeiden. Je größer der Zeitabstand sei, und je mehr weitere Flüge mit dem betroffenen Flugzeug dazwischen lägen, umso höhere Anforderungen seien an das Flugunternehmen zu stellen. Die Beklagte habe in Anbetracht dessen kein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet. So habe sie schon nicht dargestellt, warum die Inspektion, welche „einige“ Stunden in Anspruch genommen habe, nicht schneller durchgeführt werden habe können. Konkrete zeitliche Angaben, etwa wann der Blitzschlag tatsächlich bekannt geworden sei bzw wann durch das Gewitter geflogen worden sei und wie lange genau die Inspektion selbst gedauert habe, seien nicht vorgetragen worden. Ebenso wenig sei vorgebracht worden, warum – obwohl schon bei Eintritt des Blitzschlages damit gerechnet werden habe müssen, dass die Crew-Dienstzeit überschritten werden könnte – keine andere Crew für den gegenständlichen Flug OE 123 bereitgestellt werden habe können. Es sei auch nicht vorgetragen worden, ob und allenfalls warum für den gegenständlichen Flug keine Ersatzmaschine zur Verfügung gestellt oder ein Flugzeug von einer anderen Fluggesellschaft gechartert werden habe können. Zu den angedeuteten schlechten Wetterverhältnissen sei überhaupt kein konkretes Vorbringen erstattet worden, welches den Schluss zulasse, dass es sich dabei um einen außergewöhnliche Umstände gehandelt hätte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

[1] Zunächst meint die Berufungswerberin, dass die Aktivlegitimation nicht nachgewiesen sei. Die erst-gerichtliche Feststellung zu den Abtretungen sei zwar nicht bekämpfbar (§ 501 ZPO); allerdings habe das Erst-gericht die Beweislastregeln unrichtig angewendet, wenn es ausführe, dass keine gegenteiligen Beweisergebnisse vorlägen. Die Tatsache der Abtretung wäre jedoch zu beweisen gewesen.

Dabei übersieht die Berufungswerberin zweierlei: Einerseits greifen die Regeln über die Beweislastverteilung nur dann ein, wenn das Beweisverfahren ohne subsumtionsfähiges Sachverhaltsergebnis geblieben ist (RS0039872); dies ist hier aber nicht der Fall, hat das Erstgericht den Vorgang der Abtretung und Annahme der Forderungen doch ausdrücklich festgestellt. Für die Anwendung von Beweislastregeln bleibt daher im vorliegenden Fall kein Raum. Andererseits gibt die Berufungswerberin die Beweiswürdigung des Erstgerichts nur unvollständig wieder und suggeriert damit, dass es nach dessen Ansicht ausreiche, wenn der bloßen Behauptung der klagenden Partei keine Beweisergebnisse entgegenstünden. Tatsächlich hat das Erstgericht aber darauf hingewiesen, dass die Beweiskraft der Urkunde, Beilage ./A, nicht durch gegenteilige Beweisergebnisse erschüttert worden sei.

Auf die Frage der Gültigkeit der Zession kommt die Beklagte in der Berufung ebenso nicht mehr zurück wie auf die Frage, ob die Zession der klagenden Partei die Aktivlegitimation verschafft habe, sodass darauf nicht mehr einzugehen ist und auf die zutreffende Ansicht des Erstgerichts verwiesen werden kann (§ 500a ZPO).

[2] Zur Frage der Befreiung vom Ausgleichsanspruch gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO argumentiert die Berufungswerberin einerseits zusammengefasst, dass der außergewöhnliche Umstand eigentlich erst als am unmittelbaren Vorflug des gegenständlichen Fluges aufgetreten anzusehen sei; andererseits komme es ohnehin nicht darauf an, dass der außergewöhnliche Umstand am unmittelbaren Vorflug aufgetreten sein müsse, um entlastend wirken zu können; es genüge ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang ( offenbar gemeint: zwischen dem außergewöhnlichen Umstand und dem annullierten Flug). Andererseits habe das Erst-gericht die Anforderungen an die Behauptungslast zum Ergreifen der zumutbaren Maßnahmen überspannt.

Obwohl der Ansicht der Berufungswerberin zur Frage der Grenzen der Zurechnung eines Ereignisses als „außergewöhnliche Umstände“ grundsätzlich beizupflichten ist, kann sie sich im vorliegenden Fall dennoch nicht iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO entlasten.

[a] Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO bestimmt, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, Ausgleichszahlungen gemäß Art 7 der VO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, wobei das Kriterium der Vermeidbarkeit auch auf die Annullierung – und nicht wie der Text der VO nahelegt nur auf den außergewöhnlichen Umstand selbst – zu beziehen ist ( Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 13 Art 5 Rz 139e; EuGH C-294/10 [ErwGr 27]).

Auch wenn ein Ereignis als „außergewöhnlicher Umstand“ zu qualifizieren ist, stellt sich die Frage, ob nur Ereignisse und Umstände berücksichtigt werden können, die während des vom Fluggast gebuchten Fluges eingetreten sind oder ob auch solche berücksichtigt werden dürfen, die sich auf einem vorangegangenen Flug ereignet haben. Im letzteren Fall stellt sich die weitere Frage, wie viele solcher Vorflüge noch herangezogen werden können. Diese Frage wird – in ausufernder Kasuistik – von den Gerichten unterschiedlich beantwortet (siehe die ausführliche Judikaturübersicht bei Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 13 Art 5 Rz 136 ff).

Nach Ansicht des Berufungsgerichts bedarf es dieser strikten Abgrenzungsversuche, ab dem wievielten Vorflug eine Zurechnung nicht mehr zulässig ist, jedoch nicht. Den Überlegungen ist voranzustellen, dass der eigentliche Verordnungstext eine Einschränkung nicht vornimmt. Gleichwohl kann Erwägungsgrund 15 zur EU-FluggastVO entnommen werden, dass vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. Daraus kann abgeleitet werden, dass auch ein außergewöhnlicher Umstand, der auf einem beliebigen vorangegangenen Flug aufgetreten ist, von der Ausgleichspflicht befreien kann, sofern zwischen dem außergewöhnlichen Umstand und dem gegenständlichen Flug ein enger kausaler und zeitlicher Zusammenhang besteht. Bei Flugzeugen, die auf Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt werden, sind mehrere Umläufe an demselben Tag üblich, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Flugzeugs zu ermöglichen. Die EU-FluggastVO setzt diese wie andere übliche wirtschaftliche und technische Gegebenheiten des Luftverkehrs voraus und will sie weder unterbinden noch steuern (BGH X ZR 121/13). Dabei wird es auch auf die planmäßige Dauer der Flüge während des Flugumlaufverfahrens ankommen: bei mehreren sehr kurzen Flügen kann der zeitliche Zusammenhang etwa beim vierten Vorflug noch immer enger sein als bei längeren Flügen beim unmittelbaren Vorflug. Überdies ist zu berücksichtigen, dass auch außergewöhnliche Umstände denkbar sind, die nicht zwingend „ auf einem (Vor-)Flug“ eingetreten sind. Die nach strikten numerischen Abgrenzungen suchende Rechtsprechung übersieht, dass befriedigende Lösungen im Einzelfall letztlich ohnehin nur anhand der Prüfung der „zumutbaren Maßnahmen“ gefunden werden können: je weniger zwingend der Kausalzusammenhang und je größer die zeitliche Distanz zwischen dem außergewöhnlichen Umstand und der drohenden Annullierung oder Verspätung des zu beurteilenden Fluges, desto eher wird es dem ausführenden Luftfahrtunternehmen möglich sein, zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung oder Verspätung zu ergreifen bzw umso strenger wird eine entsprechende Prüfung auszufallen haben.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bei einem allfälligen außergewöhnlichen Umstand, der nur wenig mehr als acht Stunden vor dem geplanten Abflug des gegenständliches Fluges während des Vorvorfluges des Fluggeräts aufgetreten ist, mit dem der gegenständliche Flug durchgeführt werden sollte, der kausale und zeitliche Zusammenhang eine Subsumtion unter Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO noch nicht zwingend ausschließt.

[b] Beruft sich ein Luftfahrtunternehmen auf einen außergewöhnlichen Umstand, muss es aber auch vortragen und beweisen, dass es unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel versucht hat, die Annullierung oder Verspätung zu vermeiden, und warum es ihm nicht möglich war, unter Berücksichtigung seiner Kapazitäten diese Mittel einzusetzen (EuGH C-315/15; Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 13 Art 5 Rz 147).

Selbst wenn der von der Beklagten behauptete Vorfall (Blitzschlag mit nachfolgender, aus Sicherheitsgründen zwingender Überprüfung) nachgewiesen und als „außergewöhnlicher Umstand“ zu qualifizieren wäre, wäre die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen.

Nach dem Vorbringen der Beklagten musste der gegenständliche Flug ja letztlich deshalb annulliert werden, weil bei Durchführung des Fluges die höchstzulässige Dienstzeit der Crew überschritten worden wäre. Dazu brachte sie lediglich vor, dass die Verbringung eines Ersatzflugzeuges nach HAM (zur Durchführung des unmittelbaren Vorfluges HAM-PMI und in weiterer Folge des gegenständlichen Fluges PMI-VIE) nicht zumutbar gewesen wäre, weil dafür kein geeignetes Flugzeug zur Verfügung gestanden wäre. Nach den Behauptungen der Beklagten scheiterte die Durchführung des gegenständlichen Fluges OE 123 aber ohnehin nicht am nicht vorhandenen Fluggerät sondern an der nicht mehr einsatzfähigen Crew. Dass aufgrund der Verzögerungen in HAM eine Überschreitung deren Dienstzeit droht, hätte die Klägerin aber – unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Dauer für die Flüge HAM-PMI und PMI-VIE sowie der Turn-Around-Zeit in PMI – bereits vor dem Abflug des Vorfluges vorhersehen können. Die naheliegendste Maßnahme zur Vermeidung der Annullierung des gegenständlichen Fluges (und wohl auch wesentlich kostengünstigere als die Anmietung eines Ersatzflugzeuges) wäre es daher gewesen, entweder schon den Vorflug HAM-PMI – und folglich auch den Flug PMI-VIE – von einer Ersatzcrew durchführen zu lassen; oder in HAM eine Ersatzcrew aufzunehmen, die mit dem Flug HAM-PMI befördert wird, damit diese in der Folge den Flug PMI-VIE durchführen hätte können. Aus welchen Gründen dies unterblieben ist oder dies allenfalls schon grundsätzlich keine zumutbare Maßnahme dargestellt hätte, hat die Beklagte aber nicht behauptet.

Dem beklagten Luftfahrtunternehmen kann zwar nicht abverlangt werden, Vorbringen zu jeder entferntesten auch nur denkmöglichen Maßnahme zu erstatten, weil es sonst vorrangig vom Detailwissen zum Luftfahrtwesen des jeweiligen Richters abhängig wäre, ob die Beklagte ihrer Behauptungslast genügt hätte. Vorzutragen sind hingegen Prozessbehauptungen zu Maßnahmen, die sich auch bei eingeschränkten Kenntnissen des Flugverkehrs geradezu aufdrängen oder die zumindest bei lebensnaher Betrachtung in Erwägung gezogen werden müssen (vgl LG Korneuburg 21 R 76/19b). Unter diesem Gesichtspunkt kann das von der Beklagten zur ihrer Entlastung erstattete Prozessvorbringen jedoch nicht als ausreichend angesehen werden.

[c] Sofern sich die Beklagte auch auf die „herrschenden Wetterverhältnisse“ gestützt hat, die eine sichere Landung nicht zugelassen hätten, so vermochte sie nicht einmal ansatzweise darzutun, welche konkreten (der Durchführung des Fluges entgegenstehenden) Wetterverhältnisse geherrscht hätten.

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass die Beklagte nicht hinreichend darlegen konnte, welche ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung – selbst wenn diese auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen gewesen wäre – sie ergriffen hat bzw warum ihr dies allenfalls nicht möglich gewesen wäre, weshalb die Ausgleichsansprüche zu Recht bestehen, womit der Berufung ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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