JudikaturJustiz15Os154/23w

15Os154/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. April 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weißmann in der Strafsache gegen * F* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen und im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 11. Oktober 2023, GZ 13 Hv 26/23w 88.6, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Einziehungserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht St. Pölten verwiesen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde * F* eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB (I.) sowie mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (idF vor BGBl I 2023/135; II.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I. zwischen 15. Mai 2019 und 14. Mai 2021 außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der am * 2008 geborenen, sohin unmündigen * Fr* vorgenommen oder vorzunehmen versucht, wobei jede der Taten mitursächlich für die schwere Körperverletzung der Genannten verbunden mit einer Gesundheitsschädigung von über 24 Tagen, nämlich einer posttraumatischen Belastungsstörung war, indem er

1. auf ihrer mit einer Unterhose bekleideten Vagina mit seinen Fingern Kreisbewegungen machte und auch mit den Fingern unter die Unterhose fuhr;

2. in zwei Angriffen ihre Brüste über der Kleidung für etwa fünf Minuten betastete;

3. in zwei oder drei Angriffen versuchte, ihre Hand zu seinem Penis zu führen;

II. ab August 2020 bis 23. Oktober 2022 sich pornographische Darstellungen mündiger und unmündiger minderjähriger Personen verschafft und besessen, indem er auf seinem Mobiltelefon zwölf Bilder und Videos, zeigend vorwiegend unmündige Mädchen und Buben bei geschlechtlichen Handlungen mit einem Dildo, Hand-, Oral-, Vaginal- und Analverkehr an ihnen, (US 9 f: reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte, von anderen Lebensäußerungen losgelöste und der sexuellen Erregung des Betrachters dienende) Nahaufnahmen der Genitalien unmündiger Mädchen und unmündige Mädchen und Buben bei der Selbstbefriedigung, speicherte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) zu I. kritisiert die Abweisung des Antrags auf neuerliche Vernehmung des besonders schutzbedürftigen (§ 66a StPO) Opfers, das bereits kontradiktorisch vernommen und insoweit nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Pflicht zur Aussage befreit war.

[5] Der Antrag konnte jedoch sanktionslos abgewiesen werden, weil darin nicht dargetan wurde, dass das Opfer zu einer erneuten Aussage bereit gewesen wäre, obwohl es in der kontradiktorischen Vernehmung erklärt hatte, nicht noch einmal aussagen zu wollen (vgl ON 31, 3; RIS Justiz RS0117928). Die Behauptung von Defiziten der Fragestellung im Rahmen der unter Beteiligung des Verteidigers durchgeführten kontradiktorischen Vernehmung, etwa das Unterbleiben der Konfrontation mit angeblichen Widersprüchen, oder des Hervorkommens neuer Verfahrensergebnisse nach dieser Vernehmung (RIS Justiz RS0131839, RS0118084) ändert daran nichts.

[6] Überdies rügt der Beschwerdeführer die Abweisung des Antrags auf „Auswertung des Chatverlaufes“ zwischen ihm und (soweit hier von Bedeutung) der Zeugin * Fr* „der letzten sechs Monate“ aus seinem sichergestellten Smartphone. Dies hätte – ihren Angaben zuwider – laufende Kontakte zwischen ihnen auch nach dem in Rede stehenden Tatzeitraum belegt und wäre demzufolge geeignet gewesen, die Glaubhaftigkeit der Aussage dieser Zeugin (zu I.) zu erschüttern.

[7] Auch dieser Antrag wurde abgewiesen, ohne Verteidigungsrechte zu verletzen. Denn die pauschal beantragte „Auswertung“ eines mehrmonatigen Kommunikationszeitraums, ohne konkrete Chats und deren Inhalte zu bezeichnen, die in der Hauptverhandlung hätten vorkommen sollen, zielte der Sache nach auf Erkundungsbeweisführung (vgl RIS Justiz RS0099353 [T15]) in Betreff der Überzeugungskraft dieser Zeugenaussage ab, zumal sich aus dem jeweiligen Antragsvorbringen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergaben, dass das Opfer in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt hätte (RIS Justiz RS0120109 [T3]).

[8] Die Verfahrensrüge moniert ferner die Abweisung des (erkennbar auf die Qualifikation nach § 207 Abs 3 erster Fall StGB bezogenen) Antrags, demzufolge der zur Unterstützung der Beurteilung der medizinischen Folgen für das Opfer beigezogene psychiatrische Sachverständige DI Dr. B* an der Vorführung der Aufzeichnung der kontradiktorischen Vernehmung teilnehmen und sein Gutachten nachträglich hätte erörtern bzw ergänzen sollen.

[9] Der Sachverständige deponierte in der Hauptverhandlung, „die Unterlagen“ studiert und das Opfer selbst untersucht zu haben. Über Befragen durch den Verteidiger erklärte er, auf die kontradiktorische Vernehmung nicht näher eingegangen zu sein, weil sie für die Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen nicht so bedeutsam gewesen sei (ON 88.5, 28, 32 f).

[10] Angesichts dessen und der weiteren (der Antragstellung und Abweisung nachfolgenden) Erörterungen des Sachverständigen wäre Voraussetzung einer prozessordnungsgemäßen Rüge aus Z 4 gewesen, nach Abschluss der Vernehmung darzutun, dass dem Befund oder Gutachten ein Mangel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO anhaftet, das vom Gesetz vorgesehene Verbesserungsverfahren fehlschlug und die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen erfolglos beantragt wurde (vgl RIS Justiz RS0117263 [T8, T9, T21]; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 175 f). Derartiges ist jedoch nicht erfolgt.

[11] Entgegen der Unvollständigkeit der Beweiswürdigung behauptenden Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zu II. berücksichtigten die Tatrichter sowohl das Gutachten des Sachverständigen DI H* (US 15 ff) als auch den Umstand, dass es sich um Vorschaubilder „Thumbnails“ von Photoshare, Pictures und WhatsApp handelte (US 9, 17). Zu einer noch u mfangreicheren Wiedergabe und Erörterung dieser Verfahrensergebnisse waren die Tatrichter mit Blick auf das Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verpflichtet (RIS Justiz RS0098778 [insb T6, T7]).

[12] Der weiteren Rüge zuwider ist auch die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen (US 9 f, 17) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0116882, RS0098671).

[13] Dass das Schöffengericht aus den Verfahrensergebnissen andere Schlüsse zog als der Beschwerdeführer, dessen Erklärung abgelehnt wurde (US 11), stellt keinen Begründungsmangel dar (vgl RIS Justiz RS0099455). Das dagegen gerichtete (zusammengefasste) V orbringen, aus dem Sachverständigengutachten sei nur ableitbar, dass es sich um zwölf Vorschaubilder gehandelt habe, die bei – auch un bemerktem – Empfang in einem Gruppen-Chat automatisch gespeichert würden, Beweisergebnisse zur wissentlichen Beschaffung lägen nicht vor und die diesbezügliche Feststellung sei „aktenwidrig“ (vgl jedoch RIS Justiz RS0099431 [T15]), greift stattdessen die freie Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung an (vgl RS0099524 [T1, T10] ).

[14] Der – mit Blick auf die Anordnung der strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB gestellte – Antrag auf Einholung eines (Ober )Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie „zur Widerlegung der Richtigkeit des Gutachtens“ der Sachverständigen Dr. R*, „nämlich auch in Relation zu den beiden vorhandenen Gutachten des Dr. S*“, wurde – der Rüge (inhaltlich Z 11 iVm Z 4) zuwider – schon deshalb zu Recht abgewiesen, weil sich der damit offenbar angesprochene zweite Fall des § 127 Abs 3 erster Satz StPO (weiteres Gutachten im Fall erheblicher Abweichungen zweier Sachverständiger) im Stadium des Hauptverfahrens nur auf (im Zeitpunkt der Antragstellung) vom Gericht in der Hauptverhandlung beigezogene Sachverständige (vgl § 126 Abs 3 erster Satz StPO) bezieht (RIS Justiz RS0120023 [T10]), die Gutachten des Dr. S* aber in einem anderen Verfahren erstattet wurden. Einen Mangel des Gutachtens der in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz erster Fall StPO (Unbestimmtheit des Befundes, Widersprüchlichkeit oder sonstige Mangelhaftigkeit des Gutachtens) behauptet der Beschwerdeführer indes nicht.

[15] Soweit sich der Antrag auf die „Zukunftsprognose“ bezog, betraf er allein den Ermessensbereich der Gefährlichkeitsprognose. Die darauf gestützte Rüge spricht daher keinen Nichtigkeitsgrund an, sondern erstattet ein Berufungsvorbringen (RIS Justiz RS0114964 [insb T1]; Haslwanter in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 11).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die vom Angeklagten selbst verfasste zusätzliche Eingabe („ergänzende Stellungnahme“) war unbeachtlich (RIS Justiz RS0100152 [T4]).

[17] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[18] Ferner weist die Generalprokuratur zutreffend darauf hin, dass das unbekämpft gebliebene Einziehungserkenntnis mit dem Angeklagten zum Nachteil gereichender materiell-rechtlicher Nichtigkeit behaftet ist (§ 281 Abs 1 Z 11 iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; RIS Justiz RS0130617).

[19] Dem Urteil (US 8 f) sind keine Konstatierungen zu Anlasstaten zu entnehmen, die die rechtliche Annahme zuließen, dass die im Einziehungserkenntnis genannten Datenträger (US 3) zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung (RIS Justiz RS0120218) verwendet wurden oder dafür bestimmt waren (Z 11 erster Fall; Haslwanter in WK² StGB § 26 Rz 9 f, 18).

[20] Ebenso wenig wurde festgestellt, dass dem Angeklagten die Gelegenheit gegeben wurde, die vorliegende (RIS Justiz RS0121298 [T11, T12]) besondere Deliktstauglichkeit der Datenträger zu beseitigen (§ 26 Abs 2 StGB; RIS Justiz RS0121299 [T2, T3]), und dass dies erfolglos blieb (Z 11 zweiter Fall).

[21] Aufgrund der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichts St. Pölten für die Entscheidung über den Antrag auf Einziehung (§§ 445 Abs 3, 445a StPO), war mit Delegierung an dieses Gericht vorzugehen (§ 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO; RS0100318 [T6, T7]).

[22] Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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