JudikaturJustiz17Bs291/23b

17Bs291/23b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
01. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* ua wegen §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB uaD über die Beschwerde der Mag. B* und des Mag. C* (ON 284) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. November 2023, GZ 334 HR 42/23p 270, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben , festgestellt , dass die Sicherstellungsanordnungen vom 27. Juli 2023 (ON 243) und vom 21. September 2023 (ON 244) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen, der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf gerichtliche Beschlagnahme der beiden Fahrzeuge ** (im Eigentum der Mag. B*) und ** (im Eigentum des Mag. C*) vom 13. Oktober 2023 (ON 1.140) abgewiesen und die Ausfolgung der Fahrzeuge an die Beschwerdeführer (PKW an Mag. B* und Motorrad an Mag. C*) angeordnet .

Text

Begründung:

Die Staatsanwaltschaft Wien führt zu AZ 608 St 4/22g ein Ermittlungsverfahren gegen A* ua wegen §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB uaD. Das Oberlandesgericht Wien hat zuletzt in seinen dieselben Beschwerdeführer betreffenden Beschlüssen vom 23. Oktober 2023, GZ 17 Bs 232/23a, 233/23y, 234/23w, 235/23t, 236/23i, 237/23m, ausführlich den bestehenden Tatverdacht umschrieben und begründet, auf welche zur Vermeidung von Wiederholungen zulässig verwiesen werden kann (RIS-Justiz RS0124017 [T2, T3, T4]).

Es haben demnach nach der Verdachtslage Mag. B* das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 bis 3 zweiter Fall StGB und Mag. C* das Verbrechen der Untreue als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1, 2 und 3 zweiter Fall StGB begangen.

Weiters ergibt sich der Verdacht, dass in eventu die Beschuldigten die über die belangten Verbände geflossenen Fördergelder zumindest in Höhe der in weiterer Folge rechtswidrig auf die Privatkonten des Beschuldigten A* bzw auf das Konto der slowakischen D* s.r.o. und des Vereins E* überwiesenen Schadenssumme zum Zeitpunkt der Beantragung betrügerisch herauslockten, weil sich ihr Vorsatz bereits zu diesem Zeitpunkt darauf bezog, die Gelder nicht dem, lediglich zur Täuschung der auszahlenden Stelle angeführten Förderzweck, entsprechend zu verwenden, sondern den Beschuldigten unrechtmäßig zuzuführen und einzuverleiben, weshalb auch der Verdacht in Richtung §§ 146, 147 Abs 3 StGB besteht.

Das gegenständliche Fahrzeug, der PKW **, wurde von der Beschuldigten Mag. BB* am 16. Jänner 1998 im Rahmen eines Privatankaufs erworben (siehe Kaufvertrag ON 225.3), ein Kaufpreis ist dem Vertrag nicht zu entnehmen. Aufgrund von Recherchen in diversen Internetplattformen konnte durch die Polizei jedoch in Erfahrung gebracht werden, dass dieser Fahrzeugtyp zu einem Kaufpreis zwischen EUR 49.000,-- und EUR 62.900,-- gehandelt wird (ON 240.2). Das Motorrad wurde von Mag. C* offenbar am 27. Oktober 2021 zum Preis von EUR 11.500,-- käuflich erworben (ON 225.10, weitere Fahrzeugpapiere siehe ON 225.8 ff). Dieser Fahrzeugtyp soll auf diversen Internetplattformen nunmehr zu einem Kaufpreis zwischen EUR 11.999,-- und EUR 14.499,-- gehandelt werden (ON 240.2).

Aufgrund der bisherigen Erhebungen kann davon ausgegangen werden, dass sich der PKW der Marke ** im wirtschaftlichen Eigentum der Beschuldigten Mag. B*, das beschlagnahmte Motorrad der Marke ** im wirtschaftlichen Eigentum des Beschuldigten Mag. C* befindet. Gegenteilige Ermittlungsergebnisse liegen nicht vor. Im Falle einer Verfallsentscheidung (§§ 20, 20b StGB) könnte auf den PKW sowie das Motorrad gegriffen werden (§ 20 Abs 3 StGB).

Am 23. August 2023 erfolgte an der Wohnadresse (Hauptwohnsitz) der Beschuldigten Mag. B* und Mag. C* in **, aufgrund gerichtlich bewilligter Durchsuchungsanordnung (ON 212) eine Durchsuchung der genannten Räumlichkeiten. Im Zuge dieser Durchsuchung wurden ua die folgenden Gegenstände und Dokumente sichergestellt: Ein Typenschein und bezughabende Unterlagen betreffend einen ** der Beschuldigten Mag. B* inklusive Startschlüssel sowie ein Typenschein, einen Zulassungsschein und bezughabende Unterlagen betreffend eine ** des Beschuldigten Mag. C* (ON 224.2, auch ON 225, ON 233.8). Die bezughabenden Fahrzeuge wurden in der Garage der Beschuldigten vorgefunden und vorerst auch bei den Beschuldigten belassen (ON 240.2). Daraufhin ergingen am 22. September 2023 neuerliche Anordnungen der Staatsanwaltschaft Wien auf Sicherstellung der genannten Fahrzeuge (ON 243 und ON 244). Am 10. Oktober 2023 schließlich wurden die Fahrzeuge durch das BAK sichergestellt und zum Einstellort in das M* GmbH Co KG, Fahrzeug und Technik Zentrum nach ** verbracht (ON 258.2).

Die Staatsanwaltschaft Wien beantragte am 13. Oktober 2023 die Beschlagnahme des sichergestellten PKWs sowie des sichergestellten Motorrades gemäß § 115 Abs 1 Z 2 und 3, Abs 2 StPO (ON 1.140). Die Beschlagnahme der oben bezeichneten Vermögenswerte sei zur Sicherung insbesondere privatrechtlicher Ansprüche sowie des Verfalls erforderlich.

Die Finanzprokuratur stellte für die Republik Österreich (Bundesministerium für Inneres) fest, dass mit einem Schaden für die Republik Österreich in Höhe von bis zu EUR 6.214.716,48 zu rechnen sei (ON 10.2 Rz 26). Das bisherige Ermittlungsverfahren habe zumindest einen Schaden in Höhe von EUR 1.100.000,-- ergeben, wobei zur Begründung auf die Anordnungen ON 243 und ON 244 verwiesen wurde.

Gegen die Sicherstellungsanordnungen richteten sich Einsprüche der Beschwerdeführer wegen Rechtsverletzung (ON 246, ON 247), denen die Staatsanwaltschaft mit ablehnender Stellungnahme (ON 253) nicht entsprach und dem Erstgericht nach Äußerung der Einspruchswerber (ON 255) zur Entscheidung vorlagen.

Mit dem hier angefochtenen Beschluss (ON 270) wurde durch das Landesgericht für Strafsachen Wien sodann

I./ den gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO erhobenen, im Wesentlichen inhaltlich gleichlautenden Einsprüchen wegen Rechtsverletzung der Beschuldigten Mag. C* (ON 246.2) und Mag. B* (ON 247.2) nicht Folge gegeben;

II./ über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 13. Oktober 2023 (ON 1.140) die gerichtliche Beschlagnahme der am 10. Oktober 2023 über Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien sichergestellten, sich nunmehr in (vorläufiger) Verwahrung der Fa. M* GmbH Co KG, Fahrzeug und Technik Zentrum ** befindlichen Fahrzeuge, und zwar

PKW (Oldtimer) der Marke ** sowie

Motorrad der Marke **

gemäß § 109 Z 2 lit a StPO iVm § 115 Abs 2 StPO zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche (§ 115 Abs 1 Z 2 StPO) sowie zur Sicherung einer gerichtlichen Entscheidung auf Konfiskation (§ 19a StGB), auf Verfall (§ 20 StGB), auf erweiterten Verfall (§ 20b StGB), auf Einziehung (§ 26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung (§ 115 Abs 1 Z 3 StPO) angeordnet;

III./ entschieden, wenn und sobald die Voraussetzungen der Beschlagnahme nicht oder nicht mehr bestehen die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme aufzuheben hat (§ 115 Abs 6 StPO);

IV./ entschieden, dass über den Antrag auf frühzeitige Verwertung gemäß § 115e StPO gesondert zu entscheiden ist.

Begründend führte es nach Darlegung der Rechtslage zu § 106 StPO – neben einer dem Gesetz in § 106 Abs 1 Z 2 StPO widersprechenden und somit unbeachtlichen Ansicht, soweit hier von Relevanz - aus, dass eine Sicherstellung stets eine Begründung von tatsächlicher (behördlicher) Verfügungsmacht (Gewahrsame) über körperliche Gegenstände voraussetze. Das seien bewegliche körperliche Gegenstände, die die Behörde vorläufig an sich nehme (lit a). Den Inhaber treffe eine entsprechende Herausgabepflicht. Somit reiche eine bloße Ansichnahme der Fahrzeugpapiere nicht aus, um eine Sicherstellung der hier gegenständlichen Fahrzeuge, nämlich des PKWs der Marke ** sowie des Motorrades der Marke **, im Sinne des Gesetzes (§ 109 Z 1 lit a StPO) durchzuführen, da ohne die Begründung von tatsächlicher behördlicher Verfügungsmacht über die beiden Fahrzeuge diese zwar möglicherweise nicht verkauft, aber jedenfalls verbracht und so dem behördlichen Zugriff entzogen werden könnten. „Gelindere Mittel“ seien im Bereich der Bestimmungen über die Sicherstellung nicht vorgesehen. Die Erfordernisse für die Beschlagnahme der Fahrzeuge würden ebenso vorliegen und sei diese anzuordnen gewesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde (ON 284) der Mag. B* und des Mag. C*, vorbringend , die Fahrzeuge hätten nicht körperlich sichergestellt werden dürfen. Die Sicherstellung und nunmehrige Beschlagnahme verletze die Beschwerdeführer in ihren Eigentumsrechten und in ihrem Recht auf Einhaltung des Gesetz- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Voraussetzungen für die Sicherstellung bzw Beschlagnahme der Fahrzeuge würden nicht vorliegen. Die Sicherstellung und Beschlagnahme sei unverhältnismäßig, weil mit gelinderen Mitteln – nämlich der Beschlagnahme der sichergestellten Typen- und Zulassungsscheine das Auslangen gefunden hätte werden können und müssen. Es würde zudem keine Gefährdungslage iS eines Sicherungsbedarfs, die die Beschlagnahme der Fahrzeuge erforderlich machen würde, bestehen. Nach der nunmehrigen Verdachtslage würden keine privatrechtlichen Ansprüche bestehen, die durch die erfolgten Beschlagnahmen zu sichern wären.

Die Oberstaatsanwaltschaft mittelte den Akt nach Einsicht in die Beschwerde dem Oberlandesgericht Wien retour.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 106 Abs 1 StPO steht ein Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2). Als subjektive Rechte sind solche zu verstehen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ermittlungen oder der Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach der StPO konkret einzuhalten sind (Z 2) oder welche dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach der StPO einräumen (Z 1). Diese Bestimmungen sollen den individuellen Anspruch sichern, dass die in subjektive Rechte eingreifenden Ermittlungen nur in den Fällen und in der Weise ausgeübt werden, die der StPO entsprechen. Die gerichtliche Kontrolle hat sich auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit zu beschränken (Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 106 Rz 11).

Kein Zweifel besteht nach Ansicht des Beschwerdegerichts daran, dass eine Sicherstellung gegenständlicher Fahrzeuge grundsätzlich sowohl der Sicherung privatrechtlicher Ansprüche als auch vermögensrechtlicher Anordnungen (als Ersatzwerte) diente, zu den bestrittenen Ansprüchen der Republik Österreich wird erneut auf die obzitierten Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien verwiesen.

Die Sicherstellung ist aber wie jeder staatliche Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Danach muss eine Sicherstellung erforderlich und zur Zweckerreichung geeignet sein und ist daher gegenüber gelinderen Mitteln subsidiär. Die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme muss aus Tatsachen konkret und rational nachvollziehbar begründet werden. Selbst die bloße Möglichkeit, die sicherzustellenden Werte verschwinden zu lassen, genügt nicht, dh es muss konkret zu befürchten sein, dass der Verfall ohne die Sicherstellung gefährdet oder wesentlich erschwert würde; die bloß theoretische Möglichkeit der Verbringung und reine Vermutungen genügen nicht (Tipold/Zerbes in WK-StPO § 110 Rz 18, 49 ff mwN). Selbiges gilt für die Beschlagnahme (Tipold/Zerbes aao § 115 Rz 11 ff mwN).

Der Argumentation der Beschwerdeführer, wonach der Sicherungszweck durch Sicherstellung der Typenscheine und Fahrzeugschlüssel erreicht wurde, und konkrete Tatsachen der Befürchtung der Verbringung der Fahrzeuge nicht behauptet und begründet wurden, ist zu folgen, befanden sich die Fahrzeuge doch nach am 23. August 2023 erfolgter Sicherstellung der Typenscheine, Zulassungsscheine, bezughabender Unterlagen und Fahrzeugschlüssel sieben Wochen später noch immer am Wohnsitz der Beschuldigten.

Da somit gelindere Mittel den Sicherungszweck erfüllten und Sicherstellung und Beschlagnahme der Fahrzeuge den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzten, war der Beschwerde Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Rechtssätze
0

Keine verknüpften Rechtssätze zu diesem Paragrafen