JudikaturJustiz1R751/96d

1R751/96d – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
20. März 1997

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Richter Dr. Kreimel (Vorsitzender), Dr. Pelant und Mag. Dr. Wanke-Czerwenka in der Rechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder Partner, Rechtsanwaltspartnerschaft in 1010 Wien, wider die beklagten Parteien 1. N***** OEG, 2. N***** N*****, Friseurin, und 3. K***** N*****, Friseur, alle: W*****, 1050 Wien, alle vertreten durch Dr. Markus Frank, Rechtsanwalt in 1070 Wien, wegen S 76.536,26 samt Nebengebühren über den Rekurs der erst- und der drittbeklagten Partei gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 17.5.1996, GZ 15 C 3254/95d-10, in nicht öffentlicher Sitzung den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird insoweit, als er die Anträge der erst- und drittbeklagten Partei auf Zustellung der Klage und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweist, mit der Maßgabe bestätigt, daß der Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückgewiesen wird.

Gegen diesen Ausspruch ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig.

Soweit der angefochtene Beschluß den Antrag der erst- und drittbeklagten Partei auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils vom 16.1.1996 abweist, wird er dahin abgeändert, daß die Vollstreckbarkeitsbestätigung aufgehoben wird. Im übrigen wird der angefochtene Beschluß, soweit er erst- und drittbeklagte Partei betrifft, ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über den Widerspruch der erst- und drittbeklagten Partei (ON 9) aufgetragen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Der über Antrag der Klägerin erlassene Zahlungsbefehl vom 13.11.1995 wurde der Erstbeklagten und dem Drittbeklagten an der in der Klage angegebenen Adresse W*****, 1050 Wien, ordnungsgemäß zugestellt; eine Zustellung an die Zweitbeklagte schlug fehl. Erstbeklagte und Drittbeklagter erhoben gegen den Zahlungsbefehl rechtzeitig Einspruch, weshalb das Erstgericht für den 20.12.1995 die mündliche Streitverhandlung anordnete. Beiden Beklagten konnten die Ladungen für diesen Termin jedoch nicht zugestellt werden; sie langten jeweils mit dem Vermerk des Postzustellers "Firma geschlossen, keine Abgabemöglichkeit" zurück, woraufhin das Erstgericht für den 16.1.1996 eine neuerliche Tagsatzung anberaumte und hiefür die Ladung der Beklagten durch Hinterlegung ohne Zustellversuch ("D") verfügte. In Entsprechung dieser Verfügung wurden die beiden Ladungen am 4.1.1996 beim Postamt 1050 Wien ohne vorangehenden Zustellversuch postamtlich hinterlegt.

Die Tagsatzung vom 16.1.1996 blieb seitens der beiden Beklagten unbesucht, weshalb über Antrag der Klägerin gegen sie ein Versäumungsurteil erging. Bezüglich dessen Zustellung verfügte das Erstgericht neuerlich "Hinterlegung D", demgemäß wurden die Ausfertigungen für die Erstbeklagte und den Drittbeklagten am 24.1.1996 - abermals beim Postamt 1050 Wien - ohne vorangehenden Zustellversuch postamtlich hinterlegt. Am 21.2.1996 langten die beiden Sendungen als nicht behoben beim Erstgericht ein, welches am 12.3.1996 die Vollstreckbarkeitsbestätigung für das Versäumungsurteil erteilte.

Mit dem am 13.5.1996 zur Post gegebenen Schriftsatz brachten alle drei Beklagten vor, daß weder die Klage noch ein sonstiges Schriftstück oder das Versäumungsurteil vom 16.1.1996 zugestellt worden seien. Im Kopf dieses Schriftsatzes ist die Adresse der Beklagten (nach wie vor) mit W***** angegeben. Nach dem Vorbringen der Beklagten seien dort freitags und samstags zwei Zustellversuche vorgenommen worden, obwohl sich an der Tür zum Geschäftslokal der deutlich lesbare Hinweis auf die Geschäftszeiten (Montag bis Donnerstag) befinde. Es werde daher "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zustellung der bisherigen Aktenschriftstücke sowie Aufhebung des Versäumungsurteiles vom 16.1.1996 und Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung" beantragt; nur für den Fall der Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde "innerhalb offener Frist Widerspruch gegen das Versäumungsurteil vom 16.1.1996" erhoben und "dessen Aufhebung und Zustellung der Klage und der übrigen Schriftstücke sowie Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung" begehrt. Zugleich beantragen alle 3 Beklagten die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung (lediglich im Rubrum des Schriftsatzes) und erstatten Klagebeantwortung.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht sämtliche Anträge, soweit sie sich auf die bisher nicht ins Verfahren einbezogene Zweitbeklagte beziehen, zurück.

Bezüglich der beiden anderen Beklagten wies es die Anträge mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen für eine Zustellung ohne Hinterlegung nach § 8 ZustG vorgelegen hätten. Zugleich wies es die unter einem erhobene Klagebeantwortung zurück.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten und des Drittbeklagten aus den Gründen der Nichtigkeit, der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß den Anträgen vom 13.5.1996 (ON 9) Folge gegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

Nicht berechtigt ist er zunächst insoweit, als er auch die Abweisung des Antrages auf neuerliche Zustellung der Klage bekämpft. Eine solche kommt im Hinblick auf die bereits erfolgten Klagszustellungen nicht in Betracht.

Im übrigen vertreten die beiden Beklagten in ihrem Rekurs die Ansicht, daß die Zustellungen durch Hinterlegung ohne Zustellversuch in concreto rechtswidrig gewesen seien. Zum einen sei das Erstgericht ohne ausreichende Begründung davon ausgegangen, daß die Beklagten ihre Abgabenstelle tatsächlich dauernd geändert hätten, zum anderen habe es zu Unrecht unterstellt, daß eine andere Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden könne. Der Wiedereinsetzung (gemeint wohl: gegen die Versäumung der Tagsatzung vom 16.1.1996) "und den weiteren zugehörigen Anträgen der Beklagten" hätte daher stattgegeben werden müssen. Dabei wird jedoch übersehen, daß nie ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht worden ist. Die beiden Beklagten haben ihren Wiedereinsetzungsantrag nämlich ausschließlich auf Zustellfehler gestützt. Diese bilden aber keinen Wiedereinsetzungsgrund (hg 1 R 45/96f uva). Der Wiedereinsetzungsantrag ist vom Erstgericht daher im Ergebnis richtig abschlägig beurteilt worden, wobei aber mit Rücksicht darauf, daß kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund behauptet wurde, eine meritorische Behandlung zu unterbleiben hatte. Die angefochtene Entscheidung war demgemäß in diesem Punkt mit der Maßgabe zu bestätigen, daß der Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen wird.

Damit verbleibt der eventualiter erhobene Widerspruch zu prüfen. Diesen hat das Erstgericht erkennbar deswegen abgewiesen, weil die Zustellung des Versäumungsurteiles vom 16.1.1996 nach § 23 ZustG per 24.1.1996 rechtswirksam und der am 13.5.1996 zur Post gegebene Widerspruch daher verspätet gewesen sei. Richtig ist einmal, was der Rekurs in seinem Punkt 3. problematisiert, daß der Widerspruch - wäre er tatsächlich verspätet - zurückgewiesen hätte werden müssen. Davon abgesehen erweist sich der Widerspruch der beiden Beklagten aber ohnehin als rechtzeitig, weil der Ansicht des Erstgerichts, die Zustellung des Versäumungsurteils sei schon am 24.1.1996 vollzogen worden, nicht beigetreten werden kann. Entsprechend der Vorgangsweise bei Ladung für die Tagsatzung vom 16.1.1996 hat das Erstgericht angeordnet, daß die Zustellung des Versäumungsurteils bezüglich beider Beklagten durch Hinterlegung ohne Zustellversuch stattzufinden habe. Dabei ging es von der Vorschrift des § 8 ZustG aus, die diese Form der Zustellung bezüglich einer Partei vorsieht, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntis hat, ihre bisherige Abgabenstelle ändert, ohne dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Weitere Voraussetzung einer wirksamen Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 ZustG ist, daß eine (andere) Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Diese Voraussetzung erachtete das Erstgericht als gegeben, weil aus dem gesamten Inhalt seines Gerichtsaktes außer der Adresse W***** keine andere Adresse feststellbar sei. Indem das Erstgericht seine Prüfungspflicht auf den Akteninhalt beschränkte, hat es die Grenze jedoch zu eng gezogen. Schon die Materialien zu § 8 ZustG nennen als Hilfsmittel, die zunächst zur Ermittlung einer anderen Abgabestelle herangezogen werden müssen, exemplarisch Meldeauskünfte oder Mitteilungen an den Zusteller durch Nachbarn. Eine Beschränkung auf den Akteninhalt läuft den Intentionen des Gesetzes daher zuwider. Vor Anordnung einer Hinterlegung ohne Zustellversuch im Sinn des § 8 ZustG sind daher über den Akteninhalt hinaus weiterer Erkundigungen einzuholen. Als solche kommen neben den eben erwähnten Meldeauskünften etwa die Einholung einer Auskunft der Gewerbebehörde oder, bei protokollierten Firmen, eine Einsicht in das Firmenbuch in Betracht (Walter-Mayer, Zustellrecht, Anm. 13 zu § 8). Letztgenannte Möglichkeit, von der das Rekursgericht im Sinn des § 526 Abs 1 ZPO (durch Einsicht in die Urkundensammlung) Gebrauch gemacht hat, hätte in concreto zur Privatadresse des Drittbeklagten (2333 Leopoldsdorf, *****) geführt. In Anbetracht dessen kann hier aber nicht davon gesprochen werden, daß eine (andere) Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten hätte festgestellt werden können. Davon ausgehend war die Hinterlegung des Versäumungsurteiles ohne vorausgehenden Zustellversuch jedoch in jedem Falle unzulässig, weshalb die vom Rekurs primär ventilierte Frage, ob die beiden Beklagten die bisherige Abgabestelle überhaupt geändert haben, dahingestellt bleiben kann.

Die nach dem Vorgesagten somit rechtswidrige Hinterlegung des Versäumungsurteils bezüglich der beiden Beklagten konnte für diese keine Zustellwirkung entfalten. Da eine Heilung des Zustellmangels nicht eingetreten ist, bedeutet dies, daß die Frist zur Erhebung des Widerspruchs für die Beklagten bis dato noch gar nicht zu laufen begonnen hat. Ihr Widerspruch vom 13.5.1996 ist daher jedenfalls rechtzeitig, weshalb er vom Erstgericht im Sinne der §§ 442a, 397a Abs 3 2. Satz ZPO in meritorische Behandlung zu nehmen sein wird. Damit hat die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils vom 16.1.1996 einherzugehen, weshalb insgesamt wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden ist.

Die Zurückweisung der "Klagebeantwortung" erweist sich, gemessen an den Ergebnissen des Rekursverfahrens als überflüssiger Formalismus, weil jenem Teil des Schriftsatzes ON 9 im Zusammenhalt mit dem Widerspruch nunmehr die Eigenschaft eines vorbereitenden Schriftsatzes zuzumessen (§§ 397 a, 442 a ZPO). Auch in diesem Punkte war der angefochtene Beschluß deshalb ersatzlos aufzuheben.

Die Kostenentscheidung hat mangels Kostenverzeichnung zu entfallen.

Gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 4 zu § 528); gegen den inhaltlich abändernden Teil ist der Revisionsrekurs mangels einer zur Klärung anstehenden Rechtsfrage nicht zuzulassen.

Rechtssätze
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