JudikaturJustiz1R44/21y

1R44/21y – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2021

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Dr. Hinek (Vorsitzender), Mag. Ogris und KR Bugkel in der Rechtsache der klagenden Partei A* , ** B*, **, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wider die beklagte Partei C* AG ,

**

B*-D*

,

**

, vertreten durch

MMag.

Christoph-Mathias Krones, Rechtsanwalt in 1060 Wien, wegen € 600,00 sA , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 20.11.2020, 5 C 50/20v-8, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von € 600,00 samt 4 % Zinsen pa seit 28.8.2019 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei deren mit € 814,60 (darin € 125,10 USt und € 64,00 Barauslagen) bestimmte Prozesskosten binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit € 280,84 (darin € 35,14 USt und € 70,00 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hatte eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchgeführten Flug OS 567 von B* -E* nach F* am 19.6.2019. Planmäßige Abflugzeit war 20:05 Uhr Lokalzeit, planmäßige Ankunftszeit 21:25 Uhr Lokalzeit. Die geplante Flugdauer betrug daher 80 Minuten.

Von F* hätte die Klägerin am 19.6.2019 mit dem Flug LX 92 nach G* weiterfliegen sollen. Planmäßige Abflugzeit war 22:40 Uhr Lokalzeit, planmäßige Ankunftszeit am 20.6.2019, 5:30 Uhr Lokalzeit.

Die Klägerin checkte rechtzeitig am D* B* E* an und wartete vor dem Gate des Fluges OS 567.

Aufgrund von Schlechtwetter (Gewitterwolken) reduzierte die Flugsicherung Eurocontrol im westlichen B-Sektor die Durchflugsrate auf 40 Flüge pro Stunde und im Nordsektor auf 38 Flüge pro Stunde. Die Flugsicherung Eurocontrol erteilte auch dem Flug OS 567 unter Angabe des Codes 81W (Wettereinschränkungen auf der Strecke) einen späteren Abflugslot, der letztgültige Abflugslot wurde für 21:07 Uhr Lokalzeit erteilt. Die Fluglinien müssen Anordnungen der Eurocontrol Folge leisten.

Die Klägerin wurde beim Gate-Schalter der Beklagten informiert, dass sich ihr Flug wegen Unwettern verspäten werde, wodurch sich die Umsteigezeit in F* verringere und sie den Abschlussflug von F* nach G* verpassen könnte. Diesfalls könnte ihr am Flughafen F* keine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden, weil dort bereits alle Unterkünfte ausgebucht seien. Ihr wurde eine Umbuchung auf einen anderen Flug empfohlen. Da die Klägerin nachfragte, ob sich nicht trotz Verspätung der Umstieg in F* auf ihren gebuchten Anschlussflug ausgehen würde, wurde ihr mitgeteilt, dass dies nicht garantiert werden könne, sie wurde aufgefordert, zum AUA-Schalter zu gehen und sich dort über ihre Möglichkeiten zu erkundigen.

Beim AUA-Schalter musste die Klägerin ca. eine halbe Stunde in der Warteschlange anstehen und warten.

Die Beklagte ging in weiterer Folge davon aus, dass die Klägerin mit dem verspäteten Flug OS 567 den Anschlussflug in F* nicht mehr erreichen würde, und buchte die Klägerin auf den Flug OS 123 von B* nach H* (mit planmäßiger Abflugzeit am 20.6.2019, 12:10 und planmäßiger Ankunftszeit um 13:40 Uhr) und auf den Anschlussflug LH 505 von H* nach G* (mit planmäßiger Abzugszeit am 20.6.2019 um 22:05 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit am 21.6.2019 um 4:55 Uhr) um. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass das die früheste Alternativverbindung war und dass nicht damals schon eine Umbuchung auf die frühere Flugverbindung NH 6301 von B* nach I* (mit planmäßiger Abflugzeit am 20.6.2019 um 7:15 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit um 9:10 Uhr) und Anschlussflug KL 791 von I* nach G* (mit planmäßiger Abflugzeit am 20.6.2019 um 10:10 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit um 17:10 Uhr) möglich gewesen wäre.

Während des Wartens bekam die Klägerin dann ein SMS der Beklagten, dass sie auf die oben genannte Flugverbindung über H* am nächsten Tag, also OS 123 und LH 505, umgebucht worden sei.

Die Klägerin erkundigte sich nach Erhalt der SMS beim AUA Schalter nach früheren Alternativen und wurde letztlich auf den früheren Flug NH 6301 von B* nach I* mit planmäßiger Abflugzeit am 20.6.2019 um 7:15 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit um 9:10 Uhr und den Anschlussflug KL 791 von I* nach G* mit planmäßiger Abflugzeit am 20.6.2019 um 10:10 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit um 17:10 Uhr umgebucht. Sie kam dann am 20.6.2019 um 17:10 Uhr in G* an.

Tatsächlich flog der Flug OS 567 am 19.6.2019 um 20:55 Lokalzeit (also mit 50 Minuten Verspätung) in B* E* ab und kam um 22:02 Uhr Lokalzeit (also mit 37 Minuten Verspätung) in F* an. Die Flugdauer betrug daher auf diesem Flug 67 Minuten. Tatsächlich flog der Flug LX 92 am 19.6.2019 um 22:55 Uhr in F* ab und kam am 20.6.2019 um 5:40 Uhr in G* an. Zwischen der tatsächlichen Ankunft des Fluges OS 567 in F* und dem planmäßigen Abflug des Anschlussfluges LX 92 wären daher 38 Minuten gelegen, zwischen der tatsächlichen Ankunft des Fluges OS 567 in F* und dem tatsächlichen Abflug des Anschlussfluges LX 92 lagen 53 Minuten. Die Mindestumsteigezeit in F* betrug 40 Minuten.

Wenn der Klägerin mitgeteilt worden wäre, dass sich das Umsteigen in F* auf den gebuchten Anschlussflug ausgeht, dann wäre sie bei der ursprünglich gebuchten Flugverbindung geblieben und hätte einer Umbuchung nicht zugestimmt.

Dass der Flug OS 567 überbucht war und die Klägerin deshalb auf eine andere Flugverbindung umgebucht wurde, konnte das Erstgericht nicht feststellen.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Zahlung einer Ausgleichsleistung von € 600,00 sA gemäß Verordnung (EG) Nr. 261/2004 („Fluggastrechte-VO“, idF kurz „VO“) wegen Nichtbeförderung gestützte Klagebegehren ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es in rechtlicher Hinsicht dahingehend, dass die Klägerin einen Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung begehre und sich damit erkennbar auf Art 4 Abs 3 VO stütze.

Der Begriff „Nichtbeförderung“ sei in Art 2 lit j) VO legaldefiniert. Der europäische Gesetzgeber verstehe darunter „die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter in Art 3 Abs 2 VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, zB im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.

Vertretbare Gründe“, die ein Luftfahrtunternehmen, das die Beförderung eines Fluggastes verweigert habe, entlasten könnten, seien nur solche, die in der Person des Fluggastes liegen (zB ein fehlendes Visum oder Gesundheitspapiere, gesundheitliche Gründe), die den Flugverkehr oder andere Passagiere in ihrer Sicherheit gefährden oder sonstige, öffentliche oder vertragliche Belange berühren würden; allgemeine oder betriebliche Risiken könnten nicht berücksichtigt werden. Gründe wie die personelle Unterbesetzung eines Abfertigungsschalters oder die Umorganisation des Flugplanes nach dem Eintritt außergewöhnlicher Umstände (Streik des Flughafenpersonals), würden aus dem betrieblichen Risiko stammen und könnten daher nicht nicht als „vertretbare Gründe“ angesehen werden.

Die Nichtbeförderung iSd Art 4 VO sei also zunächst die Weigerung des ausführenden Luftfahrtunternehmens, einen Fluggast zu befördern. Hintergrund könne eine Überbuchung des Fluges sein. Jedoch umfasse der Begriff der „Nichtbeförderung“ in Art 4 VO nicht nur die Überbuchung, sondern jeglichen Fall einer Beförderungsverweigerung gegenüber Fluggästen, die sich rechtzeitig am Flugsteig eingefunden hätten. Streitig sei, ob eine Nichtbeförderung auch dann vorliege, wenn ein Fluggast ohne seinen Wunsch auf einen anderen Flug umgebucht werde. Der BGH habe in seinem Vorlagebeschluss vom 7.10.2008 (X ZR 96/06, RRa 2009, 89, Rn. 15 f.) dazu ausgeführt:

„Da das ausführende Luftfahrtunternehmen gegebenenfalls gar keinen Einfluss auf eine Umbuchung durch den Reiseveranstalter haben kann (etwa wenn dieser umbucht, weil er eine größere Anzahl Pauschalreisender zu befördern hat, als er Plätze bei dem Unternehmen gebucht hat), könnte dies dagegen sprechen, das Luftfahrtunternehmen für ein Verhalten des seiner Weisung nicht unterworfenen Reiseveranstalters haften zu lassen. Andererseits wird der Pauschalfluggast bei einer Verlegung (Umbuchung) vielfach nicht überprüfen können, wer die Änderung tatsächlich veranlasst hat, zumal wenn ihm dies nicht offengelegt wird, sondern er nur die Mitteilung erhält, dass eine Verlegung stattfinden soll. Dies könnte dafür sprechen, Verlegungen durch Dritte wie das Reiseunternehmen nicht anders zu behandeln als Verlegungen durch das Luftfahrtunternehmen. Zudem könnte die Beschränkung der Haftung auf Handlungen des Luftfahrtunternehmens dazu führen, dass die Verantwortung gegenüber dem Fluggast dem nicht haftenden Partner zugeschoben wird. Es erscheint daher denkbar, dass die Verordnung den Reisenden vor solchen Unsicherheiten bewahren und auch für diese Fälle einen einfachen Zugriff auf das Lufttransportunternehmen ermöglichen soll, mit dem der Reisende anlässlich seiner Beförderung ohnehin Kontakt aufnehmen muss. Ein solches Ergebnis entspräche auch einer in der deutschen reiserechtlichen Literatur vertretenen Meinung, nach der es Sinn und Zweck der Verordnung gebieten, die Verlegung (Umbuchung) als Nichtbeförderung anzusehen, da sonst das Luftfahrtunternehmen oder der Reiseveranstalter die Rechtsfolgen der Verordnung durch Verlegung auf spätere oder fremde Flugkapazitäten umgehen könnte (Führich, Reiserecht, [6. Aufl. 2010] Rn. 1026; Lienhard, GPR 2004, 258 (261 f.).“

Der Rechtsstreit sei beim EuGH als Rechtssache C-525/08 geführt, aber am 10.1.2010 wieder aus dem Register gestrichen worden. Im Anschluss an die Überlegungen des BGH erscheine es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Verordnung richtig, die Umbuchung als Nichtbeförderung anzusehen, da sonst ein Luftfahrtunternehmen oder der Reiseveranstalter die Rechtsfolgen der Verordnung durch Verlegung auf spätere oder fremde Flugkapazitäten umgehen könnte. Dies gelte jedoch nur dann, wenn der ursprüngliche Flug weiter durchführt werde; werde der Flugplan hingegen gänzlich aufgegeben, liege eine Annullierung (Art 2 lit l) VO) vor, für die die Rechtsfolgen des Art 5 VO würden gelten.

Art 2 lit j) iVm Art 3 Abs 2 VO sei so auszulegen, dass der Begriff „Nichtbeförderung“ für Art 4 VO auch den Fall erfasse, dass ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines einheitlichen Beförderungsvertrages, der mehrere Buchungen auf unmittelbar aufeinander folgenden und gleichzeitig abgefertigten Flügen umfasse, bestimmten Fluggästen die Beförderung verweigere, weil es auf dem ersten in ihrer Buchung ausgewiesenen Flug zu einer von diesem Unternehmen zu vertretenden Verspätung gekommen sei und das Unternehmen irrig angenommen habe, die Fluggäste würden den zweiten Flug nicht rechtzeitig erreichen.

Lege man diese rechtlichen Erwägungen zugrunde, so liege im Fall der Klägerin kein Fall einer Nichtbeförderung iSd Art 4 VO vor. Hier sei es nämlich aufgrund einer unwetterbedingten Anordnung der Flugsicherung Eurocontrol zu einer Abflugverspätung des Zubringerfluges OS 567 gekommen. Diese Verspätung sei daher nicht von der Beklagten zu vertreten gewesen. Ausgehend von einer Mindestumsteigezeit von 40 Minuten am Flughafen F* durfte die Beklagte aufgrund des für 21:07 Uhr erteilten Abflugslots für den Flug OS 567 (der letztlich um 20:55 Uhr genutzt wurde), aufgrund der ca. 67 bis 80-minütigen Flugdauer von B* bis F* und aufgrund des geplanten Abflugs des Anschlussfluges LX92 um 22:40 Uhr zu Recht davon ausgehen, dass der Klägerin keine 40 Minuten mehr für das Umsteigen in F* zur Verfügung stehen würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin ja nicht bis zum geplanten Abflug um 22:40 Uhr umsteigen hätte können, sondern dass das Gate zumindest einige Minuten vorher geschlossen werde, um einen Abflug um 22:40 Uhr bewerkstelligen zu können. Dass der Anschlussflug LX92 dann tatsächlich mit 15 Minuten Verspätung gestartet und somit faktisch etwas mehr Umsteigezeit als bei Annahme der Planflugzeiten zur Verfügung gestanden sei, habe die Beklagte nicht ex ante wissen und einplanen können.

Hier liege also kein Fall einer Beförderungsverweigerung vor, weshalb das (nur) darauf gestützte Klagebegehren abzuweisen gewesen sei. Ob Ansprüche auf eine Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung zustünden, sei daher nicht zu prüfen gewesen.

Die Kostenentscheidung stützte das Erstgericht auf § 41 Abs 1 ZPO.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin „wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie im Kostenpunkt“ mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, die Berufung zurückzuweisen, in eventu der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt.

Soweit die Klägerin ausführt, das erstgerichtliche Urteil (auch) „wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung [...] und Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ anzufechten, ist sie darauf zu verweisen, dass angesichts des € 2.700,00 nicht übersteigenden Streitwertes die Rechtsmittelbeschränkungen des § 501 Abs 1 ZPO zur Anwendung gelangen. Die angeführten – sohin unzulässigen – Rechtsmittelgründe werden von der Klägerin in der Folge aber ohnedies inhaltlich nicht zur Ausführung gebracht.

In ihrer Rechtsrüge wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsansicht des Erstgerichtes, wonach die Verspätung des Fluges OS 567 aufgrund der unwetterbedingten Anordnung der Flugsicherung „nicht von der Beklagten zu vertreten“ gewesen sei und daher die (aufgrund der Annahme, die Klägerin würde den Anschlussflug versäumen) vorgenommene Umbuchung der Klägerin „kein Fall einer Beförderungsverweigerung“ gewesen wäre.

Das Erstgericht hat seine rechtliche Beurteilung letztlich auf das Urteil des EuGH vom 4.10.2012, J* , C-321/11, gestützt, dem ein dem hier zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbarer Ausgangsfall zu Grunde liegt.

In diesem Verfahren hat der EuGH hat die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass Art. 2 Buchst. j der Verordnung in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 der Verordnung so auszulegen ist, dass der Begriff „Nichtbeförderung“ auch den Fall erfasst, dass ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines einheitlichen Beförderungsvertrags, der mehrere Buchungen auf unmittelbar aufeinanderfolgenden und gleichzeitig abgefertigten Flügen umfasst, bestimmten Fluggästen die Beförderung verweigert, weil es auf dem ersten in ihrer Buchung ausgewiesenen Flug zu einer von diesem Unternehmen zu vertretenden Verspätung gekommen ist und das Unternehmen irrig angenommen hat, die Fluggäste würden den zweiten Flug nicht rechtzeitig erreichen.

Das Erstgericht ist offenbar auf Grund dieser Formulierung („ und “) davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der vom Luftfahrtunternehmen zu vertretenden Verspätung und dessen irriger Annahme, die Fluggäste würden ihren Anschlussflug nicht mehr erreichen, kumulativ vorliegen müssten. Ausgehend davon, dass die Verspätung nicht von der Beklagten zu vertreten gewesen sei, hat das Erstgericht das Vorliegen einer Beförderungsverweigerung daher verneint.

Der EuGH in der genannten Entscheidung Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen durch das Berufungsgericht):

„26 Die Annahme, dass nur die Fälle der Überbuchung unter den Begriff der Nichtbeförderung fallen, hätte somit zur Folge, dass Fluggäste, die sich in einer Situation wie derjenigen der Kläger des Ausgangsverfahrens befinden, völlig schutzlos gestellt wären, weil ihnen die Möglichkeit genommen würde, sich auf Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 zu berufen, der in Abs. 3 auf die in den Art. 7 bis 9 dieser Verordnung vorgesehenen Ansprüche auf Ausgleichszahlungen, Erstattung oder anderweitige Beförderung und Betreuungsleistungen Bezug nimmt.

27 In Anbetracht dessen muss die Verweigerung der Beförderung durch ein Luftfahrtunternehmen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens grundsätzlich vom Begriff „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 erfasst sein.

28 Allerdings muss Gewissheit darüber bestehen, dass, wie es diese Bestimmung vorsieht, keine vertretbaren Gründe für diese Weigerung gegeben sein können, „z[um] B[eispiel] im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen“.

29 Hierzu ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber mit der Verwendung der Wörter „zum Beispiel“ zum Ausdruck bringen wollte, dass die Aufzählung der Fälle, in denen eine Nichtbeförderung vertretbar sein kann, nicht abschließend ist.

30 Aus dieser Formulierung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine Nichtbeförderung aus einem betrieblichen Grund wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als vertretbar angesehen werden muss.

31 Das vorlegende Gericht bezieht sich nämlich auf die Tatsache, dass es im Rahmen eines einheitlichen Beförderungsvertrags, der mehrere Buchungen auf zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden und gleichzeitig abgefertigten Flügen umfasst, auf dem ersten dieser Flüge zu einer von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen zu vertretenden Verspätung gekommen ist und dieses in der irrigen Annahme, die betroffenen Fluggäste würden den zweiten Flug nicht rechtzeitig erreichen, anderen Fluggästen ermöglicht hat, auf diesem zweiten Flug die Plätze zu besetzen, die die Fluggäste, denen die Beförderung verweigert wurde, besetzen sollten.

32 Dieser Grund für die Nichtbeförderung ist jedoch nicht vergleichbar mit den in Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 ausdrücklich genannten, da er in keiner Weise dem Fluggast zuzurechnen ist , dem die Beförderung verweigert wird.

33 Darüber hinaus kann einem Luftfahrtunternehmen nicht erlaubt werden, den Kreis der Fälle, in denen es berechtigt wäre, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, erheblich zu erweitern. Dies hätte zwangsläufig zur Folge, dass ein solcher Fluggast völlig schutzlos gestellt wäre, was dem Ziel der Verordnung Nr. 261/2004 zuwiderlaufen würde, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste durch eine weite Auslegung der ihnen zuerkannten Rechte sicherzustellen.

34 In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens würde dies außerdem dazu führen, dass die betroffenen Fluggäste das sich aus der Nichtbeförderung ergebende Ärgernis und die damit verbundenen großen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssten, obwohl diese Nichtbeförderung in jedem Fall allein vom Luftfahrtunternehmen zu vertreten ist , das entweder die Verspätung des ersten von ihm selbst durchgeführten Flugs zu verantworten oder irrig angenommen hat, die betroffenen Fluggäste könnten sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder aber Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge verkauft hat, bei denen die für das Erreichen des Anschlussflugs zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte.

35 Für eine Nichtbeförderung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende lassen sich infolgedessen keine vertretbaren Gründe anführen; sie ist deshalb als „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung einzustufen.

36 In Anbetracht dessen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung so auszulegen ist, dass der Begriff „Nichtbeförderung“ auch den Fall erfasst, dass ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen eines einheitlichen Beförderungsvertrags, der mehrere Buchungen auf unmittelbar aufeinanderfolgenden und gleichzeitig abgefertigten Flügen umfasst, bestimmten Fluggästen die Beförderung verweigert, weil es auf dem ersten in ihrer Buchung ausgewiesenen Flug zu einer von diesem Unternehmen zu vertretenden Verspätung gekommen ist und das Unternehmen irrig angenommen hat, die Fluggäste würden den zweiten Flug nicht rechtzeitig erreichen.

Aus diesen Ausführungen des EuGH ergibt sich zum einen, dass ein Grund, der in keiner Weise dem Fluggast zuzurechnen ist, dem die Beförderung verweigert wird, keinen „vertretbaren Grund für die Nichtbeförderung“ iSd Art 2 lit j) VO darstellt (Rn 32). Zum anderen hat das Luftfahrtunternehmen die Nichtbeförderung jedenfalls schon dann allein zu vertreten, wenn es irrig angenommen hat, die betroffenen Fluggäste könnten ihren Anschlussflug nicht rechtzeitig erreichen (Rn 34).

Das Berufungsgericht schließt sich dieser Argumentation des EuGH an.

Nach den Feststellungen betrug die Mindestumsteigezeit in F* 40 Minuten und lagen zwischen der tatsächlichen Ankunft des Fluges OS 567 in F* und dem tatsächlichen Abflug des Anschlussfluges 53 Minuten. Darauf, ob die Beklagte – ex ante – zu Recht davon ausgehen konnte, dass die Klägerin ihren Anschlussflug in F* nicht mehr rechtzeitig erreichen würde, kommt es nicht an, da die allein von der Beklagten getroffene Entscheidung jedenfalls „in keiner Weise“ der Klägerin „zuzurechnen“ ist.

Es liegt daher ein Fall der „Nichtbeförderung“ iSd Art 2 lit j) VO vor, sodass der Klägerin gemäß Art 4 Abs 3 VO der geltend gemachte Ausgleichsanspruch zusteht.

In Stattgebung der Berufung war daher das erstinstanzliche Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren im vollen Umfang stattzugeben war.

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gründet sich auf § 41, § 54 Abs 1a ZPO, jene über die Kosten des Berufungsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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