JudikaturJustiz1R43/12m

1R43/12m – LG Klagenfurt Entscheidung

Entscheidung
09. März 2012

Kopf

Das Landesgericht Klagenfurt hat als Berufungsgericht durch die Richter Dr. Joham (Vorsitz), Dr. Steflitsch und Dr. Mikulan in der Rechtssache der klagenden Partei ***** , *****, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch,Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei ***** ,*****, *****, vertreten durch Dr. Manfred Angerer ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen € 5.720,49 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Wolfsberg vom 30. Dezember 2011, 4 C 1592/11d-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen einen Betrag von € 5.720,-- samt 4 % Zinsen seit 31. Mai 2011 zu bezahlen und ihr zu Handen des Vertreters die mit € 1.942,42 (darin € 213,57 Umsatzsteuer und € 661,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Vertreters binnen 14 Tagen die mit € 1.332,27 (darin € 435,06 Umsatzsteuer und € 518,-- Barauslagen)

bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Am 29. Oktober 2010, gegen 6.00 Uhr, stieß ein mit einer gültigen „Vignette“ ausgestatteter PKW auf der A2 (Südautobahn) in Fahrtrichtung Wien gegen die Leitschienen.

Die Fahrbahnoberfläche war „eher“ feucht. Nach Passieren des Haberbergtunnels war der eine Geschwindigkeit von ca 92 km/h einhaltende PKW in einer leichten Rechtskurve auf Grund einer vereisten Stelle der Fahrbahn plötzlich nicht mehr lenkbar, brach nach links aus und prallte nach ca 40 bis 50 m mit ca 80 km/h in die linke Leitschiene; dies hatte eine weitere Schleuderbewegung mit nachfolgender Kollision mit der rechten Leitschiene (mit ca 36 km/h) zur Folge. Dem PKW-Lenker war eine unfallverhütende Maßnahme nicht möglich. Die Beklagte ist Halterin der A2. Sie verfügt über Glatteis-Frühwarnsysteme(kurz: GFS). Eine Messstelle befindet sich rund 1 km von der Unfallstelle entfernt. Am 29. Oktober 2010 lag die bei dieser Messstelle um 5.00 und 6.00 Uhr abgelesene Lufttemperatur bei rund + 3° Celsius, die Temperaturkurve wurde steigend prognostiziert und es gab keinen Niederschlag. In keinem anderen Straßenabschnitt gab es auf der A2 Schwierigkeiten mit Glatteis, auch nicht auf der nach Klagenfurt führenden Fahrbahn im Bereich der Unfallstelle. Der Winterdienst bei der Beklagten beginnt routinemäßig am 1. November eines jeden Jahres; auch ab diesem Zeitpunkt wird eine Streuung nur bei entsprechenden Witterungsverhältnissen vorgenommen. Die am 29. Oktober 2010 festgestellten Wetterverhältnisse wären für die Beklagte auch während des Winters kein Grund für eine Streuung gewesen. Den durch den Unfall am PKW entstandenen Schaden in Höhe von € 5.671,29 bezahlte Klägerin im Rahmen eines Kaskoversicherungsvertrages an die Halterin des PKWs; der Zinsenlauf beginnt mit 31. Mai 2011. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Bezahlung des zunächst im Vermögen ihrer Vertragspartnerin entstandenen Schadens sA.; deren Anspruch sei mit Ersatz des Schadens an die Versicherungsnehmerin auf sie übergegangen. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Streuung der Autobahn nicht nachgekommen und habe daher für die daraus entstandenen Schäden im Rahmen ihrer Vertragshaftung einzustehen. Die Beklagte wandte ein, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sei. Ihre Autobahnmeisterei kontrolliere die Wetter- und Witterungsverhältnisse rund um die Uhr. Die GFS alarmierten im Fall von Minustemperaturen und feuchtem Wetter. Am 29. Oktober 2010 habe durchwegs trockenes Wetter geherrscht; deshalb und wegen der im Plusbereich liegenden Temperaturen sei kein Alarm erfolgt. Aufgrund der Witterungsverhältnisse sowie des Schadensdatums sei mit dem plötzlichen Auftreten von punktueller Fahrbahnglätte in diesem Bereich der A2 nicht zu rechnen gewesen. Es habe lediglich stellenweise, vor allem im Bereich der Randlinien, Raureif vorgelegen. Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles habe der Lenker des PKWs zu verantworten, da dieser unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse vermutlich eine weitaus überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe; dadurch sei der PKW ins Schleudern geraten. Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Dabei ging es von dem eingangs wiedergegebenen, im Berufungsverfahren unstrittigen Sachverhalt aus. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dass die Beklagte vertraglich verpflichtet sei, ua die zur entgeltlichen Benützung überlassene Straße in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten.

Deshalb hafte sie auch bei leichter Fahrlässigkeit. Sie müsse iS des § 1298 ABGB beweisen, die objektiv gebotene Sorgfalt eingehalten zu haben bzw dass ihr die Nichteinhaltung einer solchen subjektiv nicht vorgeworfen werden könne. Hier habe die Beklagte sämtliche Mittel ausgeschöpft, um bei den gegebenen Witterungsverhältnissen am Unfallstag eine ordnungsgemäße Benützung der Straße zu gewährleisten. Anhand der von ihr vorgelegten Temperaturkurven sei nicht mit Glatteis zu rechnen und daher eine Streuung auch als nicht notwendig anzusehen gewesen. Es müsse vielmehr auf Grund der Schilderungen sämtlicher einvernommener Zeugen davon ausgegangen werden, dass vollkommen überraschend und unvorhergesehen offensichtlich punktuell unfallkausales Glatteis auf der A2 nur im Bereich der gegenständlichen Unfallsörtlichkeit aufgetreten sei. Dies könne der Beklagten nicht als Verschulden angelastet werden. Auch dem Lenker des PKWs könne nichts vorgeworfen werden. Der vorliegende Unfall stelle ein unvorhersehbares Ereignis dar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die beim Erstgericht überreichte und als Berufungsgericht das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz bezeichnende Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung iS einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte weist auf die Zuständigkeit des Landesgerichtes Klagenfurt zur Entscheidung über die Berufung hin und beantragt, dieser nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

A. Die in § 467 Z 1 ZPO vorgesehene Bezeichnung des Berufungsgerichts ist lediglich ein formales Erfordernis. Fehlt sie oder wird ein unrichtiges Berufungsgericht bezeichnet, ist dies bedeutungslos, weil das Erstgericht die Berufung gemäß § 469 Abs 1 ZPO demjenigen Berufungsgericht vorzulegen hat, das für die Entscheidung über die Berufung zuständig ist (vgl 8 Ob 28/89 ua; Kodek in Rechberger , ZPO2 § 467 Rz 2). Demgemäß hindert weder der Mangel der Bezeichnung des Berufungsgerichts noch dessen unrichtige Bezeichnung die meritorische Erledigung der Berufung (Pimmer in Fasching/Konecny2 § 467 ZPO Rz 2).

Hier hat das Erstgericht ohnedies der Bestimmung des § 469 Abs 1 ZPO entsprochen und das Rechtsmittel dem zuständigen Gericht vorgelegt.

B. I. Ein Eingehen auf die Beweisrüge erübrigt sich schon deshalb, weil der Beklagten mit den festgestellten Witterungsverhältnissen – Lufttemperatur ab 5.00 Uhr rund + 3° Celsius mit steigender Tendenz, kein Niederschlag - der Entlastungsbeweis iS des § 1298 ABGB nicht gelungen ist.

Ob eine Streuung der Fahrbahn notwendig war, ist – worauf die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung zutreffend hinweist – keine Tatfrage. Zur Relevanz der vermissten Feststellung über den Zustand der Fahrbahnoberfläche Richtung Klagenfurt („ schmierig “) wird im Rahmen der Erledigung der Rechtsrüge eingegangen werden.

II. 1. Die zeitabhängige Maut (Vignettenmaut) ist ein privatrechtliches Entgelt; die Haftungseinschränkung auf grobe Fahrlässigkeit gemäß § 1319a ABGB ist in diesem Fall nicht anwendbar (RIS-Justiz RS0023925). Die Bestimmung des § 1319a ABGB betrifft nur Pflichten, die nicht vertraglich übernommen wurden (JBl 1979, 433). Bei Verletzung vertraglicher Pflichten haftet auch der Halter eines Weges ohne die in dieser Sondervorschrift normierte Beschränkung, wird also schon bei leichter Fahrlässigkeit ersatzpflichtig (RIS-Justiz RS0023459).Die Sorgfaltspflichten eines Autobahnhalters, den keinesfalls eine Erfolgshaftung trifft, dürfen nicht überspannt werden. Unzumutbares ist von ihm auch bei der Prüfung seines Verhaltens auf leichte Fahrlässigkeit nicht zu verlangen (RIS-Justiz RS0114743). Während den Geschädigten die Beweislast für die Vertragsverletzung und den Kausalzusammenhang trifft, hat der Autobahnhalter gemäß § 1298 ABGB zu beweisen, dass er die objektiv gebotene Sorgfalt eingehalten hat; gelingt ihm dieser Beweis nicht, so steht ihm allenfalls noch der Beweis offen, dass ihm die Nichteinhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt subjektiv nicht vorwerfbar ist (2 Ob 133/00y; 2 Ob 57/05d; 2 Ob 10/07w).

2. Die Beklagte hat sich in ihrem Vorbringen zwar auf die von ihr verwendeten GFS (vgl auch http://www.asfinag.at/unterwegs/informationen-rund-um-den-verkehr/winterdienst: „280 Glatteis-Frühwarnsysteme kommen am hochrangigen Straßennetz zum Einsatz. Wenn in einem Gebiet Glatteisgefahr droht, geht in der zuständigen Autobahnmeisterei eine Meldung ein ...“), insbesondere auf die etwa 1 km von der Unfallstelle entfernt installierte Messstelle berufen, ohne jedoch die Auswertungen der für die Bildung von Eis auf einer Fahrbahn nach den pysikalischen Grundsätzen erheblichen Daten - Temperatur des Belages und Fahrbahnoberflächenzustand (feucht, nass ...) - offenzulegen. Sie hielt sich auch insoweit bedeckt, als sie die von ihr behaupteten Temperaturen weder auf die Luft noch auf den Fahrbahnbelag bezog. In ihrem Beweisanbot begnügte sie sich mit der Vorlage zweier, um 5.16 Uhr und um 6.08 Uhr erstellter grafischer Darstellungen von Wetter prognosen mit den Parametern Niederschlag, Temperatur, Wind, Windspitzen, Bewölkung und Wetter („Meteogramm“, ./1) sowie mit der Einvernahme eines nicht mit der Auswertung des GFS betrauten, sondern im Streudienst tätigen Mitarbeiters. Selbst wenn man davon ausginge, die von der Beklagten verwendeten GFS verfügten über keine in der Fahrbahn eingebauten Bodensonden zur Erfassung ua der Belagstemperatur (vgl jedoch http://www.oeamtc.at/?id=2500%2C1374568%2C52C %2CY2Q9NQ%3D%3D), erwiesen sich die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den Witterungsverhältnisse n am 29. Oktober 2010 ab 5.00 Uhr allein nicht ausreichend , um den Freibeweis des mangelnden Verschuldens als durch die Beklagte erbracht anzusehen: Faktum ist, dass auf der Fahrbahn im Zeitpunkt des Unfalles Glatteis herrschte. Dies bedeutet, dass irgendwann davor über einen entsprechenden Zeitraum die (von der Beklagten beobachtete) Lufttemperatur unter dem Gefrierpunkt gelegen sein und eine ebenso tiefe Temperatur des Belages bewirkt haben muss, damit sich in weiterer Folge – bei entsprechender Luftfeuchtigkeit – Eis bilden konnte. Auch wenn die Lufttemperatur eine Stunde vor dem Unfall bereits ca + 3° Celsius erreicht hatte, hätte es der Darstellung der Entwicklung der Temperatur der Luft und der Luftfeuchtigkeit über einen ausreichend langen Zeitraum vor dem Unfall bedurft, aus der ableitbar gewesen wäre, eine während der Nachtstunden unvorhergesehen schnell aufgetretene kalte Luftströmung hätte den auf der Brücke exponiert gelegenen, feuchten Fahrbahnbelag unerwartet schnell auf eine die Eisbildung ermöglichende Temperatur abgekühlt; diesfalls wäre die Beklagte ohne ihr Verschulden an der Erfüllung ihrer Streupflicht verhindert gewesen.

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass der Beklagten der ihr gemäß § 1298 ABGB obliegende Beweis, an der Erfüllung ihrer vertragsmäßigen Verbindlichkeit (Streuung auch außerhalb der „Winterzeit“) verhindert worden zu sein, nicht gelungen ist. Ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden des nach der Ausfahrt aus dem Haberbergtunnel eine Geschwindigkeit von rund 92 km/h - statt der auf Autobahnen erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h - einhaltenden Lenkers am 29. Oktober 2010 gegen 6.00 Uhr bei einer Lufttemperatur von + 3° Celsius kann, auch wenn die Fahrbahn „eher“ feucht war, nicht erkannt werden. Auf die von der Berufungswerberin in ihrer Beweisrüge gewünschte Feststellung, die auf der unmittelbar neben der Unfallstelle in Richtung Klagenfurt führende Fahrbahn, auf der es kurze Zeit zuvor auch zu einem Verkehrsunfall gekommen war, sei schmierig gewesen, kommt es damit nicht an.

Aus diesen Gründen war der Berufung Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung iS einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Diese Abänderung erfordert eine neue Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz, die sich auf § 41 ZPO stützt. Die für das „Wettergutachten“ ./B bezahlten € 34,80 inklusive Umsatzsteuer waren als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig nicht zuzusprechen, weil dieses nicht den Unfallstag betrifft (vgl § 54 Abs 1a dritter Satz ZPO idF BGBl I Nr. 108/2011). Vom Kostenvorschuss wurden nur € 390,-- verbraucht, der Rest wurde bereits rücküberwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Fragen von der in § 502 Abs 1 ZPO genannten Bedeutung waren im vorliegenden Einzelfall nicht zu lösen, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Landesgericht Klagenfurt, Abteilung 1

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