JudikaturJustiz22R177/21s

22R177/21s – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
01. Oktober 2021

Kopf

Im Namen der Republik

Das

Landesgericht Korneuburg

als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Sinek und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. B***** S***** , 2. C***** K***** , beide vertreten durch Mag. Bernhard Hofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I***** S.A. , vertreten durch Kraft Rechtsanwalts GmbH Co KG in Wien, wegen EUR 2.400,-- s.A. , aus Anlass der Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse: EUR 1.200,--) gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 16.02.2021, 16 C 613/20y-11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es wie folgt lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien jeweils EUR 600,-- samt 4 % Zinsen ab 01.02.2020 zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien jeweils weitere EUR 600,-- samt 4 % Zinsen ab 01.02.2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei je die Hälfte der mit EUR 561,06 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin zu ersetzen.“

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei je die Hälfte der mit EUR 489,93 (darin EUR 57,66 USt und EUR 144,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung

- IB 3123 von Wien nach Madrid am 12.12.2019 mit der planmäßigen Abflugzeit in Wien um 19:30 Uhr und der planmäßigen Ankunft in Madrid um 22:35 Uhr; sowie den Flug

- IB 6841 am 12.12.2019 von Madrid nach Buenos Aires mit der planmäßigen Abflugzeit in Madrid um 23:55 Uhr und der planmäßigen Ankunftszeit in Buenos Aires am 13.12.2019 um 08:25 Uhr.

Tatsächlich startete der Flug IB 3123 um 21:21 Uhr in Wien und landete um 00:05 Uhr des Folgetages in Madrid. Die Kläger versäumten den Flug IB 6841 von Madrid nach Buenos Aires. Sie wurden von der Beklagten auf den Flug IB 6845 von Madrid nach Buenos Aires am 13.12.2019 mit der planmäßigen Abflugzeit um 12:10 Uhr in Madrid und der planmäßigen Ankunftszeit um 20:40 Uhr in Buenos Aires umgebucht. Der Flug IB 6845 startete tatsächlich verspätet um 15:50 Uhr in Madrid und landete um 23:56 Uhr in Buenos Aires. Die Beklagte war das ausführende Luftfahrtunternehmen aller Flüge. Die Flugstrecke von Wien nach Buenos Aires beträgt aufgrund der Großkreisberechnung mehr als 3.500 km.

Die Kläger begehrten den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von insgesamt jeweils EUR 1.200,-- samt Zinsen, und zwar jeweils EUR 600,--, einerseits wegen der Versäumung des gebuchten Anschlussfluges und andererseits wegen der Verspätung der Ersatzbeförderung.

Die Beklagte anerkannte das Klagebegehren im Umfang von insgesamt EUR 1.200,--. Darüber hinaus bestritt sie das Klagebegehren, beantragte die kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte dazu im Wesentlichen vor, die Kläger hätten eine Gesamtverspätung von 15:25 Stunden erlitten, weshalb ihnen lediglich ein Ersatzanspruch von jeweils EUR 600,-- zustehe. Der Ersatzanspruch könne für eine Beförderung nicht mehrfach beansprucht werden.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und folgerte aus dem unstrittigen bzw außer Streit gestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht, dass die Beklagte den Klägern infolge der Verspätung des ersten Fluges und der dadurch bedingten Versäumung des Anschlussfluges ein Angebot der anderweitigen Beförderung gemacht habe, dass sie akzeptiert hätten. Auch dieser Flug sei jedoch mit einer Verspätung von 3:40 Stunden gestartet, sodass die Kläger ihr Ziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des Ersatzfluges erreicht hätten. Nach der Rechtsansicht des Amtsgerichts Frankfurt am Main (31 C 3349/12 [78]), des Landesgerichts Korneuburg (21 R 336/17k), des BGH (X ZR 73/16) und zuletzt des EuGH (C-832/18) stehe einem Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung wegen der Annullierung des Ersatzfluges nicht entgegen, dass es sich um einen Ersatzflug handle. Der EuGH habe in der Entscheidung C-832/18 unter Berufung auf Erwägungsgrund 2 der EU-FluggastVO abgeleitet, dass ein Fluggast bei einer Verspätung des Alternativfluges desselben Luftfahrtunternehmens einen weiteren Anspruch auf Ausgleichsleistung habe.

Gegen dieses Urteil, und zwar im Umfang des Zuspruchs von – den anerkannten Betrag übersteigenden – EUR 1.200,-- samt Zinsen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren in diesem Umfang abgewiesen werde.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

Wie das Erstgericht zunächst zutreffend ausführt (§ 500a ZPO), sind Fluggäste verspäteter Flüge nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (C-402/07 Sturgeon/Condor ua) bezüglich eines Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden.

Zu prüfen ist, ob den Klägern in der hier vorliegenden Konstellation der Ausgleichsanspruch zweifach zusteht.

Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen können aber nicht auf den hier zu beurteilenden Fall umgelegt werden. Es ist zwar zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des EuGH bei einer Annullierung eines Fluges und der zusätzlichen Verspätung des Ersatzfluges der Ausgleichsanspruch zweifach zusteht (EuGH C-832/18 Finnair ). Der genannten Entscheidung lag jedoch ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der von den Klägern gebuchte Flug annulliert wurde, und jene in der Folge auf eine Ersatzverbindung umgebucht wurden, mit der sie ihr Endziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ersatz-beförderung erreichten. Dazu erwog der EuGH, dass die Fluggäste Unannehmlichkeiten sowohl in Verbindung mit der Annullierung als auch später aufgrund der großen Verspätung ihres Alternativfluges hinnehmen hätten müssen, sodass es im Einklang mit dem Ziel [der Verordnung] stehe, den Fluggästen einen Ausgleichsanspruch für jede der aufeinanderfolgenden Unannehmlichkeiten zu gewähren (EuGH C-832/18, Rz 31).

Gegenständlich liegt jedoch gerade kein Fall einer Annullierung eines Fluges und einer großen Verspätung am Endziel vor; vielmehr machte die Versäumung des ursprünglich gebuchten Anschlussfluges eine Weiterbeförderung mit einem Alternativflug erforderlich, der – für sich genommen – eine mehr als dreistündige Ankunftsverspätung aufwies.

In der Entscheidung vom 26.02.2013, C 11/11, Rn 33, hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass die Unannehmlichkeiten im Fall verspäteter Flüge bei der Ankunft am Endziel eintreten und das Vorliegen einer Verspätung für die Zwecke der in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Ausgleichszahlung anhand der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel beurteilt werden muss. Daraus folge, dass es im Fall eines Fluges mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen pauschalen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung ankomme, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, also dem Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggasts , festgestellt werde (aaO, Rn 35).

Die Kläger können ihre Ansprüche hier weder auf den Tatbestand der Nichtbeförderung (Art. 4), noch der Annullierung (Art. 5) stützen. Für den Ausgleichsanspruch kann es daher nach dem oben Gesagten lediglich auf die zumindest dreistündige Verspätung am Endziel (Art. 5 per analogiam ) ankommen. Auch die Rechtsprechung des EuGH bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass „Zwischenverspätungen“ zusätzlich in Betracht zu ziehen sind.

Auch die Argumentation, dass sowohl das Versäumen des ursprünglich gebuchten Anschlussfluges als auch die Verspätung der Alternativbeförderung eine jeweils gesondert zu bewertende Unannehmlichkeit darstellten, überzeugt nicht, sind doch sowohl Fälle denkbar, in denen eine einzige Unannehmlichkeit zu einer sehr großen Verspätung am Endziel führen kann, als auch, in denen eine größere Anzahl von Unannehmlichkeiten eine das Ausmaß von drei Stunden nur knapp übersteigende Verspätung am Endziel zur Folge hat. Die Rechtsprechung des EuGH differenziert aber weder nach dem Ausmaß der (zumindest dreistündigen) Verspätung noch nach der „Zahl der Unannehmlichkeiten“ – sofern diese überhaupt gegeneinander abgrenzbar sind – sondern stellt allein darauf ab, ob der Fluggast mit einer zumindest dreistündigen Verspätung sein Endziel erreicht.

Wegen der drei Stunden übersteigenden Gesamtverspätung steht den Klägern jeweils ein Ausgleichsanspruch in Höhe von EUR 600,-- zu. Der Berufung war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.

Aufgrund der Abänderung in der Hauptsache war auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung neu zu fassen. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kläger trotz des bei erster Gelegenheit (im Schriftsatz vom 01.02.2021) abgegebenen und in der Tagsatzung am 16.02.2021 mündlich vorgetragenenen Teilanerkenntnisses der Beklagten nicht die Fällung eines Teilanerkenntnisurteils beantragten. Die Kläger haben es jedoch nicht in der Hand, ihre Position im Hinblick auf den Kostenersatz dadurch zu verbessern, dass sie es unterlassen, die Fällung eines Teilanerkenntnisurteils zu beantragen (vgl Obermaier Kostenhandbuch 3 Rz 1.156 mwN; LG Korneuburg 21 R 219/17d).

Damit war das Verfahren in zwei Abschnitte zu gliedern: Der erste Verfahrensabschnitt umfasst lediglich die Klage und die Vollmachtsbekanntgabe / den Antrag auf Akteneinsicht der beklagten Partei, wobei die Kläger zu 50 % obsiegten, und die Prozesskosten daher gegeneinander aufzuheben sind. Den Klägern ist zudem die halbe Pauschalgebühr zu ersetzen. Im zweiten Verfahrensabschnitt mit einem – aufgrund des genannten Teilanerkenntnisses – fiktiven Streitwert von EUR 1.200,-- obsiegte die Beklagte zur Gänze.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufung gebührt allerdings nur der einfache Einheitssatz (§ 23 Abs 10 RATG).

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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