JudikaturJustiz1R818/98k

1R818/98k – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
02. März 1999

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter HR Dr. Kreimel (Vorsitzender), Dr. Dallinger und KR Halbich in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Amhof Dr. Damian, Rechtsanwälte in 1060 Wien, wider die beklagte Partei P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck, Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, wegen S 29.705,10 samt Anhang über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 30.10.1998, 7 C 1895/98x-5, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 5.916,96 (darin enthalten S 986,16 Ust) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Zahlung von S 29.705,10 samt 8,04 % Zinsen aus S 13.409,52 seit 5.6.1998 gerichtete Klagebegehren ab.

Die auf Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung getroffenen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, beurteilte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht dahingehend, daß der zwischen den Streitteilen zustandegekommene Vergleich nicht nur auf die Haftung des Beklagten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG Bezug genommen habe, sondern mit dem vergleichsweise vereinbarten Pauschalbetrag die Haftung des Beklagten für die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge überhaupt abgefunden worden sei.

Damit könne die Klägerin den Beklagten nun auch nicht wegen Verletzung der Schutznorm des § 159 (Abs. 1 Z 1) StGB aus dem Titel des Schadenersatzes für die nicht schon durch Leistung der Vergleichssumme getilten Beitragsrückstände in Anspruch nehmen.

Schließlich habe die Klägerin auch damit rechnen müssen, daß nach Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens bezüglich der beiden Beitragsschuldner im Jahr 1995 auch ein Strafverfahren gegen den Beklagten wegen eines Kridadeliktes folgen könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, das Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, allenfalls aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragte, der Berufung keine Folge zu geben.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach allgemeinen, keinem Rechtsmittelgrund zuordenbaren Erläuterungen des Sachverhalts, führt die Klägerin eine Rechtsrüge aus, zu der auch die Rüge rechtlicher Feststellungsmängel (Punkt II.) zählt.

Grundlegend ist zu den geltend gemachten rechtlichen Feststellungsmängeln auszuführen, daß ein derartiger Verfahrensmangel nicht bestehen kann, wenn ein bestimmter entsprechender Sachverhalt nicht behauptet wurde (Kodek in Rechberger, Komm. zur ZPO, Rz 4 zu § 496). Schon deshalb liegt in den fehlenden Feststellungen zur Höhe der Rückstände und der von der Klägerin ursprünglich begehrten Zahlungen keine fehlerhafte Unvollständigkeit.

Da das Vorbringen der Klägerin, sie habe erst aufgrund der Anfrage der Wirtschaftspolizei vom 30.1.1997 Kenntnis davon erlangt, daß gegen den Beklagten Vorerhebungen wegen Krida gepflogen wurden, vom Beklagten gar nicht substantiiert bestritten wurde, sind auch entsprechende Feststellungen entbehrlich (Rechberger in Rechberger, aaO, Rz 5 zu § 267).

In Punkt III. Der Berufung versucht die Klägerin als fehlerhafte rechtliche Beurteilung des Erstgerichts aufzuzeigen, daß es von einer Bereiningungswirkung des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vergleichs auch hinsichtlich des nun klagsweise geltend gemachten Anspruchs ausgegangen sei. Beim Vergleich sei es bloß um die Haftung des Beklagten als Geschäftsführer nach § 67 Abs. 10 ASVG gegangen, also um die dort normierte "gesetzliche Bürgschaft" (Haftung neben dem Beitragsschuldner). Dies habe die Klägerin in allen Schreiben von Anfang an betont. Nur auf dieses Rechtsverhältnis habe sich auch der Vergleich bezogen.

Von einer schadenersatzrechtlichen Haftung des Beklagten wegen schuldhafter Krida sei damals überhaupt noch keine Rede gewesen. Allenfalls wäre es Sache des Beklagten gewesen, einen Vorbehalt dahingehend zu machen, daß er mit dem Vergleich alle wie immer Namen habenden Ansprüche der Klägerin gegen ihn bereinigt wissen wolle.

Da dies nicht geschehen sei, sei mit der die Bürgenhaftung des Beklagten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG betreffenden Vereinbarung keine Bereinigungswirkung hinsichtlich der Geltendmachung einer später entstandenen schadenersatzrechtlichen Forderung verbunden.

An ein schuldhaftes, gegen § 159 StGB verstoßendes Verhalten des Beklagten habe die Klägerin im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses gar nicht denken können.

Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen.

§ 67 Abs. 10 ASVG bestimmt (soweit für den gegenständlichen Fall maßgeblich), daß die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretenen auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der Rechtssprechung des VwGH wurde damit eine dem zivilrechtlichen Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung konzipiert (Nachweise bei Resch, GmbH-Geschäftsführerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge, JBl 1996, 219 Fn 16). Da für die Inanspruchnahme der Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ASVG die Erlassung eines Bescheides vorgesehen ist, kann die Frage der Haftung nach § 67 ASVG nicht durch einen privatrechtlichen Vertrag geregelt werden. Deshalb hat der VwGH ausgesprochen, daß Beitragsschulden, die eine als Haftpflichtiger gemäß § 67 ASVG in Anspruch genommene Person nicht aufgrund eines Haftungsbescheides, sondern bloß aufgrund einer mit dem Versicherungsträger abgeschlossenen Vereinbarung leistete, mangels Einhaltung der für die Rechtswirksamkeit der Haftungsbegründung vorgeschriebenen Bescheidform "zur Ungebühr entrichtet" wurden und im Verwaltungsweg zurückgefordert werden können (ZfVB 1990/2/728). Im Rahmen der in § 67 Abs. 10 ASVG geregelten Haftung ist der SV-Träger an die Rechtsform des öffentlichen Rechts gebunden. Die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsform des öffentlichen Rechts zieht die Nichtigkeit des privatrechtlichen Rechtsaktes nach sich (OGH RdW 1995, 216).

Doch hat der VwGH festgehalten, daß § 67 Abs. 10 ASVG nur sozialversicherungsbeitragsrechtliche Verpflichtungen des Geschäftsführers sanktioniert, konkret die Pflicht zur rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge namens des Beitragsschuldners und aus dieser Verpflichtung allenfalls resultierende Nebenpflichten, nicht aber Verletzungen jeglicher dem Gläubigerschutz dienender Bestimmungen (wie etwa die Pflicht zur rechtzeitigen Konkursanmeldung), die auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen sind (Nachweise bei Resch, aaO, 225 Fn 56). Der OGH geht davon aus, daß die Fälle der Geschäftsführerhaftung für Kridadelikte nicht von der Ausweitung der Beitragspflicht durch § 67 Abs. 10 ASVG erfaßt werden sollten (5 Ob 522/94).

Ohne auf das Spannungsverhältnis zwischen der Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG und eine solche im Rahmen deliktischer Haftungsnormen wegen fahrlässiger Kride einzugehen (dazu Resch, aaO, 226), folgt aus dem Dargestellten folgendes:

Wenngleich die Klägerin bereits im Jahr 1995 vom Beklagten als nach § 67 Abs. 10 ASVG Haftenden die Zahlung der auf den Konten der Beitragsschuldnerinnen aushaftenden rückständigen Sozialversicherungsbeiträge begehrte, durfte der Beklagte nach dem Schreiben der Klägerin vom 9.7.1996 (Beilage ./1), welches ihm eröffnete, die Klägerin wolle sich nach einer abschließenden Beitragsprüfung mit Zahlung von S 60.000,-- in Raten als Abfindung der Haftung des Beklagten begnügen, und werde die Klägerin, wenn der Beklagte dieser Lösung zustimme, einen Bescheid über diese S 60.000,-- erlassen, durchaus der Auffassung sein, das Ausmaß seiner Haftung sei in diesem Falle einer vollständigen Regelung unterworfen worden. Schon weil der dem Beklagten vorgeschlagene Pauschalbetrag ganz offenkundig weder der Höhe nach noch vom Verfahren her als eine den Erfordernissen des § 67 Abs. 10 ASVG genügende auf eine schuldhafte Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Beklagten gegründete Beitragsausmittlung verstanden werden mußte, durfte der Beklagte nach Erlassung des den "Vereinbarungen" entsprechenden Haftungsbescheids davon ausgehen, seine - welchem Rechtsgrund immer entspringende - Haftung für die Beitragsschuld gegenüber der Kläger sei mit der Zahlung von S 60.000,-- in Raten abgegolten.

Daß sich der Beklagte im Fall der Zahlung von S 60.000,-- laut dem Vorschlag der Klägerin durch das von ihr angebotene Einvernehmen der ihm nach Verfahrensrecht zustehenden Rechte begeben, andererseits aber der Klägerin die Möglichkeit hätte einräumen wollen, ihn aus anderen rechtlichen Gründen doch für den S 60.000,-- übersteigenden Teil der Beitragsschulden in Haftung zu ziehen, durfte die Klägerin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht ernsthaft annehmen.

Keine Rede kann bei der festgestellten Sachlage auch davon sei, daß die Klägerin, wenn sie die Haftung eines Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft in Anspruch nimmt, weil die an sie zu entrichtenden Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Geschäftsführern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können, nicht auch daran hätte denken können, daß dieses Verhalten mit einem nach § 159 Abs. 1 Z 1 StPO zu beurteilenden korreliert.

Damit ist der Auslegung des Erstgerichts zu folgen, daß der zwischen den Streitteilen erzielte und die Haftung des Beklagten für die Beitragsschulden zweier Gesellschaften der Klägerin gegenüber betreffende Vergleich - in seinem einzig wirksamen Inhalt - auch und gerade die nicht zwingend im Verwaltungsverfahren zu klärende und mit Bescheid festzustellende Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG betraf.

Der Berufung kommt damit keine Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision basiert auf § 502 Abs. 2 ZPO.

HANDELSGERICHT WIEN

1011 Wien, Riemergasse 7

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