JudikaturJustiz1R132/21i

1R132/21i – LG HG Wien Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2021

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Mag. Wanke (Vorsitzender), Dr. Schlederer und KR Gerger, MBA in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A* , **, **, vertreten durch die Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in 2700 Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei B* Ges.m.b.H. , **, **, vertreten durch Dr. Severin Irsigler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, wegen € 2.092,10 samt Anhang über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 29.4.2021, 21 C 142/20s-14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit € 349,46 (darin enthalten € 58,24 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Reiseveranstalterin einer Rundreise nach Andalusien nach Rücktritt gemäß § 10 Abs 2 PRG wegen Auftretens der Coronapandemie die Rückzahlung des restlichen Reisepreises.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze Folge.

Es traf die auf Seite 3 und 4 ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Rechtlich führte es aus, der Kläger sei zu Recht nach § 10 Abs 2 PRG vom gegenständlichen Pauschalreisevertrag zurückgetreten. Der festgestellte Ausbruch von Corona in Andalusien stelle einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand dar, der die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtige.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im gänzlich klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Hat das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden, der an Geld oder Geldeswert € 2.700,-- nicht übersteigt (hier: € 2.092,10), so kann das Urteil nur wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache angefochten werden (§ 501 Abs 1 ZPO). Die Tatsachenfeststellungen des Ersturteils können überhaupt nicht bekämpft werden.

Unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Berufungswerberin die fehlende Auseinandersetzung des Erstgerichtes mit einzelnen Verfahrensergebnissen und dem Beklagtenvorbringen in der Beweiswürdigung als Begründungsmangel. Im Ergebnis rügt die Berufungswerberin auch das Ergebnis der Beweiswürdigung, nämlich die Feststellung über das Ausmaß der Pandemie zum Rücktrittszeitpunkt.

Darauf muss aufgrund des Streitwertes, wie der Kläger in der Berufungsbeantwortung richtig ausführt, nicht eingegangen werden.

Im Rahmen der Rechtsrüge wendet sich die Berufungswerberin gegen die erstgerichtliche Annahme, die festgestellten Umstände stellten eine zum Rücktritt berechtigende Beeinträchtigung der Reise im Sinne des § 10 Abs 2 PRG dar.

Voraussetzung für einen kostenfreien Rücktritt des Reisenden nach § 10 Abs 2 PRG ist, dass am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt nicht nur bei einem Reisemangel und bei Unmöglichkeit vor, sondern auch dann, wenn der Antritt der Pauschalreise mit unzumutbaren Belastungen (zB wegen Ausgangsverboten oder Straßensperren) oder Gefahren verbunden wäre. Dabei genügt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Risiko verwirklichen könnte. ErwGr 31 der ReiseRL nennt als Beispiele für unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände Kriegshandlungen, Terrorismus, den Ausbruch einer Epidemie oder Naturkatastrophen. Das entspricht im Wesentlichen den Rücktrittsgründen nach bisherigem Recht ( Bammer/Treu in ecolex 2020, 357 mwN).

Neu ist, dass das Rücktrittsrecht gem § 10 Abs 2 PRG nur dann ausgeübt werden kann, wenn die unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände, die der Reisende geltend macht, am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auftreten (Bammer/Treu in ecolex 2020, 357).

Angesichts der Gefährlichkeit des Coronavirus für den menschlichen Organismus ist eine drohende Infektion am Bestimmungsort als Umstand iSd § 10 Abs 2 PRG zu qualifizieren ( Schoditsch , Zak 2020/191).

Im gegenständlichen Fall stellte das Erstgericht unbekämpfbar fest, bereits Ende Februar 2020 sei ein Anstieg der Ansteckungen mit Covid-19 auch in der Region Andalusien bekannt gewesen. Dabei sei nicht geklärt gewesen, wie und durch wen es zu den Ansteckungen gekommen sei.

Davon ausgehend lag auch nach Ansicht des Berufungsgerichtes schon objektiv zum Zeitpunkt des Rücktrittes mit Schreiben vom 4.3.2020 kurz vor Reisebeginn (8.3.2020) eine erhebliche Wahrscheinlichkeit vor, dass sich das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 am Bestimmungsort der Reise verwirklichen könnte. Auf das subjektive erhöhte Risiko des Klägers für einen schweren Krankheitsverlauf muss damit für die Beurteilung des Rücktrittes im gegenständlichen Fall entgegen der Ansicht der Berufungswerberin nicht eingegangen werden. Unerheblich ist damit auch, ob es sich beim Kläger um einen Risikopatienten im Sinne der einschlägigen Verordnung handelt.

Ebenso wenig ist von Belang, ob sich das Risiko einer Erkrankung bei der konkreten Reise bei einem der Reiseteilnehmer tatsächlich verwirklicht hat. Dieser Umstand steht auch nicht im Widerspruch zur Annahme eines außerordentlichen Risikos für die menschliche Gesundheit.

Der Berufung war daher keine Folge zu geben.

Die Beklagte hat dem Kläger als im Berufungsverfahren obsiegender Partei gem. §§ 41 und 50 ZPO die Verfahrenskosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Dabei war zu beachten, dass im Anwendungsbereich des § 501 ZPO gemäß § 23 Abs 10 RATG lediglich der einfache Einheitssatz gebührt.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rechtssätze
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