JudikaturJustiz22R176/20t

22R176/20t – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2020

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Straßl in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Ltd , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 400,--sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 12.05.2020, 23 C 1591/19x 12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 175,70 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen des Klagevertreters ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Fluggast A***** G***** verfügte über eine bestätigte Buchung für die folgende am 05.06.2019 durchzuführende Flugverbindung:

- OS 606 von Moskau (DME) nach Wien (VIE),

06:45 Uhr bis 08:35 Uhr;

- OS 563 von VIE nach Zürich (ZRH),

15:20 Uhr, bis 16:45 Uhr; und

- OS 8815 von ZRH nach Lugano (LUG),

17:25 Uhr bis 18:10 Uhr.

Der Flug OS 563 startete verspätet in VIE und landete in ZRH anstatt um 16:45 Uhr erst um 17:18 Uhr, wodurch der Fluggast den Anschlussflug OS 8815, der gemäß der unbestritten gebliebenen Behauptung der Klägerin auch tatsächlich um 17:25 Uhr in ZRH startete, verpasste. Einzige Ursache für die Verspätung des Fluges OS 563 war ein verspäteter Abflugslot, der seine Ursache in prognostizierten widrigen Wetterbedingungen (Gewittern) in ZRH hatte, die zu einer Reduzierung der Anflugrate führten.

Nach dem unbestritten gebliebenen Vorbringen der Beklagten wurde der Fluggast in der Folge auf den schnellstmöglichen Ersatzflug LX 2914 von ZRH nach LUG umgebucht, wodurch er sein Endziel LUG um 21:35 Uhr erreichte.

Die Parteien gehen offenbar übereinstimmend davon aus, dass die Beklagte ausführendes Luftfahrtfahrtunternehmen (Art 2 lit b des der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates [EU-FluggastVO]) sämtlicher gebuchter Teilflüge war.

Die Flugstrecke DME-LUG beträgt mehr als 1.500 km, aber weniger als 3.500 km.

Der Fluggast trat seinen Ausgleichsanspruch an die Klägerin ab; diese nahm die Abtretung an.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß [Art 5 Abs 1 lit c iVm] Art 7 [Abs 1 lit b] der EU-FluggastVO von EUR 400,-- samt Zinsen. Sie brachte im Wesentlichen vor, dass keine außergewöhnlichen Umstände [iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO] vorgelegen seien. Die Beklagte habe auch keine ausreichende Umsteigezeit in ZRH eingeplant. Diese hätte nur 40 min betragen, was genau der vom Flughafen ZRH angegebenen Mindestumsteigezeit (MCT) entspreche.

Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte – soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen vor, dass die Verspätung des Fluges OE 563 auf außergewöhnlichen Umständen beruht habe, die trotz zumutbarer Maßnahmen nicht vermeidbar gewesen seien, und verwies dabei auf die wetterbedingten Restriktionen der Flugsicherung, auf die sie keinen Einfluss gehabt habe; ohne diese Einschränkungen hätte der Flug in VIE eine Abflugverspätung von lediglich 10 min gehabt, womit der Fluggast den Anschlussflug problemlos erreichen hätte können. Durch die Umbuchung des Fluggasts auf die schnellstmögliche Ersatzverbindung habe sie alle zumutbaren Maßnahmen [zur Vermeidung einer großen Verspätung des Fluggasts am Endziel] ergriffen.

Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 400,-- samt Zinsen an die Klägerin sowie zum Ersatz der Prozesskosten. Es traf die aus den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung ON 12 ersichtlichen Feststellungen, deren wesentlicher Inhalt gemeinsam mit dem unstrittigen Sachverhalt oben wiedergegeben wurde. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit c EU-FluggastVO bei Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von mehr als 1.500 km, aber weniger als 3.500 km eine Ausgleichszahlung von EUR 400,-- gebühre. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (C-402/07 ua) seien die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierte Flüge gleichgestellt, wenn sie [am Endziel] einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Gemäß Art 5 Abs 3 der VO könne sich das ausführende Luftfahrtunternehmen vom Ausgleichsanspruch befreien, wenn es nachweise, dass die Annullierung auf außergewöhnliche – also unvorhersehbare und unbeherrschbare – Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Es bejahte die Qualifikation der wetterbedingten Flugrestriktionen als außergewöhnlichen Umstand. Zu den zumutbaren Maßnahmen stellte es folgende Erwägung an: Ein Luftfahrtunternehmen müsse bei einer einheitlich gebuchten Anschlussflugverbindung die Umsteigezeit so kalkulieren, dass für den Fluggast ein Umstieg auch dann möglich sei, wenn der Flug mit Verspätung am Umsteigeflughafen ankomme. Es dürfe dabei nicht die vom Flughafen angegebene Umsteigezeit zugrunde legen, sondern die „echte Umsteigezeit“. Bei einer einheitlich gebuchten Umsteigeverbindung reiche es nicht aus, wenn die Umsteigezeit so bemessen werde, dass der Anschlussflug tatsächlich nur dann erreicht werden könne, wenn der Zubringerflug planmäßig durchgeführt werde. Die Beklagte habe [bei der Flugplanung] in Anbetracht der in ZRH geltenden MCT von 40 min überhaupt keine Zeitreserve eingeplant, um kurzfristigen Verzögerungen im Flugverkehr, wie sie bei wetterbedingten Restriktionen immer wieder vorkommen, vorzubeugen und um einen Zeitpuffer zur Verfügung zu haben, sodass den Passagieren das Erreichen ihrer Anschlussflüge ermöglicht werde. Bereits geringfügige Abflug- oder Ankunftsverspätungen führten daher – wie auch im vorliegenden Fall – zwangsläufig dazu, dass die Passagiere ihren Anschlussflug nicht mehr erreichen könnten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

[a] Die Berufungswerberin meint im Wesentlichen, dass das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass sie nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe. Es sei nicht darauf abzustellen, ob das Luftfahrtfahrtunternehmen neben der MCT noch eine allfällige Zeit- reserve bei ihren Flügen einplane. Die MCT allein müsse bereits ausreichen, um den Passagieren das Erreichen ihres Anschlussfluges zu ermöglichen. Wäre dazu noch eine Zeitreserve einzuplanen, wäre die Vorgabe der MCT als einheitliche Größe unnötig. Die Beklagte gehe, wie jedes andere Luftfahrtunternehmen auch, regelmäßig und zutreffend davon aus, dass ihre Flüge planmäßig durchgeführt werden können – dies sei bei mehr als 90 % ihrer Flüge der Fall – und demnach die MCT ausreiche.

Bei der Minimum Connecting Time (MCT) handelt es sich um einen von der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung IATA in ihrer Resolution 765 genau definierten Begriff 1 * (vgl LG Korneuburg 22 R 51/20k, 22 R 117/20s). Wenn das Erstgericht nun bei der Planung der gegenständlichen Umsteigeverbindung die Berücksichtigung eines Zeitpuffers vermisst, ist zu bedenken, dass nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß im Allgemeinen und im vorliegenden Fall im Besonderen bei den nominellen Flugzeiten gewisse Puffer nicht ohnehin bereits berücksichtigt sind. Eine undifferenzierte Betrachtung der MCT allein könnte somit zur Folge haben, dass ein Luftfahrtfahrtunternehmen, das beispielsweise einen Puffer von 20 min in seine nominelle Flugzeit einkalkuliert hat, womit eine Überschreitung der MCT von beispielsweise nur 5 min verbleibt, sich den Vorwurf gefallen lassen müsste, riskanter gehandelt zu haben als ein Luftfahrtfahrtunternehmen, das nur 10 min Reserve in die nominelle Flugzeit einplant und somit eine MCT-Reserve von 15 min ausweisen kann, obwohl die Summe aus Puffer und Überschreitung der MCT in beiden Fällen 25 min beträgt. Da nicht bekannt ist, ob und bejahendenfalls in welchem Ausmaß die Beklagte in die nominellen Flugzeiten des Fluges OS 563 bereits einen Puffer „eingepreist“ hat, kann die Verletzung einer allfälligen Verpflichtung zur Planung mit einer die MCT überschreitenden Umsteigezeit hier nicht beurteilt werden.

[b] Wenn sich bei einer einheitlich gebuchten Umsteigeverbindung der erste Flug verspätet, ist auch zu prüfen, ob das Luftfahrtunternehmen durch zumutbare Maßnahmen das Verpassen des Anschlussflugs hätte vermeiden können. Solche zumutbaren Maßnahmen können die Unterstützung durch bevorzugte Abfertigungen an Sonderschaltern, die Unterstützung bei der Bewältigung des Weges im Terminal durch Zurverfügungstellung eines Elektrofahrzeuges (wie sie Luftfahrtunternehmen beschränkt mobilen Menschen zukommen lassen), die begleitete Beförderung des Fluggasts von Flugzeug zu Flugzeug über das Vorfeld, die Bitte an das Luftfahrtunternehmen, das den Anschlussflug durchführt, die Beendigung des Boarding noch wenige Minuten zu verzögern (bzw – wenn es selbst den Anschlussflug durchführt – diese Maßnahme von sich aus durchzuführen) etc sein. Das Luftfahrtunternehmen muss daher vortragen und beweisen, dass solche Maßnahmen nicht möglich, nicht zumutbar oder von vornherein nicht erfolgversprechend gewesen wären ( Schmid in BeckOK Fluggastrechte-VO 15 Art 5 Rz 153b mwN).

Im vorliegenden Fall lag zwischen der tatsächlichen Ankunft des Vorfluges OS 563 (17:18 Uhr) und dem tatsächlichen Abflug des Anschlussfluges OS 8815 (17:25 Uhr) ein Zeitraum von 7 min, womit zwar die MCT deutlich unterschritten wurde, es prima facie aber dennoch nicht schlichtweg ausgeschlossen erscheint, dass die Beklagte, hätte sie dem Fluggast eine Sonderbehandlung in Form einer oder mehrerer der obgenannten Maßnahmen angedeihen lassen, diesem ein Erreichen des Anschlussfluges doch noch ermöglichen hätte können.

Dem beklagten Luftfahrunternehmen kann zwar nicht abverlangt werden, Vorbringen zu jeder entferntesten auch nur denkmöglichen Maßnahme zu erstatten. Es sind jedoch Prozessbehauptungen zu Maßnahmen zu erstatten, die sich geradezu aufdrängen oder die zumindest bei lebensnaher Betrachtung in Erwägung gezogen werden müssen (LG Korneuburg 22 R 69/19f, 21 R 76/19b, 22 R 61/20f, 22 R 88/20a).

Da die Beklagte zu allfälligen Maßnahmen zur Erreichung des Anschlussflugs keinen Sachverhaltsvortrag erstattet hat, ist das Erstgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Beklagte nicht darauf berufen kann, sie habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine große Verspätung des Fluggasts am Endziel zu vermeiden. Wenn man also davon ausgeht, dass das Verpassen des Anschlussfluges und damit die große Verspätung am Endziel auf außergewöhnlichen Umständen beruht – diese vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht wird von der Berufungsgegnerin nicht angegriffen – hat die dafür behauptungs- und beweispflichtige Beklagte ( Schmid in BeckOK Fluggastrechte-VO 15 Art 5 Rz 176) kein ausreichendes Vorbringen zur Ergreifung zumutbarer Maßnahmen (zu den Gründen, warum diese unterblieben sind) erstattet.

[c] Die Berufungswerberin führt in diesem Zusammenhang auch ins Treffen, dass die Klägerin nicht konkret vorgebracht habe, weshalb dem Fluggast das Erreichen des Anschlussflugs nicht möglich gewesen sei.

Eines solchen Vorbringens bedurfte es im vorliegenden Fall allerdings nicht: Kommt es zur Verspätung des Zubringerfluges, versäumt der Fluggast den Anschlussflug und erreicht sein Endziel erst mit einer Verspätung von drei oder mehr Stunden, ist zu prüfen, ob die Verspätung des Zubringerfluges ursächlich für die Versäumung des Anschlussfluges war. Dem beklagten Luftfahrtunternehmen steht der Anscheinsbeweis offen, der dadurch erbracht wird, dass die für die konkrete Flugverbindung vom Flughafen vorgegebene Mindestumsteigezeit (MCT) noch zur Verfügung stand. Dazu ist die tatsächliche Ankunftszeit des Zubringerfluges der tatsächlichen Abflugzeit des Anschlussfluges gegenüberzustellen. Wird die MCT zwischen den beiden Flügen eingehalten, spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Umstand in der Sphäre des Fluggastes. Es ist dann Sache des Klägers, Umstände zu behaupten und nachzuweisen, warum im konkreten Fall die MCT (für sie) nicht ausgereicht habe. Wird die MCT aber – wie hier (noch dazu deutlich) – unterschritten, muss das Luftfahrtunternehmen darlegen und beweisen, dass der Fluggast in der konkreten Situation den Anschlussflug dennoch erreichen hätte können (RKO0000011). Es wäre daher vielmehr auch hier Sache der Beklagten gewesen, entsprechende Behauptungen aufzustellen.

[d] Sofern die Berufungswerberin einen sekundären Feststellungsmangel releviert, weil das Erstgericht keine Feststellungen zu den zumutbaren Maßnahmen getroffen habe, was aufgrund der Aussage des Zeugen Lukas Sebastian Ulses möglich gewesen wäre, kann darauf schon deshalb nicht eingegangen werden, weil die Berufungswerberin nicht anführt, welche konkreten Feststellungen sie vermisst.

[e] Auf die – von der Berufungswerberin ebenfalls vermisste – Feststellung, dass der Fluggast ohne Vorliegen des außergewöhnlichen Umstands den Anschlussflug erreicht hätte, kommt es angesichts der Ausführungen zu [b] und [c] nicht an; die Kausalität des außergewöhnlichen Umstands für die große Verspätung am Endziel führt nicht zu einer Entlastung des Luftfahrtfahrtunternehmens, wenn es nicht auch alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat.

Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg sagen zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung steht nur der einfache Einheitssatz zu (§ 23 Abs 10 RATG). Die Berufungsgegnerin verzeichnete auch zu Unrecht 20 % USt. Da die Berufungsgegnerin Unternehmerin mit Sitz in Hongkong ist, gilt die Vertretungsleistung der Klagevertreterin gemäß § 3a Abs 6 UStG als an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt ( W Doralt , Steuerrecht 2017/18, TZ 319). Die Leistung ist daher in Österreich nicht steuerbar. Da die Höhe des in Hongkong anfallenden Steuersatzes nicht bescheinigt wurde, war der Berufungsgegnerin Umsatzsteuer nicht zuzusprechen (LG Korneuburg 21 R 144/18a, 21 R 248/18w, 21 R 249/18t; all diese Entscheidungen betrafen dieselben Parteien und dieselben Parteienvertreter).

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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