JudikaturJustiz22Bs36/24s

22Bs36/24s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
09. April 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung der A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Oktober 2023, GZ 91 Hv 32/23a 48.2, nach der am 9. April 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein der Richter Mag. Hahn und Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Wohlmuth, LL.M. sowie in Anwesenheit der Betroffenen und ihrer Verteidigerin Mag. Knizak, LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am ** geborene A* gemäß § 21 Abs 1 StGB in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht, weil sie in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer gemischt schizoaffektiven Störung (F 23.1), derentwegen sie im Zeitpunkt der Taten zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, in der Klinik B* beschäftigte Pflegekräfte, somit Personen, die in einem gesetzlich geregelten Gesundheitsberuf tätig sind, während und wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit am Körper zu verletzen versuchte, und zwar

1./ am 24. Mai 2023 C*, indem sie mehrfach auf dessen rechten Unterarm einschlug und ihm einen Tritt gegen den rechten Unterschenkel versetzte;

2./ am 4. Juni 2023 D* und E*, indem sie diese jeweils gezielt mit der flachen Hand auf den linken Gesichtsbereich bzw. auf den Hinterkopf schlug,

und somit Taten beging, die als die Vergehen der Körperverletzung nach den § 15, 83 Abs 1 und Abs 3 Z 2 erster Fall StGB jeweils mit einer ein Jahr, nicht jedoch drei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und ist nach ihrer Person, ihrem Zustand und der Art der Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sie sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss ihrer psychischen Störung eine mit mehr als zwei Jahren Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen gegen Leib und Leben begehen werde.

Wegen der von der Betroffenen unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangenen, mit mehr als einjähriger, jedoch nicht drei Jahre übersteigender Freiheitsstrafe bedrohten Taten und fehlender Bestrafungsmöglichkeit infolge Zurechnungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Taten, ordnete das Erstgericht die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB an. Ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung im Sinne des § 434g Abs 5 StPO schloss es aufgrund fehlender Krankheitseinsicht der Betroffenen aus.

Nach der mit Beschluss vom 16. Jänner 2024, GZ 11 Os 146/23i 4, erfolgten Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof liegt nunmehr die unmittelbar nach Entscheidungsverkündung erhobene (ON 48.1, 15), schriftlich nicht zur Darstellung gebrachte Berufung der Betroffenen vor.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

§ 21 Abs 1 StGB setzt für die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum neben einer unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangenen, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinne des Abs 3 leg cit eine ungünstige Prognose dahin voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Als wichtige in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen seine Eigenschaften, früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Gründe für die Begehung zurückliegender Delikte, als Zustand des Rechtsbrechers seine Krankheitseinsicht und sein Krankheitsbild im Urteilszeitpunkt in Betracht (vgl. Ratz in WK 2 § 21 Rz 25). Wenn die angedrohte Freiheitsstrafe dieser Tat wie fallbezogen vorliegend drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung nach Abs 1 auf eine gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen.

Die für die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum erforderliche Gefährlichkeitsprognose konnte das Erstgericht zutreffend neben dem von der Betroffenen selbst gewonnenen Eindruck aus dem schlüssigen, in der Hauptverhandlung erörterten und aufrecht erhaltenen Gutachten der Sachvertständigen Dr. F* (ON 13.2; ON 16.2; ON 35.2; ON 47.1; ON 48.1, 13) deduzieren. So kam die Expertin ausgehend von der von ihr schlüssig attestierten schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung zum Ergebnis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, die Betroffene werde unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Störung in absehbarer Zeit äquivalente Delikte begehen, nämlich Straftaten gegen Leib und Leben mit schweren Folgen (ON 13.2, 25 f), und sind diese insbesondere jederzeit, nämlich ab sofort zu befürchten, und zwar unter anderem schwere und absichtlich schwere Körperverletzungen als auch die unmittelbare Umsetzung von gefährlichen Drohungen in entsprechende Tathandlungen (ON 16.2; ON 35.2, 6).

Wenn die Berufungswerberin in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, es fehlten Annahmen dahingehend, ob und wie sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung und körperlichen Konstitution in der Lage wäre, eine als Prognosetat umschriebene strafbare Handlung zu begehen, und die davon betroffenen Personen sich bedroht fühlen würden, ihr könne es nicht ansatzweise gelingen, jemanden schwer zu verletzen, ist ihr schon die gutachterliche Einschätzung der beigezogen Sachverständigen, die schlüssig zu einem anderen Ergebnis kam, entgegenzuhalten. So führte diese aus, dass die Betroffene bei nahezu jeder Aufnahme mit Polizei und Sanitäter geschlossen in Hand und/oder Fußfessel gebracht werde und es müsse stets Sicherheitspersonal bei Aufnahme und Verabreichung von Medikamenten hinzugezogen werden (ON 13.2, 18). Obwohl es sich bei A* um eine kleine „drahtige, abgemagerte Frau“ handle, sei bei der letzten Aufnahme die Anwesenheit von drei Polizisten, zwei Sanitätern und zwei Securities erforderlich gewesen, seien auch bei der Befundaufnahme mehrere Personen im Raum gewesen und stellen die aggressiven Übergriffe der Betroffenen stets von Neuem eine Herausforderung für ihr Umfeld aber auch für ihre psychiatrische Behandlung im Spital dar. Insbesondere habe sie aggressiv dysphorisch gespannt imponiert und die Expertin sei darauf bedacht gewesen, nicht die Saftflasche abzubekommen, die die Betroffene mehrfach drohend erhoben habe (ON 13.2, 19). Daraus und aus den Anlasstaten ist ungeachtet der physischen Konstitution der Betroffenen auch der Expertise folgend abzuleiten, dass Straftaten gegen Leib und Leben mit schweren Folgen bislang nur durch Zufall und infolge des raschens Eingreifens der Polizei nicht erfolgt seien (ON 13.2, 26; ON 16.2, 2).

Es besteht sohin tatsächlich die zu einer real konkreten Befürchtung verdichtete Besorgnis (vgl. RIS Justiz RS0090401; Ratz aaO Vor §§ 21-25 Rz 4), A* werde extramural bei realistischer Betrachtung mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit unter dem maßgeblichen Einfluss der ihr attestierten, nach wie vor bestehenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung (zumindest) eine schwere Körperverletzung begehen.

Ein in § 157a StVG geregeltes vorläufiges Absehen vom Vollzug einer strafrechtlichen Unterbringung ist nur dann möglich, wenn und solange der Betroffene außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden kann und so sowie durch allfällige weitere Maßnahmen der Gefahr, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll, begegnet werden kann. Dabei sind insbesondere die Person des Betroffenen, sein Vorleben, Art und Schwere der Anlasstat, sein Gesundheitszustand und die daraus resultierende Gefährlichkeit, der bisher erzielte Behandlungserfolg sowie die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer angemessenen Betreuung und die Aussichten auf das redliche Fortkommen zu berücksichtigen (Abs 1 erster Satz leg cit).

Ausgehend von der fehlenden Paktfähigkeit (ON 13.2, 15) als auch Krankheits und Behandlungseinsicht (ON 13.2, 20; ON 47.1, 20, Angaben im Gerichtstag) liegen schon deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Vollzug nicht vor. Aber auch nach der gutachterlichen Stellungnahme im Sinne des § 434g Abs 2 StPO ist die intramurale Anhaltung gegenständlich nicht substituierbar (ON 48.1, 13).

Die bloße Androhung der Unterbringung in Verbindung mit einer Behandlung außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums und allfälligen weiteren Maßnahmen reicht sohin nicht aus, um die Gefährlichkeit, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll, hintanzuhalten, sodass der Berufung ein Erfolg zu versagen war.

Rechtssätze
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