JudikaturJustiz12Ra67/17k

12Ra67/17k – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Dr. Klaus Henhofer als Vorsitzenden, Dr. Barbara Jäger und Dr. Dieter Weiß sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Dr. Stefan Lueginger und Hubert Steininger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** L***** , *****, *****, *****, vertreten durch Mag. Nadine Redl, Gewerkschaft PRO-GE, Weingartshofstraße 2, 4020 Linz, gegen die beklagte Partei v***** GmbH , *****, *****, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Gewährung von Ersatzruhe, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. August 2017, 7 Cga 46/17w 7, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Gewerkschaft PRO-GE binnen 14 Tagen den mit EUR 485,00 bestimmten Aufwandersatz für das Berufungsverfahren zu leisten.

Die ordentliche Revision ist zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Elektromechaniker bei der beklagten Partei und arbeitet dort im Zwei-Schicht-Betrieb von Montag bis Freitag in der Zeit von 5.00 Uhr bis 13.00 Uhr bzw. 13.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Dienstort des Klägers ist Linz. Am Sonntag, dem 6. November 2016, wurde dem Kläger von der beklagten Partei während seiner Wochenendruhe eine Montagetätigkeit in Wien aufgetragen. Ein Arbeitskollege des Klägers holte ihn um 6.00 Uhr morgens an seinem Wohnort in St. Valentin mit dem PKW ab und setzte ihn nach der Erledigung des Arbeitseinsatzes um 15.37 Uhr wieder an seiner Heimatadresse ab. Die reine Fahrzeit hin und retour betrug für den Kläger vier Stunden.

Von seinem Arbeitgeber erhielt der Kläger die Zeit des Einsatzes in Wien sowie die Zeit der Fahrt bezahlt. Ihm wurde auch für die für die Montage benötigte Arbeitszeit Ersatzruhe gewährt, nicht hingegen für die vier Stunden passive Reisezeit. Dem Arbeitskollegen des Klägers wurde auch für die Reisezeit, die er als Fahrer des PKW zurücklegte, Ersatzruhe gewährt.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Feststellung, durch die am 6. November 2016 angeordnete Reisezeit im Gesamtausmaß von vier Stunden sei die wöchentliche Ruhezeit unterbrochen worden und daher dem Kläger Ersatzruhe gemäß § 6 Abs 1 ARG zu gewähren. Der Kläger habe über Auftrag seines Arbeitgebers während seiner Wochenendruhe an einem anderen Ort als seinem Dienstort eine Arbeitsleistung zu erbringen gehabt und daher stelle die Reisezeit Arbeitszeit im Sinn des AZG und ARG dar. Der Kläger habe sich während der Reisebewegung als Beifahrer weder erholen noch über seine Zeit frei verfügen können, sodass ihm Ersatzruhe zu gewähren sei.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wendete unter Hinweis auf Schrank ein, für die passive Reisezeit bestehe kein Anspruch auf Ersatzruhe. Nach Ansicht des deutschen Bundesarbeitsgerichtes besage die europarechtliche Einordnung von Reisezeiten nichts über deren Vergütungspflicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte dazu aus, § 6 ARG sehe einen Anspruch auf Ersatzruhe dann vor, wenn ein Arbeitnehmer während der wöchentlichen Ruhezeit beschäftigt werde. Der Begriff Ruhezeit werde im ARG nicht geklärt, nach Zweck und Systematik könne darunter aber nur das Gegenteil von Arbeitszeit verstanden werden. Das ergebe sich auch aus Art 2 Z 2 der RL 2003/88/EG, wonach Ruhezeit jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit sei. Es müsse sich um Freizeit des Arbeitnehmers handeln, die ihm Gelegenheit zur Erholung sowie zur Verfolgung eigener Interessen gebe. Ob Reisezeiten einen Ersatzruheanspruch auslösen würden, sei in der Lehre umstritten, wobei Ansatzpunkt die Frage sein müsse, ob Reisezeit als Arbeitszeit im Sinn des § 2 AZG zu werten sei. Schicke der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Auswärtstermin, sei dies als Arbeitszeit anzusehen und der Einsatz rein im Interesse des Arbeitgebers. Reisezeit sei somit keine Freizeit. Eine Differenzierung zwischen aktiver Reisetätigkeit und passiver Reisetätigkeit als Beifahrer in einem PKW sei nicht zulässig, da der Kläger auch als Beifahrer den Gefahren des öffentlichen Verkehrs ausgesetzt gewesen sei und seinen Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen habe können. Es fehle am Erholungswert, sodass dem Kläger für die vierstündige Hin- und Rückfahrt Ersatzruhe zu gewähren sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige Berufung der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger strebt mit seiner Berufungsbeantwortung eine Bestätigung des Ersturteils an.

Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigende Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die beklagte Partei macht in ihrer Rechtsrüge unter Wiedergabe der Ausführungen von Schrank geltend, Ersatzruhe stehe nur für geleistete Arbeit zu. Aus dem Umstand, dass Arbeitsbereitschaft Ersatzruheansprüche auslösen könne, lasse sich noch keine Behandlung der passiven Reisezeit als Arbeitszeit ableiten. Wertungsmäßig sei das nicht vergleichbar, da es auch Erholungsmöglichkeiten gebe, die den Arbeitszeitcharakter wesentlich unter die Anforderungen typischer Arbeitsbereitschaft verdünnten. Soweit nicht das Lenken des Fahrzeuges angeordnet sei, stehe für Reisebewegungszeiten keine Ersatzruhe zu.

Der Kläger hält dem entgegen, er habe als Beifahrer keinen Freizeitaktivitäten nachgehen können und auch eine selbstbestimmte Erholung mit der Familie sei ihm nicht möglich gewesen. Ein PKW-Sitz mit eingeschränkter Fußfreiheit biete keine ausreichende Erholungs- und Regenerationsmöglichkeit. Nach Löschnigg/Winter sowie Stärker sei jedenfalls für den Zeitraum zwischen Abfahrt und frühestmöglicher Ankunft Ersatzruhe zu gewähren. § 20b AZG stelle indirekt klar, dass Reisezeit als Arbeitszeit einzuordnen sei.

2. Die hier maßgebenden Bestimmungen sehen Folgendes vor:

§ 6 Abs 1 ARG gewährt einem Arbeitnehmer, der während der wöchentlichen Ruhezeit innerhalb von 36 Stunden vor dem Arbeitsbeginn in der nächsten Arbeitswoche beschäftigt wird, einen Anspruch auf Ersatzruhe in der folgenden Arbeitswoche, wobei gemäß § 6 Abs 5 ARG diese Ersatzruhe unmittelbar vor dem Beginn der folgenden wöchentlichen Ruhezeit zu liegen hat, soweit nichts anderes vereinbart wird.

§ 10a ARG lässt eine Reisebewegung während der Wochenend- und Feiertagsruhe zu, wenn der Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen Dienstort (Arbeitsstätte) verlässt, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern diese Reisebewegung zur Erreichung des Reiseziels notwendig oder im Interesse des Arbeitnehmers gelegen ist.

Gemäß § 20b Abs 1 AZG liegt Reisezeit vor, wenn der Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen Dienstort (Arbeitsstätte) verlässt, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern der Arbeitnehmer während der Reisebewegung keine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Absatz 2 erlaubt eine Überschreitung der Höchstgrenzen der Arbeitszeit durch Reisezeiten. Die Absätze 3 bis 5 ermöglichen zweimal pro Kalenderwoche bei ausreichender Erholungsmöglichkeit während der Reisezeit eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit bzw. bei nicht ausreichender Erholungsmöglichkeit eine Verkürzung der täglichen Ruhezeit durch Kollektivvertrag höchstens auf acht Stunden. Mit dem ARÄG 2015 neu hinzugekommen ist der Absatz 6, wonach die tägliche Arbeitszeit durch die Reisebewegung auf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden kann, wenn während der Reisebewegung durch das angeordnete Lenken eines Fahrzeuges eine Arbeitsleistung erbracht wird, die nicht eine Haupttätigkeit des Arbeitnehmers darstellt.

3. Zur Frage, ob für passive Reisezeiten ein Anspruch auf Ersatzruhe besteht, divergieren die Lehrmeinungen. Der Oberste Gerichtshof hat dazu - soweit ersichtlich - noch nicht Stellung genommen.

3.1. Schrank lehnt aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen eine Gleichstellung von Reisebewegungszeiten mit Arbeitsbereitschaftszeiten ab. Reisebewegungszeiten würden zwar als Arbeitszeit in § 20b AZG und § 10a ARG anerkannt, durch die Einschränkung in § 20b Abs 1 AZG würden aber bloße Reisebewegungszeiten und Arbeitsleistungen so deutlich unterschieden, dass eine bloße Reisebewegung zwar Arbeitszeit, aber als solche noch kein Erbringen einer Arbeitsleistung sei. Wertungsmäßig seien die materiellen Regelungen mit jenen der Arbeitsbereitschaft nicht vergleichbar, könnten doch durch Reisebewegungszeiten die Arbeitszeithöchstgrenzen unbegrenzt überschritten und sogar die täglichen Ruhezeiten verkürzt werden. Die bloße Beschränkung der Freizeitnutzungsmöglichkeiten begründe noch keine arbeitszeitrechtlich relevante Beschäftigung für den Arbeitgeber, wie die Anerkennung der Rufbereitschaftszeiten als Nichtarbeitszeiten trotz grundsätzlicher Entgeltpflicht bestätige. Die §§ 10a und 6 ARG sprächen von „geleisteter Arbeit“, was dafür spreche, dass der Gesetzgeber in § 6 bloße Reisebewegungen nicht gemeint habe. Eine Gleichstellung mit bloßer Rufbereitschaft sei umso mehr geboten, als die zusätzlich zur Bezahlung der Reisezeit gebührende Ersatzruhe mit vollem Arbeitsentgelt und nicht mit reduzierter Reisezeitbezahlung zu leisten wäre. Für Reisezeiten stehe somit die entsprechende Reisezeitbezahlung, aber keine Ersatzruhe zu. Müsse der Arbeitnehmer das Fahrzeug selbst lenken, sei die ARG-Gleichstellung mit voller Arbeit sachlich gerechtfertigt (Arbeitszeitgesetze Kommentar 3 [2015] § 6 ARG Rz 17, 18; ders Flexiblere Arbeitszeiten: Arbeitszeit- und Ruhezeitausgleiche im neuen Arbeitszeitrecht, in FS Theodor Tomandl zum 65. Geburtstag [1998] 333 [347 FN 51]).

Mosing leitet aus § 20b Abs 2 AZG ab, dass Reisezeiten Arbeitszeit darstellten, da sie auf die Höchstgrenzen der Arbeitszeit anzurechnen seien, und meint, dieselbe Begrifflichkeit liege auch dem ARG zugrunde. Ohne Zweifel verfüge der Dienstgeber während der Dienstreise über den Dienstnehmer, indem er ihm einen bestimmten Ort vorgebe (Transportmittel etc.) und ihn auch zeitlich für die Dauer der Reise binde. Allerdings besage die Einordnung als Arbeitszeit noch nichts über das Bestehen eines Ersatzruheanspruches. Während das AZG von Arbeitszeit spreche, spreche das ARG von Beschäftigung und gewähre Ersatzruhe für „geleistete Arbeit“. Reine Reisetätigkeit im Sinn des § 20b AZG erreiche deswegen nicht die Intensität einer Beschäftigung im Sinn des ARG, denn der Terminus „Beschäftigung“ setze immer einen Mindestgrad der Beanspruchung durch eine Arbeitsleistung voraus und dies sei bei einer reinen Reisetätigkeit nicht erfüllt. Dementsprechend könne auch für Reisezeit außerhalb der Normalarbeitszeit ein geringeres Entgelt vereinbart werden und es wäre nicht sachgerecht, dass solche Zeiten dennoch einen Ersatzruheanspruch nach § 6 Abs 1 ARG auslösten (Weg- und Reisezeiten im Arbeitsrecht, RdW 2012/169, 157 [161f]).

Rauch meint, die Einschränkungen bzw. die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers sei bei Arbeitsbereitschaft intensiver als bei Reisezeiten (durch exakte Vorgabe des Aufenthaltsortes und sofortige Abrufbarkeit von Arbeitsleistungen), sodass Reisezeiten eher mit einer Rufbereitschaft vergleichbar seien, die keinen Anspruch auf Ersatzruhe bewirke. Deswegen seien auch bei Reisezeiten wesentlich geringere arbeitszeitrechtliche Begrenzungen als etwa bei Arbeitszeiten, wie etwa auch bei Arbeitsbereitschaft, gegeben (Die Dienstreise, ASok 2010, 128 [130]).

Stärker beurteilt ebenfalls Reisezeiten als Arbeitszeit, da ansonsten keine Notwendigkeit bestünde, Überschreitungsmöglichkeiten der Arbeitszeithöchstgrenzen zu normieren. Er meint aber, die Formulierung in § 10a ARG „während der Wochenend- und Feiertagsruhe“ sei eine Reisebewegung zulässig, bedeute, dass die wöchentliche Ruhezeit in den Fällen des § 10a ARG weiterlaufe und ein Erwerb von Ersatzruhezeiten ausgeschlossen sei (Ersatzruhezeit für Reisezeiten? ecolex 1998, 931 [933]). Dem folgt Wolf (in Mazal/Risak , Das Arbeitsrecht-System und Praxiskommentar [29. Lfg Juni 2017] XI Rz 190).

3.2. Pfeil versteht unter dem Begriff Ruhezeit das Gegenteil von Arbeitszeit und beruft sich auf Art 2 Z 2 der Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG, wonach Ruhezeit jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit sei. Ruhezeit sei Freizeit, die dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Erholung sowie zur Verfolgung eigener Interessen gebe (in ZellKomm² §§ 2-6a ARG Rz 7). Dass Dienstreisen während der Wochenendruhe zulässig seien, erlaube nicht den Schluss, es könne deshalb keine Ersatzruhe zustehen, zumal es sich um eine Ausnahme von der Wochenend- und Feiertagsruhe handle (in Grillberger , AZG 3 [2011] § 20b Rz 7). Die Unterscheidung passive - aktive Reisezeit spiele für das ARG keine Rolle. Der Anspruch auf Ersatzruhe werde durch § 10a ARG nicht berührt (in ZellKomm §§ 10-15 ARG Rz 6).

Dem folgt Gerhartl und argumentiert außerdem damit, dass bei passiven Reisezeiten ex definitione keine Arbeitsleistungen erbracht würden, aber dennoch eine Disposition über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers vorliege und daher passive Reisezeit nicht mit Freizeit gleichgesetzt werden könne. Da diese Merkmale auch auf Zeiten einer Arbeitsbereitschaft zuträfen, seien Analogien zwischen diesen beiden Erscheinungsformen von Arbeitszeit angebracht (Reisezeiten als Arbeitszeiten, ASok 2007, 25 [30, 28]).

Lutz/Heilegger befürworten, die Zeit zwischen Abfahrt und frühestmöglicher Ankunft am Reiseziel als Reisebewegung zu werten und für diesen Zeitraum einen Ersatzruheanspruch zu gewähren (Arbeitsruhegesetz 5 [2014] § 10a Rz 20).

4. Das Berufungsgericht schließt sich der Meinung von Pfeil, Gerhartl und Lutz/Heilegger an und gelangt mit dem Erstgericht zu dem Schluss, dass der Kläger Anspruch auf vier Stunden Ersatzruhe für die am 6. November 2016 als Beifahrer zugebrachte Reisezeit hat.

Der Kläger hatte an diesem Sonntag in Wien über Auftrag seines Arbeitgebers eine Montagetätigkeit zu verrichten, sodass die Fahrt von St. Valentin nach Wien im Sinn des § 10a ARG notwendig war, um das Reiseziel zu erreichen. Damit liegt eine Reisezeit im Sinn des § 10a ARG vor.

§ 6 Abs 1 ARG stellt für den Anspruch auf Ersatzruhe zwar auf eine „Beschäftigung“ des Arbeitnehmers ab, in der Sache ist aber ein Unterschied gegenüber der Arbeitszeit im Sinn des AZG nicht zu erkennen (vgl Grillberger , Die Dienstreise als arbeitsrechtliches Problem, DRdA 1986, 265 [271]; aA Mosing, RdW 2012, 162).

Demnach ist zu klären, ob es sich bei einer Reisezeit um Arbeitszeit handelt. Arbeitszeit ist die Zeit von Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen (§ 2 Abs 1 AZG). Es geht also um jene Zeit, in welcher der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt bzw. der Arbeitgeber die Freizeit des Arbeitnehmers in Anspruch nimmt ( Pfeil in ZellKomm² § 2 AZG Rz 2).

Sowohl das ARG als auch das AZG definieren Reisezeit als vorübergehendes Verlassen des Dienstortes über Auftrag des Arbeitgebers, um an einem anderen Ort eine Arbeitsleistung zu erbringen. Während § 10a ARG eine solche Reisebewegung unter der Voraussetzung, dass sie zur Erreichung des Reisezieles notwendig oder im Interesse des Arbeitnehmers gelegen ist, „während der Wochenend- und Feiertagsruhe“ zulässt, erlaubt § 20b Abs 2 AZG eine Überschreitung der Höchstgrenzen der Arbeitszeit durch Reisezeiten. Daraus folgt, dass Reisebewegungen Arbeitszeit sowohl iSd AZG als auch des ARG darstellen. Es bräuchte nicht einer Zulässigerklärung von Reisebewegungen während der Wochenendruhe, wenn die Reisebewegung ohnehin eine Ruhezeit darstellen würde. Ebenso wenig wäre eine Überschreitung der Arbeitszeithöchstgrenzen ein Thema, wenn die Reisezeit nicht als Arbeitszeit anzurechnen wäre (aA weil differenzierend zwischen ARG und AZG Stärker , ecolex 1998, 933).

5. Abgesehen von dem hier nicht zu beurteilenden Fall, dass der Arbeitnehmer das Fahrzeug selbst lenkt (und damit eine Arbeitsleistung im Sinn des § 20b Abs 6 AZG erbringt), lässt sich aber nicht leugnen, dass eine Reisebewegung als Beifahrer (passive Reisezeit) nicht dieselbe Intensität erreicht, wie die Erbringung einer Arbeitsleistung.

Arbeitszeit und Ruhezeit schließen nach der Rechtsprechung des EuGH einander aus (Stärker Kommentar zur EU-Arbeitszeit-Richtlinie, Art 2 Erläut 3; Balze in EAS [160. Aktualisierung Februar 2011] B 3100 Rz 91 je unter Hinweis auf EuGH C-303/98 Simap).

Allerdings kann Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinn eine unterschiedliche Intensität haben, sodass der Begriff neben der eigentlichen Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung (Vollarbeitszeit, Arbeitszeit im engeren Sinn) auch die Arbeitsbereitschaft umfasst ( Pfeil in ZellKomm² § 2 AZG Rz 12). Arbeitsbereitschaft ist anzunehmen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall jederzeit zur Arbeitsaufnahme bereit zu sein ( Pfeil in ZellKomm² §§ 5, 5a AZG Rz 2). Von der Arbeitsbereitschaft zu unterscheiden und nicht mehr als Arbeitszeit zu werten ist hingegen die bloße Rufbereitschaft, bei welcher der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort und die Nutzung der Zeit grundsätzlich frei wählen kann, allerdings jederzeit erreichbar sein muss, um bei Bedarf innerhalb gewisser Zeit zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stehen ( Pfeil in ZellKomm² §§ 20-23 AZG Rz 13).

Die Reisetätigkeit des Klägers liegt nunmehr zwischen Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft. Er muss sich zwar im PKW seines Arbeitskollegen auf der Strecke St. Valentin - Wien aufhalten, kann die Zeit als Beifahrer aber doch in gewissem Umfang für eigene Zwecke verwenden (Lesen, Schlafen) und muss nicht mit einem jederzeitigen Einsatz rechnen ( Löschnigg/Winter , Zwei Dienstreisen und deren Abrechnung, DRdA 1990, 144 [146]; igS Grillberger, DRdA 1986, 269). Mehr als eine bloße Rufbereitschaft liegt allerdings vor, da der Kläger seinen Aufenthaltsort nicht frei wählen kann und auch seine Zeit nur insofern frei gestalten kann, als dies auf einem Beifahrersitz möglich ist. Genau an diesem Punkt der Abgrenzung zwischen Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft gehen auch die Lehrmeinungen auseinander. Während ein Teil die passive Reisezeit in die Nähe der Rufbereitschaft rückt ( Schrank, Rauch ), zieht ein anderer Teil Parallelen zur Arbeitsbereitschaft ( Gerhartl; vgl im Ergebnis, wenn auch nicht ausdrücklich auf die Ersatzruhe bezugnehmend Grillberger, Löschnigg/Winter und Heilegger in Heilegger/Klein , Arbeitszeitgesetz 4 [2016] § 20b Rz 11). Zur Lösung scheint ein Vergleich zwischen AZG einerseits und ARG andererseits fruchtbringend.

In der Legaldefinition des § 10a ARG fehlt die in § 20b Abs 1 letzter Halbsatz AZG enthaltene Einschränkung, dass Reisezeit nicht vorliegt, wenn der Arbeitnehmer während der Reisebewegung eine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Daraus folgt, dass für das ARG die Unterscheidung zwischen passiver und aktiver Reisezeit keine Rolle spielt (vgl Löschnigg, Probleme der AZG-Novelle BGBl I 1997/46, in FS Tomandl 251; ihm folgend Pfeil in ZellKomm² §§ 10-15 ARG Rz 6). Dies wiederum hat zur Folge, dass auch die passive Reisezeit des Klägers unter § 6 ARG zu subsumieren ist. Der Umstand, dass aktive Reisezeit in § 20b Abs 6 AZG seit dem ARÄG 2015 als Erbringung einer Arbeitsleistung durch das angeordnete Lenken eines Fahrzeuges ohne dass das Lenken die Haupttätigkeit des Arbeitnehmers darstellt definiert wird, ändert an dieser (zur Rechtslage vor dem ARÄG 2015 vertretenen) Ansicht nichts. Daraus folgt nur, dass nunmehr aktive und passive Reisezeiten von den Erleichterungen des § 20b AZG erfasst werden und Eingriffe in die tägliche Ruhezeit (und eben nicht in die wöchentliche) erlaubt sind ( Heilegger in Heilegger/Klein , Arbeitszeitgesetz 4 § 20b Rz 10, 3). Auf § 6 ARG hat das hingegen keine Auswirkungen.

Hinzu kommt noch, dass die Zielsetzung des ARG über jene des AZG hinausgeht. Während das AZG in erster Linie den Schutz der Arbeitnehmer vor übermäßiger Belastung bezweckt, soll die im ARG geregelte Wochenendruhe unter Einschluss zumindest eines Teiles des Samstages dem Arbeitnehmer auch zur Entfaltung seiner privaten Interessen sowie zur Förderung von Familienkontakten und Freizeitmöglichkeiten dienen ( Löschnigg/Winter , DRdA 1990, 146; insoweit zustimmend Stärker, ecolex 1998, 932).

Die ungestörte Wochenendruhe, um sich der Familie und eigenen Freizeitaktivitäten zu widmen, ist somit ein wesentlicher Aspekt des ARG und daher auch bei der Beurteilung der Gewährung von Ersatzruhe mitzubedenken. Für den Kläger macht es unter dem Blickwinkel der Störung der Wochenendruhe keinen Unterschied, ob er das Fahrzeug selbst lenkt oder nur Beifahrer ist. Er kann die Reisezeit weder mit seiner Familie verbringen noch seinen Hobbys nachgehen. Dass die passive Reisezeit keine vollwertige Arbeitsleistung darstellt und auch nicht mit dem Lenken des PKWs gleichzusetzen ist, findet in der Möglichkeit, für Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeiten ein niedrigeres Entgelt zu vereinbaren (vgl zum Entgelt Gerhartl , ASok 2007, 28f; Rauch , ASok 2010, 131) hinreichend Berücksichtigung. Aus der Möglichkeit, eine niedrigere Entlohnung zu vereinbaren, kann aber nicht geschlossen werden, dass deswegen auch kein Anspruch auf Ersatzruhe zusteht (aA Mosing , RdW 2012, 162). Dass für die Zeit der Ersatzruhe das volle Arbeitsentgelt gebührt, stellt ebenfalls keinen Wertungswiderspruch dar, sondern ist eine Frage der Störung der durch das ARG besonders geschützten Wochen(end)ruhe durch den Arbeitgeber (aA Schrank , Arbeitszeitgesetze Kommentar³ § 6a ARG Rz 17).

Diese Erwägungen rechtfertigen den Schluss, dass für passive Reisezeit Ersatzruhe zu gewähren ist.

Die von der Beklagtenseite ins Treffen geführte Entscheidung des deutschen BAG vom 20. April 2011, 5 AZR 200/10, betrifft den Vergütungsanspruch eines LKW-Fahrers für die Zeiten, die er als Beifahrer neben dem Fahrer oder in der Schlafkabine verbrachte, hat aber nichts mit der vorliegenden Frage der Gewährung von Ersatzruhe für Beifahrer zu tun, deren Haupttätigkeit nicht das Lenken von Kraftfahrzeugen ist.

6. Soweit die beklagte Partei in der Berufung auch ein mangelndes Feststellungsinteresse releviert, da eine konkrete Leistung auf Ersatzruhe gemäß ARG begehrt werde und dies mit Leistungsklage geltend gemacht werden hätte können, ist ihr entgegenzuhalten, dass entscheidend ist, welchen Anspruch ein Kläger im Zusammenhang mit dem Sachvorbringen seinem Sinngehalt nach begehrt, und nicht starr am Wortlaut festzuhalten ist. Dadurch fällt eine große Anzahl von Klagen, die missverständlich als Feststellungsklagen formuliert erscheinen, in die Gruppe der Leistungs- oder Rechtsgestaltungsklagen; ist dies der Fall, ist das alsbaldige Feststellungsinteresse nicht besonders zu prüfen ( Fasching in Fasching/Konecny ² § 228 ZPO Rz 13, 107).

Klar ist, dass der Kläger die Gewährung von Ersatzruhe für die vier Stunden passive Reisezeit anstrebt (eine finanzielle Abgeltung kommt erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses in Betracht, OGH 9 ObA 8/06a, 9 ObA 157/98y). Ob er diese vier Stunden Ersatzruhe als ausdrückliches Leistungsbegehren hätte formulieren müssen (vgl OGH 9 ObA 123/14z, 8 ObA 96/06k, wo das Höchstgericht ein Leistungsbegehren gebilligt hat) oder als Feststellungsbegehren (vgl 9 ObA 75/90) ist nicht entscheidend, da eine Abweisung des Feststellungsbegehrens mangels Feststellungsinteresses jedenfalls nicht zu erfolgen hat.

Somit hat es bei der Klagsstattgabe zu bleiben.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO iVm § 58a ASGG.

8. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zuzulassen, da keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung passiver Reisezeiten im Rahmen der Gewährung von Ersatzruhe gemäß § 6 ARG aufgefunden werden konnte und die Lehrmeinungen - wie umfassend dargelegt - divergierend sind.

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