JudikaturJustiz22R107/21x

22R107/21x – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2021

Kopf

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Jarec LLM und Mag Mühleder in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien [1] K***** P***** , [2] H***** P***** , [3] A***** K***** , [4] G***** K***** , alle verteten durch Dr Olaf Borodajkewycz, Rechtsanwalt in Wien, wider die jeweils beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen jeweils EUR 471,88 sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 11.12.2020, 26 C 41/20d-17, (Berufungsinsteresse: jeweils EUR 469,38 bzw EUR 469,37) in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien jeweils ein Viertel der mit EUR 418,85 (darin EUR 60,81 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDUNDE:

Die Kläger verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung

– OS 612 von St Petersburg (LED) nach Wien (VIE) am 26.09.2019, 14:20 Uhr bis 16:00 Uhr;

– OS 939 von VIE nach Klagenfurt (KLU) am 26.09.2019, 17:15 Uhr bis 17:55 Uhr.

Die tatsächlichen Flugzeiten des Fluges OS 612 waren 14:54 Uhr bis 16:38 Uhr. Die Kläger erreichten den Flug OS 939 nicht mehr; sie reisten letztlich mit der Bahn nach Klagenfurt, wo sie um 23:30 Uhr ankamen. Die Beklagte übernahm die Kosten für den Transfer der Kläger von VIE nach Wien Hauptbahnhof; die Kosten der Bahnfahrt von Wien nach Klagenfurt von EUR 55,70 pro Person trugen die Kläger selbst. Die Flugstrecke LED-VIE beträgt mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km.

Die Kläger begehrten erkennbar den Zuspruch von jeweils der Hälfte von EUR 943,75 samt Zinsen und brachten dazu vor, dass es ihnen aufgrund der Verspätung des Zubringerfluges im Ausmaß von 38 Minuten trotz Beeilung nicht gelungen sei, den Anschlussflug zu erreichen. Nach Passieren der Passkontrolle habe ihnen eine Mitarbeiterin der Beklagten am Informationsschalter für Transitpassagiere mitgeteilt, dass sie ihren Anschlussflug nicht mehr erreichen würden, zumal der Flugsteig bereits geschlossen sei. Daraufhin hätten sie den Flugsteig nicht mehr aufgesucht. Obwohl die Beklagte um den Andrang und mögliche dadurch ausgelöste Verzögerungen bei der Pass- und Sicherheitskontrolle gewusst habe, habe sie keine Maßnahmen getroffen, damit sie – die Kläger – ihren Anschlussflug noch erreichen. Es sei ihnen zwar eine Ersatzbeförderung im Luftweg für den folgenden Tag (samt Übernachtung) angeboten worden. Da dies aber für den Zweitkläger nicht in Betracht gekommen sei, habe man vereinbart, mit der Bahn nach Klagenfurt zu reisen, wobei sie mit den Kosten der Bahnfahrt von Wien nach Klagenfurt in Vorlage treten sollten. Erst- und Zweitkläger (zusammen) einerseits und Dritt- und Viertkläger (zusammen) andererseits stünden an Ersatzansprüchen folgende Beträge zu: EUR 19,85 für Mahlzeiten und Erfrischungen, EUR 111,40 für die Bahntickets (Wien-Klagenfurt), EUR 7,50 für ein Taxi (Klagenfurt Hauptbahnhof-KLU, um den dort geparkten Pkw abzuholen) und EUR 5,-- für verspätungsbedingt erhöhte Parkgebühren. Darüber hinaus habe jeder der Kläger Anspruch auf eine Ausgleichsleistung gemäß [Art 5 Abs 1 lit c iVm] Art 7 [Abs 1 lit b] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von jeweils EUR 400,--.

Die Beklagte begehrte jeweils die Klagsabweisung, bestritt und brachte zusammengefasst vor, dass die Kläger trotz Verspätung des Zubringerfluges 37 Minuten Zeit gehabt hätten, um den Anschlussflug zu erreichen. Da die Mindest-umsteigezeit ( Minimum Connecting Time ; MCT) in VIE für Flüge von OS auf OS 25 Minuten betrage, sei das Nichterreichen des Anschlussfluges nicht von ihr zu vertreten; allenfalls treffe die Kläger ein Mitverschulden, weil sie sich nicht zügig zum Boarding begeben hätten. Allfällige Verspätungen bei der Sicherheits- und Pass- kontrolle seien ihr nicht zuzurechnen. Der Informationsschalter nach der Passkontrolle sei ein solcher des Flughafens VIE. Die Verspätung sei auf außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zurückzuführen, die sich auch durch das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen nicht verhindern hätten lassen. Das Einplanen einer größeren Zeitreserve zwischen den beiden Flügen liege im Allgemeinen nicht im Interesse der Fluggäste. Ein Zuwarten mit der Durchführung des Fluges OS 939 wäre ihr nicht zumutbar gewesen, weil sonst andere Fluggäste ihre Anschlussflüge [in KLU] nicht erreicht hätten. Auch ein neuerliches Öffnen der Flugzeugtüren wäre aufgrund des hohen damit verbundenen Aufwands nicht zumutbar gewesen. Sie habe bereits dadurch ihre Verpflichtung zum Ergreifen zumutbarer Maßnahmen erfüllt, indem sie den Klägern eine Ersatzbeförderung angeboten habe. Da das Verpassen des Anschlussfluges nicht von ihr zu vertreten sei, hätten die Kläger auch weder Anspruch auf Ersatz der Verpflegungskosten noch der Kosten für die Taxifahrt vom Bahnhof Klagenfurt nach KLU. Bei der Parkplatzgebühr handle sich um Sowiesokosten.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht den Klagebegehren – mit Ausnahme eines Teilbetrags von EUR 2,50 samt Zinsen je Kläger (Parkgebühren) – zur Gänze statt und verhielt die Beklagte zum Ersatz der anteiligen Prozesskosten an die Kläger. Es traf die aus den Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die im Allgemeinen verwiesen wird und aus denen im Besonderen hervorzuheben ist:

Die Kläger beeilten sich [nachdem sie mit einem Shuttlebus vom Flugzeug zum Terminal in VIE gebracht worden waren] und legten [...], abgesehen von der Passkontrolle, der Nachfrage beim Flughafenschalter und der Sicherheitskontrolle keine Zwischenstopps ein, bevor sie zum Gate F14 gingen. Nachdem auch viele andere Passagiere Anschlussflüge erreichen mussten, war es den Klägern jedoch nicht möglich, die Passkontrolle und die Sicherheitskontrolle beschleunigt zu passieren.

Aufgrund der Vielzahl an wartenden Passagiere – von 16:30 Uhr bis 18:00 Uhr herrschte das höchste Passagieraufkommen an jenem Tag […] – brauchten Dritt- und Viertkläger 11 Minuten und Erst- und Zweitkläger 12 Minuten, bis sie [die Passkontrolle] abgeschlossen hatten.

Nachdem von 16:30 Uhr bis 18:00 Uhr das höchste Passagieraufkommen an jenem Tag herrschte, stand auch [bei der Sicherheitskontrolle] eine große Menschenmenge an, sodass die Kläger die Sicherheitskontrolle [die sie um 17:03 Uhr erreicht hatten] erst um 17:10 Uhr absolviert hatten. Das Abfluggate des Anschlussfluges (F14) erreichten die Kläger daraufhin um 17:15 Uhr; nachdem das Boarding für den Flug OS 939 um 17:06 Uhr abgeschlossen worden war, war das Gate um 17:15 Uhr bereits geschlossen, und es befand sich auch kein Personal mehr dort. Der Flug OS 969 nahm seinen Airportslot wahr und flog zwischen 17:15 Uhr und 17:17 Uhr ab.

Wenn die Passkontrolle und Sicherheitskontrolle nicht insgesamt 19 Minuten, sondern höchstens insgesamt 9 Minuten in Anspruch genommen hätten, hätten die Kläger noch mit dem Anschlussflug befördert werden können. Die Sicherheitskontrolle nimmt durchschnittlich 5 bis 6 Minuten in Anspruch; es kann nicht festgestellt werden, wie viel Zeit die Passkontrolle üblicherweise in Anspruch nimmt.

Es kann zwar nicht festgestellt werden, was die durchschnittliche Zeit ist, die Passagiere vom Betreten des Terminals bis zum Erreichen des Gates F14, dem Abfluggate des Flugs OS 939, unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Wartezeit bei einer Passkontrolle und der durchschnittlichen Wartezeit bei einer Sicherheitskontrolle benötigen. Wäre der Flug OS 612 jedoch pünktlich um 16:00 Uhr in Wien gelandet, hätten die Kläger ihren Anschlussflug erreicht und wären pünktlich in Klagenfurt angekommen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass einem Fluggast bei Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit b EU-FluggastVO ein Ausgleichsanspruch von EUR 400,-- zustehe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) seien die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Dies gelte auch, wenn der Fluggast wegen der Verspätung des Zubringerfluges seinen Anschlussflug versäume und aus diesem Grund eine große Verspätung an seinem Endziel erleide. Die Ausgleichszahlung sei jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO). Die Verspätung des Zubringerfluges sei für das Versäumen des Anschlussfluges zumindest mitkausal gewesen. Den Klägern sei aber der Beweis gelungen, dass ihnen trotz einer die MCT überschreitenden Umsteigezeit das Erreichen des Anschlussfluges nicht möglich gewesen sei, was auch auf Verzögerungen bei der Pass- und Sicherheitskontrolle zurückzuführen gewesen sei. Die Kläger treffe daher kein Verschulden am Verpassen des Anschlussfluges. Bei Pass- und Sicherheitskontrolle handle es sich zwar um hoheitliche Maßnahmen, auf die das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss habe; maßgeblich sei jedoch, dass die Verspätung des Zubringerfluges als Mitursache hinzugetreten sei. Diesbezüglich unterscheide sich der vorliegende Fall auch von dem zu 21 R 16/17a des Landesgerichts Korneuburg beurteilten Sachverhalt. Ein ausreichendes Vorbringen hinsichtlich eines allfälligen außergewöhnlichen Umstands habe die Beklagte nicht erstattet. Die Kläger hätten daher nicht nur Anspruch auf die Ausgleichsleistung gemäß Art 7 der VO, sondern auch auf Ersatz der anerkannten Kosten der Zugtickets sowie der Taxikosten, weil die Beklagte die Beförderung bis zum Flughafen KLU geschuldet habe. Die Verpflegungskosten habe die Beklagte gemäß Art 9 Abs 1 lit a der VO zu ersetzen. Bei den Parkgebühren handle es sich hingegen um nicht ersatzfähige Sowiesokosten.

Erkennbar nur gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage-begehren zur Gänze abgewiesen werden; eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin argumentiert, dass nicht sämtliche Verspätungsursachen im Zusammenspiel zu betrachten, sondern strikt voneinander zu trennen seien. So seien auch gemäß der Entscheidung des EuGH zu C-315/15 Pešková u Peška außergewöhnliche Umstände – wie hier die Verspätung bei der Sicherheitskontrolle – von der Gesamtverspätung abzuziehen. Damit habe die Verspätung des Zubringerfluges keinen Einfluss auf das Verpassen des Anschlussfluges der Kläger gehabt, zumal die MCT – trotz Verspätung – überschritten gewesen sei. Sie habe – zusätzlich zu MCT – noch einen Puffer von 50 Minuten eingeplant gehabt. Die Sicherheitskontrolle sei nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens; sich dort ereignende Vorkommnisse seien auch nicht von ihm beherrschbar. Aus den Auslegungsrichtlinien der Kommission vom 10.06.2016 ergebe ich auch, dass kein Ausgleichsanspruch entstehe, wenn Anschlussflüge wegen beträchtlicher Verzögerungen bei Sicherheitskontrollen verpasst werden, oder weil die Fluggäste die Einstiegszeit für ihren Flug am Umsteigeflughafen nicht beachtet haben. Den Klägern stehe daher weder ein Ausgleichsanspruch noch Verpflegungsersatz zu.

Damit spricht die Berufungswerberin zwei voneinander zu trennende Themenkreise an: Einerseits die Frage der Kausalität der Verspätung des Zubringerfluges für das Verpassen des Anschlussfluges und andererseits die Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstands iSd Art 5 Abs 3 der VO.

[1] Den erstgerichtlichen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass zwei Faktoren dafür kausal waren, dass die Kläger ihren Anschlussflug versäumt haben: einerseits die Verspätung des Zubringerfluges im Ausmaß von 38 Minuten und andererseits die Dauer der Pass- und der Sicherheitskontrolle. Da die Kläger ihren Anschlussflug noch erreicht hätten, wenn sie 10 Minuten früher als tatsächlich am Flugsteig des Anschlussfluges gewesen wären, war die verspätete Landung des des Fluges OS 612 in VIE jedenfalls mitursächlich für die Leistungsstörung.

Im Rahmen der Kausalitätsprüfung ist aber auch zu ermitteln, ob der Fluggast alles Erforderliche getan hat, um seinen Anschlussflug dennoch zu erreichen. Es trifft ihn nämlich die aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abzuleitende Obliegenheit, das Versäumen des Anschlussfluges im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verhindern. Er kann sich insbesondere nicht darauf berufen, für den Umsteigevorgang jene Zeitspanne in Anspruch nehmen zu können, die ihm auch bei pünktlicher Landung des Zubringerfluges verblieben wäre. (Dass es dabei aber auf eine gegenüber der planmäßigen Ankunft verspätete Ankunft des Zubringerfluges letztlich gar nicht ankommt, wird unter Punkt [3] aufzuzeigen sein.)

Zutreffend hat das Erstgericht in diesem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts verwiesen, wonach es – so wie hier – bei Einhaltung oder Überschreitung der MCT Sache des Fluggastes ist, zu behaupten und zu beweisen, dass es ihm dennoch nicht möglich war, den Anschlussflug zu erreichen (RKO0000011). Dieser Beweis ist den Klägern vorliegend gelungen.

[2] Nach der von der Berufungswerberin zitierten Judikatur des EuGH (C-315/15 Pešková u Peška ) ist im Fall einer um drei Stunden oder mehr verspäteten Flug- ankunft, die nicht nur auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht, der nicht durch der Situation angemessene Maßnahmen zu verhindern war und gegen dessen Folgen das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat, sondern auch auf einem anderen Umstand, der nicht in diese Kategorie fällt, die auf dem erstgenannten Umstand beruhende Verspätung von der gesamten Verspätungszeit bei Ankunft des betreffenden Fluges abzuziehen ist, um zu beurteilen, ob für diese verspätete Flugankunft Ausgleichszahlungen gemäß Art 7 der VO zu leisten sind (Urteil C-315/15 Rn 54). Dies bedeutet im Ergebnis, dass jenes Ausmaß der Verspätung, das auf einem Ereignis iSd Art 5 Abs 3 der VO beruht hat, von der Gesamt-verspätung abzuziehen ist, um die Berechtigung eines Anspruchs nach Art 7 der VO beurteilen zu können.

Der dort zu würdigende Sachverhalt, bei dem die Kläger keine Umsteigeverbindung gebucht hatten, und sich die große Ankunftsverspätung des (einzelnen) Fluges aus der Summierung von Verspätungen aus mehr als einer Ursache ergab, weicht zwar wesentlich vom hier vorliegenden Sachverhalt ab, bei dem keiner der beiden Flüge selbst eine Verspätung von zumindest drei Stunden aufgewiesen hat, das Versäumen des Anschlussfluges aber letztlich kausal für die um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft der Kläger am Endziel war. Dennoch müssen die im Urteil zu C-315/15 aufgestellten Grundsätze auf solche Fälle übertragen werden, will man erhebliche Wertungswidersprüche zu der vor allem durch die Entscheidungen des EuGH zu C 402/07 Sturgeon und C-11/11 Folkerts begründeten Rechtsprechung zur großen Ankunftsverspätung bei Umsteigeverbindungen vermeiden.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte trotz Verspätung des Zubringerfluges keine Ausgleichsleistung zu zahlen hätte, wenn sie ein Ereignis iSd Art 5 Abs 3 der VO behauptet und nachgewiesen hätte, das im Ausmaß von zumindest 10 Minuten kausal für das Versäumen des Anschlussfluges gewesen wäre.

Die Berufungswerberin erblickt in den Verzögerungen bei der Pass- und Sicherheitskontrolle einen solchen außergewöhnlichen Umstand, der sich auch durch das Ergreifen zumutbarer Maßnahmen nicht vermeiden hätte lassen.

Diese Auffassung wird vom Berufungsgericht aber nicht geteilt.

Als außergewöhnliche Umstände können Vorkommnisse angesehen werden, die [a] ihrer Natur und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und [b] von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ vorliegen müssen (EuGH C-549/07, C 315/15, C-195/17 ua; LG Korneuburg 22 R 10/20f, 22 R 72/20y; 22 R 99/20v uvm; Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 19 Art 5 Rz 50 f; Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht 8 § 40 Rz 27). Allerdings gebietet es die aus den Erwägungsgründen zu VO eindeutig hervorgehende Überlegung, dass die VO ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung tragen solle (EuGH C-549/07 Wallentin-Hermann Rn 31; C-257/14 van der Lans Rn 45), dass nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen soll, sondern nur ein solches, das aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragt (BGH X ZR 146/11). Für die Qualifizierung der Umstände als außergewöhnlich ist somit maßgeblich, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss. Das bedeutet, dass einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Fluges seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die nicht aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen und somit bestenfalls ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich sind (Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 19 Art 5 Rz 54; LG Korneuburg 22 R 212/20m, 22 R 299/20f uvm).

Auch wenn Pass- und Sicherheitskontrollen auf Flughäfen (mögen letztere auch an private Unternehmen ausgelagert sein) hoheitliche Tätigkeit darstellen und damit der Beherrschbarkeit durch das Luftfahrtunternehmen entzogen sind (LG Korneuburg 22 R 65/20v), stellt ein zu einer Verzögerung führende Ereignis in diesem Bereich dann kein Vorkommnis gemäß Art 5 Abs 3 der VO dar, wenn es nicht per se außer-gewöhnlich war. Wenn das Berufungsgericht im eben zitierten Fall von einer Haftungsbefreiung ausgegangen ist, so deshalb, weil es am Flughafen des Abflugorts zu einem Stromausfall gekommen war, der die gesamte Infrastruktur des Flughafens zum Erliegen gebracht, und auch die Durchführung der Sicherheitskontrolle unmöglich gemacht hatte.

Auch bei Heranziehung der Leitlinien der Kommission zur Auslegung der EU FluggastVO vom 10.06.2016 gelangt man zu keinem anderen Ergebnis. Dort heißt es in Punkt 4.d.vii: „Werden Anschlussflüge wegen beträchtlicher Verzögerungen bei Sicherheitskontrollen verpasst oder weil die Fluggäste die Einstiegszeit für ihren Flug am Umsteigeflughafen nicht beachtet haben, so entsteht daraus kein Ausgleichs- anspruch.“ Ab wann eine Verzögerung „beträchtlich“ ist, bedarf der Auslegung. Dabei kann aber (allfällige) Verzögerungen von mehreren Minuten, wie sie aufgrund verstärkten Passagieraufkommens im Tagesverlauf immer wieder auftreten können, nicht das Gewicht eines außergewöhnlichen Umstands iSd Art 5 Abs 3 der VO beigemessen werden. Ein Fall einer beträchtlichen Verspätung liegt aber gegenständlich – bei einer Gesamtdauer von Pass- und Sicherheitskontrolle vom 19 Minuten – keinesfalls vor. Es ist gerichtsbekannt und ergibt sich aus der Natur der Sache, dass die Dauer der Pass- und Sicherheitskontrolle maßgeblich vom gerade herrschenden, mitunter minütlich schwankenden Passagieraufkommen abhängig ist, das wiederum vom mehr der weniger zufälligen Zusammenspiel verschiedenster Faktoren geprägt ist. Im konkreten Fall hat das Erstgericht festgestellt, dass die Sicherheitskontrolle durchschnittlich fünf bis sechs Minuten Anspruch nimmt. Schon daraus ergibt sich, dass die Sicherheitskontrollen schon grundsätzlich nicht darauf ausgelegt sind, gleichsam ohne Zeitverlust „durchlaufen“ zu werden. Kommt es nun (lediglich) aufgrund des hohen Passagieraufkommens sowohl bei der Pass- als auch bei der Sicherheitskontrolle (andere Ursachen wurden nicht festgestellt und auch von der Beklagten nicht behauptet) allenfalls zu Verzögerungen von mehreren Minuten, so fehlt es diesem Ereignis schon per se an der Außergewöhnlichkeit, womit der Beklagten eine Berufung auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zu versagen ist (idS auch Schmid [aaO Rn 173], wonach eine Entlastung gemäß Art 5 Abs 3 der VO zu verneinen sei könnte, wenn das Luftfahrtunternehmen einem Flugreisenden eine Umsteigeverbindung zu seinem Endziel anbietet und die Umsteigezeit ohne ausreichende Berücksichtigung der zur Verkehrszeit üblichen Dauer der Sicherheitskontrolle berechnet und angibt.)

Abgesehen davon konnte das Erstgericht die übliche Dauer der Passkontrolle nicht feststellen. Damit steht auch nicht fest, in welchem Ausmaß die Passkontrolle von hier 11 bzw 12 Minuten länger war als üblich. Demgegenüber steht fest, dass die Sicherheitskontrolle lediglich 1 bis 2 Minuten länger war als üblich. Damit ist aber insgesamt nicht konstatiert, dass Pass- und Sicherheitskontrolle in einem Ausmaß von insgesamt 10 Minuten das übliche Ausmaß überstiegen haben.

[3] Letztlich ist im Zuge der aus Anlass der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge gebotenen allseitigen Prüfung der Rechtsfrage durch das Berufungsgericht (RS0043352) zu erörtern, zu welches Ergebnis man gelangte, wenn der Zubringerflug – bei sonst unverändertem Sachverhalt – nicht verspätet gewesen, sondern planmäßig erst um 16:38 Uhr in VIE angekommen wäre. Den Klägern wäre ebenfalls eine – die MCT von 25 Minuten überschreitende – Umsteigezeit von 37 Minuten verblieben, in der es ihnen tatsächlich nicht möglich gewesen wäre, den Anschlussflug zu erreichen. Auch in diesem Fall hätte die Beklagte eine Ausgleichszahlung zu leisten. Auf die „Leistungsstörung Verspätung des Zubringerfluges“ kommt es daher in Wahrheit nicht an. Maßgeblich ist allein, dass dem Fluggast keine Verletzung seiner Obliegenheit um das Bemühen des Erreichens des Anschlussfluges vorzuwerfen ist, und kein Entlastungsgrund gemäß Art 5 Abs 3 der VO vorliegt.

Damit ist das Erstgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Verpassen des Anschlussfluges, und damit auch die Verspätung der Kläger an ihrem Endziel von der Beklagten zu vertreten ist. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Einer Vorlage an den EuGH – wie von den Klägern angeregt – bedurfte es nicht, weil das Berufungsgericht – den Vorgaben des EuGH zur Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstands folgend – an seine bisherige Rechtsprechung angeknüpft hat.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung gebührt allerdings nur der einfache Einheitssatz (60 %; § 23 Abs 10 RATG). Die Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht gesondert zu honorieren. Abgesehen davon, dass sich der Kostenersatzanspruch im Zivilprozess nach dem RATG und nicht nach den „AKH“ (offenbar gemeint: AHK) richtet (§ 1 Abs 2 RATG), regelt § 8 Abs 1 AHK die Entlohnung der Vertretung vor internationalen Tribunalen, und Entscheidungsträgern, dem Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof, die hier nicht vorliegt.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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