JudikaturJustiz1Bs60/15f

1Bs60/15f – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2016

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Einzelrichterin Mag. a List in der Strafsache gegen R***** P***** und andere wegen des Verbrechens der Untreue nach § 12 dritter Fall StGB, §§ 153 Abs 1, 153 Abs 2 zweiter Fall StGB in der Fassung vor BGBl I 2015/112 über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. März 2015, 9 Hv 55/11a - 1176, den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Staatsanwaltschaft Graz erhob mit Anklageschrift vom 20. April 2011, 21 St 94/09s, gegen R***** P***** und weitere Personen Anklage wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB in der Fassung vor BGBl I 2015/112 in Form der Beitragstäterschaft nach §§ 12 dritter Fall, 14 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StGB.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz als Schöffengericht sprach R***** P***** mit Urteil vom 20. Oktober 2014, 9 Hv 55/11a - 1169, von den gegen sie erhobenen Vorwürfen gemäß § 259 Z 3 StPO frei. Das Urteil erwuchs am 15. Dezember 2014 in Rechtskraft (Endverfügung ON 1173).

Mit Schriftsatz vom 11. März 2015 begehrte R***** P***** die Zuerkennung des Ersatzes ihrer Verteidigungskosten in der Höhe von EUR 447.311,28, die sie mit EUR 247.419,00 an Verteidigerkosten auf Basis der Allgemeinen Honorar-Kriterien des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (AHK), mit Verdienstentgang als selbständige Rechtsanwältin in Z***** von EUR 192.796,84, mit Kosten ihrer eigenen Anreise zu den Verhandlungstagen in Höhe von EUR 6.985,44, sowie mit EUR 110,00 an Barauslagen für Aktenkopien aufschlüsselte und bescheinigte (ON 1175).

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Erstgericht den Pauschalbeitrag zu den Kosten der Verteidigung mit dem gemäß § 393a Abs 1 Z 2 StPO gesetzlichen Höchstbetrag von EUR 5.000,00 fest, erkannte EUR 110,00 als Ersatz für Barauslagen zu und wies das Mehrbegehren ab.

Dagegen erhob R***** P***** fristgerecht Beschwerde an das Oberlandesgericht Graz (ON 1777) und brachte gleichzeitig wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Einschränkung des Kostenersatzes bei Freispruch auf die Kosten „der Verteidigung“ (Wortfolge in § 393a Abs 1 1. Satz StPO), in eventu gegen den vierten Satz des § 393a Abs 1 StPO, mit dem Höchstbeträge für den Kostenersatz für die einzelnen Verfahrensarten normiert werden, einen Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art 140 Abs 1 lit d B-VG beim Verfassungsgerichtshof ein.

Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2015 zu G 177/2015- 21 wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag in Ansehung der behaupteten Verfassungswidrigkeit eines auf die Kosten „der Verteidigung“ beschränkten Ersatzanspruchs, der die Kosten des eigenen Erscheinens nicht miteinbegreift, als unzulässig zurück, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit durch die beantragte Beseitigung bloß des Wortes „der Verteidigung“ in § 393a Abs 1 erster Satz StPO nicht beseitigbar sei. Die im Antrag zitierte Judikatur der Gerichte stütze die Begründung der Ablehnung von Fahrtkosten (oder Verdienstentgang) des Freigeprochenen nicht auf ihre Nichtsubsumierbarkeit unter die „Kosten der Verteidigung“, sondern auf ihre Nichterfassung unter den strafprozessualen Kostenersatz, wie er in § 381 Abs 1 StPO geregelt ist. Den gegen die betragsmäßige Begrenzung des Kostenersatzes durch den vierten Satz des § 393a StPO gerichteten Eventualantrag wies der Verfassungsgerichtshof mit der wesentlichen Begründung zurück, das Antragsbegehren der Beschwerdeführerin sei zu eng gefasst; diese hätte nicht nur die Aufhebung des vierten Satzes in § 393a Abs 1 StPO begehren müssen, sondern angesichts der geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken die Aufhebung der gesamten Bestimmung. Gäbe der Verfassungsgerichtshof dem Parteiantrag statt, käme dem Rest des § 393a Abs 1 StPO ein Inhalt zu, der dem Gesetzgeber nicht zusinnbar sei, weil bei Aufhebung bloß des vierten Satzes im Fall des Freispruchs stets die gesamten Vertretungskosten zu ersetzen seien.

Nach Zustellung des zurückweisenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshof ist über die Beschwerde der R***** P***** zu entscheiden (§ 62a Abs 6 VfGG).

Mit Schriftsatz vom 19. Jänner 2016 regte die Beschwerdeführerin die Stellung eines Antrags beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG durch das Oberlandesgericht Graz auf gänzliche Aufhebung der §§ 393 Abs 1 StPO und 393a Abs 1 StPO jeweils idF BGBl I 71/2014 an, weil der Parteiantrag mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bloß aus formalen Gesichtspunkten zurückgewiesen worden sei, ohne dass den darin geäußerten verfassungs- und grundrechtlichen Bedenken widersprochen worden sei. Im Falle einer Aufhebung in diesem Umfang bestünde keine einfachgesetzliche Grundlage mehr für einen Zuspruch (eines Teils) der Verteidigerkosten, weil § 393 Abs 1 StPO die Grundregel der Selbstkostentragung enthalte.

Die Beschwerdeführerin erachtet die Regelung des § 393a Abs 1 StPO wegen Verstoßes gegen die Eigentumsfreiheit nach Art 5 StGG und Art 1 1. ZPMRK, den Gleichheitssatz des Art 5 B-VG und gegen Art 6 (Abs 3 lit c) EMRK für verfassungswidrig. Verfassungsnormen, gegen die § 393 Abs 1 StPO verstieße, werden weder in der Anregung zum Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG noch im Parteiantrag, auf dessen Inhalt in der Anregung verwiesen wird, benannt.

Rechtliche Beurteilung

Zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG sah sich das Beschwerdegericht nicht veranlasst.

Nach Zurückweisung des Parteiantrags auf Aufhebung der Wortfolge „der Verteidigung“ aus dem ersten Satz des § 393a Abs 1 StPO sowie oder in eventu des vierten Satzes der zitierten Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof mit seiner Entscheidung G 177/2015 als unzulässig, weil zu eng gewählt, strebt die Beschwerdeführerin die Erweckung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Regelung der Kosten des Vertreters im Strafverfahren insgesamt an, indem sie nicht nur den in § 393a Abs 1 StPO normierten pauschalierten Kostenersatz im Falle des vollständigen Freispruchs als gegen das Grundrecht der Unverletzlichkeit des Eigentums, den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz das fairen Verfahrens verstoßend bezeichnet, sondern auch § 393 Abs 1 StPO als Grundsatzregelung für die Kosten der Vertretung im Strafverfahren, nach dem die Kosten des Verteidigers oder Vertreters in der Regel – mit Ausnahme des Verfahrenshilfevertreidigers (§ 61 Abs 2 StPO) – zunächst der zu tragen hat, der sich eines Vertreters bedient, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn ihm solch ein Vertreter vom Amts wegen beigegeben wird (§ 61 Abs 3) [ Lendl in Fuchs/Ratz , WK StPO § 393 StPO Rz 1 (Stand: 1.4.2016, rdb.at)].

Geht man – zur theoretischen Fragen der Zulässigkeit einer Anfechtung auch der Grundsatzregelung über die Vertretungskosten in § 393 Abs 1 StPO - im Sinne des weiten Verständnisses des Verfassungsgerichtshofs vom Begriff der „Anwendung“ ( Mayer, B-VG 4 Art 89 BVG II 1.) und von einer „Präjudizialität“ der Grundsatzregelung über die Vertretungskosten für die Ausnahmeregelung des § 393a Abs 1 StPO von einem untrennbaren Zusammenhang aus ( Mayer, B-VG 4 Art 89 B-VG II 2. c), so werden beide Bestimmungen auf das Bestehen verfassungsrechtlicher Bedenken zu prüfen sein.

Bedenken gegen die Regelung der Vertretungskosten im Strafverfahren werden in der Literatur am der Entschädigung für die Vertretungskosten des Freigesprochenen mit einem Pauschalbeitrag als verfassungswidrig ( Swoboda, Die ganz legale Ausbeutung des Unschuldigen im Strafverfahren ÖJZ 1994, 687), mit der Praxis der Gerichte, bei Übersteigen des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbeitrags nicht regelmäßig den Höchstbetrag zuzusprechen ( Bertel, AnwBl 2000/7660), mit der besonderen finanziellen Bürde für einen in einem Verfahren mit notwendiger Verteidigung Freigesprochenen ( Pilnacek, Strafrechtliches Entschädigungsgesetz im Spannungsverhältnis zu Art 6. Zugleich ein Ansatz für Reformüberlegungen aus Anlass der Entscheidung EGMR im Fall Rushiti gegen Österreich, ÖJZ 2001, 546), mit der geringen Höhe der vorgesehenen Maximalbeiträge und der darüber hinaus restriktiven Praxis in der Anwendung des § 393a ( Birklbauer, Zum Ersatz der Verteidigerkosten bei einem Freispruch RZ 2001,106), mit der fehlenden positiv-rechtlichen Begründung des Ausschlusses der Anwendung von Schadenersatzrecht auf Fragen der Prozesskosten im Strafprozessrecht ( E. M. Fischer, Kostenersatz im Strafprozess Manz 2006 Rz 396ff), schließlich mit einer rechtsvergleichenden Darstellung der Regelung des Kostenersatzes bei Freispruch in fünf anderen europäischen Ländern ( Wess/Bachmann , Der Kostenersatz im Strafverfahren bei Freispruch im Lichte des Verfassungsrechts, ZWF 2/2016, Seite 50) begründet.

Der strafprozessuale Kostenersatzanspruch wird – wenn auch nicht unumstritten – von der herrschenden Ansicht als öffentlich-rechtlich qualifiziert und beruht nicht auf Grundsätzen des Schadenersatzrechts sondern ist ein verfahrensrechtlicher Nebenanspruch ( E. M. Fischer , Kostenersatz im Strafprozess, Rz 55 mwN). Bei der Verfolgung strafbarer Handlungen agiert der Staat mit dem Ziel der Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung und übt damit ein Hoheitsrecht aus ( E. M. Fischer, aaO). Zum Schutz bestimmter Grundrechtsgüter ist die Anordnung und Verhängung von Strafen geboten ( M. Pöschl in Merten/Papier/Kucsko - Stadlmayr, Handbuch der Grundrechte² § 14 Rz 57). Dasselbe muss auch ganz allgemein für die Strafverfolgung zur Befriedigung des objektiven und subjektiven Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung gelten. Strafrechtliche Verfolgung bedarf aber der Verankerung im Gesetz, hier der StPO, in der der Gesetzgeber die Kosten des Verteidigers oder Vertreters in der Regel – mit Ausnahme des Verfahrenshilfeverteidigers (§ 61 Abs 2 StPO) – zunächst dem überbindet, der sich eines Vertreters bedient. Die §§ 393 bis 395 StPO regeln die Fälle, in denen ein Ersatz von Vertretungskosten durch den Bund oder eine andere Prozesspartei stattfindet. Auch im Zivilprozess normiert § 40 ZPO die vorläufige Kostentragung durch jede Prozesspartei; für den Prozesskostenersatz gilt im Wesentlichen, auch hier durchbrochen durch die Bestimmungen über die Verfahrenshilfe, durch welche der mittellosen Partei eine vorläufig kostenfreie Prozessführung gewährt wird, mit dem § 41ff ZPO, dem Parteienprozess entsprechend, eine Veranlassungshaftung [ M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 Vor §§ 40ff ZPO; Prozesskosten (Stand: 1.9.2014, rdb.at)]. Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten steht hingegen immer im Zusammenhang mit der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, kann formal auf das Verschuldensprinzip zurückgeführt werden und kann inhaltlich mit per se nicht illegitimen fiskalischen Interessen begründet werden ( E. M. Fischer , Kostenersatz im Strafverfahren Rz 40f).

Für den Fall der Verfahrensbeendigung auf andere Weise als durch Schuldspruch (mit Ausnahme der diversionellen Verfahrensbeendigung) hat der Bund die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 390 Abs 1 StPO). Eine Ersatzpflicht des Bundes gegenüber dem freigesprochenen oder sonst außer Verfolgung gesetzten Angeklagten ist nicht vorgesehen; ihm steht nur ein nach oben limitierter Pauschalbeitrag zu.

Die mit der Anregung angestrebte Beseitigung nicht nur des § 393a Abs 1 StPO sondern auch des § 393 Abs 1 StPO würde neben der geltenden Regelung eines pauschalierten Beitrags zu den Verteidigerkosten im Fall des Freispruchs auch jene der Kostentragung für die Vertretung im Strafverfahren beseitigen.

§ 393a Abs 1 StPO regelt im Einzelnen die Verpflichtung des Bundes, dem freigesprochenen Angeklagten auf dessen Antrag hin einen Beitrag zu den Kosten seiner Verteidigung – je nach Verfahrensart gestaffelt bis zu einer bestimmten Höhe – zu erstatten, sofern das Verfahren nicht lediglich auf einer Privat- oder Subsidiaranklage (§ 72 StPO) basiert.

Die Bestimmung des § 393a StPO wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1983, BGBl I 168, eingeführt. In den Erläuterungen wird auf die "Unbilligkeit des grundsätzlichen Ausschlusses eines Ersatzanspruches" im Fall eines Freispruchs hingewiesen. Die Entscheidung für den Ersatz in Form eines pauschalierten Kostenbeitrags mit Höchstgrenze wird im Wesentlichen damit begründet, dass für die Tätigkeit der Verteidiger in Strafsachen kein verbindlicher Tarif bestehe, sondern die diesbezüglichen Honoraransprüche der freien Vereinbarung unterlägen, sodass finanzielle Belastungen des Bundes in unzumutbarer Höhe entstehen könnten (RV 1084 BlgNR XV. GP, 27). Zu den Höchstbeträgen wird festgehalten, diese seien nicht dahin zu verstehen, dass der Beitrag im Fall nachweislich höherer Kosten stets oder auch nur im Regelfall mit dem Maximalbetrag zu bemessen wäre sondern dass nach den in Abs 1 der Regelung angeführten Bemessungsgrundsätzen vorzugehen sei (RV 1084 BlgNR XV. GP, 28).

Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl I 2014/71, erfolgte eine Erhöhung der in § 393a Abs 1 StPO vorgesehenen Höchstbeträge: So wurde der Betrag nach Z 1 für Verfahren vor dem Landesgericht als Geschworenengericht von € 5.000,00 auf € 10.000,00, der Betrag nach Z 2 für Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht von € 2.500,00 auf € 5.000,00, der Betrag nach Z 3 für Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts von € 1.250,00 auf € 3.000,00 und der Betrag nach Z 4 für Verfahren vor dem Bezirksgericht von € 450,00 auf € 1.000,00 angehoben. Durch diese Anhebung sollten insbesondere in Bezug auf Verfahren von außergewöhnlichem Umfang einzelfallgerechtere Entscheidungen ermöglicht werden (RV 181 BlgNR XXV. GP, 16). Zur Entscheidung des Gesetzgebers, im Fall des gänzlichen Freispruchs weiterhin nur einen Teilbetrag der Verteidigerkosten in Form eines Pauschalbeitrags und nicht die gesamten Verteidigerkosten abzudecken, wird in den Erläuternden Bemerkungen auf das Fehlen einer verfassungsgesetzlich verankerten oder durch die Rechtsprechung des EGMR etablierten Verpflichtung zum Ersatz sämtlicher oder auch nur bestimmter Verfahrenskosten des Freigesprochenen verwiesen [zum Meinungsstand und der vor allem rechtspolitischen Kritik an den geringen Betragsobergrenzen und zur zurückhaltenden Praxis der Gerichte bei der Festsetzung von Beiträgen siehe Lendl in Fuchs/Ratz WK StPO § 393a StPO Rz 13 (Stand 1.9.2014, rdb.at)]. Auf die erhebliche Anhebung der Obergrenzen für Pauschalbeiträge durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 und die dadurch erzielbare größere Einzelfallgerechtigkeit auch mit Blick auf umfangreiche Verfahren verwies auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Antrag nach Art.140 B-VG.

Einen Verstoß gegen das Grundrecht des in Artikel 5 StGG und in Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK verfassungsgesetzlich geschützten Rechts auf Eigentum durch den Ersatz bloß eines Pauschalbeitrags zu den Verteidigerkosten kann das Beschwerdegericht nicht erblicken. Die Beschwerdeführerin argumentiert in diesem Zusammenhang mit einem nach ihrem Freispruch vom Untreuevorwurf sachlich nicht rechtfertigbaren und sie in unverhältnismäßiger Weise anders als im Allgemeinen Personen zugunsten des öffentlichen Wohls belastenden Sonderopfer, dessen Verfassungswidrigkeit aus dem Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgebot ableitbar sei. Die – im weit überwiegenden Sinn zur Enteignung entwickelten - Theorien zur Bewältigung der Wertungsfrage nach der Grenze zwischen materieller Enteignung und bloßer Eigentumsbeschränkung kann ohne Anspruch auf Vollständigkeit durch einige Fragen deutlich gemacht werden ( Korinek/Holoubek , Österreichisches Bundesverfassungsrecht III Grundrechte StGG Art 5 Rz 49 bis 52):

Bewirkt die Eigentumsbeschränkung eine prinzipielle Änderung und weitgehende Reduktion der mit dem Eigentum verbundenen Ausübungsbefugnisse oder schließt sie gar eine sinnvolle privatnützige Gebrauchnahme von Eigentum praktisch aus?

- Trifft die Eigentumsbeschränkung einen Einzelnen oder eine kleine Gruppe (was noch nicht Enteignungsgleichheit bedeutet, aber als Indiz zu deuten ist)?

- Trifft die Eigentumsbeschränkung den Eigentümer (im Hinblick auf Gewicht und Dauer der Belastung, aber auch im Hinblick auf seine bisherige Nutzung des Eigentums) mit besonders großer Intensität?

- Bewirkt die Enteignung einen erheblichen Vermögensverlust für den Eigentümer?

- Trifft die Eigentumsbeschränkung den Eigentümer in unvorhersehbarer oder zumindest nicht kalkulierbarer Weise?

Die konkrete Abgrenzung ist von den Rechtsanwendungsorgangen unter diesen Aspekten nach Art eines beweglichen Systems auf das Gesamtbild abstellend zu entscheiden.

Zunächst ist auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im Anlassfall zu verweisen, der den Parteiantrag im Umfang der Aufhebung der Wortfolge „der Verteidigung“ aus dem ersten Satz des § 393a Abs 1 StPO als unzulässig zurückgewiesen hat, weil die Bestimmung nur einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung, das heißt der mit der Vertretung durch einen Verteidiger verbundenen Kosten vorsieht und Fahrtkosten des Angeklagten (von R***** P***** mit EUR 6.985,44 beziffert) im Zusammenhang mit seinem persönlichen Erscheinen vor Gericht ebenso wenig vom strafprozessualen Kostenbegriff des § 381 Abs 1 StPO umfasst sind (Punkt V.3.2. der Entscheidung) wie der dort nicht erwähnte, von der Beschwerdeführerin jedoch angesprochene Verdienstentgang in Höhe von EUR 192.796,84. Aus Sicht des Rechtsmittelgerichts haben diese Kosten aufgrund der Nichtzuordenbarkeit zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung außer Betracht zu bleiben. Für ein Abgehen von diesem Grundsatz müsste, wie der Verfassungsgerichtshof aufgezeigt hat, auch § 381 Abs 1 StPO aufgehoben werden.

Es bleibt eine Überprüfung einer Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Eigentum durch den Zuspruch bloß des Höchstbetrag von EUR 5.000,00 nach § 393a Abs 1 Z 2 StPO für die Verteidigung im Schöffenverfahren, das, abgerechnet nach den Allgemeinen Honorarkriterien der Rechtsanwälte Verteidigerkosten von EUR 247.419,00 verursacht hat, somit bei der Frage der Verfassungswidrigkeit eines nach oben hin begrenzten Kostenersatzbeitrags gemäß § 393a Abs 1 vierter Satz StPO.

Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, einem die Voraussetzungen für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nicht erfüllenden Angeklagten nach einem Freispruch oder einer Einstellung des Strafverfahrens den Anspruch auf die Erstattung der gesamten aufgewendeten Verteidigerkosten einzuräumen, ergibt sich weder aus Artikel 6 Abs 2 EMRK, noch aus sonstigen Vorschriften der EMRK, auch nicht aus Artikel 6 Abs 3 lit c betreffend das Recht auf Verfahrenshilfe, den die Beschwerdeführerin als Bezugsbestimmung für die Verfassungswidrigkeit angezogen hat ( Frowein/Peukert, Art 6 Rz 272). Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Replik zur Äußerung der Bundesregierung zum Parteiantrag hat der EGMR in der Entscheidung Reinmüller gegen Österreich vom 1. April 2004, Bsw. 69169/01, bezüglich der Höhe des Kostenersatzes für die Verteidigung ausdrücklich festgestellt, dass weder Artikel 6 Abs 2 EMRK noch sonst eine Bestimmung der Konvention einer Person, die einer Straftat angeklagt war, ein Recht auf Kostenersatz oder auf Entschädigung für rechtmäßige Untersuchungshaft gibt, wenn das Verfahren eingestellt wurde und hat diesen Teil der Bsw als ratione materiae unvereinbar mit der Konvention gemäß Artikel 35 Abs 3 und Abs 4 EMRK einstimmig zurückgewiesen.

Nach dieser weiterhin aktuellen Entscheidung des EGMR bleibt es dem rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Strafrechtsgesetzgebung überlassen, den Anspruch auf Ersatz der einem Angeklagten in einem Strafverfahren aufgelaufenen Kosten vorzusehen. Dem durch die (ebenfalls weiterhin) herrschende Lehre zur Thematik untermauerten Vorbringen der Bundesregierung [ Lendl in Fuchs/Ratz WK StPO § 393a StPO Rz 13 (Stand 1.9.2014, rdb.at)]; Birklbauer aaO Seite 107; E. M. Fischer aaO Rz 216) schließt sich auch das Beschwerdegericht an.

Aus dem Umstand, dass andere europäische Staaten - wie von der Beschwerdeführerin aufgezeigt – ein anderes Entschädigungsregime kennen, lässt sich für deren Standpunkt nichts gewinnen. Denn zeigt das eben nur auf, dass diese den schon erwähnten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum unterschiedlich wahrnehmen. Eine Verfassungswidrigkeit kann dadurch nicht belegt werden.

Schließlich ist auf die trotz der im Ergebnis aus formalen Gründen erfolgten Zurückweisung des Parteiantrags eindeutige Meinung des Verfassungsgerichtshofs im Anlassfall zu verweisen, wonach dem Gesetzgeber der Wille, jedem freigesprochenen oder sonst nach Durchführung einer Hauptverhandlung außer Verfolgung gesetzten Angeklagten die gesamten Kosten der Verteidigung zu ersetzen, nicht zusinnbar ist.

Bleibt somit die Schlussfolgerung, dass der Verfassungsgerichtshof die Entschädigung durch einen Pauschalbeitrag als nicht verfassungswidrig erachtet und die weitere Schlussfolgerung, dass selbst eine weitere Erhöhung der Pauschalbeiträge zu keinem anderen Ergebnis führen könnte als das vorliegende, nämlich die Entschädigung für anerlaufene Verteidigerkosten nach Freispruch durch einen – in welcher Höhe auch immer festgesetzten – Pauschalbeitrag.

Der Beitrag zu den Kosten der Verteidigung, den der Bund nach § 393a Abs 1 StPO zu ersetzen hat, umfasst die nötig gewesenen und vom Angeklagten tatsächlich bestrittenen Barauslagen sowie einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers, dessen sich der Angeklagte bedient hat.

Unter "bare Auslagen" fallen nach Rechtsprechung und Literatur ( Lendl aaO §393a Rz 4 ff) vor allem Kosten für Aktenkopien, gleichgültig, wer diese zunächst bezahlt hat. Diese sind vom Angeklagten zu bescheinigen, das Gericht hat deren Notwendigkeit am Maßstab einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung zu prüfen.

Andere bare Auslagen (Spesen) des Verteidigers, die nach den AHK gesondert oder durch Inanspruchnahme des einfachen oder doppelten Einheitssatzes (§ 23 RATG) in die Kostennote aufzunehmen sind, bilden indes einen Teil des Honoraranspruchs des Verteidigers und können nur im Rahmen des Pauschalbeitrags zu den Kosten der Verteidigung (§ 393a Abs 1 zweiter Satz StPO) abgegolten werden (OGH 19.2.1985, 11 Os 191/84). Dazu gehören insbesondere die Fahrtkosten des Verteidigers, Postgebühren im Inland oder der Kanzleiaufwand.

Der Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers ist gemäß § 393a Abs1 StPO unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen. Zudem darf der Pauschalbeitrag die in § 393a Abs 1 Z 1 bis 4 StPO normierten Höchstsummen nicht übersteigen. Der Pauschalbeitrag ist somit im Rahmen dieser Beträge und nach dem Verhältnis des konkreten Verteidigungsaufwandes zum realistischerweise in Betracht kommenden Maximalaufwand in der jeweiligen Verfahrensart zu bestimmen. Die tatsächliche Höhe der vom Verteidiger seinem Mandanten im Innenverhältnis verrechneten Kosten bleibt für die Bemessung daher grundsätzlich ohne Relevanz, vielmehr ist auf die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Vertretungshandlungen abzustellen. So werden nach der Rechtsprechung bei einfachen Verteidigungsfällen ca. 10% des jeweiligen Höchstbetrags zugesprochen ( Lendl aaO § 393a Rz 10).

In der Judikatur wird bei Bemessung des Beitrags auf den Aktenumfang, die Schwierigkeit bzw. Komplexität der Sach- und Rechtslage (beispielsweise die Notwendigkeit, sich mit Gutachten auseinanderzusetzen), den Umfang des Ermittlungsverfahrens (Haftverhandlungen, Beschwerden), die Anzahl und Dauer der Hauptverhandlung(en) sowie ein allfälliges Rechtsmittelverfahren abgestellt ( Lendl aaO § 393a Rz 11).

Weitergehende Rechte des Angeklagten nach der StPO und dem StEG bleiben vom Anspruch auf den Pauschalbeitrag unberührt (§ 393a Abs 6 StPO).

Der Pauschalbeitrag darf die in § 393a Abs 1 Z 1 bis 4 StPO normierten gesetzlichen Höchstbeträge, und zwar – soweit hier relevant – im Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht EUR 5.000,00, nicht übersteigen. Die Höhe der vom Verteidiger seinem Mandanten im Innenverhältnis verrechneten Kosten ist für die Bemessung, wie dargelegt, nicht von Belang. Die gesetzlich fixierten Höchstbeträge des § 393a StPO sind nicht dahin zu interpretieren, dass der Beitrag bei nachweislich höheren Kosten stets oder auch nur im Regelfall mit dem Höchstbetrag zu bemessen wäre. Vielmehr ist die Höhe entsprechend dem Verhältnis des konkreten Verteidigungsaufwands zum realistischer Weise in Betracht kommenden Höchstaufwand in der jeweiligen Verfahrensart festzusetzen, wobei lediglich extrem aufwändige Verfahren außer Betracht zu bleiben haben [ Lendl in Fuchs/Ratz WK StPO § 393a (Stand 1.9.2014, rdb.at) Rz 13].

Beim vorliegenden Fall handelt es sich unzweifelhaft um ein Strafverfahren außerordentlichen und beachtlichen Ausmaßes sowie Umfangs – wovon bereits der Umstand zeugt, dass die Hauptverhandlung 45 Tage umfasste – weswegen der Zuspruch von EUR 5.000,00 unter Ausschöpfung des gesamten zur Verfügung stehenden gesetzlichen Höchstbetrags durch das Erstgericht jedenfalls gerechtfertigt ist. Dieser Zuspruch wird von der Beschwerdeführerin auch nicht bekämpft.

Dem Begehren der Freigesprochenen, ihr über ihre Beschwerde den von der Vorsitzenden nicht zugesprochenen Mehrbetrag von EUR 442.201,28 und den Eventualbegehren auf Zuspruch geringerer Beträge war nicht Folge zu geben, weil ein über den in § 393a Abs 1 Z 2 StPO normierten Höchstbetrag von EUR 5.000,00 hinausgehender Zuspruch der geltenden, vom Beschwerdegericht nicht als verfassungswidrig erachteten Gesetzeslage widerspräche.

Ein Ersatz für Kosten, welche mit dem persönlichen Erscheinen des Angeklagten vor Gericht verbunden sind (Fahrtkosten und Verdienstentgang) scheidet mangels kostenrechtlicher Ersatzfähigkeit im Strafprozess aus (RIS-Justiz RL0000132).

Die in der Lehre durchaus kontrovers geführte Diskussion der Ausgestaltung des § 393 Abs 1 StPO ist de lege ferenda von rechtspolitischer Bedeutung. Eine Berufung auf diese unter Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken kann aber im konkreten Fall jedenfalls keinen höheren Zuspruch als den in § 393a Abs 1 Z 2 StPO vorgesehenen Betrag von EUR 5.000,00 bewirken.

Die Erlassung der Auszahlungsanordnung obliegt dem Erstgericht.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 1

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