JudikaturJustiz191Bl69/20i

191Bl69/20i – LG für Strafsachen Wien Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2020

Kopf

Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichtes Wien (§ 16 Abs 3 StVG) hat durch den Vorsitzenden Dr. Pohnert sowie die weiteren Senatsmitglieder Richterin Mag. Hahn und Oberstleutnant Ing. Faymann als fachkundigen Laienrichter über die Beschwerde des H***** K***** vom ***** gegen die Entscheidung des Leiters der Justizanstalt ***** vom 8.9.2020 nichtöffentlich den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben .

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit Entscheidung des Leiters der Justizanstalt ***** vom 8.9.2020 wurde dem Antrag des H***** K***** vom 7.9.2020, in dem er um Gewährung eines ***** Ausganges nach § 99a StVG am 10.9.2020 zwecks Teilnahme am Begräbnis seines Cousins M***** W***** nicht stattgegeben, da kein Kontakt bestanden habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am ***** beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangte fristgerechte Beschwerde des H***** K***** vom *****, in der er das in der Entscheidungsbegründung angeführte mangelnde Naheverhältnis zum Verstorbenen bestreitet und darauf verweist, dass Letztgenannter auf Grund einer Gehirnhautentzündung beeinträchtigt und besachwaltet war. In seiner Replik auf die Stellungnahme des Anstaltsleiters merkt der Beschwerdeführer überdies an, dass es M***** W***** mangels barrierefreien Zugangs in die JA ***** nicht möglich war ihn mit einem Rollstuhl zu besuchen.

Folgender Sachverhalt wird als erwiesen angenommen und der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt:

Die Strafregisterauskunft (ON 7) des H***** K***** weist insgesamt sieben großteils massive Verurteilungen ausschließlich nach dem SMG auf.

Derzeit wird an ihm - mit voraussichtlichem Entlassungszeitpunkt ***** - eine Freiheitsstrafe in der Dauer von ***** vollzogen, die anlässlich der Verurteilung des Landesgerichts ***** vom *****, AZ *****, rechtskräftig seit *****, wegen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 4 Z 3 SMG über ihn verhängt wurde, weil er in ***** und anderen Orten im raschen Rückfall

I./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit B***** A***** und D***** D***** im Zeitraum von ***** bis ***** vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 2 Kilogramm Kokain, enthaltend 85,3% Cocain, in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge der Vertrauensperson „L*****“ zu einem Preis von € 90.000,-- angeboten hat, und

II./ am ***** vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar 500 Gramm, enthaltend 85,3% Cocain, in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge der Vertrauensperson „L*****“ zu einem Preis von € 25.000,-- angeboten hat.

Bereits davor hatte der Beschwerdeführer insgesamt ***** in Haft verbracht und findet sich in den seit ***** geführten Aufzeichnungen über die Besuche des H***** K***** lediglich einer des M***** W***** in der Justizanstalt *****, und zwar am ***** 2010 (AS 26 in ON 4). In den Kontaktdaten der Telefonfreischaltung wurde M***** W***** nie als Telefonkontakt von H***** K***** definiert und bestand zwischen dem Beschwerdeführer und M***** W***** kein besonderes Naheverhältnis.

Aktuell wird H***** K***** im gelockerten Vollzug angehalten. Es kommt ihm grundsätzlich die Möglichkeit zu, Ausgänge gemäß § 126 Abs 2 Z 4 StVG zu konsumieren.

Auf Grund der im Jahr 2020 herrschenden COVID-19-Pandemie und der aus diesem Anlass ergangenen Verordnung der Bundesministerin für Justiz, BGBl II 120/2020 in der für den verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt geltenden Fassung BGBl II 376/2020 (in Kraft getreten am 1.9.2020) galt nach § 7, dass Freiheitsmaßnahmen nach §§ 99, 99a, 126 Abs 2 Z 4 und Abs 4 StVG bis zum 30. September 2020 grundsätzlich unzulässig sind und Ausnahmen nur zur Erledigung unaufschiebbarer, nicht substituierbarer persönlicher Angelegenheiten sowie im Einzelfall, etwa zur Vorbereitung der Entlassung, bewilligt werden, sofern durch entsprechende Präventiv- und Hygienemaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

Mit Ansuchen vom 7.9.2020 erbat H***** K***** die Gewährung eines Ausgangs am 10.9.2020 in der Zeit von ***** Uhr bis ***** Uhr gemäß § 99a StVG und begründete sein Begehren mit der Teilnahme am Begräbnis seines Cousins M***** W***** am ***** Friedhof um ***** Uhr.

Diesem Ansuchen wurde mit am 9.9.2020 verkündeter Entscheidung vom 8.9.2020 nicht stattgegeben und begründend auf die durchgeführten Erhebungen, die keinen Kontakt belegen, verwiesen. Die vom Beschwerdeführer gegenüber dem Sozialen Dienst angeführte enge Beziehung zum Verstorbenen, die durch die Schwester des Insassen bestätigt worden sei, war nicht erweisbar, weil seit der ersten Haft lediglich ein Besuch am ***** 2010 von M***** W***** erfolgte und dieser nicht in der Telefonliste eingetragen ist.

Beweiswürdigend stützt sich der festgestellte Sachverhalt auf die in Klammerzitat angeführten einzelnen Fundstellen im Akt sowie die Einsichtnahme in die sonstigen von der Anstaltsleitung vorgelegten aktenmäßig erfassten Vorgänge, insbesondere die Stellungnahme des Leiters der Justizanstalt ***** vom ***** (ON 4) und die damit vorgelegten Unterlagen, nämlich insbesondere das Ansuchen vom 7.9.2020 samt Entscheidung vom 8.9.2020, die Parte des M***** W*****, aus der dessen Ableben am ***** sowie dessen Begräbnis am 10.9.2020, ***** Uhr, auf dem Friedhof ***** hervorgeht, und die Besucherliste des H***** K*****. Zudem wurde amtswegig eine Strafregisterauskuunft und das der derzeit in Vollzug befindlichen Strafe zu Grunde liegende Urteil des Landesgerichts ***** vom *****, AZ *****, samt bezughabender Rechtmittelentscheidung beigeschafft (ON 6).

Dass kein besonderes Naheverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und M***** W***** bestanden hatte, war – trotz der entgegengesetzten Behauptung des H***** K*****, der sich auf die Behinderung seines Cousines berief – auf Grund des bloß einmaligen Besuchskontakts in den vielen Jahren der Haft des Beschwerdeführers am ***** 2010 im Zusammenhalt mit dem vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten Umstand eines gänzlich fehlenden Telefonkontaktes feststellbar.

Rechtliche Beurteilung

Rechtlich folgt:

Gemäß § 120 Abs 1 StVG können sich die Strafgefangenen gegen jede ihre Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung und über jedes ihre Rechte betreffende Verhalten der Strafvollzugsbediensteten beschweren. Über die Art der ärztlichen Behandlung können sich die Strafgefangenen jedoch nur nach § 122 StVG beschweren. Die Beschwerde hat die angefochtene Entscheidung, Anordnung oder das Verhalten zu bezeichnen und die Gründe für die Erhebung der Beschwerde, soweit sie nicht offenkundig sind, darzulegen und ist nach Abs 2 leg cit binnen 14 Tagen einzubringen.

Nach § 121 Abs 1 StVG hat über Beschwerden gegen Strafvollzugsbedienstete oder deren Anordnungen der Anstaltsleiter zu entscheiden. Richtet sich eine Beschwerde gegen eine Entscheidung, Anordnung oder ein Verhalten des Anstaltsleiters oder gegen die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Anstaltsleiter, und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, so hat darüber das Vollzugsgericht (§ 16 Abs 3 StVG) zu entscheiden.

Gemäß § 16 Abs 3 StVG entscheidet das Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird, über Beschwerden Z 1. gegen eine Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsleiters,

Z 2. wegen Verletzung eines subjektiven Rechts durch ein Verhalten des Anstaltsleiters,

Z 3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Anstaltsleiter.

Entscheidungen sind inhaltliche Erledigungen von Ansuchen oder Beschwerden sowie Ordnungsstraferkenntnisse. Entscheidungen sind – anders als Anordnungen – immer dem Anstaltsleiter zuzurechnen, auch wenn sie im Rahmen des innerbehördlichen Mandats von einem anderen Strafvollzugsbediensteten getroffen wurden und kommt es dabei nicht auf die Form der Entscheidung an ( Drexler/Weger , StVG 4 § 120 Rz 4; Pieber in WK²-StVG § 16 Rz 11/3).

Somit ist die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts gegeben und ist auch von der Rechtzeitigkeit der am ***** beim Landesgericht ***** eingelangten Beschwerde vom ***** (Postaufgabedatum *****) gegen die am 9.9.2020 verkündete Entscheidung vom 8.9.2020 auszugehen.

Der Beschwerde kommt jedoch aus nachfolgenden Erwägungen keine Berechtigung zu:

Strafgefangene haben unter den in § 99 Abs 1 und § 99a Abs 1 StVG genannten Voraussetzungen einen subjektiv-öffentlichen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Ausganges. Demnach ist einem nicht besonders gefährlichen Strafgefangenen, der nach der Art und dem Beweggrund der strafbaren Handlung, deretwegen er verurteilt worden ist, sowie nach seinem Lebenswandel vor der Anhaltung und seiner Aufführung während dieser weder für die Sicherheit des Staates, noch für die der Person oder des Eigentums besonders gefährlich ist, auf sein Ansuchen höchstens zweimal im Vierteljahr zu gestatten, die Anstalt in der Dauer von höchstens zwölf Stunden am Tag zu verlassen, wenn die voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit drei Jahre nicht übersteigt und der Strafgefangene den Ausgang zu einem der im § 93 Abs 2 StVG genannten Zwecke, sohin zur Regelung wichtiger persönlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Angelegenheiten, die weder schriftlich erledigt noch bis zur Entlassung aufgeschoben werden können, sowie zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen, benötigt. Der Ausgang ist dabei gemäß §§ 99a Abs 3 iVm 99 Abs 5 StVG vom Anstaltsleiter allenfalls nur unter gewissen Auflagen, wie etwa jener der Begleitung durch einen Strafvollzugsbediensteten zu gewähren.

Für die angesprochenen Rechtsgüter ist ein Verurteilter dann besonders gefährlich, wenn es wahrscheinlich ist, dass er in Freiheit Straftaten nicht bloß leichter Art zum Schaden dieser Rechtsgüter wiederholen oder ausführen wird, wobei im Sinne eines beweglichen Systems bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit einer schweren Straftat ebenso die besondere Gefährlichkeit begründet, wie eine mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartende wiederholte Begehung weniger schwerwiegender Straftat, weil in beiden Fällen ein vergleichbares Schutzbedürfnis der Gesellschaft besteht. An eine solche „Tatbegehungsgefahr“ begründende Umstände ist ein weniger strenger Maßstab anzulegen, als in den Fällen des § 173 Abs 2 Z 3 StPO (vgl Pieber in WK 2 StVG § 99, 99a Rz 1 iVm § 5 Rz 28 f mwN).

Unter den in §§ 99 Abs 1, 99a Abs 1 StVG genannten Voraussetzungen haben Strafgefangene ein subjektiv-öffentliches Recht auf Gewährung der Lockerung des Ausgangs, wobei § 99 Abs 1 Z 1 lit b StVG in diesem Zusammenhang normiert, dass einem Strafgefangenen, dessen voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit drei Jahre nicht übersteigt, über seinen Antrag eine Unterbrechung der Freiheitsstrafe in der Dauer von höchstens acht Tagen zur Teilnahme an dem Begräbnis eines Angehörigen oder einem anderen ihm besonders nahestehenden Menschen zu gewähren ist, wenn er nach der Art und dem Beweggrund der strafbaren Handlung, deretwegen er verurteilt worden ist, sowie nach seinem Lebenswandel vor der Anhaltung und seiner Aufführung während dieser weder für die Sicherheit des Staates, noch für die der Person oder des Eigentums besonders gefährlich ist.

§§ 99 und 99a StVG dienen grundsätzlich somit dazu, das soziale Netz des Strafgefangenen außerhalb der Anstalt zu erhalten und soziale Beziehungen einschließlich der wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten zu pflegen . Bei einem Ausgang (§ 99a StVG) handelt sich um „soziales Training zur Hintanhaltung negativer Begleiterscheinungen der Haft ( Drexler/Weger , StVG 4 § 99a Rz 1).

Diese Bestimmungen, sowie auch die des § 126 Abs 2 Z 4 StVG erfahren allerdings auf Grund des zum Entscheidungszeitpunkt anzuwenden gewesenen § 7 Abs 1 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über besondere Vorkehrungen im Anwendungsbereich des Strafvollzugsgesetzes zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 120/2020 idF BGBl II Nr. 376/2020 die Einschränkung, dass diese Freiheitsmaßnahmen bis zum Ablauf des 30. September 2020 grundsätzlich unzulässig waren. Ausnahmen konnten gemäß § 7 Abs 2 dieser Verordnung idF BGBl II Nr. 241/2020 nur zur Erledigung unaufschiebbarer, nicht substituierbarer persönlicher Angelegenheiten sowie im Einzelfall, etwa zur Vorbereitung der Entlassung, bewilligt werden, sofern durch entsprechende Präventiv- und Hygienemaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen, wonach einerseits kein besonderes Naheverhältnis zwischen dem verstorbenen M***** W***** und dem Beschwerdeführer bestand und andererseits es sich bei der Teilnahme an einem Begräbnis nicht um eine nicht substituierbare persönliche Angelegenheit handelt und diese auch nicht zur Vorbereitung der erst in mehreren Jahren vorgesehenen Entlassung notwendig ist, lag im konkreten Fall somit keine Ausnahme iSd § 7 Abs 2 der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über besondere Vorkehrungen im Anwendungsbereich des Strafvollzugsgesetzes zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 idF BGBl. II Nr. 376/2020 vor.

Es ist daher die bekämpfte Entscheidung des Anstaltsleiters nicht zu beanstanden, sodass spruchgemäß zu entscheiden war.

Rechtssätze
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