JudikaturJustiz17Bs307/23f

17Bs307/23f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A* wegen § 166 StVG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Dezember 2023, GZ 188 BE 163/23z 9, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über die Anträge vom 23. November 2023 nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 8. Juni 2018, GZ 36 Hv 17/18x, wegen §§ 83 f StGB uaD zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt, wobei acht Monate unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden. Gleichzeitig wurde gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Mit Beschluss vom 9. Jänner 2020 wurde er unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren mit Wirksamkeit vom 15. Jänner 2020 gemäß § 47 StGB bedingt entlassen. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Jänner 2021 zu GZ 183 Hv 15/20v wurde die bedingte Entlassung widerrufen. Nunmehr befindet er sich im Maßnahmenvollzug in **.

Zuletzt hatte das Landesgericht Steyr als damals zuständiges Vollzugsgericht mit Beschluss vom 19. Jänner 2023 - und somit noch vor Inkrafttreten des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes 2022 (MAVG 2022), BGBl I 2022/223 - zu dg 19 BE 107/22b entschieden, dass die weitere Anhaltung des A* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher noch notwendig sei. Mit Beschluss vom 25. April 2023 – und somit nach Inkrafttreten der geänderten Bestimmungen der strafrechtlichen Unterbringung - zu dg 38 BE 23/23s hatte es einen Antrag auf bedingte Entlassung des A* wegen res iudicata ohne meritorische Entscheidung zurückgewiesen.

Mit Eingabe vom 23. November 2023 (ON 2) beantragte A* neuerlich seine bedingte Entlassung, in eventu für den Fall deren Ablehnung eine Unterbrechung der Unterbringung nach § 166 Z 2 StVG, sowie weiters die Einholung eines Sachverständigengutachtens, seine Anhörung und die Zustellung der Entscheidung.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht für Strafsachen Wien als nunmehr zuständiges Vollzugsgericht – ohne über den Antrag auf bedingte Entlassung zu entscheiden - den Eventualantrag des A* auf Unterbrechung der Unterbringung (UdU) in der Dauer von zumindest 15 Tagen (ON 2) ab und führte begründend aus, es seien keine Veränderungen in Hinblick auf die festgehaltenen risikorelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen eingetreten, es würde nach wie vor ein mangelndes Problembewusstsein und eine unzureichende Paktfähigkeit vorliegen, somit jene Risikofaktoren, die auch zum Widerruf der bedingten Entlassung geführt hätten. Vollzugsöffnende Schritte wie eine UDU wären aus fachlicher Sicht erst anzudenken, wenn eine zumindest über sechs Monate beobachtbare stabile Veränderung der Risikofaktoren im Verhalten des A* evident wäre. Auch werde weder ein in § 166 Z 2 iVm § 99 Abs 1 StVG genannter Grund für eine Unterbrechung vorgebracht, noch liegen die notwendigen Voraussetzungen hiefür vor.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Untergebrachten (ON 10), mit der er moniert, er habe in seinem der Entscheidung zugrundeliegenden Schriftsatz vom 23. November 2023 (ON 2) in erster Linie die bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug beantragt und nur für den Fall der Abweisung dieses Antrags das Eventualbegehren auf eine ein oder mehrmalige Unterbrechung der Unterbringung in der Dauer von zumindest 15 Tagen gestellt. Das Erstgericht habe aber über das Eventualbegehren, ohne zuvor über das Hauptbegehren zu entscheiden, abgesprochen, weshalb beantragt werde, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

In Stattgebung der Beschwerde war der Beschluss aus folgenden Gründen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung über die Anträge des A* aufzutragen:

Der Maßnahmenvollzug ist nach dem Gesetz zeitlich unbeschränkt und solange durchzuführen, als es der Zweck der vorbeugenden Maßnahme, nämlich der Abbau der spezifischen Gefährlichkeit, erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Das Vollzugsgericht hat gemäß § 25 Abs 3 StGB mindestens jährlich von Amts wegen zu prüfen, ob die Unterbringung noch notwendig ist.

Wenngleich die Ausführungen des Landegerichts Steyr über die Sperrwirkung rechtskräftig ergangener Entscheidungen grundsätzlich zutreffend sind, und somit zuletzt im Jänner 2023 ein meritorische Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des A* ergangen ist, die – der Argumentation der Oberstaatsanwaltschaft Wien in ihrer Stellungnahme vom 22. Dezember 2023 folgend – weiterhin bestand habe, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es zwischen der letzten einschlägigen Entscheidung in dieser Sache und der neuerlichen Antragstellung des Untergebrachten zu einer Änderung der Rechtslage gekommen ist. Am 1. März 2023 ist nämlich das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MAVG 2022), BGBl I Nr 223/2022, in Kraft getreten, mit dem aus Anlass der Reformierung des Maßnahmenvollzugs eine umfangreiche Novellierung des StGB, der StPO, des StVG und des StRegG erfolgt ist.

Abgesehen von zahlreichen terminologischen Anpassungen wurden die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem (nunmehr) forensisch-therapeutischen Zentrum neu geregelt, nämlich insbesondere die Anforderungen an die Kausalität zwischen der Störung einerseits und der Anlass- bzw Prognosetat andererseits, die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Prognosetat und die spezifischen Voraussetzungen für die Prognosetat bei Anlasstaten, die mit nicht mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.

Die Übergangsregelung des Art 6 Abs 2 erster Satz MVAG 2022 sieht vor, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen Untergebrachte, bei denen die erstmalige Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung nach Inkrafttreten ergibt, dass sie nach den Bestimmungen des MVAG 2022 überhaupt nicht untergebracht werden dürften, unverzüglich ohne Bestimmung einer Probezeit zu entlassen sind. Dadurch wird sohin zunächst klargestellt, dass auch auf die nach altem Recht untergebrachten Personen die neuen Voraussetzungen des § 21 StGB idF MVAG 2022 anwendbar sind. Nicht zuletzt aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit ist jedoch gleichzeitig sichergestellt, dass nicht sofort mit Inkrafttreten bei allen Untergebrachten gleichzeitig die Voraussetzungen der Unterbringung nach der neuen Gesetzeslage geprüft werden müssen. Die Evaluierung soll vielmehr bei der erstmaligen Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung nach Inkrafttreten erfolgen. Diese Überprüfung kann auf Antrag oder von Amts wegen vorgenommen werden. Wenn sich dem Urteil bzw dem ursprünglichen Gutachten für die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose nach der neuen Rechtslage keine ausreichenden Hinweise entnehmen lassen und daher ein neues Gutachten in Auftrag gegeben wird, ist hier die Gefährlichkeitsprognose zum Zeitpunkt der nunmehrigen Begutachtung (und nicht der damaligen Einweisung) relevant (siehe zu all dem: Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 28. Februar 2023 über die Regelungen des Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Strafregistergesetz 1968 geändert werden [Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022], GZ 2023-0.073.577).

Aufgrund dieser speziellen Konstellation ist vorliegend eine meritorische Entscheidung über die Voraussetzungen des (weiteren) Maßnahmenvollzugs erforderlich (bzw wäre bereits durch das Landesgericht Steyr im April 2023 erforderlich gewesen), weil der nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle gestellte Antrag des Untergebrachten die Pflicht zur Überprüfung der Voraussetzungen für die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung (erstmalig gemessen an den geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen) auslöst. Erst im Falle deren Bejahung und somit meritorischen Abweisung des Antrags auf bedingte Entlassung ist vom Erstgericht über den Eventualantrag auf eine ein oder mehrmalige Unterbrechung der Unterbringung in der Dauer von zumindest 15 Tagen zu entscheiden.

In Stattgebung der Beschwerde ist der bekämpfte Beschluss daher gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung/Aufrechterhaltung der Unterbringung zurückzuverweisen.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Rechtssätze
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