JudikaturJustiz1R247/01h

1R247/01h – LG Feldkirch Entscheidung

Entscheidung
03. Oktober 2001

Kopf

Beschluss

Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch den Richter des Landesgerichtes Dr. Fußenegger als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten des Landesgerichtes Dr. Bildstein und den Richter des Landesgerichtes Dr. Höfle als weitere Senatsmitglieder in der Pflegschaftssache des mj Göktüg S*****, wohnhaft und in Obsorge bei der Mutter Ayse S*****, vertreten durch Dr. Karl Rümmele, Dr. Birgitt Breinbauer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Leistung des Unterhaltes durch den Vater Hasan S*****, vertreten durch Dr. Arnold Trojer, Rechtsanwalt in Dornbirn, infolge Rekurses der ***** Steuerberatungs GmbH, *****, vertreten durch Dr. Arnold Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Bezau vom 13. September 2001, 2 P 23/01 y-29, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Text

Begründung:

Der am 7.1.2001 geborene Göktüg S***** ist ein eheliches Kind von Ayse und Hasan S*****, zwischen denen beim Bezirksgericht D***** zu ***** ein Ehescheidungsverfahren behängt.

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 5.6.2001, ON 13, wurde das alleinige Obsorgerecht der Mutter zugesprochen und ein Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechtes abgewiesen. Die Mutter beantragte die Verpflichtung des Vaters zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von ATS 5.000,-- ab 7.1.2001 und brachte dazu vor, dieser sei an der S***** OEG beteiligt und verdiene zumindest ATS 30.000,-- netto monatlich.

Der Vater erklärte sich zur Bezahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von ATS 2.613,-- bereit, beantragte im Übrigen die Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens und wendete ein, er sei nicht an der S***** OEG beteiligt. Vielmehr sei er bei dieser Firma als Arbeiter beschäftigt und verdiene monatlich ATS 14.000,--.

Mit Schreiben vom 13.4.2001, ON 7, wurde der Vertreter des Vaters aufgefordert, verschiedene Fragen zu beantworten und Urkunden vorzulegen.

Mit Schriftsatz vom 20.6.2001, ON 17, erstattete der Vater die aufgetragene Äußerung und brachte ua vor, der Jahresabschluss der Fa. S***** OEG für das Jahr 2000 sei noch nicht fertiggestellt. Mit Schreiben vom 31.7.2001, ON 22, ersuchte das Erstgericht die Reiner Reiner Steuerberatungs GmbH um schriftliche Beantwortung mehrerer Fragen hinsichtlich der Beteiligung des Vaters an der Fa. S***** OEG und seines Einkommens daraus.

Unter Berufung auf die Verschwiegenheitsverpflichtung teilte die ***** Steuerberatungs GmbH mit Schreiben vom 2.8.2001, ON 24, mit, dass sie die Fragen dann beantworten werde, wenn sowohl von der S***** OEG als auch vom Vater ordnungsgemäß eine Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung vorliege.

Am 3.8.2001 ersuchte das Erstgericht den Vertreter des Vaters die zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht notwendigen Schritte vorzunehmen und hievon die Steuerberatungskanzlei in Kenntnis zu setzen.

Am 3.9.2001 legte der Vater einen unvollständigen Jahresabschluss für das Jahr 2000 vor (ON 27).

Am 17.9.2001, ON 31, fand beim Erstgericht ein Vergleichsversuch zwischen den Eltern statt, der jedoch scheiterte. Eine Entbindung des Steuerberaters von der Verschwiegenheitspflicht wurde nicht erteilt. Am 24.9.2001 legte der Vater den vollständigen Jahresabschluss der S***** OEG für das Jahr 2001 vor (ON 32).

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.9.2001 wies das Erstgericht die ***** Steuerberatungs GmbH, Wirtschaftstreuhandgesellschaft, als Buchhalter und Steuerberater der Fa. S***** OEG bzw des Vaters Hasan S***** an, gemäß § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG fünf im Einzelnen angeführte Fragen binnen 14 Tagen schriftlich zu beantworten. Diese Anordnung sei unabhängig von einer allfälligen Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht, weil § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG eine spezielle Verfahrensvorschrift sei, die der Anwendung anderer Bestimmungen vorgehe. Das Verfahren außer Streitsachen sei vom Untersuchungsgrundsatz geprägt, weshalb auch § 91 Abs 3 des Wirtschaftstreuhandberufsgesetzes (WTBG) die Fragebeantwortung nicht von der ordnungsgemäßen Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht abhängig mache.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerecht und zulässig (SZ 45/22; EvBl 1980/207) erhobene Rekurs der ***** Steuerberatungs GmbH mit dem Antrag auf ersatzlose Behebung der gesamten Entscheidung. Der Rekurs ist begründet.

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren außer Streitsachen sind im Rechtsfürsorgebereich, soweit besondere Regeln fehlen, die Bestimmungen der ZPO nach dem Prinzip parzieller Analogie anzuwenden. Danach gelten die Regeln der ZPO über den Zeugenbeweis im Allgemeinen auch im Verfahren außer Streitsachen, soweit sie dem Untersuchungsgrundsatz nicht widersprechen (Dolinar, Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht - Allgemeiner Teil 122 ff; EvBl 1998/60 = RdM 1998/12 = SZ 70/223). Gemäß § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG unterliegt das Rechtsfürsorgeverfahren in einer Unterhaltsangelegenheit Minderjähriger oder Pflegebefohlener dem Untersuchungsgrundsatz (SZ 45/22; SZ 54/124; 9 Ob 342/97 b; 1 Ob 311/98 m). Danach ist das Gericht verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt ohne Rücksicht auf das Parteiverhalten zu erforschen. Unterließen die Beteiligten die freiwillige Vorlage der erforderlichen und verlangten Urkunden, hat das Gericht von den Parteien oder deren Vertretern alle Urkunden zur Ermittlung der aufzuklärenden Tatsachen "abzufordern". Die Befolgung eines solchen Auftrags ist gegenüber den Parteien und ihren Vertretern auch unter Anwendung des § 19 Abs 1 AußStrG erzwingbar. Das Gericht ist in der Wahl der Mittel zur Aufklärung aller Voraussetzungen für eine gesetzmäßige Entscheidung nicht beschränkt. § 183 Abs 1 AußStrG steht der allgemeinen Vorlagepflicht nicht entgegen, weil diese Bestimmung nicht nur auf "Auskünfte" abstellt, sondern auch auf "deren Überprüfung" etwa durch das Abfordern von Urkunden (9 Ob 342/97 b; 1 Ob 311/98 m). Die Auskunftspflicht in § 183 AußStrG ist beschränkt auf die dort angeführten Einkommensempfänger, Arbeitgeber, Sozialversicherungsträger und Finanzamt, sodass sich im vorliegenden Fall die angefochtene "Anweisung" an die Rekurswerberin nicht auf diese gesetzliche Grundlage stützen kann.

Die Umgehung einer gesetzlich eingeräumten Verschwiegenheitspflicht durch gerichtliche Maßnahmen wie etwa durch die Vernehmung von Hilfskräften oder den Auftrag zur Herausgabe von Urkunden oder der Aufforderung zur schriftlichen Beantwortung von Fragen ist ausdrücklich zwar nur bei Rechtsanwälten ausgeschlossen (§ 9 Abs 3 RAO), wurde von der Rechtsprechung aber auch bei Ärzten und anderen Berufsgruppen mit Verschwiegenheitspflichten für unzulässig erklärt (Fasching, Lehrbuch2 Rz 984/1).

Somit ist auch hier entscheidend, ob der Rekurswerberin aufgrund der sie treffenden Verschwiegenheitspflicht ein Aussageverweigerungsrecht, wie es einem Zeugen zukommt, zusteht. Ein Zeuge darf gemäß § 321 Abs 1 Z 3 ZPO ohne Vorliegen einer gültigen Entbindung die Aussage über Tatsachen verweigern, die durch eine staatlich anerkannte Verschwiegenheitspflicht geschützt sind. Nach § 91 WTBG, BGBl I 1999/58, der § 27 WTBO, BGBl 1955/125, ablöste, sind Berufsberechtigte zur Verschwiegenheit über die ihnen anvertrauten Angelegenheiten verpflichtet, wobei es ohne Bedeutung ist, ob die Kenntnis dieser Umstände und Tatsachen auch anderen Personen zugänglich ist oder nicht. Diese Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auch auf persönliche Umstände und Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen bei Durchführung erteilter Aufträge oder im Zuge eines behördlichen, nicht öffentlichen Verfahrens in Ausübung ihres Berufes als solche bekanntgeworden sind (Abs 2 leg cit). Nach Abs 3 der genannten Bestimmung ist die Frage, inwieweit ein Wirtschaftstreuhänder - vom Fall seiner ausdrücklichen Entbindung durch den Auftraggeber abgesehen - in Ansehung dessen, was ihm in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist, von der Verbindlichkeit ua zur Ablegung eines Zeugnisses oder zur Erteilung von Auskünften in Zivilsachen befreit ist, nach der Zivilprozessordnung zu beurteilen. Die in der ZPO normierten Ausnahmen vom Aussageverweigerungsrecht (§ 322) greifen hier nicht. Außerhalb dieser Ausnahmen ermöglicht die Anerkennung der Verschwiegenheitspflicht eine Entschlagung vom Zeugnis auch dann, wenn ein höher zu bewertendes Interesse der Parteien an der gerechten Entscheidung hiedurch verletzt würde. Mit der staatlichen Anerkennung der Verschwiegenheitspflicht wird somit jede Interessenabwägung abgeschnitten (Fasching III 420; AnwBl 1993/4431 = ecolex 1991, 621). Nach einem Teil der Lehre soll in den vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren kein Recht zur Zeugnisverweigerung auch für jene Personen gelten, die staatlich anerkannte Verschwiegenheitspflichten treffen (Rechberger in Rechberger2, Rz 5 zu §§ 321, 322 ZPO; Fasching, Lehrbuch2 Rz 984; aM:

RZ 1955, 166; Klaus, Ärztliche Schweigepflicht 103 ff). Träfe diese Ansicht zu, bestünde für solche Personen in Verfahren außer Streitsachen, die dem Untersuchungsgrundsatz unterworfen sind, von vornherein keine berufliche Verschwiegenheitspflicht. In der Entscheidung 1 Ob 310/97 p, veröffentlicht in EvBl 1998/60 = SZ 70/223, hat sich der OGH mit den Grenzen der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht im Obsorgeverfahren auseinandergesetzt und kam dabei vor allem unter Hinweis auf die Bestimmung des damals geltenden § 26 Abs 2 Z 2 ÄrzteG 1984, jetzt gleichlautend mit § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998, zum Ergebnis, dass eine Anwendung des § 321 Abs 1 Z 3 ZPO nicht in Betracht komme. Gemäß § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 besteht die Verschwiegenheitspflicht nicht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist. Eine gleichlautende Bestimmung, die eine solche Interessenabwägung zuließe, findet sich hingegen in § 91 WTBG nicht.

Das Rekursgericht kommt daher entgegen der Auffassung des Pflegschaftsgerichtes zum Ergebnis, dass auch in den vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten außerstreitigen Unterhaltsfestsetzungsverfahren das Recht des Wirtschaftstreuhänders zur Zeugnisverweigerung aufgrund seiner beruflichen Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich gilt. Selbstverständlich entfällt diese Verschwiegenheitspflicht gemäß § 91 Abs 4 WTBG, wenn und insoweit der Auftraggeber den Berufsberechtigten ausdrücklich von dieser Pflicht entbunden hat.

Trotz der Amtswegigkeit des Verfahrens besteht im außerstreitigen Verfahren auf Festsetzung bzw Erhöhung des Geldunterhaltes für ein Kind der Grundsatz, dass jeder Teil das für ihn Günstige vorzubringen und unter Beweis zu stellen hat (EF 62.670 uva). In diesem Sinne trifft den Unterhaltspflichtigen eine Mitwirkungs- und Offenlegungspflicht. Vereitelt er die Beweisaufnahme oder verschleiert er sein Einkommen, unterliegt dies der freien Beweiswürdigung und mündet zumeist in einer Einschätzung, wenngleich auch unter Bedachtnahme auf die übrigen Verfahrensergebnisse (EvBl 1992/20; EF 65.883 f ua). Gerade im Hinblick auf diese Mitwirkungs- und Aufklärungspflicht des Unterhaltsschuldners und die damit zusammenhängende Möglichkeit der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht ist das - auch vom Kindeswohl geleitete - Unterhaltsfestsetzungsverfahren nicht direkt vergleichbar mit einem Obsorgeverfahren, wie es der zitierten Entscheidung 1 Ob 310/97 p zugrundelag.

Schließlich ist hier noch von besonderer Bedeutung, dass die Rekurswerberin offensichtlich von der Sükün OEG beauftragt worden ist, an der der Vater nicht mehr beteiligt ist.

Aus diesen Überlegungen ist dem Rekurs Folge zu geben und der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben.

Der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG ist zulässig, da - soweit ersichtlich - keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage besteht, inwieweit im

außerstreitigen Verfahren über Unterhaltsangelegenheiten § 91 WTBG iVm § 321 Abs 1 Z 3 ZPO anwendbar ist.

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