JudikaturJustiz22R243/23z

22R243/23z – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2023

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Dr. Futterknecht, LL.M., BSc in der Rechtssache der klagenden Parteien [1] S***** H***** , [2] A***** B***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei E***** GmbH , vertreten durch VLPIANUS, Rechtsanwälte und Steuerberater in Düsseldorf, Deutschland (Einvernehmensanwälte: Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien), wegen EUR 500,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 04.08.2023, 16 C 55/23v-15 (Berufungsinteresse: EUR 250,--), in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen jeweils die Hälfte der mit EUR 232,48 (darin EUR 38,75 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug EW 7753 von Wien nach Hamburg am 18.10.2022 mit der Abflugzeit 09:05 Uhr und der Ankunftszeit 10:40 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug. Die Kläger akzeptierten die ihnen angebotenen Ersatzbeförderung OS 175 mit der Abflugzeit 07:30 Uhr und der Ankunftszeit 08:58 Uhr am selben Tag.

Mit der am 07.12.2022 beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien im Europäischen Mahnverfahren eingebrachten und in weiterer Folge dem Erstgericht überwiesenen Klage begehrten die Kläger den Zuspruch von jeweils EUR 250,-- samt 4 % Zinsen (zuletzt) ab 03.12.2022 und brachten vor, dass die Bekanntgabe der Annullierung weniger als zwei Wochen vor dem planmäßigen Abflugszeitpunkt erfolgt sei. Sie hätten daher nach Art 5 iVm Art 7 Abs 1 EU-FluggastVO einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung von jeweils EUR 250,--. Art 7 Abs 2 der VO sei dahin auszulegen, dass er nicht für einen Fall gelte, in dem die Ankunftszeit eines vorverlegten Fluges innerhalb der in dieser Bestimmung genannten Grenzen liege.

Die Beklagte anerkannte jeweils die Hälfte der geltend gemachten Ausgleichsleistung von jeweils EUR 125,-- zuzüglich Zinsen, bestritt im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachten vor, dass die Kläger ihr Endziel Hamburg mit dem Alternativflug mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der geplanten Ankunftszeit erreicht hätten. Sie sei verpflichtet gewesen, die schnellstmögliche Ersatzbeförderung anzubieten, dies sei der Flug OS 175 gewesen. Die Kläger hätten ihr Wahlrecht nach Art 8 EU-FluggastVO dahin ausgeübt, diese Beförderung wahrzunehmen. Gegenständlich habe keine Vorverlegung stattgefunden, sondern eine Annullierung. Sie berufe sich auf das Kürzungsrecht nach Art 7 Abs 2 lit c EU-FluggastVO.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und folgerte aus dem vorgetragenen Sachverhalt, dass der EuGH in seinem Urteil vom 21.12.2021 in den verbundenen Rechtssachen C-146/20, C-188/20, C-196/20 und C 270/20 zu der Frage, ob Art 7 Abs 2 EU-FluggastVO für einen Fall gelte, in dem die Ankunftszeit eines vorverlegten Fluges oder auch – wie hier – einer früheren Alternativbeförderung innerhalb der in dieser Bestimmung genannten Grenze liege ausgeführt habe, dass eine Kürzung von Ausgleichsleistungen nicht in Betracht komme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass den Klägern [nur] jeweils EUR 125,-- samt Zinsen zugesprochen [und das darüber hinausgehende Klagebegehren abgewiesen] werden.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin meint, dass das zitierte Urteil des EuGH nicht einschlägig sei, weil keine Vorverlegung, sondern eine Annullierung des Fluges stattgefunden habe.

Dem ist zu entgegnen, dass sich der erkennende Senat mit der auch hier gegenständlichen Frage kürzlich auseinandergesetzt und aus dem Urteil des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-146/20 Azurair u.a. den Schluss gezogen hat, dass im Falle der Annullierung eines Fluges und Durchführung einer Ersatzbeförderung mit einem Abflug mehr als eine Stunde vor dem geplanten Abflug – unabhängig von der Ankunftszeit der Ersatzbeförderung – keine Kürzung der Ausgleichszahlung nach Art 7 Abs 2 EU-FluggastVO zu erfolgen habe (LG Korneuburg 04.07.2023, 22 R 85/23i; RKO0000055). Dieser Standpunkt wird auch im Lichte der nunmehrigen Berufungsausführungen aufrecht erhalten.

Der EuGH stellte in der genannten Entscheidung in erster Linie auf die Vorverlegung eines Fluges ab, wobei er diesfalls nicht die Ankunft am Zielflughafen als entschei-dend ansah, sondern den verfrühten Abflug bzw die damit in Verbindung stehenden Unannehmlichkeiten. In Beantwortung der vierten Frage führte er aus, dass der Flug bei einer Vorverlegung um mehr als eine Stunde als annulliert anzusehen sei, woraus sich ergebe, dass diesfalls – nachdem dem zeitlichen Element einer Verspätung hier keine Relevanz zukomme – grundsätzlich eine Ausgleichszahlung zustehe. Zur fünf-ten Frage nahm er ausdrücklich zu den mit einer Vorverlegung verbundenen Unannehmlichkeiten Stellung und legte in diesem Zusammenhang dar, dass der Unions- gesetzgeber im Bewusstsein der mit der Vorverlegung verbundenen Unannehmlichkeiten gleichwohl nicht davon ausgegangen sei, dass eine vom ausführenden Luftfahrtunternehmen angebotene anderweitige Beförderung, die es ermögliche, den Umfang der nachteiligen Folgen eines vorzeitigen Abflugs zu begrenzen, zu einer Kürzung der Ausgleichszahlung führen könne (Rn 91), was auch darauf schließen lässt, dass bei einem Abflug mehr als eine Stunde vor dem geplanten Abflug keine Kürzung der Ausgleichszahlung zu erfolgen hat.

Der Verordnungsgesetzgeber hat mit der Bestimmung des Art 7 Abs 2 der EU-Fluggast-VO somit für eine verspätete Ankunft eine Begrenzungsmöglichkeit vorgesehen, die aber nach Ansicht des EuGH nicht für einen – um mehr als eine Stunde – verfrühten Abflug gelten soll. Dies wird durch die weiteren Ausführungen des EuGH in der genannten Entscheidung bekräftigt: „Müsste einem ausführenden Luftfahrtunternehmen, das eine anderweitige Beförderung mit früherer Ankunft anbietet, eine solche Möglichkeit eingeräumt werden, hätte dies zur Folge, dass in Fällen, in denen das Luftfahrtunternehmen den Flug erheblich vorverlegt, systematisch eine Kürzung der Ausgleichszahlung möglich wäre“ (Rn 92). In Rn 93 der genannten Entscheidung nimmt er erneut auf die mit einer erhebliche Vorverlegung (mehr als eine Stunde) verbundenen schwerwiegenden Unannehmlichkeiten Bezug, die einen Ausgleichs- anspruch rechtfertigen würden und führt hierzu weiters aus: „Wäre in einer solche Situation allein deshalb, weil der Fluggast ohne Verspätung am Endziel ankommt und sich somit innerhalb der in Art 7 Abs 2 der Verordnung genannten Grenzen befindet, stets eine Kürzung der Ausgleichsleistung zulässig, liefe dies dem mit der Verordnung verfolgten Ziel zuwider, die Rechte von Fluggästen zu stärken, die schwerwiegende Unannehmlichkeiten erleiden.“

Nachdem die Unannehmlichkeiten, die die Kläger im hier vorliegenden Fall erlitten haben, (jedenfalls) im deutlich – jedenfalls mehr als eine Stunde – früheren Abflug lagen, steht ihnen ein ungekürzter Ausgleichsanspruch zu.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Bemessungsgrundlage für die Kosten der Berufungsbeantwortung ist nicht der erstinstanzliche Streitwert, sondern das Berufungsinteresse von EUR 250,--.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
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