JudikaturJustiz22R126/22t

22R126/22t – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
08. November 2022

Kopf

Im namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Rak und Mag. Jarec, LL.M. in der Rechtssache der klagenden Partei B***** K***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 12.04.2022, 24 C 136/19h-17, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreterin die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzten.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 174 von Hamburg nach Wien am 25.08.2018 mit einer planmäßigen Abflugzeit um 15:15 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 16:45 Uhr. Der Flug wurde annulliert und die Klägerin hievon weniger als sieben Tage zuvor verständigt. Die Flugstrecke von Hamburg nach Wien umfasst eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km.

Die Klägerin beantragte – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch von EUR 250,-- samt Zinsen und brachte zur Begründung im Wesentlichen vor, dass der Flug infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstandes annulliert worden sei. Außergewöhnliche Umstände seien nicht vorgelegen. Das Vorbringen zum Vogelschlag als Ursache für die Annullierung sei unsubstanziiert. Die Beklagte habe auch nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung des Fluges getroffen. Sie hätte konkret vorzubringen gehabt, warum der Flug annulliert habe werden müssen und nicht mit einer geringfügigen Verspätung durchgeführt habe werden können, ob sie alle ihr möglichen präventiv-kontrollierenden Maßnahmen gegen Vogelschläge gesetzt habe, was veranlasst worden sei, um Ersatzflugzeuge zu organisieren, und auch um welche Uhrzeit welche Maßnahmen gesetzt worden seien. Ohne Zeitangaben lasse sich nicht prüfen, ob alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden seien. Die Beklagte hätte bei Bekanntwerden des Vogelschlags sofort eine Umbuchung vornehmen können. Das Flugzeug hätte auch am Flughafen Hamburg von einem nach den einschlägigen Vorschriften hiezu autorisierten örtlichen Fachmann kontrolliert werden können. Es wäre der Beklagten auch zumutbar gewesen, eine Ersatzmaschine in Hamburg vorzuhalten, um etwaigen Beschädigungen an einem Flugzeug begegnen zu können.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der Grund für die Verspätung des Fluges OS 174 darin bestanden habe, dass es im Zuge der Landung des Vorfluges OS 173 von Wien nach Hamburg zu einem Vogelschlag gekommen sei. Der Flug OS 173 sei um 13:10 Uhr in Hamburg gelandet und wäre demnach ohne Vogelschlag rechtzeitig für den gegenständlichen Flug OS 174 zur Verfügung gestanden. Durch den Vogelschlag seien die Tragfläche des Flugzeuges beschädigt worden, und hätten somit notwendige und sowohl vom Hersteller des Flugzeuges (Airbus) als auch von ihr (der Beklagten) vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden müssen, was in weiterer Folge zur Annullierung des Fluges geführt habe. Die vorgeschriebenen Untersuchungsmaßnahmen hätten den gesamten weiteren Tag beansprucht. Die Reparaturen hätten nicht vor Ort durchgeführt werden können. Die Beschädigungen an der Tragfläche hätten in Hamburg nur gewartet, aber nicht repariert werden können. Der Flug sei daher um 15:15 Uhr von Hamburg nach Wien überstellt worden, wo dann Reparaturmaßnahmen durchgeführt und am nächsten Tag beendet worden seien.

Ein Vogelschlag sei als außergewöhnlicher Umstand iSd EU-FluggastVO zu bewerten. Sie habe alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen (Schreckschüsse am Flughafen, Einschalten der Landelichter und Montage der weißen Wendel) um Vogelschläge zu vermeiden. Sie habe kurz nach dem Vogelschlag alle Passagiere des Fluges OS 174 über die zu treffenden und notwendigen Maßnahmen sowie von der zu erwartenden Annullierung bzw Umbuchung informiert. Sie habe auch die notwendigen Betreuungsmaßnahmen für die wartenden Passagiere ergriffen. Eine Umbuchung auf eine andere Fluglinie hätte auch keinen schnelleren Transport der Klägerin nach Wien ermöglicht. Sie habe somit alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Klägerin schnellstmöglich an ihr Endziel zu befördern. Es sei ihr auch nicht möglich gewesen, ein Ersatzflugzeug nach Hamburg zu überstellen. Eine derartige Überstellung oder auch das Anmieten eines Ersatzflugzeuges hätten mehr Zeit in Anspruch genommen, als die Klägerin auf die Ersatzflüge umzubuchen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf – neben dem eingangs wiedergegebenen außer Streit gestellten Sachverhalt – nur eine Feststellung zur Anspruchstellung und Zahlungsaufforderung. Rechtlich gelangte es zu dem Ergebnis, dass die Kollision eines Flugzeuges mit einem Vogel als außergewöhnlicher Umstand iSd Art 5 Abs 3 der EU-FluggastVO zu qualifizieren sei. Damit das Gericht beurteilen könne, ob alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden seien, bedürfe es eines konkreten und substanziierten Vorbringens des Luftfahrtunternehmens in zeitlicher, örtlicher und technischer Hinsicht. Das Luftfahrtunternehmen müsse auch vortragen, aus welchen Gründen naheliegende Maßnahmen nicht möglich gewesen seien. Trotz Erörterung in der Tagsatzung vom 05.04.2022 habe es die Beklagte unterlassen, konkretes Vorbringen zu den zeitlichen Abläufen der Annullierung des Fluges OS 174 und der Umbuchung der Klägerin zu erstatten. Es sei somit nicht einmal erkennbar, welche zumutbaren Maßnahmen überhaupt in Betracht gekommen wären. Sie hätte vor allem darstellen müssen, wann für sie erkennbar gewesen sei, dass das Flugzeug nicht mehr einsatzbereit und somit eine Annullierung unumgänglich sei und auch, warum eine Reparatur in Hamburg nicht möglich gewesen sei. Das hiezu erstattete lediglich pauschale Vorbringen sei unzureichend.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellt die Berufungswerberin einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin wendet sich gegen die vom Erstgericht vertretene Ansicht, wonach ihr Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen unzureichend gewesen sei. Sie hält dem im Wesentlichen ihr Vorbringen im vorbereitenden Schriftsatz vom 02.06.2022, ihrer Replik vom 22.03.2022 und in der vorbereitenden Tagsatzung vom 05.04.2022 entgegen.

Die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts – auf die auch schon das Erstgericht verwiesen hat – verlangt dem beklagten Luftfahrtunternehmen zwar nicht ab, Vorbringen zu jeder entferntesten auch nur denkmöglichen Maßnahme zu erstatten; es sind jedoch Prozessbehauptungen zu Maßnahmen zu erstatten, die sich geradezu aufdrängen oder die zumindest bei lebensnaher Betrachtung in Erwägung gezogen werden müssen (vgl LG Korneuburg 22 R 69/19f, 22 R 61/20f, 22 R 88/20a uvam).

Um überprüfen zu können, welche zumutbaren Maßnahmen nach den genannten Kriterien im Einzelfall überhaupt in Betracht zu ziehen sind, bedarf es aber eines – vor allem auch im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe – konkreten Tatsachenvorbringens. Dies resultiert vor allem aus dem Umstand, dass der Begriff der „zumutbaren Maßnahmen“ per se zu wenig determiniert ist, weil sich daraus allein noch nicht ergibt, worauf die zumutbare Maßnahme gerichtet sein muss. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich nunmehr hinreichend deutlich ableiten, dass die zumutbaren Maßnahmen in drei Kategorien einzuteilen sind, und zwar

1. Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst,

2. Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung) und

3. Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung für den einzelnen Fluggast (vgl LG Korneuburg 22 R 152/20p, 22 R 174/20y mwN).

Ob ein Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828 [T9]).

Der Ansicht des Erstgerichtes, die Beklagte habe kein ausreichendes Vorbringen erstattet, ist beizupflichten, zumal der Sachverhaltsvortrag der Beklagten insofern unpräzise ist, als er nicht erkennen lässt, welche zumutbaren Maßnahmen in Anbetracht des konkreten Geschehensablaufs überhaupt in Betracht gekommen wären (RKO0000013).

So würde etwa die Anmietung eines Ersatzflugzeuges, die gerichtsbekannt aufgrund des damit verbundenen organisatorischen und administrativen Aufwands eine nicht unbeträchtliche Vorlaufzeit in Anspruch nimmt, dann keine zumutbare Maßnahme mehr darstellen, wenn die Fluggäste ihr Endziel voraussichtlich ohnehin früher im Wege einer Ersatzbeförderung erreichen (LG Korneuburg 22 R 174/20y). Dies wurde von der Beklagten zwar behauptet; es mangelt jedoch an hinreichenden zeitlichen Angaben, die eine Überprüfung dieses Vorbringens ermöglichen würden.

Auch wäre es insgesamt für die Prüfung, welche Maßnahmen im vorliegenden Fall zumutbar gewesen wären, vor allem erforderlich gewesen, darzustellen, wann für die Beklagte erkennbar gewesen sei, dass der Flug annulliert werden müsse. Auch hiezu fehlen konkrete zeitlichen Angaben.

Letztlich stellt sich aber auch im Lichte der Entscheidung des EuGH C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses die Frage, ob die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Folgen der Annullierung für die Fluggäste ergriffen hat.

Die Beklagte hat zwar vorgebracht, dass sie die Klägerin auf die frühestmögliche Flugverbindung an ihr Endziel umgebucht habe. Daraus lässt sich aber nicht erkennen, ausgehend von welchem Zeitpunkt (des Vogelschlags; des Erkennens des Schadens; der Erkennbarkeit, dass der Flug annulliert werden müsse; der tatsächlichen Annullierung; der Entscheidung, die Fluggäste umzubuchen?) es sich um die frühestmögliche Ersatzbeförderung gehandelt habe.

Da sie aber kein Vorbringen dazu erstattet hat, zu welchen Zeiten die oben in Klammer angeführten Ereignisse stattgefunden haben, wäre auch nicht beurteilbar, ob sie die Klägerin tatsächlich auf die frühestmögliche – rechtlich gebotene – Ersatz- beförderung umgebucht hat.

Das Erstgericht ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass der von der für die anspruchsvernichtenden Tatsachen behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten vorgetragene Sachverhalt die rechtliche Beurteilung, dass sie alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung bzw der nachteiligen Folgen derselben für die Klägerin ergriffen hat, nicht zulässt. Der anspruchsvernichtende Sachverhalt ist daher nicht ausreichend konkret behauptet worden.

Das Erstgericht hat hiezu auch zutreffend auf die beiden denselben Flug betreffenden Entscheidungen des Berufungsgerichtes zu 22 R 152/20p und 22 R 174/20y verwiesen, die es in der Tagsatzung vom 05.04.2022 auch mit den Parteien erörterte (ON 16 S. 2) auch dort wurde bereits ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen es eines weiteren Vorbringens der (auch hier) Beklagten zu den zumutbaren Maßnahmen bedurft hätte. In diesem Zusammenhang hielt das Erstgericht ausdrücklich fest, dass jegliches Vorbringen zu den zeitlichen Abläufen fehle und auch ein Vorbringen dazu, wie lange die Reparatur gedauert habe und wieso diese nicht in Hamburg durchgeführt habe werden können, sowie auch zur denkbaren Möglichkeit einer Überstellung einer Ersatzmaschine und zum Zeitpunkt der Umbuchung.

Trotz Erörterung brachte die Beklagte lediglich – ergänzend und weiterhin unkonkret – vor, dass der Pilot nach der Landung in Hamburg festgestellt habe, dass es zu einem Vogelschlag gekommen sei. Zu welchem konkreten Zeitpunkt bzw wie lange nach der Landung wurde nicht dargelegt. Auch zu den am Flughafen Hamburg durchgeführten Inspektionsmaßnahmen wurde keine zeitliche Dauer angegeben. Es wurde auch nicht dargelegt, warum die Beschädigungen in Hamburg nicht repariert hätten werden können bzw dies nur in Wien möglich gewesen sei. Es wurde zwar behauptet, dass die Passagiere auf die nächste (mögliche) Beförderung umgebucht worden seien, aber nicht ausgeführt, von welchem Zeitpunkt an dies die nächstmögliche Beförderung gewesen sei. An zeitlichen Angaben wurde lediglich ergänzend vorgebracht, dass der Flug (gemeint offenbar das Flugzeug) um 15:15 Uhr von Hamburg nach Wien überstellt worden sei und dort die Reparaturmaßnahmen durchgeführt und am nächsten Tag beendet worden seien. Allein diese spärlichen zeitlichen Angaben sind jedoch nicht geeignet, das oben aufgezeigte Fehlen eines hinreichenden Vorbringens zu entkräften.

Das Vorbringen der Beklagten zu den von ihr ergriffenen zumutbaren Maßnahmen ist somit trotz Erörterung durch das Erstgericht unzureichend geblieben.

Schließlich moniert die Berufungswerberin, dass das Erstgericht aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht ausreichend festgestellt habe, inwiefern die Beklagte zumutbare Maßnahmen im Sinne von notwendigen Reparaturarbeiten und der Überstellung des Flugzeuges getroffen habe. Abgesehen davon, dass die Berufungswerberin Ausführungen dazu vermissen lässt, welche rechtlich relevanten Feststellungen sie in diesem Zusammenhang begehrt, ist sie weiters darauf zu verweisen, dass ergänzende Feststellungen auch nur im Rahmen des von ihr erstattenden Vorbringens zu treffen gewesen wären. Nachdem es – wie oben aufgezeigt – schon am hinreichenden Vorbringen mangelt, bedurfte es auch keiner weiteren Feststellungen dazu.

Da die Voraussetzungen für die Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsleistung iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO kumulativ vorliegen müssen, und es demnach nicht nur eines außergewöhnlichen Umstandes, sondern auch hinreichender Behauptungen und des Nachweises bedarf, dass die Beklagte alle ihr zumutbaren Maßnahmen im Sinne der oben dargelegten Grundsätze ergriffen hat, ist das Erstgericht insgesamt zu Recht mit der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Ausgleichsleistung vorgegangen.

Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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