JudikaturJustiz15Ns120/23z

15Ns120/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. April 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Mag. Weißmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen M* M* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 Hv 52/23y des Landesgerichts Linz, über Vorlage gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz iVm § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Linz, AZ 10 Bs 290/23b, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Linz zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

Text

Gründe:

[1] Mit ihrer beim Landesgericht Linz als Schöffengericht, AZ 12 Hv 52/23y, eingebrachten Anklageschrift vom 21. August 2023, AZ 6 St 144/20f (ON 213 der Hv Akten), legt die Staatsanwaltschaft Wels M* M* und B* B* als Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I), der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 iVm § 161 Abs 1 erster Satz StGB (II) und der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 Z 2, Abs 4 StGB (III) sowie das Vergehen der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 erster Satz StGB, hinsichtlich M* auch iVm § 12 dritter Fall StGB (IV), qualifiziertes Verhalten zur Last.

[2] Danach hätten sie – soweit in der Folge für die Beurteilung der Zuständigkeit von Bedeutung – (I) „zwischen 2017 bis 2019 in L* und an anderen Orten“ (zusammengefasst) gewerbsmäßig 312 Personen dazu verleitet, bei ihnen Geld (insgesamt 2,5 Millionen Euro) zu investieren, indem sie diesen vortäuschten, über Infrastruktur zur Generierung von Kryptowährungen zu verfügen und damit Gewinne für die bei ihnen investierenden Kunden zu erwirtschaften, obwohl sie von Anfang an planten, keinen funktionierenden Mining Betrieb aufzubauen, sondern sich durch die durch Täuschung herausgelockten Gelder unrechtmäßig zu bereichern und ihren eigenen Lebensstil zu finanzieren, wobei sie den Eintritt eines korrespondierenden, 300.000 Euro übersteigenden Vermögensschadens (insgesamt 2,39 Millionen Euro) bei den Kunden ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden.

[3] Die Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landesgerichts Linz gründete die Staatsanwaltschaft Wels im Wesentlichen darauf, dass „der Schwerpunkt der Tathandlungen der Beschuldigten im Sprengel des LG Linz“ gelegen sei (ON 213 S 33).

[4] Einspruch gegen die Anklageschrift wurde nicht erhoben.

[5] Die Akten wurden von der Vorsitzenden des Schöffengerichts wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz vorgelegt (ON 223). Dieses legte die Sache – nach Verneinung der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Gründe – mit Beschluss vom 14. Dezember 2023, AZ 10 Bs 290/23b, nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[6] Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, wurde nach der für die Zuständigkeitsentscheidung maßgebenden Aktenlage (RIS Justiz RS0131309 [insb T1, T3]) keine einzelne, bereits für sich die schöffengerichtliche Zuständigkeit begründende Straftat im Sprengel jenes Gerichts begangen, bei dem die für das Ermittlungsverfahren zuständige Staatsanwaltschaft Wels ihren Sitz hat. Eine Zuständigkeitsbegründung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO scheidet daher aus (vgl RIS Justiz RS0131445).

[7] Danach ist als früheste angeklagte, in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallende Tat ein einheitlicher (vgl RIS Justiz RS0122006) betrügerischer Abschluss zweier Verträge zum Nachteil des M* K* mit einem daraus resultierenden Schaden von 60.000 Euro am 7. November 2017 in L* indiziert (ON 128 S 85 ff, 91 ff; ON 154 S 229 bis 235; ON 213 S 10 f). Diese ist somit auch für die örtliche Zuständigkeit ausschlaggebend (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO; 14 Ns 93/22w [Rz 8 f]).

[8] Die Sache war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – dem Oberlandesgericht Linz zur Zuweisung an das zuständige Landesgericht zu übermitteln.

Rechtssätze
3
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    17. April 2024·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).